Die Glaubenswelten sind ein „Tummelplatz für Betrügereien“

Rüdiger Safranski stellt fest: „Kein Autor vor Michel de Montaigne hat so gedankenreich das Hohelied von Gewohnheit und Übung angestimmt.“ Und es ist bezeichnend, dass er dieses Thema beim Nachdenken über den Tod entdeckt. Es heißt zwar: eine Erfahrung „machen“. In Wirklichkeit aber widerfährt sie einem, im günstigsten Fall wird sie einem geschenkt, und für Michel de Montaigne ist es die große Natur, die nimmt und gibt. Und darum schreibt er in einem der letzten Essays, nicht lange vor seinem Tod: „Falls ihr nicht zu sterben versteht – keine Angst! Die Natur wird euch, wenn es soweit ist, schon genau sagen, was ihr zu tun habt, und die Führung der Sache voll und ganz für sich übernehmen. Grübelt also nicht darüber nach.“ Rüdiger Safranski arbeitet seit 1986 als freier Autor. Sein Werk wurde in 26 Sprachen übersetzt und mit vielen Preisen ausgezeichnet.

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Die Menschen sind nicht zu ewiger Skepsis verurteilt

An die Möglichkeit einer unerschütterlichen, absoluten Gewissheit begann manch ein Philosoph und Wissenschaftler im 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts immer stärker zu zweifeln. Ger Groot fügt hinzu: „Darin zeichnete sich schon die Krise ab, die die Moderne dauerhaft kennzeichnen sollte. Das Band zu einem „absolutum“, das sich als weniger verlässlich erwies als angenommen, wurde durchschnitten.“ Aber was trat an seine Stelle? Sind die Menschen dazu verurteilt, fortwährend in Skepsis und Unsicherheit umherzuirren? Eine andere Frage lautete: „Lässt sich denn noch ein absoluter Punkt finden, in dem unser Leben verankert werden kann und sich unsere Erkenntnis ihrer selbst versichern kann?“ Ger Groot lehrt Kulturphilosophie und philosophische Anthropologie an der Erasmus-Universität Rotterdam und ist Professor für Philosophie und Literatur an der Radboud Universität Nijmegen.

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Cicero war einer der bedeutendsten Redner der Antike

Der bei weitem wichtigste Vermittler griechischen Denkens in Rom war der Redner und Philosoph Marcus Tullius Cicero (105 – 43 v. Chr.), als Staatsmann und Theoretiker ein leidenschaftlicher Verteidiger der untergehenden Republik. Bernd Roeck fügt hinzu: „Cicero war nicht nur einer der bedeutendsten Redner der Antike, sondern zugleich einer der brillantesten Stilisten lateinischer Sprache. Die technische Seite des Diskutierens, die Form der Rede und des Schreibens, gewann in seinen Schriften überragende Bedeutung.“ Als junger Mann war Cicero in Athen bei dem Platoniker Antiochos von Askalon in die Schule gegangen. Hier hatte er die Lehren der Akademie kennengelernt. Sie befand sich in einem Gymnasium nahe der Akropolis. Bernd Roeck ist seit 1999 Professor für Neuere Geschichte an der Universität Zürich und einer der besten Kenner der europäischen Renaissance.

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Die Philosophie kennt die Wege zum einfachen Leben

Im Titelthema beschäftigt sich das neue Philosophie Magazin 03/2018 mit der Frage warum das scheinbar einfache Leben so kompliziert ist, obwohl es sich so einfach anhört. Die meisten Menschen denken dabei an Gelassenheit, geistige Weite und an eine Existenz, die ihre Freiheit in der Beschränkung findet. Das einfache Leben verspricht Balance, Übersicht und einen Halt in einer Welt die immer unübersichtlicher zu werden scheint. Doch viele, die schon einmal versucht haben, ihr Dasein auf die einfachen Dinge des Lebens zu reduzieren, sind an den Realitäten des Alltags oder an sich selbst gescheitert. Die Philosophie kennt drei Wege zum einfachen Leben: Erstens führt nur die Übung einen Menschen zur Leichtigkeit. Das zweite Geheimnis einer erfüllten Existenz ist die Leere. Die dritte Voraussetzung ist die der Selbsterkenntnis.

