Die Denksucht operiert nach Art eines Diktators

Wie jede Sucht operiert auch die Denksucht nach Art eines Diktators. Rebekka Reinhard erläutert: „Sie zwingt Ihr Gehirn in eine Montur der Gleichförmigkeit und programmiert es darauf, möglichst fantasielos zu denken, alles schon vorwegzunehmen, bei allem recht haben zu müssen und vor Dauerdenken halb wahnsinnig zu werden.“ Der Stoff, der überall verfügbar ist, hat krasse Begleiterscheinungen: Egoismus. Selbstgerechtigkeit. Seelische Versteifung. Betroffene hören auf, um die Ecke zu denken, zu zweifeln, zuzuhören. Sie kleben an gleichförmigen, vorhersehbaren kognitiven Abläufen – doch die Angst ist immer noch da. Und mit ihr die Unfreiheit. Das Gehirn reduziert die vielen Möglichkeiten, sich als Mensch in einer unsicheren Welt zu behaupten und das zu tun, was man eigentlich tun will, von vornherein auf zwei Alternativen. Rebekka Reinhard ist Chefredakteurin des Magazins „human“ über Mensch und KI. Unter anderem ist sie bekannt durch den Podcast „Was sagen Sie dazu?“ der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft wbg.

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Big Data begreift seine Ergebnisse nicht

Big Data stellt ein rudimentäres Wissen zur Verfügung. Es bleibt auf Korrelationen und Mustererkennungen beschränkt, in denen jedoch nichts begriffen wird. Der Begriff bildet eine Ganzheit, die ihre Momente in sich einschließt und einbegreift. Byung-Chul Han erklärt: „Die Ganzheit ist eine Schlussform. Der Begriff ist ein Schluss. Alles Vernünftige ist ein Schluss. Big Data ist additiv. Das Additive bildet keine Ganzheit, keinen Schluss. Ihm fehlt der Begriff, nämlich der Griff, der Teile zu einer Ganzheit zusammenschließt.“ Künstliche Intelligenz erreicht nie die Begriffsebene des Wissens. Sie begreift nicht die Ergebnisse, die sich berechnet. Das Rechnen unterscheidet sich vom Denken dadurch, dass es sich keine Begriffe bildet und nicht von einem Schluss zum nächsten voranschreitet. Die Bücher des Philosophen Byung-Chul Han wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt.

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Das Gehirn des Menschen ruht selbst in „Pausen“ nicht

Es ist eine Tatsache, dass das menschliche Gehirn selbst in „Pausen“ nicht ruht. Im Gegenteil, gerade tagträumerische Pausen, und wenn man dabei auch manchmal nur aus dem Fenster auf den Himmel schaut, können die Quelle für kreatives Denken sein. Markus Hengstschläger weiß: „Das Gehirn schaltet sich nie aus, es schaltet eher um. Im Gehirn des Homo sapiens gibt es eine Gruppe von Regionen, bekannt als Default Mode Network – Ruhezustandsnetzwerk –, die beim Lösen von Aufgaben deaktiviert ist und erst beim Nichtstun aktiviert wird.“ Das unbeschäftigte Gehirn benutzt diese Regionen während des Tagträumens im Zuge von routinemäßigen, eher monotonen Tätigkeiten wie zum Beispiel Joggen oder Duschen. Seit einigen Jahren untersucht man wissenschaftlich die Rolle des Default Mode Network für die kreative Leistungsfähigkeit des Menschen. Professor Markus Hengstschläger ist Vorstand des Instituts für Medizinische Genetik an der MedUni Wien.

