Das Denken stellt Gemeinsamkeiten her

Der Mensch ist ein zur Natur gehörendes Lebewesen. Er hat seine Form erst mit der durch ihn selbst in Gang gekommenen Entwicklung der Natur erhalten. Volker Gerhardt fügt hinzu: „Auch beim homo sapiens steht außer Frage, dass die ihn auszeichnenden intellektuellen Leistungen geschichtlich geworden sind. Das kann allein durch den langen kulturgeschichtlichen Vorlauf des homo faber als erwiesen gelten.“ Zum homo sapiens ist der homo faber gewiss nicht nur angesichts der anwachsenden handwerklich-technischen Probleme geworden. Es dürfte Probleme neuer Qualität gegeben haben, die den Entwicklungsschritt zu einer neuen Leistungsstufe des Könnens forciert haben. Die sich stellenden gesellschaftlichen Aufgaben haben zur Steigerung der Fähigkeiten geführt, die den homo sapiens auszeichnen. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

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Der Kampf um die Wortmacht hat begonnen

Ohne dass viele Menschen es überhaupt bemerken, stecken sie mitten in einem großen Kampf. Dabei geht es um die Form, die Bedingungen und die Grenzen der globalen Redefreiheit. Sowohl in den Smartphones in ihren Taschen und vielleicht auch in ihren Köpfen. Timothy Garton Ash nennt dieses Ringen den Kampf um die Wortmacht. Wie das Wort „Rede“ in „Redefreiheit“ schließt der Begriff „Wort“ in „Wortmacht“ offensichtlich viel mehr mit ein als nur Worte. Timothy Garton Ash erklärt: „Er umfasst auch Bilder, Töne, Symbole, Informationen und Wissen sowie Kommunikationsstrukturen und Kommunikationsnetze.“ Der spanische Soziologe Manuel Castells spricht von der „Kommunikationsmacht“. Aber Timothy Garton Ash ist das kurze Wort lieber als das lange, besonders weil ohnehin jede Bezeichnung nur einen Teil des Ganzen erfasst. Timothy Garton Ash ist Professor für Europäische Studien an der Universität Oxford und Senior Fellow an der Hoover Institution der Stanford University.

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Der Staat muss die Meinungsfreiheit schützen

Der Staat muss das einsetzen, was der Soziologe Max Weber als „Monopol auf legitime physische Gewaltsamkeit“ bezeichnet, um diese Menschen zu beschützen und diejenigen zu verfolgen, die sie zu töten drohen. Timothy Garton Ash ergänzt: „Das ein Rund-um-die-Uhr-Schutz teuer ist, muss eine demokratische Regierung ihren Worten auch Taten, sprich Geld, folgen lassen, selbst wenn manche Steuer zahlenden Wähler das nicht gutheißen werden.“ Das setzt natürlich voraus, dass nicht der Staat selbst offen oder verdeckt die Quelle gewaltsamer Einschüchterung ist, sondern sie vielmehr entschlossen und mit allen Mitteln bekämpft. Doch selbst wenn ein Staat alles in seiner Macht unternimmt, um gefährdete Personen zu schützen, wird deren persönliche Erfahrung dennoch traumatisch sein. Timothy Garton Ash ist Professor für Europäische Studien an der Universität Oxford und Senior Fellow an der Hoover Institution der Stanford University.

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Die Todesgefahr ist die extremste Bedrohung der Meinungsfreiheit