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Große Kulturen haben niemals autochthone oder nationale Wurzeln

Wie kein anderes Volk der Antike suchten die Griechen nach Erkenntnis und versahen die Dinge mit Namen. Schon das Wort „Philosophie“, „Weisheitsliebe“, entstammt der griechischen Sprache. Bernd Roeck erläutert: „Mit der ionischen Naturphilosophie zeigt sich das Fragen und Forschen, die Erkundigung, „historie“, erstmals als systematisches Unterfangen.“ Zur kommunikationsfreudigen Geografie des Mittelmeers, zu politischen und sozialen Umständen kam ein weiterer, das Gespräch bereichernder Faktor: die Beziehungen zum Orient. Große Kulturen haben niemals autochthone oder nationale Wurzeln. Sie entstehen durch Austausch und fruchtbaren Streit. So verdankt griechischer Geist dem Orient mehr, als das Geschichtsbild des humanistischen Gymnasiums wahrnahm. Die griechische Skulptur zum Beispiel nimmt mit Kulturtransfers aus Ägypten ihren Anfang. Bernd Roeck ist seit 1999 Professor für Neuere Geschichte an der Universität Zürich und einer der besten Kenner der europäischen Renaissance.

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Optimismus ist immer auch eine Frage des Zukunftsglaubens

Unter „Optimismus“ wird im Alltag wie in der Forschung eine positive Erwartung im Hinblick auf zukünftige Entwicklungen verstanden. Jens Weidner erklärt: „Optimismus ist damit auch immer eine Frage der Fantasie und des Zukunftsglaubens.“ Die Optimismusforschung beschäftigt sich primär mit zwei Ansätzen: Die erste Forschungsrichtung beschreibt typische Fehler in der menschlichen Urteilsbildung, etwa wenn Menschen sich durch eine positiv verzerrte Zukunftssicht auszeichnen und dann die Hände in den Schoss legen, weil sie glauben, das Glück käme von alleine. Die zweite Forschungsrichtung versteht Optimismus als Persönlichkeitsmerkmal. Sie untersucht die Folgen unterschiedlicher Ausprägungen des Optimismus. Dabei beleuchtet die Sozialisation die Entwicklung eines Menschen und erklärt wie der Weg zum Optimisten gelingen kann. Jens Weidner ist seit 1995 Professor für Erziehungswissenschaften und Kriminologie an der Fakultät Wirtschaft und Soziales der Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Hamburg.

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Skeptiker werden von ihren Mitmenschen oft negativ bewertet

Pyrrhon aus dem griechischen Elis (ca. 360 – 270 v. Chr.) und seine Nachfolger professionalisieren das Zweifeln zur grundsätzlichen Skepsis, bei der heute ein deutlich negativer Beiklang mitschwingt. Ludger Pfeil nennt den Grund: „Der Skeptiker steht in unserer Welt der Effizienzanbetung, in der dem schnellen Entscheiden und Handeln gehuldigt wird, im Generalverdacht, zu lange zu zögern und damit den ganzen Betrieb aufzuhalten.“ Nicht wirklich zu Recht, denn aus eigener Erfahrung kann man wie die alten Griechen wissen: Die Dinge sind in Wirklichkeit nicht unbedingt so, wie sie auf den ersten Blick erscheinen. Vieles nickt man leichtfertig ab, weil es die anderen behaupten, weil die Gewohnheit dazu verleitet oder schlicht weil es so in den eigenen Kram passt. Der Philosoph Dr. Ludger Pfeil machte nach seinem Studium Karriere in der Wirtschaft als Projektleiter und Führungskraft und ist als Managementberater tätig.