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Demagogen werfen dem Establishment Volksferne vor

Liberale Demokratien müssen sich auf neue Aufgaben einstellen. Polarisierung? Roger de Weck stellt fest: „Angesagt und vonnöten ist das diametrale Gegenteil, um den Anforderungen des 21. Jahrhunderts gewachsen zu sein. Polarisierende und radikalisierende Politik taugt zum Machtgewinn, sonst zu gar nichts.“ Demagogen werfen dem Establishment Volksferne vor. Doch verrät ihre Faktenferne bis hin zu Faktenfreiheit, dass ausgerechnet die vorgeblich rechte „Realpolitik“ meilenweit von der Realität entfernt ist. Auf postfaktische Weise lässt sich die Gesellschaft radikalisieren, aber kein Ziel erreichen. Und das Reiseziel der Politik heißt jetzt in jeder Hinsicht: Einbezug. Die Ökologie ist ins Gefüge der demokratischen Institutionen einzubeziehen. Das Prinzip der Nachhaltigkeit ist in den republikanischen Dreiklang Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit einzuweben. Roger de Weck ist ein Schweizer Publizist und Ökonom.

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Die Geschichte läuft nicht auf ein Happy End zu

In all seinen Schriften zeigte sich Theodor W. Adorno skeptisch gegenüber Philosophien, die harmonische Versöhnung anbieten. Stuart Jeffries erklärt: „So bezweifelte er beispielsweise die Vision des jungen Lukács von einer epischen Ganzheit im antiken Griechenland, Heideggers Vorstellung eines vollendeten Seins, das mittlerweile tragisch in Vergessenheit geraten ist, und Benjamins Glauben an eine vor dem Sündenfall existierende Einheit von Name und Sache.“ In der „Negativen Dialektik“ geht es ihm allerdings nicht hauptsächlich um die Dekonstruktion solcher regressiven Phantasien, sondern um Widerspruch gegen die Vorstellung, dass dialektische historische Prozesse unbedingt ein Ziel haben müssen. Vor allem verwirft er die Idee, dass das geschichtliche Narrativ notwendigerweise auf ein Happy End zulaufe. Stuart Jeffries arbeitete zwanzig Jahre für den „Guardian“, die „Financial Times“ und „Psychologies“.

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Die soziale Imagination enthält allerlei Stereotype

Die soziale Vorstellungskraft ist eine wichtige Triebfeder gesellschaftlicher Veränderungen, was vor allem daran liegt, dass sie das Denken unmittelbar beeinflussen kann, und zwar unabhängig von Überzeugungen, die möglicherweise von aktuellen Vorurteilen geprägt sind. Miranda Fricker ergänzt: „Wenn aber die Bilder vorurteilsbeladen sind, kann eben diese Fähigkeit – die Fähigkeit, das Urteilsvermögen direkt und ohne, dass sich das Subjekt dessen bewusst ist, zu beeinflussen – aus der sozialen Imagination eine ethische und epistemische Bürde werden lassen.“ Die kollektive soziale Imagination enthält unweigerlich allerlei Stereotype, und das ist das soziale Klima, in dem die Zuhörer ihren Gesprächspartnern gegenübertreten. Kein Wunder also, dass mitunter die vorurteilsbehafteten Aspekte der sozialen Vorstellungskraft die eigenen Glaubwürdigkeitsurteile beeinflussen, ohne dass man dem zustimmt. Miranda Fricker ist Professorin für Philosophie an der New York University, Co-Direktorin des New York Institute für Philosophy und Honorarprofessorin an der University of Sheffield.

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Leon Battista Alberti war ein Allroundgenie

Dass Leon Battista Alberti unterschiedlichste Fähigkeiten miteinander zu verbinden wusste, wurde von Jacob Burckhardt ausführlich erläutert. Eine von einem anonymen Autor verfasste Autobiographie beschrieb ihn als einen ungeheuer vielseitigen Menschen. Leon Battista Alberti beherrschte alle schönen Künste und tat sich daneben mit Reiten, Springen und Speerwerfen auch sportlich hervor. Einige seiner Zeitgenossen waren von seiner intellektuellen Vielseitigkeit beeindruckt. Peter Burke weiß: „Auf jeden Fall sind einige Leistungen Albertis bis heute sichtbar vorhanden. Die Bauwerke, die er entwarf, seine Abhandlungen über Malerei und Architektur, sein Dialog über die Familie, sein Büchlein über mathematische Spiele und sein Selbstporträt auf einem bronzenen Medaillon. Sechzehn Jahre lehrte Peter Burke an der School of European Studies der University of Sussex. Im Jahr 1978 wechselte er als Professor für Kulturgeschichte nach Cambridge ans Emmanuel College.

