Es gibt keinen Kampf der Kulturen

Der Kampf der Kulturen ist für Amartya Sen eine ausgesprochen globale These über Konflikte. Doch es gibt auch bescheidenere, aber ebenfalls einflussreiche Behauptungen. Auch nach diesen hängen die vielen Konflikte und Gräuel, die man heute in verschiedenen Teilen der Welt beobachtet, mit Gegensätzen von Kulturen und Identitäten zusammen. In den kleineren Varianten dieses Ansatzes sind es lokale Bevölkerungen, die in zerstrittene Gruppen mit unterschiedlicher Kultur und Geschichte zerfallen. Daraus erwächst quasi „naturwüchsig“ eine gegenseitige Feindschaft. Moderne Konflikte sind ohne Berücksichtigung aktueller Ereignisse und Machenschaften nicht zu verstehen. Auf diese Weise bläst man sie zu uralten Fehden auf, in denen die heutigen Akteure in angeblich altüberkommenen Dramen in vorherbestimmten Rollen auftreten. Amartya Sen ist Professor für Philosophie und Ökonomie an der Harvard Universität. Im Jahr 1998 erhielt er den Nobelpreis für Ökonomie.

Weiterlesen

Identität kann erworben und verdient werden

Es gibt angeblich eine zentrale Bedeutung der Entdeckung „zu wissen, wer man ist“. Der Politiktheoretiker Michael Sandel hat diese Behauptung auf erhellende Weise erklärt: „Gemeinschaft beschreibt nicht nur, was sie als Mitbürger haben, sondern auch, was sie sind. Es handelt sich dabei nicht um eine Beziehung, die sie wählen, sondern um eine Bindung, die sie entdecken. Das ist nicht nur ein Attribut, sondern ein konstituierender Bestandteil ihrer Identität.“ Amartya Sen weiß: „Die Entdeckung, wo wir stehen, ist jedoch nicht der einzige Weg zu einer bereichernden Identität. Diese kann auch erworben und verdient werden.“ Menschen sind nicht in ihre vorgefundenen Standorte und Zugehörigkeiten eingesperrt. Amartya Sen ist Professor für Philosophie und Ökonomie an der Harvard Universität. Im Jahr 1998 erhielt er den Nobelpreis für Ökonomie.

Weiterlesen

Die Politik braucht die Bereitschaft des Kampfes

Den Menschen ist die Unterscheidung von Freund und Feind nicht fremd. Die Moral unterscheidet zwischen gut und böse, die Ästhetik zwischen schön und hässlich, die Ökonomie zwischen nützlich und schädlich. Der Mensch braucht bei der freiheitlichen Begegnung einen Maßstab, um die Mitmenschen in Gruppen von Nahe- und Fernstehenden zu unterscheiden. Paul Kirchhof weiß: „Für Carl Schmitt ist dieses die Unterscheidung zwischen Freund und Feind.“ Sie ist seiner Meinung nach notwendig, um politische Handlungen und Motive zu erklären und zu verstehen. Ist der Andere existenziell etwas Anderes und Fremdes, sind Konflikte mit ihm möglich. Bedroht das Anderssein des Fremden die eigene Existenz, muss man den anderen abwehren und bekämpfen. Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg.

Weiterlesen

Es gibt keinen Kampf der Kulturen

In den letzten Jahren ist viel über die religiösen Unterschiede diskutiert worden. Das bedeutet jedoch nicht, dass alle sonstigen Unterschiede bedeutungslos sind. Und erst recht können sie nicht als einzig relevantes Kriterium zur Einteilung der Menschheit gelten. Wenn man die Weltbevölkerung nach Religionen unterteilt, nutzt man stillschweigend das Trennende einer übergeordneten Klassifikation. Man will dadurch die Menschen unverrückbar in ein starres Schema pressen. Amartya Sen erklärt: „Die Schwierigkeiten mit der These vom Kampf der Kulturen beginnen lange, bevor wir zum Problem des unausweichlichen Kampfes kommen. Sie beginnen mit der Annahme, dass die Menschheit in erster Linie in ausgeprägte und klar voneinander abgrenzbare Kulturen unterteilt werden kann.“ Amartya Sen ist Professor für Philosophie und Ökonomie an der Harvard Universität. Im Jahr 1998 erhielt er den Nobelpreis für Ökonomie.

