Die Demokratie hat sich als sehr widerstandsfähig erwiesen

Roger de Weck kritisiert: „Der Nationalismus befeuert den Verteilungskampf zwischen Partner und Nachbarn. Der Ultrakapitalismus bringt Umverteilung zugunsten von Reichen und Superreichen. Die Digitalisierung schafft Räume der Hemmungslosigkeit, sei es in den sozialen Medien, sei es in der Weltwirtschaft.“ Die triumphale Rückkehr der Rücksichtslosigkeit signalisiert, dass nicht nur der Zweite Weltkrieg, sondern schleichend auch die Nachkriegszeit in Vergessenheit gerät. Allerdings wirkt sie noch in die Gegenwart hinein. Europa hat bislang weder die soziale Marktwirtschaft vollends abgeschrieben noch die Evidenz verlernt, dass die Nation für die großen Probleme zu klein und für die kleinen Probleme zu groß ist, wie der Soziologe Daniel Bell schrieb. Und in vielen Ländern haben sich die bedrängten Institutionen der Demokratie als außerordentlich widerstandsfähig erwiesen. Roger de Weck ist ein Schweizer Publizist und Ökonom.

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Der Populismus kritisiert die Eliten

In der wissenschaftlichen Literatur gibt es die verschiedensten Definitionen für Populismus. Eine davon lautet: „Im Zentrum des Populismus stehen die Kritik er herrschenden Eliten und der Rückgriff auf das einfache Volk. Dabei handelt es sich nicht nur um eine Agitationsform oder ein politisches Stilmittel, wie gelegentlich behauptet wird, sondern auch um ein ideologisches Merkmal.“ Klaus-Peter Hufer ergänzt: „Im Unterschied zum Rechtsextremismus versteht sich der Rechtspopulismus keineswegs als antidemokratisch. Er beansprucht im Gegenteil die Vertretung der wahren Demokratieform, indem er den vermeintlichen Volkswillen gegen die Rechte der Einzelnen oder Minderheiten in Stellung bringt. Je antiliberaler und antipluralistischer er auftritt, desto größer sind seine Schnittmengen zum Extremismus.“ Klaus-Peter Hufer promovierte 1984 in Politikwissenschaften, 2001 folgte die Habilitation in Erziehungswissenschaften. Danach lehrte er als außerplanmäßiger Professor an der Uni Duisburg-Essen.

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Die Masse ist unfähig zu einem eigenen Urteil

Silvio Vietta stellt fest: „Das 19. und auch die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts waren keine glücklichen Zeiten für Europa und die Weltgemeinschaft.“ Demographisch nahm die Bevölkerung in Mitteleuropa dramatisch zu. Das ging einher mit einer enormen Urbanisierung, auch Proletarisierung der Bevölkerung. Sie bildete den Hintergrund für jene Theorie der „Masse“, wie sie Gustave le Bon in seinem Buch „Psychologie der Massen“ von 1895 beschrieben hat. Dabei handelt es sich um einen Typus der denkunfähigen und denkunwilligen Masse. Diese ist nach Gustave le Bon unfähig zu eigenem Urteil. Daher ist sie anfällig für suggestive Wörter, Bilder und emotionale Rede und somit Wachs in den Händen von Diktatoren. Prof. em. Dr. Silvio Vietta hat an der Universität Hildesheim deutsche und europäische Literatur- und Kulturgeschichte gelehrt.

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Deutschland führte wieder Krieg

Nach der Epochenwende von 1989 ist leider kein „goldenes Zeitalter“ des Friedens angebrochen. Edgar Wolfrum stellt fest: „Aus der tiefsten Ächtung ist der Krieg vielmehr wieder zu neuer Bedeutung gelangt, auch in Europa.“ Im zerfallenen Jugoslawien brachen seit 1991 blutige Konflikt aus. In Randgebieten der ehemaligen Sowjetunion fanden ebenfalls Kämpfe statt. In nie dagewesener Form wurden in verschiedenen Staaten terroristische Anschläge verübt. Die Terroranschläge auf das New Yorker World Trade Center 2001 waren für viele Beobachter der Beginn einer neuen Zeitrechnung. Es folgten die Kriege in Afghanistan und dem Irak, dann kamen kriegerische Auseinandersetzungen in Nordafrika, schließlich der Syrienkrieg. In diesem Zeitalter der „neuen Kriege“ wandelte sich die außenpolitische Stellung und militärische Rolle Deutschlands fundamental. Deutschland wurde wieder zu einer Krieg führenden Nation. Edgar Wolfrum ist Inhaber des Lehrstuhls für Zeitgeschichte an der Universität Heidelberg.