„Wenn du das sagst, bringen wir dich um.“ Dieser Satz verkörpert die extremste Bedrohung der Meinungsfreiheit. In Europa leben Tausende von Menschen versteckt oder fürchten um ihr Leben, weil sie von gewaltbereiten Islamisten, Mafiosi unterschiedlicher Couleur, mächtigen Interessengruppen, gewalttätigen Verwandten oder unterdrückerischen Regimen Todesdrohungen erhalten haben. Noch sehr viel höher sind diese Zahlen in Afrika, im Nahen Osten und in Teilen Asiens. Timothy Garton Ash formuliert dagegen folgendes Prinzip: „Weder drohen wir mit Gewalt, noch akzeptieren wir gewaltsame Einschüchterung.“ Doch in der Politik kann eine solche Strategie der Beschwichtigung am Ende auch den gegenteiligen Effekt bewirken. In diesem Sinne kann, wer sich gewaltsamer Einschüchterung beugt, eben dadurch den Anreiz liefern, noch mehr mit Gewalt zu drohen. Timothy Garton Ash ist Professor für Europäische Studien an der Universität Oxford und Senior Fellow an der Hoover Institution der Stanford University.

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Alexander Gauland plant den Griff nach der Macht

Olaf Sundermeyer beschreibt in seinem neuen Buch „Gauland“ den politischen Werdegang von Alexander Gauland, der aktuell die Alternative für Deutschland (AfD) anführt. Viele Menschen in Deutschland haben den Eindruck, dass der alte Mann erst jetzt den Weg in die Politik gefunden hat. Doch der Eindruck täuscht: Jahrzehntelang war Alexander Gauland ein Diener des Systems, das er heute bekämpft. Olaf Sundermann erläutert: „Erst die Summe seiner Erfahrungen in Politik, Verwaltung und Medien at die AfD zu einer Bewegungspartei und einer Herausforderung für die Demokratie werden lassen.“ Der Autor bringt Licht in offene Fragen wie: Warum will Alexander Gauland die CDU zerstören, der er fast 40 Jahre angehört hat? Olaf Sundermeyer arbeitet beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) als Experte zum Thema innere Sicherheit in der Redaktion Investigatives und Hintergrund.

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Deutsch und zugleich zivilisiert zu sein ist möglich

Wie kein anderer Intellektueller hat Thomas Mann mit der Frage gerungen, ob es möglich sei, das zu sein: zugleich deutsch und zivilisiert. Für Thea Dorn scheint er der vorzüglichste Spiritus Rector zu sein, auf den man sich berufen kann, wenn man das Deutsche begreifen und für den künftigen Gebrauch retten will. Im Mai 1945 hielt der von den Nazis ins Exil getriebene Schriftsteller, der mittlerweile die amerikanische Staatsbürgerschaft hatte, in der Washingtoner Library of Congress einen berühmt gewordenen Vortrag. Darin versuchte er, sich, den Deutschen und seinem amerikanischen Publikum zu erklären, wie es zu der deutschen Barbarei hatte kommen können: „Es [gibt] nicht zwei Deutschland […], ein böses und ein gutes, sondern nur eines, dem sein Bestes durch Teufelslist zum Bösen ausschlug.“ Thea Dorn studierte Philosophie und Theaterwissenschaften. Sie schrieb eine Reihe preisgekrönter Romane, Theaterstücke und Essays.

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Demokratien brauchen Märkte

In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wurden das liberale Denken und die Marktwirtschaft zum Traumpaar der politischen und ökonomischen Theorie. Philipp Blom erläutert: „Der Gedanke, dass alle Menschen gleiche Rechte haben, dass Wissen besser ist als Ignoranz, dass Menschen einander tolerieren müssen, auch wenn sie unterschiedlicher Meinung sind, wurde auf einem Markt geboren.“ Händler müssen pragmatisch und nicht ideologisch urteilen, sie brauchen sachliche Informationen, die ihnen bei der Urteilsfindung helfen, Informationen, auf die sie Geld wetten können, ohne ruiniert zu werden. Die ersten Zeitungen entstanden im 16. Jahrhundert in Handelszentren, um Kaufleute darüber zu informieren, was bei ihren Handelspartnern geschah, welche Investitionen sicher waren. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

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Cicero war einer der bedeutendsten Redner der Antike