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Die Frühromantik will Poesie und Mythologie miteinander verbinden

Zu den zentralen Forderungen der Frühromantik gehört die nach einer neuen Mythologie. Dadurch unterschied sich die frühromantische Bewegung an einem entscheidenden Punkt von der Aufklärung, zu der sonst durchaus Verbindungslinien bestanden. Gerade die Skepsis gegen den Mythos gehörte zu den entscheidenden Elementen der aufklärerischen Weltanschauung. Die Frühromantiker versuchten, Poesie und Mythologie wieder miteinander zu verbinden. Friedrich Schlegel schrieb in seinem „Gespräch über die Poesie“ (1800) folgendes: „Dann das ist der Anfang aller Poesie, den Gang und die Gesetze der vernünftig denkenden Vernunft aufzuheben und uns wieder in die schöne Verwirrung der Phantasie, in das ursprüngliche Chaos der menschlichen Natur zu versetzen, für das ich kein schöneres Symbol bis jetzt kenne, als das bunte Gewimmel der alten Götter.“ Auch Friedrich Wilhelm Joseph Schelling wandte sich in seiner „Philosophie der Kunst“ (1802/03) ausführlich dem Verhältnis von Dichtung und Mythologie zu.

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Bei gebildeten Personen ist die Gefahr der Anpassung groß

Wenn die Mitglieder einer Expertengruppe denselben Informationsstand haben und zudem ein Mitglied als Hauptexperte fungiert, dann ist laut Allan Guggenbühl die Wahrscheinlichkeit groß, dass das Denken gleichgeschaltet wird: „Es kommt zu einer Informationskaskade.“ Dieses Phänomen ist oft bei Teamsitzungen zu beobachten: Die Mitglieder der Gruppe übernehmen die Aussagen, die zu Beginn einer Sitzung von der Leitung oder einer Alphaperson geäußert werden. Statt die Ausgangssituation zu hinterfragen, werden nur die Konsequenzen und die Implementierungen diskutiert. Es findet keine Reflexion statt, sondern eine gegenseitige Bestätigung der Annahmen, die zu Beginn vorgestellt wurden. Informationen, die die Existenzberechtigung der Gruppe oder die Definition des Themas in Frage stellen, werden ausgeblendet, ohne dass man sich dessen bewusst ist. Allan Guggenbühl ist seit 2002 Professor an der Pädagogischen Hochschule Zürich tätig. Außerdem fungiert er als Direktor des Instituts für Konfliktmanagement in Zürich.

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Die Kunst des Zweifelns zählt zu den philosophischen Tugenden

Das neue Philosophie Magazin 03/2017 stellt im Titelthema seinen Lesern die Frage: „Und woran zweifelst du?“ In der Rolle des Skeptikers stellt der amerikanische Präsident Donald Trump gerade die Säulen der freien Gesellschaft infrage: Justiz, Wissenschaft und die Medien. Dabei ist die Kunst des Zweifelns ursprünglich eine befreiende und ursprüngliche philosophische Tugend. Welches Schicksal droht einer Gesellschaft, die keinen Unterschied mehr zwischen Fakten und Fiktion anerkennt? Herrscht totale Faktenverwirrung geht in einer freien Gesellschaft die öffentliche Ordnung verloren. Und diese Dynamik dient letztlich vor allem dem, der an der Macht ist – und diese weiter totalisieren will. Donald Trumps dunkler Skeptizismus arbeitet nach dem Imperativ: „Verwirre und unterdrücke! Dessen gesellschaftszersetzende Kraft bedroht zunehmend auch die demokratische Demokratie.

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Für Außenstehende wirkt Polyamorie erst einmal bizarr

Die Scheidungsraten tendieren in den modernen Gesellschaften des Westens fast überall gegen 50 Prozent. Einer der Hauptgründe für das Aus einer Ehe ist die Untreue. Während das für viele ein unverzeihlicher Bruch des Vertrauens ist, sehen immer mehr Menschen im „Zweigleisig-Fahren“ allerdings keinen Grund zur Trennung. Im Gegenteil, sie lösen sich von der Vorstellung der romantischen Zweierbeziehung und machen „Untreue“ zur Normalität. Die Definition von Beziehung ist dabei sehr unterschiedlich. Die einen öffnen sich für die Sexualität mit Dritten, die anderen wenden sich der Polyamorie zu. Letzteres bezeichnet ein Beziehungskonzept, in dem mehrere Beziehungen parallel geführt werden können. Vor nicht allzu langer Zeit sahen Beziehungen noch ganz anders aus. Meist war die Frau vom Mann stark abhängig – sowohl wirtschaftlich als auch gesellschaftlich.

