Das Böse geht der Menschheit nicht verloren

In der griechischen Mythologie sind die Menschen ihren Ursprüngen entkommen, wie man einer Katastrophe entgeht. Aber sie brauchen sich nicht darum zu sorgen, dass ihnen das Böse verloren gehen könnte. Rüdiger Safranski stellt fest: „Es kehrt stets wieder – in veränderter Gestalt. Wie bei den Göttern, gibt es auch beim Bösen einen Gestaltwandel.“ Das „Böse“ ist kein Begriff. Nur ein Name. Ein Name wofür? Für vielerlei: für das Barbarische, die Gewalt, Realitätszerstörung. Aber neuerdings auch für das Chaos, den Zufall, die Entropie, die undurchschaubare und unberechenbare Komplexität. Was das Entscheidende ist: Das „Böse“ hat aufgehört, lediglich ein Name zu sein für das im engeren Sinne Moralische. Rüdiger Safranski arbeitet seit 1986 als freier Autor. Sein Werk wurde in 26 Sprachen übersetzt und mit vielen Preisen ausgezeichnet.

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Die Moral wird zur Komplizin des Bösen

Die begründungsabstinente Unbekümmertheit der Moral in der Gegenwart manifestiert sich an der Identifizierung sexistischer oder rassistischer Signale. Über deren verwerflichen Charakter herrscht große Einmütigkeit. Bei der Einmütigkeit handelt es sich jedoch nicht um den zwanglosen Zwang des besseren Arguments. Alexander Somek fragt: „Ist eine Darstellung dann sexistisch, wenn sie Frauen als Sexualobjekte zeigt, obwohl doch das wechselseitige Sich-Zum-Objekt-Machen zur Sexualität gehört?“ Es wäre doch wohl verkehrt anzunehmen, dass durch die Affirmation des Umstands, dass heterosexuelle Männer auf Frauen stehen, die Unterordnung der Frau unter den Mann ratifiziert wird. Wäre die „Heteronormativität“ der Skandal, dann müsste auch gezeigt werden, in welchem Zusammenhang sie mit dem männlichen Sexismus steht. Alexander Somek ist seit 2015 Professor für Rechtsphilosophie und juristische Methodenlehre an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien.

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Nichts in dieser Welt ist dauerhaft

Indem Buddha feststellt „alles ist Leiden“, erinnert er daran, dass das Leben von der Geburt bis zum Tod aus einer Folge schmerzlicher Erfahrungen besteht. Frédéric Lenoir ergänzt: „Und selbst wenn wir einen glücklichen Moment erleben, bleibt dieser doch zerbrechlich.“ „Alles ist unbeständig“, auch das lehrt Buddha. Nichts in dieser Welt ist dauerhaft und für immer festgeschrieben. Genauso ist es mit den Begierden der Menschen. Viele leiden darunter, dass sie das, was sie begehren, nicht besitzen werden. Zweitens leiden sie an der Angst, dass sie verlieren, was sie besitzen. Drittens schließlich leiden sie am Verlust dessen, was sie besessen haben. Es sieht also in der Tat so aus, was wäre das Böse im Alltag weitaus gegenwärtiger als das Gute. Wenngleich das natürlich von einem zum anderen Individuum deutlich variieren kann. Frédéric Lenoir ist Philosoph, Religionswissenschaftler, Soziologe und Schriftsteller.

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Alle Menschen teilen universelle Werte

Hanno Sauer stellt in seinem neuen Buch „Moral“ fest, dass universelle Werte scheinbar erodiert sind und eine allgemeingültige Moral der Vergangenheit angehört. Doch seiner Meinung nach trügt der Schein. Denn tatsächlich gibt es universelle Werte, die alle Menschen miteinander teilen. Der Autor erzählt die Geschichte der Moral von der Evolution menschlicher Fähigkeit zur Kooperation vor fünf Millionen Jahren bis zu den jüngsten Krisen moralischer Polarisierung. Und Hanno Sauer erklärt, welche Prozesse die moralische Grammatik der Gegenwart prägen. Wer verstehen will, wie die Moral die Identität der Menschen bestimmt, muss ihre Geschichte verstehen. Sie handelt von allem, was dabei wichtig war: von Werten, Prinzipien, den Quellen der Identität, den Fundamenten der Gemeinschaft und vom Mit- und Gegeneinander. Hanno Sauer ist Associate Professor of Philosophy und lehrt Ethik an der Universität Utrecht in den Niederlanden.