Der bei weitem wichtigste Vermittler griechischen Denkens in Rom war der Redner und Philosoph Marcus Tullius Cicero (105 – 43 v. Chr.), als Staatsmann und Theoretiker ein leidenschaftlicher Verteidiger der untergehenden Republik. Bernd Roeck fügt hinzu: „Cicero war nicht nur einer der bedeutendsten Redner der Antike, sondern zugleich einer der brillantesten Stilisten lateinischer Sprache. Die technische Seite des Diskutierens, die Form der Rede und des Schreibens, gewann in seinen Schriften überragende Bedeutung.“ Als junger Mann war Cicero in Athen bei dem Platoniker Antiochos von Askalon in die Schule gegangen. Hier hatte er die Lehren der Akademie kennengelernt. Sie befand sich in einem Gymnasium nahe der Akropolis. Bernd Roeck ist seit 1999 Professor für Neuere Geschichte an der Universität Zürich und einer der besten Kenner der europäischen Renaissance.

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Die Lehre der Stoiker geht auf das Jahr 300 v. Chr. zurück

Eine mit farbenfrohen Fresken geschmückte Säulenhalle – „stoa poikile“ – nicht weit von der Athener Akropolis gab einer antiken Philosophenschule den Namen: der Stoa. Bernd Roeck weiß: „Ihre antike Geschichte umspannt ein halbes Jahrtausend, von der Begründung durch Zenon um 300 v. Chr. bis in die Tage des römischen Kaisers Mark Aurel (161 – 180 n. Chr.).“ Dessen „Selbstbetrachtungen“ sind das letzte bedeutende Zeugnis ihrer vorchristlichen Periode. Die Lehre der Stoiker dürfte dazu beigetragen haben, die Akzeptanz des Christentums im griechisch-römischen Kulturraum herbeizuführen. Umgekehrt werden christliche Theologen in der Philosophie der Stoa mannigfache Punkte der Anknüpfung finden. Zenon hielt den sterblichen Leib gegenüber dem Geist, der dem ewigen Feuer gleiche und damit am göttlichen teilhabe, für unwichtig. Bernd Roeck ist seit 1999 Professor für Neuere Geschichte an der Universität Zürich und einer der besten Kenner der europäischen Renaissance.

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Der sokratische Dialog ist die mächtigste Waffe der Aufklärung

Das Auftreten des Philosophen Sokrates und das Denken der Sophisten markieren deshalb einen Einschnitt in die Geschichte der Philosophie, weil man nun systematisch daran ging, die alles Tun und Lassen leitenden Normen ausschließlich aus der Vernunft zu begründen. Platon sieht in der Methode, die das Gespräch bestimmt, der Dialektik, eine Gabe der Götter, die „irgendein Prometheus“ den Menschen zugleich mit dem Feuer gebracht habe. Bernd Roeck erläutert: „Der sokratische Dialog ist die mächtigste Waffe der Aufklärung, der Wahrheits- und Weisheitssuche geweiht, ethisch und ätzend zugleich.“ Oft durchflittern ihn subversive Elemente, Ironie blitzt auf, Sarkasmus mischt sich dazwischen. Häufig ist schwer zu beurteilen, welchem Gesprächsteilnehmer, welcher Position die Sympathie eines Autors gehört. Bernd Roeck ist seit 1999 Professor für Neuere Geschichte an der Universität Zürich und einer der besten Kenner der europäischen Renaissance.

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Die Aufklärung gilt als Zeitalter der Vernunft

Die Aufklärung wurde und wird gerne als das Zeitalter der Vernunft bezeichnet. Zweifellos war „Vernunft“ eine der großen Leitbegriffe der Aufklärung, die Hoffnung auf Vernunft zusammen mit der Hoffnung auf Freiheit eine ihrer großen Leitideen. Dies gilt besonders für die Idee einer allgemeinen Menschenvernunft, worin in jeder seine Stimme hat. Zu den erklärten Zielen der Aufklärung gehört die „Ausbesserung“ des Verstandes und die Läuterung des Willens, insgesamt also die Beförderung der theoretischen und praktischen Vernunft im Individuum und im Gemeinwesen. Der Mensch sollte sich mittels des richtigen Gebrauchs seines Vernunftvermögens selbst befreien und intellektuell, besonders aber moralisch, vervollkommnen. Als die Voraussetzung für die Realisierung wurde die allgemeine Menschenvernunft als Naturanlage und die Gewährung von für die Äußerung, den Austausch und die Verbreitung vernünftiger Gedanken erforderlichen Grundfreiheiten als äußere Bedingungen betrachtet.