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Das Wesen der Natur hat ihre eigenen Prinzipien

Francis Bacons Schriften zeigen ihn als einen Mann, der zwischen zwei intellektuellen Kulturen und zwei Zeiten stand. Philipp Blom erklärt: „Als Junge in Cambridge war er nach dem mittelalterlichen Curriculum erzogen worden und als Erwachsener nahm er an Hexenprozessen teil. Er war aber auch einer der weitsichtigsten Kritiker seiner eigenen Zeit und formulierte Prinzipien des wissenschaftlichen Denkens und Handelns, die über Jahrhunderte kritisiert und weitergedacht, nie aber ersetzt wurden.“ Der Jurist und Politiker Francis Bacon dachte produktiv im Gespräch oder in Korrespondenzen mit anderen, unter ihnen der italienische Denker Bernardino Telesio (1509 – 1588). Dieser hatte in seinem Wert „De rerum natura iuxta propria principia – Vom Wesen der Natur nach ihren eigenen Prinzipien, 1565 – eine revolutionäre Theorie über die Natur vorgeschlagen hatte. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford. Er lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

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Der Humanismus bewahrt die Menschen vor Mutlosigkeit

Der Antihumanismus mahnt die Menschen, nicht naiv zu sein und macht ihnen klar, dass sie und ihre Mitmenschen jederzeit etwas Dummes oder Böses tun können. Er zwingt den Humanismus dazu, sich immer wieder zu rechtfertigen. Sarah Bakewell fügt hinzu: „Der Humanismus wiederum ermahnt uns, die Aufgaben unserer gegenwärtigen Welt nicht zugunsten des Traums von einem Paradies auf Erden oder anderswo zu vernachlässigen. Er hilft uns, den verführerischen Versprechen von Extremisten zu widerstehen, und bewahrt uns vor der Verzweiflung, in die uns eine obsessive Beschäftigung mit unseren Defiziten stürzen kann.“ Er bewahrt die Menschen vor einem Defätismus, der alle Probleme auf Gott, die Biologie oder historische Unausweichlichkeit schiebt. Sarah Bakewell lebt als Schriftstellerin in London, wo sie Creative Writing an der City University lehrt und für den National Trust seltene Bücher katalogisiert.

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Das Denken ist kostenlos

Der Intellekt wird in den Gesellschaften des Westens hoch geschätzt. Deshalb ist nicht nur der Bedarf an Gutem, sondern auch der Denkbedarf gigantisch. Rebekka Reinhard erklärt: „Riesige Mengen kognitiver Inhalte werden täglich produziert und freigesetzt. Denken ist ein globaler Markt, der keine Lieferengpässe kennt. Das Tolle am Denken ist: Es ist kostenlos.“ Jeder Mensch mit verstandes- und vernunftmäßiger Ausstattung kann so viel denken, wie er will. Man kann sich sein Gehirn vorstellen wie einen inneren Streaming-Dienst, der alle Themen, Info-Formate, Filme und Serien inkludiert – und damit nicht alle guten und schlechten Gedanken, sondern auch sämtliche positive und negative Emotionen. Rebekka Reinhard ist Chefredakteurin des Magazins „human“ über Mensch und KI. Unter anderem ist sie bekannt durch den Podcast „Was sagen Sie dazu?“ der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft wbg.