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Populisten befolgen nicht den Willen des Volkes

Populisten erheben nicht den Anspruch, den Willen des Volkes zugleich zu formen und zu befolgen, wie demokratische Politiker dies im Großen und Ganzen tun. Sie geben vor, sie fänden ihn lediglich vor. Denn der kollektive Wille lässt sich unmittelbar aus dem einen und einzig authentischen Verständnis des Volkes ableiten. Was dagegen zeichnet ein nichtpopulistisches Verständnis von Volk aus? Jan-Werner Müller erklärt: „Die Debatten politischer Philosophen über diese Frage bewegen sich meist zwischen zwei Extremen.“ Auf der einen Seite findet sich die Position, eine moralisch korrekte Theorie sei in der Lage, die politischen Grenzen ein für alle Mal zu klären. Verteidiger des Nationalismus als einer moralischen Theorie vertreten zum Beispiel die Auffassung, alle größeren Gruppierungen mit gemeinsamer Kultur müssten politische Selbstbestimmung genießen. Jan-Werner Müller ist Roger Williams Straus Professor für Sozialwissenschaften an der Princeton University.

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Es gibt nicht die eine deutsche Geschichte

Helmut Walser Smith beschreibt in seinem neuen Buch „Deutschland“ die Geschichte der deutschen Nation von 1500 bis in die Gegenwart. Dabei hält er die Idee des Nationalstaats und die Ideologie des Nationalismus hellsichtig auseinander. Imaginationen von Deutschland und deutsche Wirklichkeit stoßen in seinem Werk hart aufeinander. Die nationalistischen Exzesse des Dritten Reichs im 20. Jahrhundert schildert Helmut Walser Smith ebenso eindringlich wie schonungslos. Seine klugen Gedanken über Deutschland und das Erbe seiner Vergangenheit reichen bis hin zur Bundestagsrede von Navid Kermani und den aktuellen Versuchen der Alternative für Deutschland (AfD), sich der deutschen Geschichte zu bemächtigen. Für den australischen Historiker Christopher Clark ist das Buch eine Pflichtlektüre für jeden, der sich für Deutschlands Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft interessiert. Helmut Walser Smith lehrt Geschichte an der Vanderbilt University in Nashville, Tennessee.

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Der Nationalismus ist eine Inszenierung der Macht

Die Gründe für den Aufstieg des Rechtspopulismus sind für Jan-Werner Müller keineswegs identisch. Radikale Rechtspopulisten haben allerdings ähnliche Strategien entwickelt. Und vielleicht könnte man sogar von einer gemeinsamen autoritär-populistischen Regierungskunst sprechen. Vereinfacht gesagt basiert diese auf Nationalismus, durch die Aneignung des Staates durch eine Partei und auf der Nutzung der Wirtschaft als Waffe zur Sicherung der politischen Macht. Das führt zu einer Mischung aus Kulturkampf, Patronage und dem, was Politikwissenschaftler Massenklientelismus nennen würden. Wobei der Nationalismus oft mehr eine Art Stimulierung von Souveränität ist. Er ist eine Inszenierung der Macht des „Volkswillens“ in Form von vermeintlich starken Gesten starker Männer. Tatsache ist, dass die heutigen Gefahren für die Demokratie mit vielen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts kaum noch etwas gemein haben. Jan-Werner Müller ist Roger Williams Straus Professor für Sozialwissenschaften an der Princeton University.