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Das Philosophicum Lech ist extrem erfolgreich

Für Ludwig Muxel, dem Obmann des Vereins Philosophicum Lech, gehören das Philosophicum und Lech am Arlberg untrennbar zusammen. Maßgeblich für die nachhaltig erfolgreiche Entwicklung ist der wissenschaftliche Leiter Konrad Paul Liessmann. Das Konzept, das der österreichische Philosoph entwickelte, war einfach und klar; jedes Jahr ein Thema, und das wird in verschiedenen Vorträgen von Philosophen und anderen Geisteswissenschaftlern ausgeleuchtet. Das Philosophicum Lech zählt heute zu den erfolgreichsten geisteswissenschaftlichen Tagungen im deutschsprachigen Raum. Das Buch „Der Geist im Gebirge“ enthält Beiträge von Jan Assmann, Barbara Bleisch, Heinz Bude, Karin Harrasser, Lisa Herzog, Herfried Münkler, Robert Pfaller, Richard David Precht, Rüdiger Safranski, Franz Schuh, Martin Seel, Peter Sloterdijk, Cora Stepan, Wolfgang Ulrich, Lambert Wiesing u.a. Die Beiträge geben Einblick in die Geschichte einer Veranstaltungsreihe, in der sich die Konturen der vergangenen 25 Jahre spiegeln.

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Recht und Moral sind nicht deckungsgleich

Moral und Recht hängen zwar zusammen, sind aber weit davon entfernt, deckungsgleich zu sein. Markus Gabriel erläutert: „Die Geltung rechtlicher Normen, ihre Macht über Akteure, besteht selbst dann fort, wenn die faktische Rechtsprechung und die ihr zugrunde liegenden Gesetze erkennbar unmoralisch sind.“ Stalinistische Schauprozesse waren „rechtlich legal“, auch wenn man sie für „moralisch illegitim“ hält. Das ist der grundlegende Unterschied zwischen Legalität und Legitimität. Die Moral artikuliert Regeln, die konkret festlegen, welche Handlungen verboten und welche erlaubt sind. Auf diese Weise kann man exakt zwei Extrempunkte, zwei Pole, und eine moralische Mitte markieren. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Das Böse ist eine spezielle Form der Blindheit

Es gibt das konzentrierte Bestreben zur Nivellierung der Urteilskraft und damit auch die Gleichmachung jeder Individualität. Dies geschieht im Namen eines stets werthaft überhöhten und letztlich anonymen Kollektivs. Das nennt Ayn Rand nun im eigentlichen Sinne „böse“. Wolfram Eilenberger erklärt: „Denn es ist aus ihrer Sicht ein Streben, das sich mit destruktivster sozialer Macht gegen all das wendet, was unsere Lebensform eigentlich gelingend und lebenswert macht.“ Das Böse ist also nicht eine metaphysische Kraft, ein transzendentes Prinzip oder ein ewiges „Nein“. Sondern es ist eine von anderen Menschen gezielt erzeugte und erwünschte Unfähigkeit, relevante Unterschiede auch als solche zu erkennen und vor allem anzuerkennen. Wolfram Eilenberger war langjähriger Chefredakteur des „Philosophie Magazins“, ist „Zeit“-Kolumnist und moderiert „Sternstunden der Philosophie im Schweizer Fernsehen.