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Das Denken verbindet das Subjekt mit dem Objekt

Das Denken ist eine wirkliche, objektiv existierende Schnittstelle, die Subjekt und Objekt verbindet. Der Mensch verfügt über einen besonders ausgebildeten Denksinn. Mittels dessen kann er sich in der Wirklichkeit der Gedanken umschauen. Denken ist selber etwas Wirkliches. Markus Gabriel stellt fest: „Weder die Flügel unserer Einbildungskraft noch unsere modernen Simulationen, die uns virtuelle Realitäten erleben lassen, reichen hin, um der Wirklichkeit wirklich zu entfliehen.“ Der Neue Realismus richtet sich gegen die heutige Entfremdung von der Wirklichkeit. Denn die Wirklichkeit ist niemals zur Science-Fiction geworden – und verschwunden ist sie schon gar nicht. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Glauben und Faktenwissen sind nicht dasselbe

Es gibt zahlreiche Fakten und Erkenntnisse, die man sicher oder sehr sicher sagen kann, häufig aufgrund wissenschaftlichen Fortschritts. Eine Irrung besteht aber darin, das Recht auf eine eigene Meinung mit dem Recht auf eigene Fakten zu verwechseln. Maren Urner erklärt: „Sie besteht darin, dass Menschen annehmen, sie könnten „glauben“, was ihnen in den Sinn kommt. Dieser falsch verstandene Skeptizismus treibt vor allem in sogenannten alternativen Nachrichten- und Informationsquellen, in bestimmten Chatprogrammen und sozialen Netzwerken sein Unwesen.“ Dies kann man täglich live und in Farbe beobachten und entweder darüber oder daran verzweifeln. Denn während solches Geschrei in analogen Zeiten auf dem Dorfplatz verhallte, reist es im digitalen Zeitalter in Sekundenschnelle um den Erdball und auf die Bildschirme. Dr. Maren Urner ist Professorin für Medienpsychologie an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW) in Köln.

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Die Ökonomie ist von politischen und moralischen Ideen durchdrungen

Jonathan Aldred stellt fest: „Eine weitere Folge des zwanghaften Drangs von Ökonomen, sich selbst als Wissenschaftler zu sehen – und gesehen zu werden –, ist ihre Verdrängung der Tatsache, dass die Ökonomik von politischen und moralischen Ideen durchdrungen ist.“ Viele Ökonomen zitieren gern folgende Passage aus einem Brief, den John Maynard Keynes an einen engen Kollegen geschrieben hat. Darin behauptet er: „Die Ökonomik ist eine Wissenschaft vom modellhaften Denken, verknüpft mit der Kunst, solche Denkmodelle zu wählen, die für die Wirklichkeit Relevanz besitzen.“ Sie erwähnen jedoch nicht, wie John Maynard Keynes seinen Brief beendet. Jonathan Aldred ist Direktor of Studies in Ökonomie am Emmanuel College. Außerdem lehrt er als Newton Trust Lecturer am Department of Land Economy der University of Cambridge.

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Künstliche Intelligenz ist unfähig zum Denken

Die Geschichte der Philosophie ist Martin Heidegger zufolge eine Geschichte der Grundstimmung. Byung-Chul Han fügt hinzu: „Das Denken von René Descartes etwa ist bestimmt vom Zweifel, während das Staunen Platons Denken durchstimmt. Dem „cogito“ von René Descartes liegt die Grundstimmung des Zweifels zugrunde.“ Martin Heidegger zeichnet das Stimmungsbild der neuzeitlichen Philosophie wie folgt: „Ihm [Descartes] wird der Zweifel zu derjenigen Stimmung, in der die Gestimmtheit auf das ens certum, das in Gewissheit Seiende, schwingt.“ Die Stimmung der Zuversicht in die jederzeit erreichbare Gewissheit der Erkenntnis bleibt für Martin Heidegger das pathos und somit die arché der neuzeitlichen Philosophie. Künstliche Intelligenz dagegen hat keine Zugang zu Horizonten, die eher geahnt werden als klar umrissen sind. Die Bücher des Philosophen Byung-Chul Han wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt.

