Das Denken stellt Gemeinsamkeiten her

Der Mensch ist ein zur Natur gehörendes Lebewesen. Er hat seine Form erst mit der durch ihn selbst in Gang gekommenen Entwicklung der Natur erhalten. Volker Gerhardt fügt hinzu: „Auch beim homo sapiens steht außer Frage, dass die ihn auszeichnenden intellektuellen Leistungen geschichtlich geworden sind. Das kann allein durch den langen kulturgeschichtlichen Vorlauf des homo faber als erwiesen gelten.“ Zum homo sapiens ist der homo faber gewiss nicht nur angesichts der anwachsenden handwerklich-technischen Probleme geworden. Es dürfte Probleme neuer Qualität gegeben haben, die den Entwicklungsschritt zu einer neuen Leistungsstufe des Könnens forciert haben. Die sich stellenden gesellschaftlichen Aufgaben haben zur Steigerung der Fähigkeiten geführt, die den homo sapiens auszeichnen. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

Öffentlichkeit ist ein politisch besetzter Begriff

Im Wesentlichen, so sagt Volker Gerhardt, besteht alles Denken aus dem Herstellen von „Gemeinsamkeiten“. Es schafft übergeordnete begriffliche Einheiten von Einzelfällen. Diese gelangen damit für sich in einen, wie Ludwig Wittgenstein sagt, „familiären“ Zusammenhang oder münden in die universale Gesellschaftlichkeit eines „Reichs der Zwecke“. Sachhaltiges Wissen gibt es nur unter den Konditionen möglicher Verständigung mit seinesgleichen. Im homo publicus dürfte man die jüngste Form der geschichtlich entstandenen, originären Eigenschaften des Menschen vor sich haben.

Das, was zum homo publicus gehört, ist vermutlich schon lange wirksam gewesen. Es muss bereits an der Entstehung der Sprache beteiligt gewesen sein. Aber in seiner institutionellen Leistung ist er wohl erst mit der Entstehung staatsförmiger Gesellschaften möglich und nötig geworden. Öffentlichkeit ist ein vornehmlich politisch besetzter Begriff. Dessen Geschichte kann man bis in die erste Zeit theoretischer Selbstversicherung der polis bei den Griechen zurückverfolgen.

Perikles rühmt die Vorzüge der öffentlichen Rede

Die Griechen haben dem öffentlichen Auftreten vor einem Publikum einen herausragenden Rang beigemessen. So rühmt zum Beispiel Perikles die Vorzüge der freien und öffentlichen Rede in Athen. Wenige Jahre später lässt sich Sokrates auf dem Marktplatz und bei öffentlichen Anlässen vernehmen. Er gibt damit den in Griechenland bereits üblichen öffentlichen Auftritten der Philosophen einen neuen Charakter. Platon hat diesen in seinen Dialogen „weltöffentlich“ gemacht hat.

Volker Gerhardt stellt fest: „Wenig später wird in Rom die Republik gegründet. Diese verdankt ihren Namen der „öffentlichen Sache“, in deren Dienst sich das ganze Staatswesen zu stellen erklärt.“ Bis heute ist „Republik“ die durch nichts überbotene Bezeichnung für die auf das Recht gegründete öffentliche Ordnung eines Gemeinwesens. Aber die Geschichte der Öffentlichkeit beginnt mindestens zweitausend Jahre früher. Die großen Zivilisationen im afro-eurasischen Raum wären ohne die funktionale Leistung öffentlicher Verständigung nicht möglich gewesen. Quelle: „Humanität“ von Volker Gerhardt

Von Hans Klumbies