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Die Erotik stellt das Böse und das Diabolische dar

Die Bindung des Lebens an den Tod hat zahlreiche Aspekte. Sie ist in der sexuellen und in der mystischen Erfahrung gleichermaßen wahrzunehmen. Georges Bataille erläutert: „Aber wie immer man sie auch versteht, die menschliche Sexualität wird stets nur in Grenzen zugelassen, über die hinaus sie verboten ist.“ Schließlich tritt überall in der Sexualität eine Regung auf, die den Schmutz einbezieht. Von da an handelt es sich nicht mehr um „gottgewollte“, wohltuende Sexualität, sondern um Verfluchtsein und Tod. Die wohltunende Sexualität steht der animalischen Sexualität nahe. Den Gegensatz dazu bildet die Erotik, die spezifisch menschlich ist und nur im Ursprung mit der Geschlechtlichkeit zu tun hat. Die Erotik, die im Prinzip unfruchtbar ist, stellt das Böse und das Diabolische dar. Der Franzose Georges Bataille (1897 – 1962) gehört zu den kontroversesten Philosophen und Schriftstellern des 20. Jahrhunderts.

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Deutsch und zugleich zivilisiert zu sein ist möglich

Wie kein anderer Intellektueller hat Thomas Mann mit der Frage gerungen, ob es möglich sei, das zu sein: zugleich deutsch und zivilisiert. Für Thea Dorn scheint er der vorzüglichste Spiritus Rector zu sein, auf den man sich berufen kann, wenn man das Deutsche begreifen und für den künftigen Gebrauch retten will. Im Mai 1945 hielt der von den Nazis ins Exil getriebene Schriftsteller, der mittlerweile die amerikanische Staatsbürgerschaft hatte, in der Washingtoner Library of Congress einen berühmt gewordenen Vortrag. Darin versuchte er, sich, den Deutschen und seinem amerikanischen Publikum zu erklären, wie es zu der deutschen Barbarei hatte kommen können: „Es [gibt] nicht zwei Deutschland […], ein böses und ein gutes, sondern nur eines, dem sein Bestes durch Teufelslist zum Bösen ausschlug.“ Thea Dorn studierte Philosophie und Theaterwissenschaften. Sie schrieb eine Reihe preisgekrönter Romane, Theaterstücke und Essays.

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Ina Schmidt begibt sich auf die Spur des Guten

Laut Platon liegt es jeder menschlichen Handlung zugrunde, nach dem Guten zu streben, aber nicht in einem ökonomischen Sinne, sondern in einem moralisch-sittlichen Verständnis. Ina Schmidt erläutert: „Der platonischen Philosophie zufolge ist die Idee des Guten das, was als dem, das wir als wahr, als schön oder wertvoll erkennen, zugrunde liegt.“ Im Sonnengleichnis, das Platon in seiner Staatslehre, der „politeia“, anführt, vergleicht er das Gute mit dem Licht der Sonne, das notwendig ist, damit die Menschen die Dinge sehen können, wie sie sind. Wenn das Gute nicht auf das strahlt, was ein Mensch erkennen oder verstehen will, dann bleibt es für ihn dunkel und unverständlich. Ina Schmidt gründete 2005 die „denkraeume“, eine Initiative, in der sie in Vorträgen, Workshops und Seminaren philosophische Themen und Begriffe für die heutige Lebenswelt verständlich macht.

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Johann Gottfried Herder prägte die europäische Ideengeschichte

Terry Eagleton ist davon überzeugt, dass der deutsche Philosoph Johann Gottfried Herder ein Autor war, dessen Bedeutung für die Ideengeschichte kaum zu überschätzen ist: „Er war einer der erste historistischen Denker mit einem wachen Sinn für die geschichtliche Bedingtheit von Kulturen, Texten, Ereignissen und Individuen. Man hat diesen Ansatz als eine der großen intellektuellen Umwälzungen des europäischen Denkens bezeichnet.“ Darüber hinaus wurde er als Vater des modernen Nationalismus gepriesen und sogar gerühmt, den Begriff der Kultur als umfassende Lebensweise in das europäische Denken eingeführt zu haben. Und als ob das noch nicht alles eindrucksvoll genug wäre, war Johann Gottfried Herder auch einer der Begründer der modernen Literaturtheorie sowie einer der ersten Denker, der die Bedeutung der Populärkultur für das soziale Leben erkannte. Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.