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Ideen halfen beim Aufstieg des Nationalismus

Ideen waren laut Francis Fukuyama wichtig, um den Aufstieg des Nationalismus zu verstehen. Doch außerdem fanden bedeutende wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen statt. Diese bereiteten seinem Erscheinen in Europa des 19. Jahrhunderts den Boden. Francis Fukuyama blickt zurück: „Die europäische Ordnung des Mittelalters war hierarchisch und nach sozialen Klassen gegliedert gewesen.“ Der Feudalismus teilte die Bevölkerungen Europas zahllosen winzigen Gerichtsbarkeiten zu. Und er war darauf angelegt, sie an ihrem jeweiligen Ort festzuhalten. Eine moderne Marktwirtschaft ist im Unterschied dazu auf die freie Bewegung von Arbeitskräften, Kapital und Ideen angewiesen. Eine umfassende Anerkennung liberaler Gesellschaften war besonders für die kapitalistische Entwicklung förderlich. Francis Fukuyama ist einer der bedeutendsten politischen Theoretiker der Gegenwart. Sein Bestseller „Das Ende der Geschichte“ machte ihn international bekannt.

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Die Demokratie ist in Gefahr

Die Demokratie durchlebt gefährliche Zeiten. Die Gefahr erkennt man in zunehmender Fremdenfeindlichkeit und wachsender öffentlicher Unterstützung für autokratische Gestalten. Diese testen die Grenzen demokratischer Normen aus. Das ist an sich schon beunruhigend. Michael J. Sandel warnt: „Ebenso alarmierend ist jedoch die Tatsache, dass Parteien und Politiker der Mitte kaum verstehen, welche Unzufriedenheit die Politik in aller Welt in Aufruhr versetzt.“ Manche prangern das Anschwellen des Populismus als wenig mehr denn eine rassistische, fremdenfeindliche Reaktion auf Immigranten und Multikulturalismus an. Ander betrachten ihn vorwiegend in ökonomischen Begriffen. Nämlich als Protest gegen den Verlust von Arbeitsplätzen, den der globale Handel und neue Technologien mit sich bringen. Michael J. Sandel ist ein politischer Philosoph, der seit 1980 in Harvard lehrt. Er zählt zu den weltweit populärsten Moralphilosophen.

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Die Zivilisation führt Krieg gegen die Kultur

Der moderne Kulturbegriff hat viele Ursprünge. Bedeutung erlangte er erstmals Ende des 18. Jahrhunderts als Kritik am Industrialismus, aber auch als Gegenpol zum Revolutionsbegriff. Terry Eagleton ergänzt: „Gleichzeitig begann die Kultur für den romantischen Nationalismus eine zentrale Rolle zu spielen. Im 19. Jahrhundert tauchte der Kulturbegriff in den Debatten über Kolonialismus und Anthropologie auf. Er diente aber auch als Ersatz für schwindende religiöse Werte.“ In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts entwickelte sich die Kultur zu einer regelrechten Industrie. Und sie fand in bisher unbekanntem Ausmaß Eingang in das öffentliche Bewusstsein. In den mittleren Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts erlangte sie zentrale Bedeutung für neue Formen des politischen Konflikts. Das ist eine Entwicklung, die sich in der Gegenwart als Multikulturalismus und Identitätspolitik fortsetzt. Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.

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Grenzkontrollen sind staatliche Machtpolitik

In der heutigen globalen Staatengesellschaft ist das Europa der offenen Grenzen ein Sonderfall. Mit den Worten von Hans-Peter Schwarz könnte man auch sagen: „Es war und ist ein Großexperiment mit höchst ungewissem Ausgang.“ Der völkerrechtliche Normalfall sind nicht offene Staatsgrenzen, sondern mehr oder weniger wachsam kontrollierte Landesgrenzen. Immer noch ist ein Staat mit Territorialhoheit und allein von ihm selbst kontrollierten Grenzen der Regelfall. Auf diesen haben sich die rund 200 Mitglieder der Staatengesellschaft mit ihren heterogenen Regimen geeinigt. Nach den schrecklichen Erfahrungen, welche die Völker Europas in endlosen Kriegen um Territorien – und damit auch um die geheiligten Staatsgrenzen – gemacht hatten, war es kein Wunder, dass nach dem Zweiten Weltkrieg die Vision eines Europas ohne Grenzen an Strahlkraft gewann. Hans-Peter Schwarz zählt zu den angesehensten Politologen und Zeithistorikern in Deutschland.

