Deutschland ist nicht „überschuldet“

Finanzielles Sparen ist die Kehrseite von Verschuldung. Marcel Fratzscher erklärt: „Als Individuum kann ich nur dann finanziell sparen, wenn jemand anders gewillt ist, dieses Geld anzunehmen, also direkt oder indirekt mir gegenüber in die Schuld zu gehen.“ Deshalb muss jeder Sparer wollen, dass es ausreichend Schuldner gibt, welche die Ersparnisse nutzen und verlässlich in der Zukunft zurückzahlen können. Je mehr Schuldner und je größer die Nachfrage nach Ersparnissen, desto höher kann auch der Zins sein, also desto lohnender das Sparen. In Einzelfällen mag Überschuldung existieren, in der Gesamtheit kann es sie jedoch nicht geben. Oft wird davon gesprochen, dass Deutschland „überschuldet“ sei. Marcel Fratzscher ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin.

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Viele Deutsche halten Schulden für moralisch verwerflich

Viele Deutsche haben ein schwieriges Verhältnis zu Schulden. Sie halten Schulden für moralisch verwerflich, wie schon der zugrunde liegende Begriff „Schuld“ suggeriert. Marcel Fratzscher erläutert: „Schulden zu machen, wird als unsolide Lebensführung betrachtet, ein Leben über die eigenen Verhältnisse.“ Denn muss man nicht zuerst mit der eigenen Hände Arbeit Vermögen schaffen, bevor man es konsumiert? Andere verstehen Schulden als ein Leben zulasten anderer, die für diese Schulden im Notfall aufkommen müssen. Vor allem zukünftige Generationen, denen man kein Vermögen und keine guten Startchancen hinterlässt, sondern Verpflichtungen ihrer Eltern und Großeltern. Aber stimmt diese Wahrnehmung? Wann sind Schulden sinnvoll, und welches Ausmaß ist für einen Staat, ein Unternehmen oder eine Privatperson nachhaltig? Marcel Fratzscher ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin.

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Ein Zyklus steuert den Aufstieg und Fall von Weltreichen

Die Menschheit erlebt derzeit eine archetypische gewaltige Veränderung des relativen Wohlstands- und Machtgefüges sowie der gesamten Weltordnung. Dies wird sich auf allen Ländern grundlegend auswirken. Es gibt einen archetypischen großen Zyklus, der den Aufstieg und Fall von Weltreichen steuert. Die wichtigsten Zyklen der langfristige Kredit- und Kapitalmarktzyklus sowie der innen- und der außenpolitische Zyklus von Ordnung und Chaos. Ray Dalio erläutert: „Diese Zyklen lösen Pendelbewegungen zwischen den beiden Extremen aus – zwischen Frieden und Krieg, Hochkonjunktur und Rezession, der Machtergreifung der Linken und der Rechten, der Entstehung und Auflösung von Weltreichen und mehr.“ Diese Pendelbewegungen treten in der Regel auf, weil die Menschen bis zum Äußersten gehen und die Situation aus dem Gleichgewicht bringen. Ray Dalio ist Gründer von Bridgewater Associates, dem weltgrößten Hedgefonds. Er gehört mit zu den einflussreichsten Menschen der Welt.

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Immer wieder stehen Staaten am Abgrund des Bankrotts

Glückliche Schuldner, die ihre Schuld begleichen, kommen voran. Wenn unglückliche Schuldner ihre Schuld nicht begleichen, sind ihre Gründe so vielfältig wie die unseligen Projekte, mit denen sie sich übernehmen. Nouriel Roubini stellt fest: „Das gilt nicht nur für Einzelpersonen, sondern auch für Staaten. Wenn diese am Abgrund des Bankrotts stehen, benötigen sie jemanden, der sie auffängt und ihnen wieder Halt gibt.“ Dazu sind internationale Einrichtungen wie der Weltwährungsfonds und die Weltbank da. Diese sind stark genug, um die hohen wirtschaftlichen Kosten von Fehleinschätzungen, politischen Irrungen und Ungemach zu tragen. Auch wenn die Welt heute wohlhabender ist als je zuvor, ist ein starker Arm immer schwieriger zu finden. Nouriel Roubini ist einer der gefragtesten Wirtschaftsexperten der Gegenwart. Er leitet Roubini Global Economics, ein Unternehmen für Kapitalmarkt- und Wirtschaftsanalysen.