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Nach 1918 brachen die europäischen Demokratien aus vier Gründen zusammen

In seinem Buch „Höllensturz“, das sich mit der Zwischenkriegszeit auseinandersetzt, beschreibt der britische Historiker Ian Kershaw vier Faktoren, die nach 1918 zum Zusammenbruch der europäischen Demokratien führten: Erstens die explosionsartige Ausbreitung eines ethnisch-rassistischen Nationalismus. Zweitens erbitterte und unversöhnliche territoriale Revisionsforderungen. Drittens ein akuter Klassenkonflikt. Viertens eine langanhaltende Krise des Kapitalismus. Philipp Blom schreibt: „Man muss nicht lange suchen, um in dieser Vergangenheit unsere Gegenwart zu erkennen. Keine Facette, die sich in dieser Aufzählung nicht spiegeln würde – von den nationalistisch-rassistischen Rechtspopulisten im Weißen Haus bis zur Krim und dem Krieg in der Ostukraine, von der täglich steigenden sozialen Ungleichheit bis zum Crash von 2008 und zur nächsten großen Finanzkrise eines immer weiter deregulierten Marktes.“ Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

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Johannes Steyrer erklärt das Prinzip der Gegenseitigkeit

Johannes Steyrer gibt folgende Ratschläge: „Schenke Vertrauen, damit andere dir vertrauen. Liebe selbst, damit du geliebt wirst. Kooperiere, um produktiv zusammenzuarbeiten. Lasse dir aber Vertrauensbrüche, Lieblosigkeit und ausbeuterisches Verhalten nicht gefallen.“ Vertrauensbrüche, die von einem selbst als Erstschlag ausgehen, rechnen sich in einer Welt der Gegenseitigkeit nicht. Das zeigt eindrucksvoll die Spieltheorie, die seit vielen Jahrzehnten ein prominentes Element der Ökonomie und verwandter Disziplinen ist. Folgendes Beispiel: Zwei gefasste Bankräuber werden in getrennten Polizeiwachen verhört. Der Polizist verspricht demjenigen, der zuerst gesteht, Strafminderung. Beide Räuber wissen aber: Wenn sie schweigen, kann ihnen nur illegaler Waffenbesitz nachgewiesen werden. Jeder steht also vor folgendem Dilemma: Handle ich nach dem egoistischen Motto „Ich oder Du“ (in diesem Fall: „Ich verrate den anderen“), was aber nur dann von Vorteil ist, wenn der andere auch schweigt. Johannes Steyrer ist seit 1997 Professor für Organizational Behavior an der Wirtschaftsuniversität Wien.

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Dem Verstehen sind keine Grenzen gesetzt

Die Philosophin und politische Denkerin Hannah Arendt hat auf die Frage nach dem Grund ihrer philosophischen Arbeit geantwortet: „Ich will verstehen.“ Darin liegen sowohl Ursache als auch Zielsetzung ihres Denkens und Arbeitens, ohne dass deshalb ein Konflikt entstehen muss. Denn dieser Wunsch zu verstehen ist nicht an eine konkrete Situation gebunden oder auf einen Menschen gerichtet, der verstanden werden will, sondern gemeint ist ein „existentielles Verstehen“, das sich an die eigene Person und ihren Platz in der Welt richtet. Ina Schmidt erläutert: „Hannah Arendt versucht das Wesentliche zu ergründen, zum Beispiel zu fragen, was wir tun, wenn wir tätig sind, welche Tugenden eine Gemeinschaft zusammenhält oder was das Wesen des Bösen ausmacht.“ Ina Schmidt gründete 2005 die „denkraeume“, eine Initiative, in der sie in Vorträgen, Workshops und Seminaren philosophische Themen und Begriffe für die heutige Lebenswelt verständlich macht.