Weiterlesen

Es tobt kein weltweiter Kampf der Kulturen

Es sieht für Markus Gabriel so aus, als gebe es mehr oder weniger deutlich voneinander abgegrenzte Kulturen. Die Grenzziehung zwischen Kulturen scheint außerdem häufig mit den Grenzen von Nationalstaaten verbunden zu sein. Man spricht landläufig etwa von einer deutschen, chinesischen, amerikanischen oder russischen Kultur. Manche glauben auch, es tobe seit Jahrtausenden ein welthistorischer Kampf der Kulturen. Dieser entfaltet sich im 21. Jahrhundert als Konflikt, den Kulturräume durch die Globalisierung in verschärften Wettbewerb miteinander austragen. Markus Gabriel erklärt: „Diese Idee wurde Ende des 20. Jahrhunderts prominent vom in Harvard lehrenden Politikwissenschaftler Samuel P. Huntington vertreten.“ Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

Weiterlesen

Der Kampf um die Wortmacht hat begonnen

Ohne dass viele Menschen es überhaupt bemerken, stecken sie mitten in einem großen Kampf. Dabei geht es um die Form, die Bedingungen und die Grenzen der globalen Redefreiheit. Sowohl in den Smartphones in ihren Taschen und vielleicht auch in ihren Köpfen. Timothy Garton Ash nennt dieses Ringen den Kampf um die Wortmacht. Wie das Wort „Rede“ in „Redefreiheit“ schließt der Begriff „Wort“ in „Wortmacht“ offensichtlich viel mehr mit ein als nur Worte. Timothy Garton Ash erklärt: „Er umfasst auch Bilder, Töne, Symbole, Informationen und Wissen sowie Kommunikationsstrukturen und Kommunikationsnetze.“ Der spanische Soziologe Manuel Castells spricht von der „Kommunikationsmacht“. Aber Timothy Garton Ash ist das kurze Wort lieber als das lange, besonders weil ohnehin jede Bezeichnung nur einen Teil des Ganzen erfasst. Timothy Garton Ash ist Professor für Europäische Studien an der Universität Oxford und Senior Fellow an der Hoover Institution der Stanford University.

Weiterlesen

Die Evolution beruht auf Mutation und Selektion

Das am weitesten anerkannte Evolutionsmodell beruht auf zwei wichtigen Elementen: Mutation und Selektion. Eyal Winter erläutert: „Mutation sorgt dafür, dass in den Eigenschaften eines Organismus von Generation zu Generation willkürliche Veränderungen auftreten. Die Selektion verbreitet „günstige“ Mutationen in einer Population, wohingegen „ungünstige“ allmählich aussterben.“ Individuen mit guten Merkmalen haben höhere Überlebenschancen und sorgen für mehr Nachkommenschaft. In der Regel geht man davon aus, dass evolutionäre Kräfte die Eigenschaften einzelner Individuen – deren Gene – prägen, aber Mutation und Selektion beeinflussen auch die Entwicklung ganzer Gesellschaften. Gemeinschaften mit positiven Merkmalen – etwa sozialen Strukturen und Werten, die den Zusammenhalt stärken – haben höhere Überlebenschancen. Gruppierungen, denen diese Eigenschaften fehlen, werden beispielsweise häufiger im Kampf geschlagen und von Einzelnen verlassen. Eyal Winter ist Professor für Ökonomie und Leiter des Zentrums für Rationalität an der Hebräischen Universität von Jerusalem.