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Billiges Geld führt zu Spekulationsblasen

Seit vier Jahrzehnten beschäftigt sich Nouriel Roubini mit Schuldenkrisen und deren Bekämpfung. Und zwar nicht nur als Wissenschaftler, sondern auch als Wirtschaftsberater der US-Regierung. Einige Krisen blieben auf eine Region begrenzt, andere erfassten die gesamte Weltwirtschaft. Manche hinterließen kaum Spuren, andere vernichteten ganze Wirtschaftssektoren und viele Millionen Existenzen. Niemand kann so tun, als hätte er oder sie alle Antworten auf ein derart komplexes Problem wie die Gestaltung der Wirtschaftspolitik parat. Doch so viel weiß Nouriel Roubini inzwischen: „Erfahrung ist kein guter Lehrmeister. Unbeirrt machen wir immer wieder dieselben Fehler. Ein ums andere Mal lassen wir zu, dass sich unter dem Einfluss des Überschwangs und einer Politik des billigen Geldes Spekulationsblasen aufblähen. Und ein ums andere Mal platzen diese Blasen.“ Nouriel Roubini ist einer der gefragtesten Wirtschaftsexperten der Gegenwart. Er leitet Roubini Global Economics, ein Unternehmen für Kapitalmarkt- und Wirtschaftsanalysen.

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Deutsche lehnen Schulden vehement ab

In seinem neuen Buch „Geld oder Leben“ weist Marcel Fratzscher darauf hin, dass es in Deutschland kaum ein emotionaleres Thema gibt als Geld und Schulden. Die Deutschen unterscheiden sich dabei stark von anderen Nationen. Sie sparen nicht nur mehr, sondern auch anders. Sie nehmen häufiger Gefahren für ihr Geld wahr und lehnen Schulden so vehement ab wie kaum jemand anders auf der Welt. Marcel Fratzscher schreibt in der Einleitung: „Die Vorstellung, Schulden seien schlecht und moralisch verwerflich und Sparen etwas Gutes, ist zu einer Grundüberzeugung und Teil unserer Identität geworden.“ Staat und Gesellschaft fördern das Sparen und schützen Vermögen. Sie wollen den Bürgern eine maximale Sicherheit und Schutz ihres Ersparten ermöglichen. Marcel Fratzscher ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin.

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Die Ökonomie missbraucht die Ideen der Aufklärung

Es ist für Philipp Blom erstaunlich zu sehen, was im Zusammenhang des verabsolutierten Marktes aus den Ideen der Aufklärung wird, die ein fester Bestandteil seiner Theorien sind. Hier wie dort sind Menschen rational, liegt ihr Heil in der Vernunft. Beide sind universalistisch und tolerant. Sie gehen davon aus, dass Menschen von Geburt an mit Freiheiten und Rechten ausgestattet sind. Beide sehen optimistisch in die Zukunft, die besser, gerechter und wohlhabender sein wird. Der alles entscheidende Unterschied wird laut Philipp Blom allerdings wirksam, wenn diese Gedanken aus dem Kontext der philosophischen Debatte in den der ökonomischen Theorie transportiert werden und dabei ihre qualitativen Aspekte verlieren. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

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Der Wohlstand der USA beruhte auf Schulden