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Die Autoritären sehnen sich nach Stärke

Die Wähler von rechtspopulistischen Parteien hegen eine besondere Faszination für autokratische Führungspersönlichkeiten. Dazu zählt Philipp Hübl den Russen Wladimir Putin, den Ungarn Viktor Orbán und den Türken Recep Tayyip Erdoğan. Die Alternative für Deutschland (AfD) lehnt zwar den Internationalismus und damit oft auch den Amerikanismus ab. Sie bewundert aber gleichzeitig Donald Trump für sein autoritäres Auftreten. Einige Forscher beobachten bei den Neuen Rechten eine heimliche Eifersucht gegenüber den islamisch regierten Ländern. Diese sind zwar ihre erklärten Feinde, aber mit ihrer streng patriarchalischen Gesellschaftsform haben sie dennoch eine Vorbildfunktion inne. Die Autoritären sehnen sich nicht nur nach einem starken Herrscher, sondern auch nach einer starken eigenen Nation. Diese sollte auf jeden Fall internationale Bedeutung haben. Philipp Hübl ist Philosoph und Autor des Bestsellers „Folge dem weißen Kaninchen … in die Welt der Philosophie“ (2012).

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Alle Menschen besitzen die gleiche Würde

Martin Luther, Jean-Jacques Rousseau, Immanuel Kant und Georg Wilhelm Friedrich Hegel hatten unterschiedliche Vorstellungen von Würde. Aber alle waren Universalisten. Denn sie glaubten an die Gleichheit der Würde aller Menschen aufgrund ihres Potenzials für innere Freiheit. Francis Fukuyama ergänzt: „Indes nimmt das Verlangen nach Anerkennung häufig eine speziellere Form an und konzentriert sich auf die Würde einer bestimmen Gruppe, die marginalisiert oder missachtet worden ist.“ Im Lauf der Geschichte verstanden viele Menschen das innere Selbst, das sichtbar gemacht werden musste, nicht als Teil aller Erdenbürger. Sondern sie betrachteten es als Teil einer spezifischen Person mit genau definierter Herkunft und ebensolchen Bräuchen. Francis Fukuyama ist einer der bedeutendsten politischen Theoretiker der Gegenwart. Sein Bestseller „Das Ende der Geschichte“ machte ihn international bekannt.

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Die modernen Identitäten sind von sozialer Natur

Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts hätte niemand, der nach der Identität eines Menschen fragte, die Kategorien race, Gender, Nationalität, Region oder Religion erwähnt. Früher war die Identität etwas ganz Besonderes und Persönliches. Kwame Anthony Appiah vergleicht dies mit der Gegenwart: „Die Identitäten, an die wir heute denken, haben wir dagegen meist mit Millionen oder Milliarden anderen Menschen gemeinsam. Sie sind von sozialer Natur.“ In den sozialwissenschaftlichen Theorien des frühen 20. Jahrhunderts sucht man nach solchen Identitäten vergebens. In seinem 1934 veröffentlichten Buch „Mind, Self, and Society“ skizzierte George Herbert Mead eine einflussreiche Theorie des Selbst als Produkt eines „Ich“, das auf die sozialen Anforderungen der anderen reagiert und durch deren Verinnerlichung das „Mich“, wie er dies nannte, herausbildet. Professor Kwame Anthony Appiah lehrt Philosophie und Jura an der New York University.