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Die Freiheit ist die Kraft des Anfangens

Es gibt zwei selbstwidersprüchliche Auffassungen des Werdens der Freiheit. Christoph Menke erklärt: „Die eine Auffassung, als Geschehen, versteht nicht das Werden der Freiheit; sie gelangt nicht bis zur Freiheit. Die andere Auffassung, als Tat, versteht nicht das Werden der Freiheit; sie beginnt schon mit der Freiheit.“ Das Werden der Freiheit lässt sich nur begreifen, wenn man diesen Gegensatz von Aktivität und Passivität aufzulösen vermag. Die Befreiung muss sich von diesem Gegensatz befreien; sie muss das Werden befreien. Es gibt zwei verschiedene Konzeptionen des Denkens und seiner Freiheit: ein idealistisches und ein ästhetisch-materialistisches Konzept des Denkens. Die Freiheit ist wesentlich negativ. Sie ist die Negation der Unfreiheit. Christoph Menke ist Professor für Philosophie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main.

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Das Gehirn negiert nicht zuträgliche Informationen

Jonathan Rauch stellt fest: „Wenn Ihr gesellschaftliches Ansehen und Ihre Gruppenidentität davon abhängen, dass Sie etwas glauben, dann werden Sie auch einen Weg finden, es zu glauben. Tatsächlich wird Ihnen Ihr Gehirn dabei sogar helfen, indem es Informationen, die diesem Vorhaben zuträglich sind, bereitwillig akzeptiert und sich an sie erinnert, während es nicht zuträgliche Informationen vergräbt und ignoriert.“ Das ist der Grund dafür, dass Intelligenz keinen Schutz vor falschen Überzeugungen bietet. Sie macht Menschen im Gegenteil sogar noch besser im Rationalisieren. Wie Jonathan Haidt in „The Righteous Mind“ schreibt, sind extrem kluge Menschen besser als andere dazu in der Lage, Argumente zur Untermauerung ihrer eigenen Ansichten zu finden. Jonathan Rauch studierte an der Yale University. Als Journalist schrieb der Politologe unter anderem für das National Journal, für The Economist und für The Atlantic.

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Politik ist immer emotional

In ihrem neuen Buch „Radikal emotional“ beschreibt die Neurowissenschaftlerin Maren Urner wie Gefühle Politik machen. Sie vertritt dabei unter anderem die These, dass nicht nur die großen Zusammenhänge, sondern auch vermeintlich „rein private“ Alltagsentscheidungen immer politisch sind. Gefühle sind für die Autorin nichts „Privates“, dass man von der professionellen und politischen Ebene trennen kann. Maren Urner schreibt: „Die Ansicht, Emotionen hätten in der Politik nichts zu suchen, ist sogar – Achtung! – irrational. Denn Politik ist nichts anderes als ein Aushandlungsprozess über unterschiedliche Gefühle und damit verbundene Werte und Ideen innerhalb einer Gruppe von Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt.“ In diesen Aushandlungsprozess sind alle Menschen involviert. Dr. Maren Urner ist Professorin für Medienpsychologie an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW) in Köln.

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Viele Menschen werden in starre Lebensläufe gezwungen

Sogenannte „Fachidioten“ führen ihre Follower in die Gefangenschaft der eigenen Selbstverständlichkeiten. Diese verleiten zu einem sehr gegrenzten Handeln. Die „Filter-Bubble“ ist nicht nur ein Phänomen des Digitalen, sondern zeigt sich auch im Analogen, in der Bildung. Anders Indset kritisiert: „Die Wissensgesellschaft ist ein Produkt des fatalen Nickerchens, in der trotz der Aktivierung und der Aufbruchstimmung der Sechzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts die Menschen im Wesentlichen in starre und vorbestimmte Lebensläufe gezwungen werden.“ Der Lebensplan steht bereits in der Kindheit fest. Man weiß, was einen im Leben erwartet – der Job wartet. So dient die sich zur Absolutheit gesteigerte Wissensgesellschaft der Förderung der Wirtschaft und des ökonomischen Wachstums. Auf einem kontrollierten und messbaren Bildungsweg begeben sich die Menschen in ein Leben der Konformität. Anders Indset, gebürtiger Norweger, ist Philosoph, Publizist und erfolgreicher Unternehmer.