Um das Jahr 1980 geschah etwas mit dem kraftvollen Wirtschaftsmotor Amerikas. Das Wachstum schwächte sich ab. Und – noch viel wichtiger – die Einkommen stiegen nicht mehr so stark. Beziehungsweise sie gingen oftmals sogar zurück. Es geschah fast unmerklich. Die Finanzkrise von 2008 zeigte dann jedoch, dass der amerikanische Wohlstand auf einem Kartenhaus oder genauer gesagt, einem Schuldenberg errichtet worden war. Joseph Stiglitz weiß: „Als neuere Daten ein genaueres Bild der Wirtschaft vermittelten, wurde immer deutlicher, dass es langjährige und tief sitzende Probleme gab. Das viel beschworene Wachstum fiel tatsächlich viel niedriger aus als in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg.“ Joseph Stiglitz war Professor für Volkswirtschaft in Yale, Princeton, Oxford und Stanford. Er wurde 2001 mit dem Nobelpreis für Wirtschaft ausgezeichnet.

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Es herrscht Angst vor der Inflation

Die wachsende Verschuldung von Staaten und Unternehmen gehören zu den sichtbarsten Folgen der Coronakrise. Diese Schulden lösen große Sorgen aus. Es stellt sich die Frage, ob eine wirtschaftliche Erholung möglich ist, wenn viele Unternehmen einen Großteil ihres Eigenkapitals eingebüßt haben und hoch verschuldet sind. Und wo liegen die Grenzen der Staatsverschuldung? Clemens Fuest fügt hinzu: „Die Kombination aus hohen Staatsschulden und Anleihekäufen der Notenbanken schürt Angst vor Inflation. Dass es dazu kommt, ist aber eher unwahrscheinlich.“ Es spricht viel dafür, dass es nach der Coronakrise zu einer wirtschaftlichen Entwicklung mit niedrigem Wachstum, geringen Inflationsraten und nicht weiter fallenden, aber auch nicht steigenden Zinsen kommt. Staaten und Notenbanken reagierten auf die Coronakrise, indem sie viel Geld bereitstellten, um die Wirtschaft zu stabilisieren. Clemens Fuest ist seit April 2017 Präsident des ifo Instituts.

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So entstand das Geld

Geld ist erfunden worden, um den Austausch von Gütern zu erleichtern, sagt die Mehrzahl der Ökonomen. Anfangs hat man einfach nur Naturalien getauscht. Das Weggegebene war gewissermaßen das Geld; das, was man dafür bekam, die Ware. Vor allem Edelmetalle empfahlen sich später als allgemeine Tauschmittel. Christoph Türcke schreibt: „Man begann den Wert, den tauschbare Gebrauchsgüter für den Besitzer oder den Erwerber hatten, in Edelmetallmengen auszudrücken und bekam so eine allgemein anerkannte Währung, die sich als Regelwerk des Austauschs als außerordentlich praktisch erwies.“ So stellte sich zum Beispiel der griechische Philosoph Aristoteles die Entstehung des Geldes vor und die Pioniere der politischen Ökonomie der Neuzeit, John Locke, Adam Smith, David Ricardo und ihre Anhänger, sind ihm darin gläubig gefolgt. Prof. Dr. Christoph Türcke war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig.

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Der Kapitalismus hat seine Wuzeln im Protestantismus

Geld bedeutet heute eigentlich nichts, außer man glaubt daran. Ursprünglich waren die Menschen der Ansicht, ein Silber- oder Goldstück enthalte eine geeichte Menge Silber oder Gold. Später glaubten sie, ein Geldschein könne in Gold eingetauscht werden, weil jedes Land in seiner Staatsbank genügend Goldvorräte habe. Paul Verhaeghe ergänzt: „Heute geht es um den Glauben, dass Banken, Staaten und Institutionen ihre Schulden zurückzahlen können.“ Die Macht des Geldes liegt wie diejenige der Autorität auf dem Glauben an eine externe Grundlage. Früher war das eine greifbare Garantie, nämlich die nationale Goldreserve. Heute basiert sie auf Kreditwürdigkeit. Der Glaubensaspekt beschränkt sich nicht nur auf das Geld, sondern betrifft die gesamte Ökonomie des freien Marktes an sich. Paul Verhaeghe lehrt als klinischer Psychologe und Psychoanalytiker an der Universität Gent.