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Grenzkontrollen gehören wieder zum europäischen Alltag

Es gibt Grenzkontrollen zwischen Deutschland und Österreich, zwischen Dänemark und Schweden, zwischen Frankreich und Belgien. Was vor wenigen Jahren noch undenkbar schien, gehört mittlerweile wieder zum europäischen Alltag. Konrad Paul Liessmann stellt fest: „Das Verschwinden der Grenzen war offenbar nur von kurzer Dauer, Grenzen treten wieder ins allgemeine Bewusstsein, und damit auch die Frage nach deren Sinn und Funktion.“ Die Flüchtlingsströme des Jahres 2015, die ohne Kontrolle und Registrierung durch Europa zogen, galten den einen dann auch als Symbol für einen grenzenlosen, offenen, humanisierten Kontinent, den anderen als Indiz dafür, dass dieser Kontinent im Begriff war, sich vor einer unkontrollierten Wanderungsbewegung überrollen zu lassen und damit aufzugeben. Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech.

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Wie Gott ist die Nation heilig

Der Nationalismus sollte sich als die erfolgreichste revolutionäre Bewegung der Moderne erweisen. Er sollte Reiche zu Fall bringen, Tyrannen stürzen und zur Gründung einer Vielzahl neuer politischer Staaten führen. Er war gewissermaßen auch, wie ein Interpret schrieb, „die Erfindung der Literaten“, was man nicht unbedingt mit weltverändernden Projekten verbindet. Terry Eagleton ergänzt: „Und der wichtigste Grund dafür war die Bedeutung, die der Nationalismus dem Kulturbegriff beimaß.“ Vor allem durch den revolutionären Nationalismus gelang es dem Kulturbegriff, so abstrakt und ungreifbar er zunächst auch erscheinen mochte, das Antlitz der Erde zu verändern. Das Verlangen der Nationen, von ihren Kolonialherren frei zu sein, erwies sich als die wirkungsvollste Verbindung von Kultur und Politik in der Moderne, weit effektiver als die sogenannte Kulturpolitik der Gegenwart. Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.

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Russland bedroht die globale liberale Ordnung

Das wiederauferstandene Russland betrachtet sich in weitaus stärkerem Maße als die aufstrebende chinesische Supermacht als Rivalen der globalen liberalen Ordnung, doch obwohl es seine militärische Macht zurückgewonnen hat, ist es ideologisch bankrott. Yuval Noah Harari erläutert: „Wladimir Putin ist in Russland, aber auch bei verschiedenen rechten oder rechtspopulistischen Bewegungen vor allem in Europa ohne Zweifel populär doch er verfügt über keine Weltanschauung, die für arbeitslose Spanier, unzufriedene Brasilianer oder wohlmeinende Studenten in Cambridge irgendwie attraktiv sein könnten.“ Russland bietet zwar ein Gegenmodell zur freiheitlichen Demokratie, doch dieses Modell stellt keine kohärente politische Ideologie dar. Vielmehr handelt es sich um eine politische Praxis, bei der eine Reihe von Oligarchen einen Großteil des Reichtums und der Macht eines Landes monopolisieren. Yuval Noah Harari ist Professor für Geschichte an der Hebrew University of Jerusalem.

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Die Welt gleicht einem unberechenbaren Pulverfass

Überall auf der Erde herrschen Krisen und Konflikte. Wolfgang Ischinger stellt in seinem neuen Buch „Welt in Gefahr“ fest: „Wir haben die gefährlichste Weltlage seit Ende des Zweiten Weltkrieges.“ Die Werte der Westens und die liberale Weltordnung werden von autokratischen und diktatorischen Regimen herausgefordert und infrage gestellt. Die Beziehungen der Europäischen Union zu Russland sind auf dem Tiefpunkt, die Abhängigkeit von China wächst, und unter Präsident Donald Trump ist Amerika als Europas wichtigster Verbündeter unberechenbar geworden. Wolfgang Ischinger ist fest davon überzeugt, dass ohne ein aktiveres Engagement Deutschlands in einer zunehmend chaotischen und konfliktreichen Welt die Grundlagen von Frieden und Wohlstand erodieren werden. Wolfgang Ischinger ist Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz und einer der renommiertesten deutschen Experten für Außen- und Sicherheitspolitik.