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Die Freiheit ist für den Menschen das höchste Gut

Der deutsche Philosoph Otfried Höffe verteidigt in seinem Buch „Kritik der Freiheit“ weder die Freiheit und die Moderne noch steht er ihnen ablehnend gegenüber. Vielmehr setzt er sie einer Kritik im Sinne von Immanuel Kant aus. Er sucht Argumente des Für und Wider auf und wägt sie ab. Otfried Höffe beantwortet dabei die Frage: „Welches Potential der Legitimation, welches an Limitation enthalten das Prinzip Freiheit und das Projekt der Moderne?“ Er versteht sein Buch als einen Beitrag sowohl zu einer philosophischen Anthropologie als auch zu einer kritischen Theorie der Moderne, darüber hinaus als eine kritische Rechts- und Demokratietheorie und als eine Theorie personaler Freiheit. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

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René Descartes suchte nach der absoluten Gewissheit

Der Philosoph René Descartes, der von 1596 bis 1650 lebte, erforschte in zwei seiner Werke die Grenzen dessen, was Menschen wissen können. Die Schriften heißen „Meditationen über die Grundlagen der Philosophie“ und „Methode des richtigen Vernunftgebrauchs“. Wie die meisten Philosophen wollte René Descartes nicht etwas glauben, ohne es vorher genau untersucht zu haben. Nigel Warburton erklärt: „Er liebte es, abwegige Fragen zu stellen, auf die andere gar nicht kamen. Natürlich war René Descartes klar, dass man nicht durchs Leben gehen konnte, indem man ständig alles hinterfragte.“ Das Leben würde sich als extrem schwierig erweisen, wenn man nicht auch einige Dinge einfach glaubte. Der Philosoph Nigel Warburton ist Dozent an der Open University. Er gibt außerdem Kurse über Kunst und Philosophie am Tate Modern Museum.

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Die Philosophie kann zu einem guten Leben führen

Daniel Klein führt die Leser seines neuen Buches „Immer wenn ich den Sinn des Lebens gefunden habe, ist er schon wieder woanders“ auf eine humorvolle philosophische Reise zu den großen Fragen des Lebens. Dabei beantwortet er zum Beispiel die Frage, warum Friedrich Nietzsche dazu mahnt, gefährlich zu leben. Die Frage danach, wie man das bestmögliche Leben führen kann, war einmal der zentrale Gegenstand der Philosophie. Für Denker wie Aristippos, Epikur, Sokrates, Plato und Aristoteles rangierte sie an vorderster Stelle. Immer wieder ist Daniel Klein darüber verblüfft, wie eloquent und anregend große Philosophen mit einer Handvoll gut gewählter Wörter sein können. Daniel Klein, Jahrgang 1939 studierte Philosophie in Harvard. Zusammen mit Thomas Cathcart schrieb er „Platon und Schnabeltier gehen in eine Bar“, das in 26 Sprachen übersetzt wurde.

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Die Kultur des Rokoko bevorzugt die Sphäre des Weiblichen

Im 18. Jahrhundert nehmen die leidenschaftlichen Versuche kein Ende, die überkommenen Ordnungen und Einrichtungen auf allen Gebieten des öffentlichen und privaten Lebens zu reformieren, die verkrusteten Traditionen in der Politik, den Wissenschaften und Künsten aufzulösen und das Festgefahrene wieder in Fluss zu bringen. Diese Innovationen vollziehen sich in mehreren Phasen an den höfischen Zentren und großen europäischen Residenzen, unter denen die bedeutendsten Paris, München, Berlin, Dresden und Wien sind. Innerhalb einer feudalen Gesellschaft von geistigen und weltlichen Würdenträgern, innerhalb des Hofadels selbst, werden die Umwälzungen, die neuen Denkformen und Lebensstile entwickelt und entfaltet. Dies ist die erste Etappe einer sanften und unblutigen Revolution: die Zeit des Rokoko. Sie bevorzugt im Gegensatz und Widerspruch zum männlich-heroischen Zeitalter des Barock alles, was aus der Sphäre des Weiblichen und aus den Bereichen eines kunstvollen Gefühls für die Natur stammt.