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Sparbücher bringen in Deutschland kaum Zinsen

Kindern wird seit Jahrzehnten der Wert des Sparens mit dem Sparbuch eingetrichtert, durch den Weltspartag wurde es zum Kulturdenkmal erhoben. Nur bringen die Sparbücher den Sparern in Deutschland kaum Zinsen. Sie erlauben den Banken dadurch, Firmen günstige Kredite zu geben. Stefan Kooths, Leiter des Prognosezentrums am Institut für Weltwirtschaft, kritisiert: „Wir machen unsere Unternehmen fit. Die Rendite überlassen wir anderen.“ Die deutschen Sparer denken, sie tun etwas Gutes. Und das tun sie auch: für Banken und Versicherer, die den Kunden minderwertige Produkte aufdrängen und damit viel verdienen. Alexander Hagelüken fügt hinzu: „Nur sich selbst tun die Sparer damit nichts Gutes. Sie haben am Ende viel zu wenig übrig.“ Alexander Hagelüken ist als Leitender Redakteur der Süddeutschen Zeitung für Wirtschaftspolitik zuständig.

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Die Sieger werden unermesslich reich und unantastbar

Die Zukunft spaltete sich vor einem Jahrzehnt, plötzlich und ohne Vorwarnung. Menschen auf der ganzen Welt wurde im Jahr 2008 mitgeteilt, dass die großen Banken, denen alle etwas schulden und denen gegenüber alle Zahlungsverpflichtungen haben, sich verzockt haben – hoffnungslos, verantwortungslos, amoralisch und dumm. Philipp Blom fügt hinzu: „Und dann wurde ihnen mitgeteilt, man müsse ihnen gemeinsam erwirtschaftetes Geld geben, um ihnen über ihre Schwierigkeiten hinwegzuhelfen und so das ganze System vor dem Kollaps zu retten.“ Millionen von Menschen verloren ihr Haus, ihren Job, ihre Zukunft. Kaum ein Banker ging ins Gefängnis, und innerhalb weniger Jahre waren die Profite und Boni höher als je zuvor. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

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Das Wirtschaftswachstum hat sich zu einer Ersatzreligion entwickelt

„Ohne Wachstum keine Arbeitsplätze!“ „Ohne Wachstum keine soziale Sicherheit!“ sind die beiden Mantras der neuen Religion. Diese Einsicht ist mittlerweile so selbstverständlich, dass niemand auch nur wagt, sie anzuzweifeln. Trotz wirtschaftlichem Wachstum werden allerdings immer mehr Arbeitsplätze und soziale Sicherungen abgebaut. Paul Verhaeghe erläutert: „In Westeuropa nimmt die Arbeitslosigkeit weiter zu, genau wie die Versuche beinahe aller Regierungen, die Statistiken in einem deutlich positiverem Licht zu präsentieren. Das erklärt, warum die Medien hin und wieder über die „offizielle Arbeitslosenquote“ berichten, und dann wieder über die „tatsächliche Arbeitslosigkeit“. Laut Robert Gordon, einem amerikanischen Arbeitsmarktexperten, werden in den nächsten zehn Jahren 45 Prozent der Arbeitsplätze in der Mittelschicht aufgrund von Outsourcing und Automation verloren gehen. Paul Verhaeghe lehrt als klinischer Psychologe und Psychoanalytiker an der Universität Gent.