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Deutsch und zugleich zivilisiert zu sein ist möglich

Wie kein anderer Intellektueller hat Thomas Mann mit der Frage gerungen, ob es möglich sei, das zu sein: zugleich deutsch und zivilisiert. Für Thea Dorn scheint er der vorzüglichste Spiritus Rector zu sein, auf den man sich berufen kann, wenn man das Deutsche begreifen und für den künftigen Gebrauch retten will. Im Mai 1945 hielt der von den Nazis ins Exil getriebene Schriftsteller, der mittlerweile die amerikanische Staatsbürgerschaft hatte, in der Washingtoner Library of Congress einen berühmt gewordenen Vortrag. Darin versuchte er, sich, den Deutschen und seinem amerikanischen Publikum zu erklären, wie es zu der deutschen Barbarei hatte kommen können: „Es [gibt] nicht zwei Deutschland […], ein böses und ein gutes, sondern nur eines, dem sein Bestes durch Teufelslist zum Bösen ausschlug.“ Thea Dorn studierte Philosophie und Theaterwissenschaften. Sie schrieb eine Reihe preisgekrönter Romane, Theaterstücke und Essays.

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Deutschland steigt vom Paria zur moralischen Supermacht auf

Deutschland hat nach den Verbrechen und dem totalen Bankrott des Dritten Reiches eine erstaunliche Karriere gemacht. Josef Joffe beschreibt in seinem neuen Buch „Der gute Deutsche“ wie es Deutschland gelang, vom schuldbeladenen Paria zur moralischen Supermacht aufzusteigen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war das Land der Aussätzige der Welt. Heute ist die Zweite Republik das beste Deutschland, das es je gab: liberal, stabil, sozial. Josef Joffe zeichnet die Entwicklung der Bundesrepublik als Bildungsroman, der dem klassischen Dreisprung gehorcht: die Not der Jugendjahre, die Prüfungen der Wanderjahre, Läuterung und Reifung im Erwachsenenalter. Unterwerfung, Besatzung und Zerstückelung prägten die Jahre der Not. Zu den Prüfungen zählen unter anderem die hart umkämpfte Wiederbewaffnung un die Westbindung unter Bundeskanzler Konrad Adenauer. Josef Joffe ist seit dem Jahr 2000 Herausgeber der ZEIT.

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Ein Staat muss seine Grenzen schützen

In verstärktem Maße geht es im Reich des Homo faber um die Behauptung des Echten. Christian Schüle nennt Beispiele: „Um die echten Deutschen. Die echten Franzosen. Die echten Dänen. Die echten Polen. Die echten, ethnisch klar und vor allem berechtigterweise auf den Heimatboden Verorteten.“ Um die im Revier Geborenen, die auf der Scholle Lebenden. Der Nationalismus, der an das Gewissen der Echtheit appelliert, hat das Problem, nachvollziehbare Kriterien für seine Voraussetzungen zu liefern. Das Echte kann nur echt durch seine Negation sein: das Unechte, vulgo Fremde. Wenn das Eigene das Echte ist, muss das Fremde das Falsche sein. Solcherart Dialektik rechtfertigt sogar Gewalt, weil das staatliche Monopol aufgegeben ist, wenn der Staat seiner genuinen Aufgabe nicht nachkommt: dem Schutz der Grenzen seines Raumes. Seit dem Sommersemester 2015 lehrt Christian Schüle Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin.

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Johann Gottfried Herder prägte die europäische Ideengeschichte

Terry Eagleton ist davon überzeugt, dass der deutsche Philosoph Johann Gottfried Herder ein Autor war, dessen Bedeutung für die Ideengeschichte kaum zu überschätzen ist: „Er war einer der erste historistischen Denker mit einem wachen Sinn für die geschichtliche Bedingtheit von Kulturen, Texten, Ereignissen und Individuen. Man hat diesen Ansatz als eine der großen intellektuellen Umwälzungen des europäischen Denkens bezeichnet.“ Darüber hinaus wurde er als Vater des modernen Nationalismus gepriesen und sogar gerühmt, den Begriff der Kultur als umfassende Lebensweise in das europäische Denken eingeführt zu haben. Und als ob das noch nicht alles eindrucksvoll genug wäre, war Johann Gottfried Herder auch einer der Begründer der modernen Literaturtheorie sowie einer der ersten Denker, der die Bedeutung der Populärkultur für das soziale Leben erkannte. Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.