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Für die Meinungsfreiheit gibt es einige zentrale Begründungen

Dass die meisten Staaten auf der Welt internationale Abkommen ratifiziert haben, die unter anderem das Recht auf freie Meinungsäußerung festschreiben, und dass sie in ihren Verfassungen ein solches Recht garantieren, ist für Timothy Garton Ash keine Antwort auf die Frage, warum es überhaupt Meinungsfreiheit geben sollte. Man braucht Argumente, die solche Abkommen, Gesetze und politische Maßnahmen entweder rechtfertigen oder in Frage stellen. Timothy Garton Ash erklärt: „In der westlichen Denktradition gibt es für die Meinungsfreiheit vier zentrale Begründungen, jede in mannigfaltigen philosophischen, literarischen oder juristischen Ausführungen, aber mit bemerkenswert beständigen Grundgedanken. Ich verwende für sie die Abkürzung SWSV: Selbst, Wahrheit, Staatsführung, Vielfalt. Der britische Zeitgeschichtler Timothy Garton Ash lehrt in Oxford und an der kalifornischen Stanford University.

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Die protestantische Ethik enthält das Gebot des Sparens

Das Gebot des Sparens war früher Bestandteil eines größeren kulturellen Rahmens: der von Max Weber beschriebenen protestantischen Ethik. Die Mehrung von Wohlstand war demnach nicht wichtig, weil man ihn genießen konnte, sondern weil er ein Zeichen für gute Lebensführung war. Matthew B. Crawford erklärt: „Gott hatte die Welt so eingerichtet, dass der Zustand der Seele an der Geldbörse erkennbar war: Reichtum war also ein Beweis dafür, dass ein Mensch auserwählt war.“ Im Frühkapitalismus gab es generell eine vollkommene Geringschätzung für den Verschwender. Benjamin Franklin forderte: „Sei sparsam und frei.“ Der republikanische Bürger war stolz auf seine Freiheit und fürchtete sich vor Schulden, die sie beeinträchtigen konnten. Denn der Schuldner kann dem Mann, dem er Geld schuldet, nicht offen seine Meinung sagen. Matthew B. Crawford ist promovierter Philosoph und gelernter Motorradmechaniker.

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Zensur zielt auf die Kontrolle der Kommunikation ab

Zensur ist ein elementarer und in der Theorie noch nicht hinreichend präzise bestimmter Sachverhalt in der Geschichte der Kommunikation. Das 18. Jahrhundert war für die Ausbildung der Praktiken der Zensur und ihrer Erörterungen eine bedeutsame Epoche. Zensur erfordert bei ihrer Erforschung Interdisziplinarität und Transnationalität. Sie lässt sich kaum auf bestimmte Jahrhunderte beschränken und ist g, geprägt von der Fülle des zumeist ungedruckten, in Archiven überlieferten Materials und von der Vielzahl der Systemkomponenten. Der Gegenstand der Zensur ist äußerst komplex. Der Begriff „Zensur“ wird auf der einen Seite angebunden an rechtliche Verfahren und Institutionen, also an das jeweilige Rechtssystem; auf der anderen Seite wird er, unterbestimmt, benutz als Synonym für eine gesamtgesellschaftlich, also sozial, politisch, religiös und kulturell vermittelte Kontrolle der Normen und Kommunikation von Rede, Schrift und Bild.