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An Platons Akadamie studierten die größten Denker der Antike

Platon starb im Mai 347 im Alter von 80 Jahren. Für Hellmut Flashar markiert dieses Ereignis einen Einschnitt von enormer geistesgeschichtlicher Bedeutung. Denn Platon hatte vier Jahrzehnte die Geschicke der Akademie in Athen geprägt. Eigentlich wollte er ursprünglich nur ein paar Jahre dort bleiben, um seine Erziehung abzurunden. Die Akademie hat sich allerdings immer mehr zu seinem Lebensmittelpunkt entwickelt. Hellmut Flashar schreibt: „Die Akademie war im Laufe der Zeit zu einem Zentrum der bedeutendsten Denker und auch Wissenschaftler geworden. In der Akademie wurden bahnbrechende Entdeckungen vor allem auf dem Gebiet der Mathematik und der Astronomie gefördert und gewonnnen.“ Hellmut Flashar lehrte bis zu seiner Emeritierung als Klassischer Philologe an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Zu seinen bekanntesten Werken zählen „Inszenierung der Antike. Das griechische Drama auf der Bühne. Von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart“ und „Sophokles. Dichter im demokratischen Athen“.

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Diogenes war der erste Performance-Künstler der Menschheit

Wir schreiben das Jahr 360 vor Christus. Damals wird ein Mann in Athen, der keinen Wohnsitz hat, dafür aber einen ausgeprägten Sinn für die Provokation besitzt, zur Legende. Wie hat er das geschafft? Eigentlich nur mit so guten Geschichten, die jeder gleich weitererzählen wollte. Die Rede ist von Diogenes von Sinope, dem Philosophen, der in einer Tonne aus Keramik gelebt haben soll. Bis heute gilt er als Urahn der Hippies, als der erste Aussteiger, als Prototyp eines Menschen, der die Normen der Gesellschaft ablehnt und sich über sie lustig macht. Man kann Diogenes auch als ersten Performance-Künstler betrachten, der den öffentlichen Raum für seine gesellschaftskritischen Aufführungen nutzte. Wie sehr Diogenes die Zivilisation auch kritisierte, so war er doch auf sie angewiesen.

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Jede Gesellschaft ist durch eine hierarchische Ordnung gegliedert

Alle historischen Herrschaftsverbände werden durch System der sozialen Ungleichheit geprägt. Immer weist ihre Sozialstruktur eine hierarchische Ordnung auf. Die schottischen Aufklärer Adam Smith, Adam Ferguson und John Millar beschreiben die Hierarchie der sozialen Ungleichheit in engster Verbindung mit der historischen Natur des jeweils herrschenden Wirtschaftssystems. Daran haben auch bedeutende Sozialwissenschaftler wie Max Weber, Émile Durkheim, Vilfredo Pareto, Talcott Parsons und Pierre Bourdieu festgehalten. Hans-Ulrich Wehler weist darauf hin, dass für die schottischen und englischen Sozialtheoretiker des ausgehenden 18. Jahrhunderts der Zerfall der überkommenen Ständeordnung unter dem Druck der voranschreitenden kapitalistischen Marktwirtschaft als Schlüsselerfahrung im Vordergrund stand. Sie erkannten den unauflöslichen Zusammenhang zwischen Wirtschafts- und Sozialverfassung, der wie eine Art von historischem Zwillingsphänomen wirkte. Hans-Ulrich Wehler war bis zu seiner Emeritierung Professor für Allgemeine Geschichte an der Universität Bielefeld. Sein Hauptwerk ist die fünfbändige „Deutsche Gesellschaftsgeschichte“.