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Ohne Gottlob Frege gäbe es heute keine digitale Revolution

Gottlob Frege gehört für Markus Gabriel zu den größten Logikern aller Zeiten. Als Mathematiker hat er maßgeblich zur Erfindung moderner symbolischer Logiken beigetragen. Das heißt, zu den mathematischen Zeichensystemen, die man heute noch verwendet, um die abstrakten Gedanken der Mathematik auszudrücken. Markus Gabriel stellt fest: „Gottlob Frege hat eine eigene Schriftsprache erfunden, um auf diese Weise die logischen Beziehungen zwischen Gedanken übersichtlicher darstellen zu können.“ Diese Schriftsprache nennt er die „Begriffsschrift“. Ohne Gottlob Freges Begriffsschrift gäbe es heute keine digitale Revolution. Er hat auch eine der wichtigsten Texte über das Denken geschrieben, seinen unscheinbaren kleinen Aufsatz „Der Gedanke“ von 1918. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Humanisten benennen Elemente des menschlichen Glücks

Die humanistische Tradition wurde seit jeher von einem breiten und langen Schatten begleitet, den man als antihumanistische Tradition bezeichnen könnte. Sarah Bakewell erläutert: „Während Humanisten die Elemente des menschlichen Glücks und der menschlichen Vortrefflichkeit benennen, zählen die Antihumanisten ebenso eifrig unser Elend und unsere Schwächen auf.“ Sie weisen auf zahlreiche Defizite der Menschen hin, auf die Unzulänglichkeiten ihrer Talente und Fähigkeiten, Probleme zu bewältigen und einen Lebenssinn zu finden. Antihumanisten missbilligen oft die Vorstellung, sich an irdischen Vergnügungen zu erfreuen, und plädieren stattdessen für eine radikale Umgestaltung des Lebens der Menschen. Entweder indem sie sich von der materiellen Welt abwenden oder indem sie ihre Ansichten – oder sich selbst – dramatisch verändern. Sarah Bakewell lebt als Schriftstellerin in London, wo sie Creative Writing an der City University lehrt und für den National Trust seltene Bücher katalogisiert.

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Die Bildung prägt die Persönlichkeit eines Menschen

Auf formaler Ebene fasst man Bildung einerseits als ein Produkt, als die Ausprägung der Persönlichkeit eines Menschen, auf. Und andererseits beschreibt der Begriff „Bildung“ auch den Prozess, wie diese Persönlichkeitsausprägungen vermittelt werden. Markus Hengstschläger erklärt: „Auf inhaltlicher Ebene gilt es zu fragen, welche Persönlichkeitsausprägungen gesellschaftlich wünschenswert sind. Gerade die Ansichten darüber ändern sich aber mit der Zeit.“ Es gab Zeiten, in denen abrufbares Faktenwissen dabei im Vordergrund stand. Heute wird neben fachlichen Qualifikationen immer mehr auch auf soziokulturelle Kompetenzen Wert gelegt. Unter Kompetenzen versteht man in der Regel Fähigkeiten und Fertigkeiten, die es ermöglichen zu handeln, Situationen zu bewältigen, Aufgaben auszuführen und Probleme zu lösen. Was man unter „Wissen“ versteht, ist in der heutigen Zeit oft Inhalt unendlich erscheinender Diskussionen. Professor Markus Hengstschläger ist Vorstand des Instituts für Medizinische Genetik an der MedUni Wien.