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Der Kapitalismus durchdringt alle Gesellschaftsbereiche

Innerhalb der Wirtschaft spielt die Finanzwirtschaft eine sehr bedeutende Rolle. Stürzt sie in Krisen, etwa in die gravierenden Finanzkrisen der letzten Jahre, so sind viele betroffen: von privaten Anlegern über institutionelle Anleger wie Staatsfonds und Pensionskassen bis zu ganzen Volkswirtschaften. Otfried Höffe definiert den Finanzkapitalismus wie folgt: „Eine erste Gestalt, der (Finanz-) Kapitalismus, ist eine Wirtschaftsform, in der es auf Geld im Großmaßstab, das Kapital, ankommt und dieses Geld nicht länger lediglich ein Tauschmittel, sondern vor allem eine Handelsware ist.“ In der zweiten Gestalt, beim Kapitalismus als allgemeiner Wirtschafsform, lässt man gegenwärtiges Geld in Investitionen arbeiten, um zukünftig einen höheren Ertrag zu erhalten. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

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Die protestantische Ethik enthält das Gebot des Sparens

Das Gebot des Sparens war früher Bestandteil eines größeren kulturellen Rahmens: der von Max Weber beschriebenen protestantischen Ethik. Die Mehrung von Wohlstand war demnach nicht wichtig, weil man ihn genießen konnte, sondern weil er ein Zeichen für gute Lebensführung war. Matthew B. Crawford erklärt: „Gott hatte die Welt so eingerichtet, dass der Zustand der Seele an der Geldbörse erkennbar war: Reichtum war also ein Beweis dafür, dass ein Mensch auserwählt war.“ Im Frühkapitalismus gab es generell eine vollkommene Geringschätzung für den Verschwender. Benjamin Franklin forderte: „Sei sparsam und frei.“ Der republikanische Bürger war stolz auf seine Freiheit und fürchtete sich vor Schulden, die sie beeinträchtigen konnten. Denn der Schuldner kann dem Mann, dem er Geld schuldet, nicht offen seine Meinung sagen. Matthew B. Crawford ist promovierter Philosoph und gelernter Motorradmechaniker.

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Durch den Schmerz kann eine Schuld beglichen werden

Das innerste Prinzip der Rache ist die Zurückzahlung: Wie du mir, so ich dir. Und auch dem tiefen Wunsch nach Reue, den der oder die Verzeihende hegen mag, wohnt eine derartige Logik der Vergeltung inne. Svenja Flaßpöhler erklärt: „Wenn ich schon auf Rache verzichte, dir deine Schulden erlasse, zeig dich wenigstens erkenntlich. Beweise deine Demut! Deine Dankbarkeit! Dein schlechtes Gewissen! Gib mir irgendetwas zurück!“ Diese Erwartungshaltung, dass eine Gabe mit einer Gegengabe entgolten werden muss, ist keineswegs erst ein Resultat kapitalistischer Tauschwertlogik, sondern bereits in archaischen Gesellschaften zu finden und also tief im Menschen verwurzelt. Diese Verwurzelung zeigt sich heutzutage an jedem Geburtstag. In dem Geschenk, das man von einem Freund empfängt, ist auch der Freud auf eigentümliche Weise anwesend. Dr. Svenja Flaßpöhler ist Stellvertretende Chefredakteurin des Philosophie Magazins.

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Seit 1971 ist keine Währung mehr durch Edelmetall gedeckt

Papier war jahrhundertelang bloß Anweisung auf Geld: Wechsel, die auf bestimmte Münzbeträge ausgestellt wurden. Geld selbst aber war nur die Münze. Erst als Ende des 17. Jahrhunderts ein privates Konsortium von Kaufleuten die Bank von England gründete, die sich erbot, die Schulden des Königs zu bezahlen, wenn ihr dafür gestattet würde, diese Schulden in Papier darzustellen und unter königlichem Schutz als nationale Banknoten kursieren zu lassen, da entstand das Modell der modernen Zentralbank – mit dem Privileg, nationales Papiergeld zu drucken. Christoph Türcke fügt hinzu: „Zunächst nur so viel, wie Münzen an den König bezahlt worden waren. Papier sollte immer nur Münzen repräsentieren und durch sie gedeckt sein.“ Prof. Dr. Christoph Türcke war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig.