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Im zwanzigsten Jahrhundert beschleunigte sich jede Entwicklung

Der Beginn des 20. Jahrhunderts war von großem Optimismus für die Zukunft bestimmt. Die Euphorie entstand aus dem Gefühl der gewaltigen Beschleunigung jeglicher Entwicklung, die für das neue Jahrhundert so typisch werden sollte. Der Fortschritt löste sich wie eine Kettenreaktion vom geplanten Wollen, entzog sich jeder möglichen Kontrolle und begann blindlings ein nicht erkennbares Ziel anzusteuern, ohne dass die Frage, wie das wohl dem Menschen bekommen würde, hätte beantwortet werden können. Dem Menschen gilt dann auch im zunehmenden Maße die Sorge der Gegenwart, seinem Menschsein und Mensch bleiben können in einer entfremdeten Umwelt, deren Schöpfer er selbst ist. Große Gefahren lauern in der möglichen Selbstzerstörung durch den hemmungslosen Verbrauch und Verschleiß der menschlichen Lebensgrundlagen sowie im übermütig, fahrlässigen Umgang mit den Urkräften der Natur, die der Mensch im 20. Jahrhundert freizusetzen lernte.

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Die Ursprünge der Philosophie liegen im antiken Griechenland

Der griechische Begriff der Philosophie der Antike, definiert als Liebe zur Weisheit oder Freude am Wissen, ist wesentlich umfassender, als der moderne Philosophiebegriff. Er bleibt immer eng verbunden mit den Naturwissenschaften und nimmt mit diesen um 600 vor Christus ihren Anfang in den Küstenstädten Kleinasiens, die für ihre Weltoffenheit bekannt waren. Das Viele aus Einem zu erklären, bleibt ein Grundzug der ionischen Philosophie. Thales nimmt zum Beispiel das Wasser als Ursprungselement an, Anaximenes die verdünnte oder verdichtete Luft, Anaximander das chaotisch Grenzenlose, ápeiron genannt, das sich in Festes und Flüssiges, Heißes und Kaltes ordnet. Alle diese Philosophen waren auch bedeutende Naturwissenschaftler und leisteten wesentliche Forschungsarbeit auf den Gebieten der Astronomie, der Geographie und der Mathematik. Im klaren Gegensatz dazu steht die aus der Mystik hervorgegangene elitäre Geheimwissenschaft, die Pythagoras aus Samos im unteritalienischen Kroton in der 2. Hälfte des 6. Jahrhunderts vor Christus entwickelt.  

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Die Weltwirtschaftskrise führt zu keinem Wandel des Alltagslebens

In der ganzen Welt fluten die Zentralbanken die Märkte mit Geld. Sie versuchen die Arbeit der Politiker zu übernehmen und deren Probleme zu lösen. Dabei könnte es sich um die größte Wette handeln, die an den Finanzmärkten je abgeschlossen wurde. Dabei ist es für Wolfgang Hetzer völlig unklar, ob sie aufgehend wird, da es in der Geschichte keinerlei Vorbild dafür gibt. Wolfgang Hetzer stellt fest: „Wir leben in einer Welt massiv überdehnter Bilanzen. Die nach der Lehmann-Pleite einsetzende Rettungsaktion hat die Schuldenlast vieler Länder derart nach oben getrieben, dass nun die Zentralbanken mit der Notenpresse aushelfen müssen.“ Wolfgang Hetzer, Dr. der Rechts- und Staatswissenschaft, leitete von 2002 bis 2011 die Abteilung „Intelligence: Strategic Assessment & Analysis“ im Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) in Brüssel.