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Die deutsche Revolution hat eine neue Welt geschaffen

Die Einigung Deutschlands hat Europa verändert. Mit der spektakulären Niederlage Frankreichs und der Ausrufung eines geeinten deutschen Reiches im Spiegelsaal von Versailles im Januar 1871 war ein neuer Koloss in der Mitte Europas entstanden. Wo es vierhundert Jahre lang einen Flickenteppich von Kleinstaaten und noch sieben Jahre zuvor fast vierzig Einzelstaaten gegeben hatte, herrschte jetzt eine einzige Macht. Hans Kundnani erklärt: „Deutsche Macht und französische Schwäche erschütterten das europäische Gleichgewicht, das seit dem Ende der Napoleonischen Kriege bestanden und für Frieden in Europa gesorgt hatte.“ Der britische Premierminister Benjamin Disraeli erklärte in einer berühmt gewordenen Rede vor dem Unterhaus im Februar 1871, die „deutsche Revolution“ habe eine „neue Welt“ geschaffen. „Das Gleichgewicht der Macht ist völlig zerstört worden“, sagte er. Der Politikwissenschaftler Hans Kundnani ist Senior Transatlantic Fellow des German Marshall Fund.

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Die Meinungs- und Redefreiheit sind der „Lebenssaft“ der Demokratie

Auf der einen Seite gibt es für Timothy Garton Ash tatsächliche eine Explosion der Hassrede im weitesten Sinn; das meiste davon kann seiner Meinung nach getrost ignorieren. Auf der anderen Seite besteht die pathologische Bereitschaft, sich sofort verletzt zu fühlen, schon bei der allerkleinsten Kränkung. Timothy Garton Ash stellt fest: „Das ist eine Infantilisierung des öffentlichen Diskurses, die ich leider bei meinen Studenten in Oxford und Stanford beobachten kann. Die Universitäten sollten Tempel der Redefreiheit sein, in denen alles, auch die anstößigste Meinung, auf zivilisierte Weise diskutiert werden kann.“ Selbst anstößige Geschichten sind kein Grund, jemanden von der öffentlichen Debatte auszuschließen. Es gibt verschiedene Hypothesen, die sich allerdings teilweise widersprechen, woher die Überempfindlichkeit vieler Menschen in liberalen Gesellschaften kommt. Der britische Zeitgeschichtler Timothy Garton Ash lehrt in Oxford und an der kalifornischen Stanford University.

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Das Internet ist die größte Kloake der Weltgeschichte

Die Möglichkeiten, die eigene Meinung frei zu äußern, waren wohl noch nie so groß wie heute. Und nie gab es eine Zeit, in der sich die Übel der schranken- und hemmungslosen Rede so leicht über die Welt verbreiten konnten. Die Hälfte der Menschheit kann über Internet oder mit dem Smartphone miteinander kommunizieren. Fast jeder kann heute Verleger, Journalist oder Autor sein. Die Diskussion in Deutschland konzentriert sich für den Geschmack von Timothy Garton Ash zu sehr auf die Gefahren. Dennoch lässt sich die Zunahme der Verrohung der öffentlichen Rede nicht abstreiten. Auch Timothy Garton Ash übt harsche Kritik am Internet: „Das Internet ist die größte Kloake der Weltgeschichte. Ungeheuer viel Scheiße fließt um die Welt.“ Der britische Zeitgeschichtler Timothy Garton Ash lehrt in Oxford und an der kalifornischen Stanford University.