Weiterlesen

Vergesslichkeit ist eine Überlebensstrategie

Svenja Flaßpöhler schreibt: „Es war wiederum Friedrich Nietzsche, der den Wert des Vergessens philosophisch auf den Begriff gebracht und die „Vergesslichkeit“ zur unerlässlichen Überlebensstrategie erklärt hat.“ So führt der Philosoph aus, die Vergesslichkeit sei „ein aktives, im strengen Sinne positives Hemmungsvermögen“. Dieses befreit das Denken eines Menschen, erhebt ihn über die Kämpfe, die er tief in seinem Inneren führen mag und öffnet so für ich die Zukunft. Friedrich Nietzsche erklärt: „Die Türen und Fester des Bewusstseins zeitweilig schließen; von dem Lärm und Kampf, mit dem unsere Unterwelt von dienstbaren Organen für und gegeneinander arbeitet, unbehelligt bleiben; ein wenig Stille, ein wenig tabula rasa des Bewusstseins, damit wieder Platz wird für Neues.“ Dr. Svenja Flaßpöhler ist seit Dezember 2016 leitende Redakteurin im Ressort Literatur und Geisteswissenschaften beim Sender „Deutschlandradio Kultur“.

Weiterlesen

Viele halten die Religion für etwas Besonderes

Während des größten Teils der Menschheitsgeschichte hatten die Menschen das Gefühl, dass Religion und freie Meinungsäußerung in einem Spannungsverhältnis standen. Und dem größten Teil der Menschheit geht das auch heute noch so. Timothy Garton Ash weiß: „Bei den Kämpfen um die Meinungsfreiheit in Europa und Nordamerika des 17. und 18. Jahrhunderts war ein zentrales Anliegen die Freiheit, verschiedene Religionen predigen und praktizieren zu können.“ Erstaunlicherweise stehen bei vielen europäischen Ländern immer noch Blasphemievergehen im Strafgesetzbuch. Allerdings ahndet man sie nur selten. In Russland und Polen verurteilt man freilich Menschen wegen der „Verletzung religiöser Gefühle“. Irland führte im Jahr 2009 den Strafbestand der blasphemischen Verunglimpfung wieder ein. Timothy Garton Ash ist Professor für Europäische Studien an der Universität Oxford und Senior Fellow an der Hoover Institution der Stanford University.

Weiterlesen

Der Krieg legitimierte alles

Der Krieg war das ureigenste Moment des Nationalsozialismus. Die Abwägung von Interessen, die schwierige Organisation einer vielgestaltigen modernen Industriegesellschaft, die Verwaltung des Mangels, der Ausgleich von Widersprüchen – das alles schien nun obsolet. Ulrich Herbert erklärt: „Fortan ging es nur noch um Sieg oder Niederlage, Triumph oder Untergang. Das vereinfachte alles und legitimierte alles. Ethische Normen, geschriebene Gesetze, internationale Verpflichtungen konnte man fortan ignorieren, wenn es nur dem Sieg diente.“ Auch jenseits des Militärischen unterschied sich dieser Krieg von allen bisherigen. Schon vor dem Einmarsch in Polen hatte Adolf Hitler betont, es gehe gar nicht um Danzig: „Es handelt sich für uns um die Arrondierung des Lebensraums im Osten.“ Ulrich Herbert zählt zu den renommiertesten Zeithistorikern der Gegenwart. Er lehrt als Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.

Weiterlesen

Eigenständiges Denken ging Søren Kierkegaard über alles

Individualität muss nicht Isolation bedeuten, aber sie kann – freiwillig oder unfreiwillig – leicht dazu führen. Søren Kierkegaard (1813 – 1855) hatte sich in seinen Tagebüchern die beiden Worte „Jener Einzelne“ als Grabinschrift gewünscht, um zu betonen, dass er der Erkenntnis treu geblieben war, dass nur die individuelle Stellungnahme dem Leben einen Sinn zu geben vermag. Man trifft hier auf den Kern eines Denkers, der in gegensätzliche Weltanschauungen glaubhaft hineinzuschlüpfen vermochte. Ludger Pfeil ergänzt: „Dieser „Einzelne“ war durchaus kein Einzelgänger, denn bei seinem täglichen Flanieren durch die Straßen Kopenhagens traf er auf Zufallsbegegnungen aus allen Ständen, mit denen er gerne untergehakt ein Stück des Weges gemeinsam plaudernd und philosophierend zurücklegte.“ Der Philosoph Dr. Ludger Pfeil machte nach seinem Studium Karriere in der Wirtschaft als Projektleiter und Führungskraft und ist als Managementberater tätig.