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Im öffentlichen Diskurs wird selten kritisch debattiert

Der öffentliche Diskurs vermittelt vielen Menschen das Gefühl, die wesentlichen Herausforderungen der Gesellschaft, in der sie leben, erkannt zu haben. Doch sie können dabei auch einer Täuschung unterliegen. Vielleicht werden sie umnebelt und entfernen sich von den Realitäten des Lebens? Aufgrund des Mainstreams werden Themen selten kritisch debattiert und Widersprüche übersehen. Allan Guggenbühl ergänzt: „Debattieren hieße ja, dass es eine Vielzahl verschiedener Positionen gibt, die alle legitim und die Anlass für Auseinandersetzungen sind. Eindrücklich zeigt sich dies bei den Themen Gender und Sexualität.“ Studiert man den aktuellen öffentlichen Diskurs, dann werden Geschlechtsunterschiede im Verhalten und Denken fast ausschließlich auf die Sozialisation und Stereotypien zurückgeführt. Allan Guggenbühl ist seit 2002 Professor an der Pädagogischen Hochschule Zürich tätig. Außerdem fungiert er als Direktor des Instituts für Konfliktmanagement in Zürich.

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Die Deutsche Frage stellt sich nach wie vor

In seinem neuen Buch „German Power“ geht der Politikwissenschaftler Hans Kundnani dem Wandel Deutschlands nach der Wiedervereinigung 1990 nach und stellt ihn in den Zusammenhang der deutschen Geschichte vor 1945. Dabei zeigt er auffällige Ähnlichkeiten auf und benennt eine Reihe von Grundkonflikten, die damals wie heute die Paradoxien der deutschen Rolle in Europa beschreiben. Deutschland ist zu mächtig, um nicht eine führende Rolle in Europa einzunehmen, aber zugleich zu schwach, um der Europäischen Union (EU) seinen Willen aufzwingen zu können. Es operiert auf der Grundlage einer labilen geoökonomischen Halbhegenomie und läuft damit stets Gefahr, von der Ordnungsmacht zu einer Quelle der Instabilität im Zentrum Europas zu werden. Denn für die europäischen Nachbarn gelten nicht Hilfsbereitschaft und Weitsicht als Kennzeichen deutscher Politik, sondern selbstgerechtes Streben nach Dominanz und ökonomischen Vorteil. Der Politikwissenschaftler Hans Kundnani ist Senior Transatlantic Fellow des German Marshall Fund.

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Deregulierte Finanzmärkte verteilen Geld von unten nach oben

Eine Schuldenkrise ist nicht nur eine Vermögenskrise, sondern immer zugleich auch eine Verteilungskrise. Denn wenn Schulden und Geldvermögen auf der einen Seite wachsen, nimmt auch auf der anderen Seite die Ungleichheit zu. Zieht man bei Privathaushalten von deren Geld- und Sachvermögen die Schulden ab, erhält man das Reinvermögen. Gerhard Schick nennt Zahlen: „Die obersten 10 Prozent der Deutschen besitzen davon heute 66,6 Prozent. Das vermögendste Prozent allein nennt 33,5 Prozent sein Eigen. Dagegen kommt die ärmere Hälfte der Bevölkerung auf gerade einmal 1,4 Prozent. In den USA ist das Bild ganz ähnlich. Und auch auf globaler Ebene verfestigt sich diese eklatante Schieflage. Laut Schätzungen der Credit Suisse besitzt die Hälfte der Weltbevölkerung gerade einmal 1 Prozent des Weltvermögens, während die reichsten 10 Prozent 86 Prozent auf sich vereinigen. Der grüne Politiker Gerhard Schick zählt zu den versiertesten Ökonomen im Deutschen Bundestag.