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Toleranz muss zur Anerkennung führen

Zu den massivsten und erfolgreichsten Kampagnen der Aufklärung zielt auf Religionsfreiheit und Toleranz. Religiöse Toleranz ist als Postulat und als Praxis nicht auf die Frühe Neuzeit und die Moderne und nicht auf Europa und Nordamerika beschränkt, wie eine eurozentrierte Aufklärungshistorie oft unterstellt. Gleichwohl findet sich hier ihre ausdifferenzierteste Form. Die Toleranzdebatte zielt auf religiöse Freiheit sowie auf individuelle Freiheits- und Menschenrechte, ganz im Sinne des französischen Philosophen und Theologen Sebastians Castellios (1515 – 1563), der gegen die Intoleranz geltend gemacht hatte: „Einen Menschen töten heißt nicht, eine Lehre verteidigen, sondern einen Menschen töten.“ Sie verschränkt naturrechtliche, vertragstheoretisch akzentuierte, oft skeptisch getönte, und pragmatische oft ökonomische Überlegungen und richtet sich gegen die Vertreter religiöser Orthodoxie, die eine auf Einheit gerichtete Autorität im kirchlichen und staatlichen Bereich durchsetzen wollen.

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Der Weise fürchtet weder die Menschen noch die Götter

Laut Seneca unterscheidet die törichte Habsucht der Menschen zwischen Besitz und Eigentum und zählt den öffentlichen Besitz nicht zum persönlichen Eigentum. Der Weise dagegen betrachtet gerade dies als den ureigensten Besitz, was er mit der gesamten Menschheit gemeinsam hat. Seneca erklärt: „Denn Gemeingut, das in seinen Teilen nicht auch jedem einzelnen gehörte, wäre auch kein richtiges Gemeingut. Gemeinsamkeit stiftet auch das, was nur zum kleinsten Teil Gemeingut ist.“ Da die wahren und wesentlichen Güter seiner Meinung nach nicht so verteilt sind, dass für die einzelnen auch nur ein winziger Bruchteil abfällt, gehört jedem einzelnen das Ganze. Zum Beispiel gehöre Frieden und Freiheit voll und ganz sowohl allen wie jedem einzelnen.

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Indien erlangt im August 1947 seine Unabhängigkeit

Indien hatte am 15. August 1947 eine „Verabredung mit dem Schicksal.“ So formulierte es Premierminister Jawaharlal Nehru in seiner brillanten Rede zur Erlangung der Unabhängigkeit Indiens vom britischen Empire. Mahatma Gandhi hatte es seit dem Jahr 1919 verstanden, die Massen zum gewaltfreien Widerstand gegen die Kolonialherren zu mobilisieren. Thomas Seifert erklärt: „Er protestierte mit dem berühmten Salzmarsch von 1930 gegen die Salzsteuer und wurde zur ersten Anti-Globalisierungs-Ikone, indem er das Spinnrad propagierte.“ Anstatt billige Baumwolle an die Briten zu liefern, denen man dann teure Hemden abkaufen musste, sollten seine Landsleute ihre Kleindung selbst herstellen. Sein Slogan lautete: Swaraj – Selbstbestimmung. Die britische Haltung gegenüber den Unabhängigkeitsbestrebungen Indiens verhärtete sich während des Zweiten Weltkriegs. Thomas Seifert ist stellvertretender Chefredakteur und Leiter der Außenpolitik bei der Wiener Zeitung.

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Die Macht muss umsichtig kontrolliert und begrenzt werden

In fast allen seinen Büchern erkundet der britische Bestsellerautor Robert Harris die Natur der Macht und sagt dazu folgendes: „Ich war schon immer interessiert an Geschichte und Politik. Diese Faszination hat sich nicht geändert, als ich mich entschloss Schriftsteller zu werden. Das ist mein Gebiet.“ Robert Harris denkt, dass Macht so etwas wie Plutonium ist, ein unglaublich starkes Element und höchst destruktiv, wenn man ihm zulange ausgesetzt ist. Deshalb muss Macht umsichtig kontrolliert und begrenzt werden. Robert Harris erklärt: „Bei uns im Westen kann Macht glücklicherweise nur schrittweise verschoben werden.“ Aber zum Beispiel im Römischen Reich konnten wenige Menschen, oder auch nur einer, die Macht komplett an sich reißen. Robert Harris debütierte 1992 mit dem Roman „Vaterland“. Es folgten Bestseller wie „Enigma“, „Ghost“ und „Angst“. Mit „Dictator“ legt er gerade den Abschluss einer Cicero-Trilogie vor.