Weiterlesen

Gaius Julius Caesar erfindet die Germanen

Im März des Jahres 60 v. Chr. war die Bedrohung durch barbarische Asylsuchende das wichtigste Gesprächsthema in Rom, wie der Philosoph, Anwalt und Politiker Cicero schrieb. James Hawes erläutert: „Nachdem es weiter nördlich zu Kriegen und Unruhen gekommen war, überfluteten sie die bereits unterworfenen, romanisierten Gebiete Galliens – also im Wesentlichen das heutige Südfrankreich und Oberitalien.“ Es schien, als wäre im weiter nördlich gelegenen Gallien eine neue, Ärger verheißende Macht aufgetaucht. Gaius Julius Caesar, der als neuner Prokonsul der gallischen Provinzen mit einem Eroberungskrieg seinen Ruf steigern und seine Schulden tilgen wollte, gab ihr im Jahr 58 v. Chr. einen Namen: Germani. Bereits mit der ersten Erwähnung auf Seite eins seines Bestsellers „Der Gallische Krieg“ verbindet Caesar mit diesen Germani die Vorstellung, dass sie das Gebiet jenseits des Rheins bewohnen. Der englische Germanist James Hawes ist Universitätsdozent für kreatives Schreiben in Oxford und Schriftsteller.

Weiterlesen

Die meisten Menschen führen ein weitgehend vermitteltes Dasein

Die Vorstellung von menschlicher Vortrefflichkeit zielt auf einen starken, unabhängigen Geist, der seine Möglichkeiten vollkommen ausschöpft. Eine solche Unabhängigkeit erlangt ein Mensch durch disziplinierte Aufmerksamkeit, durch Handeln, das ihn mit der Welt verbindet. Diese Aufmerksamkeit ist wichtig, um das Selbst in Übereinstimmung mit seiner Umwelt zu bringen. Matthew B. Crawford erklärt: „Wir sind in einer Welt verankert, die wir nicht gemacht haben – und diese „Situiertheit“ ist grundlegend für das menschliche Wesen.“ Matthew B. Crawford streicht drei Elemente der Situiertheit heraus: die Verkörpertheit des Menschen, seine zutiefst soziale Natur und die Tatsache, und dass er in einem bestimmten historischen Moment lebt. Außerdem möchte Matthew B. Crawford „Freiheit“ als positiven Begriff einfach fallen lassen. Matthew B. Crawford ist promovierter Philosoph und gelernter Motorradmechaniker.

Weiterlesen

Der Zorn hat offenbar drei wichtige Funktionen

Martha Nussbaum beschäftigt folgende Frage: „Ist Zorn nicht aber edel, wenn die Gesellschaft verdorben und brutal ist?“ Wenn Menschen niedergehalten werden, lernen sie allzu oft, sich in ihr „Schicksal“ zu fügen. Sie bilden „adaptive Präferenzen“, sagen sich, dass ihr Los akzeptabel sei und sie es stillschweigend hinnehmen sollten. Wenn sie sich aber ergeben, wird eine Veränderung unwahrscheinlich. Damit sozialer Fortschritt in Gang kommt, braucht es zunächst einmal Menschen, die erwachen und sich der ungerechten Behandlung, die sie durch die Gesellschaft erfahren, bewusst werden. Und geht man nicht davon aus, dass aus diesem Bewusstwerden berechtigter Zorn erwächst? Martha Nussbaum ist Philosophin und Professorin für Rechtswissenschaften und Ethik an der University of Chicago. Sie ist eine der einflussreichsten Philosophinnen der Gegenwart.