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Die Quelle der Leidenschaften ist die Selbstliebe

Die Leidenschaften sind die Hauptwerkzeuge zur Selbsterhaltung eines Menschen. Sie zerstören zu wollen wäre ebenso vergeblich wie lächerlich, denn das hieße die menschliche Natur kontrollieren zu wollen. Darum hält Jean-Jacques Rousseau jemanden, der verhindern möchte, dass Leidenschaften überhaupt aufkommen, für nahezu ebenso töricht wie den, der sie gänzlich zerstören möchte. Die Quelle der Leidenschaften, die man bei sich selbst und bei anderen feststellt, ist natürlichen Ursprungs. Jean-Jacques Rousseau schreibt: „Unsere natürlichen Leidenschaften sind sehr begrenzt; sie sind die Werkzeuge unserer Freiheit und dienen zu unsrer Selbsterhaltung. Alle jene, die uns unterjochen und zerstören, kommen von außen. Die Natur gibt sie uns nicht, wir eignen sie uns ihrer ungeachtet an.“ Die Quelle der Leidenschaften, Ursprung und Prinzip aller anderen, die einzige die mit dem Menschen geboren wird und ihn bis zum Tode nicht verlässt, ist die Selbstliebe.

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Niccolò Machiavelli war ein Lehrer des Bösen

Als Dacher Keltner vor 20 Jahren mit seiner Untersuchungen von Macht begann, wurden diese oft mit Zwang, Gewaltausübung und Herrschaft gleichgesetzt. Diese Gleichsetzung der Macht mit Gewaltausübung fand ihren klarsten Ausdruck in Niccolò Machiavellis Buch „Der Fürst“. Dacher Keltner stellt fest: „Es gehört zu den hundert einflussreichsten Büchern, die je geschrieben wurden und hat die Handlungsweisen von einigen der mächtigsten Herrscher der Geschichte bestimmt.“ „Der Fürst“ ist auch heute noch ein wichtiger Text bei der Ausbildung von Führungskräften. Der Politologe Leo Strauss von der University of Chicago stellte allerdings fest, dass Niccolò Machiavelli ein Lehrer des Bösen war und dass der Gewinn und Erhalt von Macht nichts mit Ethik zu tun hat, wie so viele irrtümlich meinen. Dacher Keltner ist Professor für Psychologie an der University of California in Berkeley und Fakultätsdirektor des UC Berkeley Greater Good Science Center.

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Der Begriff der Sünde ist aufgegeben worden

Heute hat das Wort „Sünde“ seine Macht und furchteinflößende Eindringlichkeit verloren. Es wird heute vor allem in Verbindung mit dick machenden Nachspeisen verwendet. David Brooks erläutert: „Die meisten Menschen sprechen in der alltäglichen Unterhaltung kaum über individuelle Sünden. Wenn sie überhaupt über das Böse sprechen, dann verorten sie dieses gewöhnlich in den Strukturen der Gesellschaft – in Ungleichheit, Unterdrückung, Rassismus und so weiter –, nicht im Einzelnen.“ Die Menschen haben den Begriff der Sünde aufgegeben, weil sie, erstens, die Auffassung, die menschliche Natur sei verdorben, hinter sich gelassen haben. Zweitens wurde das Wort „Sünde“ zu vielen Zeiten und an vielen Orten dazu verwendet, der Lust den Krieg zu erklären, selbst den gesunden Freuden der Sexualität und der Unterhaltung. David Brooks arbeitet als Kommentator und Kolumnist bei der New York Times. Sein Buch „Das soziale Tier“ (2012) wurde ein internationaler Bestseller.

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Viele Menschen gehen gewandelt aus einem Leid hervor

Leiden lehrt seltsamerweise auch Dankbarkeit. In normalen Zeiten behandeln Menschen die Liebe, die sie empfangen, als einen Grund zur Selbstzufriedenheit, aber in Zeiten des Leidens erkennen sie, wie unverdient diese Liebe ist und dass sie viel mehr ein Grund zur Dankbarkeit sein sollte. In stolzen Momenten will man unter keinen Umständen das Gefühl haben, in jemandes Schuld zu stehen, doch in Momenten der Demut wissen Menschen, dass sie die Zuneigung und Anteilnahme, die sie erhalten, nicht verdienen. David Brooks fügt hinzu: „Menschen in solcher Situation haben oftmals auch das Gefühl, Teil eines umfassenden Schicksalszusammenhangs zu sein.“ Inmitten von Bedrängnissen beginnen Menschen, eine Berufung zu spüren. David Brooks arbeitet als Kommentator und Kolumnist bei der New York Times. Sein Buch „Das soziale Tier“ (2012) wurde ein internationaler Bestseller.