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Der Weisheit sind alle anderen Künste untergeordnet

Die Natur erfüllt ihre Forderungen laut Seneca von selbst. Tägliche Zügellosigkeit, die über einen längeren Zeitraum hin ständig anwächst und mit viel Phantasie das Laster fördert, bedeutet die Abkehr von der Natur. Wenn ein Mensch seine Wünsche auf Überflüssiges oder sogar auf Naturwidriges ausrichtet, liefert er seinen Geist dem Körper aus und macht ihn zum Sklaven seiner Begehrlichkeiten. Wer das natürliche Maßgefühl verliert, das sich bei der Befriedigung von Wünschen mit dem Unentbehrlichen und Lebensnotwendige begnügt, gilt als zurückgeblieben und ärmlich. Selbst bedeutende Männer lassen sich gemäß Seneca durch den Wohllaut der Rede von der Wahrheit ablenken.

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Gehen ist ein Transportmittel zur Reise in das Land des Geistes

Schon in der Philosophie der Antike gilt das Gehen als Methode des Philosophierens. Platon hat beispielsweise im Dialog „Phaidros“ das Gehen mit der lebendigen Rede verglichen. Die Schüler des Aristoteles werden Spaziergänger genannt, weil sie mit ihrem Meister philosophierend umherwandelten. Und noch Karl Marx ging in seinem Arbeitszimmer so exakt auf und ab, dass der Teppich in einer Linie abgenützt war. Wilhelm Berger schreibt: „Gehen und Denken zusammenzudenken, ist ein kulturhistorisches Grundmotiv, das Paul Nizon in seinem Text „Am Schreiben gehen (1985) ausführlich skizziert hat.“ Das Gehen ist in den genannten Beispielen ein Mittel zum Zweck, und der Zweck ist so auf den Gehenden selbst bezogen, dass kaum ein Blick auf die Umgebung möglich wird. Professor Wilhelm Berger lehrt am Institut für Technik- und Wissenschaftsforschung an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

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Die einzige noble Kunst im Römischen Imperium war die Rhetorik

Im Römischen Imperium spielte die bildende Kunst nur eine untergeordnete Rolle. Die Fresken, Mosaiken und griechischen Statuen wurden im Auftrag der Römer von fremden Handwerkern geschaffen. Bildende Künstler, Architekten, Pädagogen und Ärzte spielten in der römischen Gesellschaft der damaligen Zeit nur eine bedeutungslose Rolle. Das ganze Mittelalter hindurch sollte sich dieser Zustand in ganz Europa nicht mehr wesentlich verändern. Musik und Tanz waren den Frauen und Kindern vorbehalten, Männer hätten mit einem solchen Firlefanz ihre Ehre aufs Spiel gesetzt. Auch die Wissenschaften wurden im Römischen Imperium nicht gepflegt, man war mit von den Griechen Überlieferten zufrieden. Die eingesetzte Technik entsprang der Erfahrung, nicht theoretischen Fragestellungen. Dadurch unterschieden sich die alten Römer grundlegend von den griechischen Denkern.

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Cicero bekämpft mit der Vernunft die Zügellosigkeit

Nach Cicero soll der Mensch auch unter günstigen und nach seinem Willen sich gestaltenden Umständen die Überheblichkeit, den Stolz und den Hochmut meiden. Denn seiner Meinung nach ist es ebenso ein Beweis von Haltlosigkeit, im Ertragen von Unglück wie von Glück maßlos zu sein. Er schreibt: „Und etwas Treffliches ist die Ausgeglichenheit in allen Lebenslagen und immer dasselbe Gesicht und dieselbe Stirn, wie wir von Sokrates und auch von C. Laelius erfahren haben.“ Für Cicero sind diejenigen Vorschriften die Richtigen, die den Menschen mahnen, dass er sich, je überlegener er ist, umso bescheidener benehmen soll.

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