Weiterlesen

Deutschland verlor die Luftschlacht um England

Im Sommer 1940 stand Großbritannien nun allein gegen Deutschland. Zu einem „billigen Frieden“, wie ihn sich Adolf Hitler vorstellte – für England das Empire, für Deutschland den Kontinent –, war es dennoch nicht bereit. Es war deshalb unklar, wie Deutschland weiter vorgehen sollte. Ulrich Herbert erklärt: „Eine Landungsoperation auf der britischen Insel war militärisch außerordentlich riskant und wurde schließlich verworfen. Stattdessen sollte das Land durch schwere Luftangriffe geschwächt und die Moral der Bevölkerung gebrochen werden.“ Tatsächlich richteten die deutschen Luftangriffe auf die britischen Großstädte schwere Schäden an. Aber trotz gewaltiger Zerstörungen und mehr als 20.000 Toten waren weder die Moral noch die Rüstungsproduktion der Briten nennenswert in Mitleidenschaft gezogen worden. Ulrich Herbert zählt zu den renommiertesten Zeithistorikern der Gegenwart. Er lehrt als Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.

Weiterlesen

In Deutschland findet ein Kulturkampf statt

Im Kulturkampf um die Hoheit über eine neue Identität bilden sich zunehmend Extremismen aus. Christian Schüle stellt fest: „In unfreiwilliger Ironie der Weltgeschichte lässt die politische Linke es zu, dass die Verteidigung der freien Welt heute an Nationalkonservative und die Neue Rechte delegiert wird: als Befreiung von Kulturfremdheit und Heimatschutz vor unerbetener Wanderschaft.“ Gegen die Bewegung der teils gewaltbereiten radikalen Rechten hat die Linke keine progressive Gegenkraft aufzubieten. In der Aversion gegen Europa – und gemeint ist die Europäische Union – sind extreme Linke und extreme Rechte einander bestens verbunden. In Deutschland laufen erstaunlich viele bisherige Wähler der Linkspartei, der SPD und Grünen zur AfD über, und es geht dabei nicht um Fremdenfeindlichkeit allein. Seit dem Sommersemester 2015 lehrt Christian Schüle Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin.

Weiterlesen

Richard David Precht macht sich Gedanken über die Arbeit der Zukunft

Aktuell bildet sich eine Tendenz ganz klar heraus. Sehr viele Berufe fallen in Zukunft weg. Von den „Jobs“ des Niedriglohnsektors über einfache bis hin zu vergleichsweise anspruchsvollen Dienstleistungsberufen. Richard David Precht erläutert: „Und selbst wenn wir viele Berufe des neuen Arbeitsmarktes noch nicht kennen – daran zu glauben, dass die Beschäftigung konstant bleibt oder gar steigt, ist fahrlässig bis irrsinnig.“ Denn die Digitalisierung – und das unterscheidet sie von früheren industriellen Revolutionen – erobert kein neues Terrain, sondern sie macht bestehendes effektiver. Sehr wahrscheinlich ist, dass die Digitalisierung die Produktion gewaltig beflügeln wird. Aber was die Beschäftigung anbelangt, so muss diese nicht zwangsläufig dann steigen, wenn die Produktion sich erhöht. Der Philosoph, Publizist und Bestsellerautor Richard David Precht zählt zu den profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum.

Weiterlesen

Geistige Unabhängigkeit setzt ruhige Tapferkeit voraus

„Nichts ist schwieriger und nichts erfordert mehr Charakter“, schrieb Kurt Tucholsky, „als sich im offenen Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein!“ Zunächst einmal ist es intellektuell und psychologisch schwierig, sich außerhalb des tradierten Wissens seiner Zeit und eines Ortes zu stellen. Timothy Garton Ash fügt hinzu: „Die normative Kraft des Faktischen bringt uns dazu, dass wir die Bedingungen in unserem Umfeld, die alle anderen für normal zu halten scheinen, in mancher Hinsicht auch als ethische Norm betrachten.“ Zahlreiche Studien in Verhaltenspsychologie beweisen, dass eine individuelle Überzeugung, was wahr oder richtig ist, durch den massiven Druck der Mitmenschen erschüttert wird. Timothy Garton Ash ist Professor für Europäische Studien an der Universität Oxford und Senior Fellow an der Hoover Institution der Stanford University.