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Eine Wirtschaftskrise wie 2008 darf sich nicht wiederholen

Philipp Blom ist fest davon überzeugt, dass sich eine Wirtschaftskrise wie 2008 nicht wiederholen darf, weder moralisch noch finanziell: „Mit der Bankenrettung verloren demokratische Regierungen ihre Legitimität in den Augen vieler Bürger, die begriffen oder zu begreifen meinten, dass hier eine Seilschaft sich selbst versorgte, während sie zahllose einfache, hart arbeitende Leute in den Abgrund stürzen ließ.“ Diese Krise hat nicht nur finanzielle Reserven nutzlos verbrannt, sondern auch sehr öffentlich und ohne jedes Schamgefühl den Glauben an die fundamentale Gerechtigkeit einer Gesellschaft, die ehrliche Arbeit belohnt und Verbrechen bestraft. Wenn die liberale Demokratie in den Augen so vieler dramatisch versagt und so offensichtlich immer weniger imstande ist, die fundamentalen Versprechen des Gesellschaftsvertrags einzuhalten, dann ist es verständlich, dass sich die Menschen nach Alternativen umsehen, die ihnen eher geeignet erscheinen, ihre Interessen zu wahren, und die auch ihrem Selbstbild besser entsprechen. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

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Die Beschwörung der Heimat geschieht durch Abspaltung

Die kämpferische Verschärfung der Beschwörung der Heimat geschieht durch Abspaltung. Christian Schüle weiß: „Ihre quasi heilige Berufung auf eine glorreiche Vergangenheit ist allen sezessionistischen und separatistischen Gruppierungen eigen.“ Fast immer sind ihre Argumente zugleich ökonomischer und ökologischer Natur: Wohlhabende Regionen grenzen sich gegen jene ab, die ihren Wohlstand von außen bedrohen und ihre Regionen einwandern, weil aus separatistischer Sicht Wohlstand und Region Synonyme sind. Einer politischen Abgrenzung entspricht als typische Geisteshaltung der Separatismus, vielfach zu studieren an Unabhängigkeitsgelüsten in Norditalien, im Baskenland, in Katalonien, in Schottland und in der Ost-Ukraine. Der Traum vom eigenen Ministaat, von der heilen Welt der unverdorbenen, autarken, autonomen Heimat, bringt die Selbstbestimmung der regionalen Bürger in Stellung gegen die Fremdbestimmung durch die eigene Nation oder etwa den „Suprastaat“ der Europäischen Union. Seit dem Sommersemester 2015 lehrt Christian Schüle Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin.

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Die Themen Heimat und Leitkultur darf man nicht den Rechten überlassen

Thea Dorn plädiert in ihrem neuen Buch „deutsch, nicht dumpf“ dafür, die Themen Heimat, Leitkultur und Nation nicht den Rechten zu überlassen. Und sie klärt ihre Leser darüber auf, ob sie ihr Land lieben und es sogar Heimat nennen dürfen. Die Autorin wendet sich den politischen Schicksalsfragen Deutschlands zu und will wissen, ob die Rede von Heimat und Verwurzelung oder gar Patriotismus ein rückwärtsgewandtes, engstirniges Denken befördert, das über kurz oder lang zu neuem Chauvinismus, Rassismus und Nationalismus führen wird. Oder ist es nicht eher so, dass das Beharren auf den eigenen kulturellen, historisch gewachsenen Besonderheiten in Zeiten von Migration, Globalisierung und Technokratisierung nicht Grundbedingung dafür ist, jene weltoffene Liberalität und Zivilität zu wahren, zu der das heutige Deutschland inzwischen längst gefunden hat. Thea Dorn studierte Philosophie und Theaterwissenschaften. Sie schrieb eine Reihe preisgekrönter Romane, Theaterstücke und Essays.

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