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Philosophieren war für Hannah Arendt ein Dienst an der Demokratie

Das Philosophie Magazin hat seine neue Sonderausgabe der deutschen Philosophin Hannah Arendt gewidmet, deren Themen von bleibender Aktualität sind: die Ursprünge politischer Gewalt, die Unbegreiflichkeit des Bösen, die Menschenrechte von politisch Verfolgten und Flüchtlingen sowie den Sinn der Arbeit. Hannah Arendt vertrat leidenschaftlich die Überzeugung, dass ein vernünftiger Streit von zentraler Bedeutung für die Demokratie ist. Im öffentlichen Engagement sah sie geradezu eine staatsbürgerliche Pflicht. Philosophieren hieß für Hannah Arendt immer öffentliches Nachdenken im Dienste der Demokratie. Gleich zu Beginn des Sonderheftes erfährt der Leser alles über die wichtigsten Lebensstationen der streitbaren Philosophin. Anschließend folgt ein Ausschnitt aus dem berühmten Fernsehinterview mit Günter Gaus aus dem Jahr 1964. Im Gespräch sagte sie, dass sich nicht in den Kreis der Philosophen gehöre, sondern ihr Beruf die politische Theorie sei.

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John Locke prangert die Missstände seiner Zeit an

Der englische Philosoph John Locke, der von 1632 bis 1704 lebte, hatte wie zahlreiche andere Philosophen auch, viele Interessensgebiete. Nigel Warburton erklärt: „Er war begeistert von den revolutionären Entdeckungen seiner Freunde Robert Boyle und Isaac Newton auf dem Gebiet der Chemie, Physik und Mathematik, er engagierte sich politisch und verfasste auch Schriften über Erziehung.“ Außerdem wandte er sich in seinen Werken gegen die Missstände seiner Zeit. Er verteidigte die religiöse Toleranz oder argumentierte, dass der Versuch, Menschen durch Folter dazu zu zwingen, ihren Glauben zu wechseln, absurd sei. Darüber hinaus vertrat er die Ansicht, dass Menschen ein gottgegebenes Recht auf Leben, Freiheit, Glück und Besitz haben. Der Philosoph Nigel Warburton ist Dozent an der Open University. Er gibt außerdem Kurse über Kunst und Philosophie am Tate Modern Museum.

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Mentale Vergewaltigungen in der Kindheit sind keine Seltenheit

Redlichkeit bedeutet, wie schon der Name sagt, dass man offen darüber reden kann. Was hingegen unredlich ist – was man nicht ohne Negativfolgen, egal für wen oder was, bereden kann –, sollte man gar nicht denken. Die Menschen tun es aber, da die Gedanken bekanntlich frei sind. Daher gilt es seelische und geistige Inhalte, egal ob fremdinduziert oder selbst kreiert, einer Prüfung auf Nachhaltigkeit zu unterziehen. Rotraud A. Perner gibt dabei zu bedenken: „Da wir Menschen meist nicht die Instinktsicherheit von Tieren besitzen und Hochsensibilität von klein auf bekämpft wird, fehlen vielfach genau die Wahrnehmungsnervenzellen, die präventiv erkennen lassen, wo Schädigung droht. Man darf jemand anderem nichts Böses unterstellen ist zum Beispiel ein Kindheitsgebot, mit dem Kinder einerseits an Kritik an Erwachsenen und andererseits an Selbstschutz gehindert werden. Rotraud A. Perner ist Juristin, Psychotherapeutin, Psychoanalytikerin und absolvierte postgraduale Studien in Soziologie und evangelischer Theologie.

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