Weiterlesen

Der Wert des Eigenen gründet in der Homogenität

Wer seine Heimat, sein Land, seine Herkunft, für die beste der Welt hält, verschafft sich das Wohlgefühl einer Selbstbeheimatung, liefert andererseits aber auch einen Schlachtruf für die Maßgeblichkeit des Eigenen gegenüber dem Fremden, die durch nichts weiter als die subjektive Sehnsucht nach Großartigkeit gerechtfertigt ist. Christian Schüle fügt hinzu: „Als Einfallstor für Missverständnis und Missbrauch ist die Stilisierung der Heimatscholle als Faktor einer positiv konstruierten Identität immer in Gefahr der Abwertung.“ Der Wert, den man dem Eigenen zuspricht, gründet in der Homogenität: der durch keine Fremdheit kontaminierten Reinheit. Das Biotop wird zum Soziotop erklärt, und alles, was dieses als heimisch deklarierte Soziotop bedroht, wird dann „berechtigterweise“ abgelehnt. Seit dem Sommersemester 2015 lehrt Christian Schüle Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin.

Weiterlesen

Das Unbehagen am Kapitalismus ist weit verbreitet

Das unbestreitbar Neue am modernen Kapitalismus, wie er seit knapp zwei Jahrhunderten die westliche Wirtschaft formt, ist seine Dynamik. Sie entsteht, weil Unternehmen ihre Gewinne nicht anhäufen, sondern gleich wieder investieren, vorzugsweise in neue Technik, die dazu führt, dass noch mehr und noch billiger produziert und noch mehr Geld verdient wird. Und so weiter. Auf diese Weise wuchs das Vermögen, vermehrte sich die Masse der Konsumgüter, wuchs die Wirtschaft in einem bisher nie gekannten Maße. Allerdings kam es dadurch auch zu einer völlig neuen Ballung ökonomischer Macht. Heute benutzen den Begriff „Kapitalismus“ fast nur noch seine Kritiker. Vor allem bündelt der Begriff das Unbehagen am aktuellen Wirtschaftssystem. An der Tendenz, allem einen Preis zu geben. An dem Trend, für den wirtschaftlichen Vorteil jede Moral beiseite zu stellen.

Weiterlesen

Thomas Junker kennt die Macht der Liebe

Viele Dichter haben die Macht der Liebe besungen und bewundert, religiöse und politische Weltverbesserer haben sie gefürchtet und verfolgt, und noch heute verzweifeln wohlmeinende Eltern am romantischen Eigensinn ihrer Kinder. Thomas Junker betont: „Und doch waren es diese scheinbar irrationalen Formen der Verliebtheit, die uns zu dem gemacht haben, was wir sind.“ Einige der faszinierendsten körperlichen und geistigen Anlagen der Menschen haben sich nur deshalb in der Evolution durchgesetzt, weil Frauen über viele hunderttausend Jahre Partner mit bestimmten Eigenschaften bevorzugten. Und weil die Männer nicht unterschiedslos mit allen Frauen schliefen, sondern eine sorgfältige Auswahl trafen. Durch die Partnerwahl haben sich die Geschlechter gegenseitig geformt. „Geformt“ ist im übertragenen Sinn gemeint, wenn es um den Charakter und die Talente geht. Thomas Junker ist Professor für Biologiegeschichte an der Universität Tübingen.