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Der deutschen Wirtschaft fehlt es an Innovationen und Kreativität

Es gibt ein deutsches Sprichwort: „Ohne Fleiß kein Preis.“ Fleiß ist laut Michael Schindhelm eine spezifisch deutsche Tugend. Es ist seiner Meinung nach deshalb auch nicht verwunderlich, dass die Deutschen von ihren europäischen Nachbarn als notorisch tüchtig beurteilt werden. Deutsche Wertarbeit wird auf den internationalen Märkten hoch geschätzt. Der Lohn für deutschen Fleiß ist ein Spitzenrang unter den Exportnationen. Michael Schindhelm fügt hinzu: „Vor allem die Autohersteller und die industrielle Spitzentechnologie haben den Deutschen den Ruf gesichert, die Ingenieure Europas zu sein.“ Auch im Inland schließt man sich dieser Meinung an wie der Slogan von Audi „Vorsprung durch Technik“ beweist. Michael Schindhelm arbeitet als Schriftsteller, Filmemacher und Kulturberater für internationale Organisationen. Er leitet am Strelka Institute in Moskau den Forschungsbereich öffentlicher Raum.

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Paul Nolte beschreibt die scheinbaren Vorzüge der Diktatur

Selbst in Großbritannien und Amerika kamen in der Zwischenkriegszeit neue Zweifel an der Demokratie auf, doch diese Zweifel griffen im kontinentalen Europa viel weiter und grundsätzlicher um sich und mündeten häufiger, über Skepsis hinaus, in Gegnerschaft gegen die Demokratie oder jedenfalls Gleichgültigkeit gegenüber ihrer möglichen Zerstörung. Die Aussicht auf eine Diktatur erschien in den 1920er Jahren des vergangenen Jahrhunderts nicht so schrecklich wie in der Gegenwart. Erst aus der konkreten Erfahrung des Nationalsozialismus, der für Verfolgung und Massenmord verantwortlich war, teils auch aus den parallelen Gegebenheiten im Stalinismus der Sowjetunion, entstand laut Paul Nolte jenes Bild der Diktatur als alles umgreifender und kontrollierender, totaler Herrschaft, die sich auf Willkür und die Entfesslung von Gewalt stützt. Paul Nolte ist Professor für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte an der Freien Universität Berlin.

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Beatrice Weder di Mauro erörtert die Chancen des Wachstums

Die Weltwirtschaft hat in den vergangenen zwanzig Jahren einen sehr schellen Wandel durchlebt. Das weltweite Wirtschaftswachstum beschleunigte sich deutlich und hatte zunehmend auch eine neue Qualität. Laut Beatrice Weder di Mauro traten ärmere Länder nicht nur verstärkt als Teilhaber, sondern sogar als Treiber der wirtschaftlichen Expansion auf. Eine Gruppe von Schwellenländern konnte in dieser Zeit gegenüber den Industriestaaten deutlich aufholen und selbst als hoffnungslos geltende Länder haben in kurzer Zeit dynamische Wirtschaftsentwicklungen durchlaufen. Beatrice Weder die Mauro schreibt: „Vieles an dieser Veränderung ist ohne Zweifel positiv. So brachte das Wachstum für Millionen von Menschen die Chance, sich aus der Armut zu befreien und ihren Kindern den Zugang zu Bildung und Gesundheitsleistungen zu ermöglichen.“ Die schweizerisch-italienische Wirtschaftswissenschaftlerin gehört dem Verwaltungsrat der Großbank UBS an. Zwischen 2004 und 2012 war sie Mitglied im sogenannten Rat der Wirtschaftsweisen.

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Die Generation der Babyboomer hat politisch versagt

Es ist für Frank Schirrmacher, dem Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), nach dem Rücktritt von Christian Wulff als Bundespräsident an der Zeit, über die politische Generation der Babyboomer zu reden. Er meint damit großzügig gesprochen die Geburtsjahrgänge von 1955 bis 1970, eine Kohorte, die seiner Meinung nach seit der Jahrhundertwende faktisch die meinungsbildende Mehrheit in Deutschland bildet. Frank Schirrmacher schreibt: „In Gestalt von Christian Wulff, Jahrgang 1959, hat ein Angehöriger dieser Generation das Höchste erreicht und in nie gesehener Geschwindigkeit alles vermasselt. Das ist bemerkenswert.“ Und bemerkenswert ist laut Frank Schirrmacher auch die Tatsache, dass fast das gesamte politische Personal dieser Generation, vor allem in der CDU, schon abgetreten ist.

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