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Die Künstliche Intelligenz kann nicht denken

Das Denken ist auf der tieferen Ebene ein dezidiert analoger Vorgang. Bevor es die Welt in Begriffen fasst, ist es von ihr ergriffen, ja affiziert. Byung-Chul Han ergänzt: „Das Affektive ist wesentlich für das menschliche Denken. Das erste Denkbild ist die Gänsehaut. Künstliche Intelligenz (KI) kann schon deshalb nicht denken, weil sie keine Gänsehaut bekommt.“ Ihr fehlt die affektiv-analoge Dimension, die Ergriffenheit, die von Daten und Informationen nicht eingeholt werden kann. Das Denken geht von einer Ganzheit aus, die den Begriffen, Vorstellungen und Informationen vorgelagert ist. Es bewegt sich bereits in einem „Erfahrungsfeld“, bevor es sich den in diesem vorkommenden Gegenständen und Tatsachen eigens zuwendet. Das Seiende im Ganzen, dem das Denken gilt, ist zunächst in einem affektiven Medium wie Stimmung erschlossen. Die Bücher des Philosophen Byung-Chul Han wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt.

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Ned O’ Gorman fordert ein Mehr an Politik

Ned O’ Gorman kritisiert politische Kurzsichtigkeit, Malaise und Missgunst. In seinem Buch „Politik für alle“ plädiert er nicht für ein Weniger, sondern für ein Mehr an Politik. Und er fordert, die Politik ernster zu nehmen, statt sie abzuschreiben und ihr eine wohlüberlegte Chance zu geben. Zu diesem Zweck untersucht Ned O’ Gorman das Werk einer der prononciertesten Fürsprecherin der Politik im 20. Jahrhundert: Hannah Arendt (1906 – 1975). Die in Deutschland geborene Jüdin floh in den 1930er-Jahren vor den Nazis und ließ sich in den Vereinigten Staaten nieder. Von nun an arbeitete sie dreißig Jahre lang an „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“, einer scharfen Analyse des Totalitarismus. Sie schrieb zudem viele andere Bücher und Artikel, deren Themen von der Revolution bis zur Verantwortung des Menschen für den Erhalt der Welt reichten. Ned O’ Gorman ist Professor für Kommunikationswissenschaften an der University of Illinois.

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A hot planet is not cool

Auf den Pappschildern der Fridays-for-Future-Bewegung ist ein Bild stark vertreten: die handgemalte runde Erde. So bebildern sie ihre Parolen „no planet B“ oder „a hot planet is not cool“ und das überwölbende „save the planet“. Ulrich Grober ergänzt: „Allgegenwärtig in den Medien, besonders im Netz, ist das entsprechende Foto. Das Bild des Planeten aus einer Außenperspektive erscheint uns ganz natürlich, selbstverständlich.“ Dabei ist es noch gar nicht so alt. Ikone Erde und die Saga vom blauen Planeten, das meistpublizierte Foto der Mediengeschichte und eine große Erzählung in wenigen Worten, sind vielleicht das Beste, was das 20. Jahrhundert der Menschheit hinterlassen hat. Ein paar kalifornische Hippies kamen zuerst auf die Idee: Zeigt uns „whole earth“, die ganze Erde, so wie sie aus dem All zu sehen ist. Den Publizisten und Buchautor Ulrich Grober beschäftigt die Verknüpfung von kulturellem Erbe und Zukunftsvisionen.

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Die Vernunft ist die Sklavin der Leidenschaften

Seit Platon waren sich die Philosophen bewusst, dass die Sinne täuschen und Überzeugungen irregeleitet sein können. Aber sie nahmen an, dass den Menschen von Natur aus ein Drang zur Wahrheit innewohne und die Vernunft sie auf dem Weg zu ihr leiten würde. Jonathan Rauch blickt zurück: „Vor fast 300 Jahren formulierte der schottische Philosoph David Hume seine Kritik an dieser Standardauffassung.“ In seinem „Traktat über die menschliche Natur“ trug er eine der in dieser Sache entschiedensten und bekanntesten Thesen vor. Er schreibt: „Die Vernunft ist die Sklavin der Leidenschaften und sollte auch nur das sein. Auf kein anderes Amt kann sie Anspruch erheben als ihnen zu dienen und zu gehorchen.“ Jonathan Rauch studierte an der Yale University. Als Journalist schrieb der Politologe unter anderem für das National Journal, für The Economist und für The Atlantic.

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