Weiterlesen

Die Sieger werden unermesslich reich und unantastbar

Die Zukunft spaltete sich vor einem Jahrzehnt, plötzlich und ohne Vorwarnung. Menschen auf der ganzen Welt wurde im Jahr 2008 mitgeteilt, dass die großen Banken, denen alle etwas schulden und denen gegenüber alle Zahlungsverpflichtungen haben, sich verzockt haben – hoffnungslos, verantwortungslos, amoralisch und dumm. Philipp Blom fügt hinzu: „Und dann wurde ihnen mitgeteilt, man müsse ihnen gemeinsam erwirtschaftetes Geld geben, um ihnen über ihre Schwierigkeiten hinwegzuhelfen und so das ganze System vor dem Kollaps zu retten.“ Millionen von Menschen verloren ihr Haus, ihren Job, ihre Zukunft. Kaum ein Banker ging ins Gefängnis, und innerhalb weniger Jahre waren die Profite und Boni höher als je zuvor. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

Weiterlesen

Sex ist eines der wichtigsten Ziele im Leben vieler Menschen

Sex mit einer reizvollen Partnerin oder einem attraktiven Partner ist eines der wichtigsten Ziele im Leben vieler Menschen. Das macht biologisch Sinn. Nicht nur, weil es mit dem ursprünglichen Lebenssinn, der Fortpflanzung, verbunden ist. Und nicht nur, weil Menschen dabei so eine besondere Lust empfinden. Thomas Junker ergänzt: „Wenn es gelingt, mit einer begehrenswerten Person zu schlafen, dann ist das auch ein Beweis der eigenen Attraktivität. Wer auf dem Feld der Liebe punktet, dem ist soziale Anerkennung sicher.“ Weil Sex, zumal guter Sex mit der oder dem Richtigen, ein knappes Gut ist, kann er zu einem wertvollen Geschenk werden und zu einer Ware, die gegen andere Dinge eingetauscht wird. Thomas Junker ist Professor für Biologiegeschichte an der Universität Tübingen.

Weiterlesen

Georg Pieper beschreibt die neurotische Gesellschaft

Eine wirklich angstvolle, neurotische Gesellschaft reagiert in akuten Situationen der Bedrohung eher panisch als besonnen. Als Psychologe weiß Georg Pieper, dass ein angstgeprägter Mensch sich schnell angegriffen fühlt und zurückschlägt. Aus psychologischer Sicht ist es seiner Meinung nach nicht auszuschließen, dass eine neurotische, von Angst gelenkte Gesellschaft mit einer entsprechenden politischen Führung aggressiv wird und schlechte Entscheidungen fällt. Die Gesellschaft in Deutschland driftet auseinander, diese beunruhigende und bedrückende Entwicklung verfolgt Georg Pieper schon länger. In den vergangenen Jahren wurde die Kluft zwischen Arm und Reich ständig größer und im sozialen Klima immer deutlicher spürbar. Nun treibt die Angst vor Terror und anderen Unsicherheiten weitere Risse durch die Gesellschaft und ist auf dem besten Wege, sie in unversöhnliche Fraktionen zu spalten. Dr. Georg Pieper arbeitet als Traumapsychologe und ist Experte für Krisenintervention.

Weiterlesen

Die Globalisierung ist weit vielfältiger als sie wahrgenommen wird

Die derzeitige Globalisierung ist weit vielfältiger, als sie üblicherweise wahrgenommen wird. Im Gegensatz zur verbreiteten ökonomistischen Verkürzung findet sie nämlich in drei Dimensionen statt, die Otfried Höffe als „globale Gewaltgemeinschaft“, als „globale Kooperationsgemeinschaft“ und als „globale Schicksalsgemeinschaft von Not und Leid“ bezeichnet. Längst lebt die Menschheit in einer Welt, in der das Netz wirtschaftlicher und sozialer, technischer und ökologischer, wissenschaftlicher und kultureller, nicht zuletzt rechtsmoralischer Kooperation immer enger geknüpft ist. Otfried Höffe ergänzt: „Leider trifft das auch auf das Netz krimineller und anderer Bedrohungen zu. In all diesen Bereichen taucht ein globaler Handlungsbedarf auf.“ Als Bespiele nennt Otfried Höffe den Umwelt- und Klimaschutz sowie den Kampf gegen den Terrorismus und die organisierte Kriminalität. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

Weiterlesen