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Die Menschheit kann die Zivilisation nicht mehr aufrechterhalten

Das Hyperwachstum auf der Erde stößt an die Grenzen der endlichen Biosphäre. Die Regenerationsfähigkeit des Planeten hält nicht mehr mit dem Bedarf Schritt. Serge Latouche kritisiert: „Der Mensch verwandelt die Ressourcen schneller in Abfall, als die Natur diesen Abfall wieder in neue Ressourcen umwandeln kann.“ Die Fläche des Planeten Erde ist begrenzt. Sie umfasst rund 51 Milliarden Hektar beziehungsweise 510 Millionen Quadratkilometer. Die für die Reproduktion der Menschen nutzbare Fläche macht lediglich einen Bruchteil dessen aus, nämlich etwa 17 Milliarden Hektar. Das ergibt nach dem heutigen Stand der Weltbevölkerung circa 1,6 Hektar pro Kopf. Serge Latouche ist ein französischer Ökonom und Philosoph, Professor a.D. der Universität Paris-XI und gilt als einer der Vertreter des Konzepts der Rücknahme des Wirtschaftswachstums.

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Konrad Paul Liessmann erklärt die Begriffe Schuld und Sühne

Wer heute noch von Schuld und Sühne spricht, macht sich lauf Konrad Paul Liessmann erste einmal verdächtig. Die Begriffe Verbrechen und Strafe verweisen auf die Normen und Gesetze einer Gesellschaft, für deren Übertretung oder Bruch ein abgestuftes System von Sanktionen vorgesehen ist. Konrad Paul Liessmann fügt hinzu: „Sowohl das, was in einer Gesellschaft als kriminelles Handeln gilt, als auch, wie darauf reagiert werden soll, kann jederzeit modifiziert, umgestoßen, reformiert, neu definiert werden. Vieles, was vor Jahrzehnten noch als Verbrechen, zumindest moralisch anstößig galt, ist heute weitgehend akzeptiert, vieles, was vor Jahrzehnten noch normal war, gilt heute als verwerflich.“ Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech.

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Man muss den Kapitalismus vor den Kapitalisten schützen

Wenn es einen Begriff gibt, der alles Unbehagen am Kapitalismus und an der Marktwirtschaft verkörpert, dann ist es „neoliberal“. Der Neoliberalismus bezeichnet ungefähr dies: Marktradikalismus, Rückzug des Staates, Abbau der sozialen Leistungen und freies, eben liberales, Spiel der Kräfte im Wirtschaftsleben. Natürlich wissen Ökonomen, dass man damit den Begründern der neoliberalen Schule des wirtschaftswissenschaftlichen Denkens in den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts Unrecht tut. Walter Eucken, Alfred Müller-Armack, Alexander Rüstow und Wilhelm Röpke waren alles als Marktradikale. Politisch waren sie freiheitlich und so bürgerlich, wie es gerade in Deutschland eher selten ist. Von Wilhelm Röpke gibt es zum Beispiel eine klar geschriebene „Lehre von der Wirtschaft“, ein Grundlagenlehrbuch der Ökonomie. Dort finden sich Argumente, die auf viele heutige Probleme passen und die Klischees über den Neoliberalismus widerlegen.

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Der Kern der weltweiten Finanzkrise ist eine Schuldenkrise

Mit der Deregulierung der Finanzmärkte wurde das Versprechen zusätzlichen Wohlstand zu schaffen nicht eingelöst. Denn es wurden in großem Umfang keine Vermögen, sondern nur Scheinvermögen geschaffen. Ein relevanter Teil des Wachstums der letzten Jahre hat gar nicht wirklich stattgefunden. Gerhard Schick erklärt: „Immer wenn Banken über einen längeren Zeitraum hinweg überdurchschnittlich viele Darlehen vergeben, steigt die Wahrscheinlichkeit von Finanzkrisen drastisch an.“ Dabei sind es nicht irgendwelche Kredite, die gefährlich werden, sondern spekulative. Es ist also gesamtwirtschaftlich von größter Bedeutung, wofür Kredite benutzt werden. Es kann eigentlich nur solange gut gehen, wie die Fähigkeit einer Volkswirtschaft, Erträge zu erwirtschaften, in mindestens gleichen Maße steigt wie die Schulden. Der grüne Politiker Gerhard Schick zählt zu den versiertesten Ökonomen im Deutschen Bundestag.

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