Demokratien brauchen Märkte

In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wurden das liberale Denken und die Marktwirtschaft zum Traumpaar der politischen und ökonomischen Theorie. Philipp Blom erläutert: „Der Gedanke, dass alle Menschen gleiche Rechte haben, dass Wissen besser ist als Ignoranz, dass Menschen einander tolerieren müssen, auch wenn sie unterschiedlicher Meinung sind, wurde auf einem Markt geboren.“ Händler müssen pragmatisch und nicht ideologisch urteilen, sie brauchen sachliche Informationen, die ihnen bei der Urteilsfindung helfen, Informationen, auf die sie Geld wetten können, ohne ruiniert zu werden. Die ersten Zeitungen entstanden im 16. Jahrhundert in Handelszentren, um Kaufleute darüber zu informieren, was bei ihren Handelspartnern geschah, welche Investitionen sicher waren. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

Die Aufklärer waren begeistert von den Möglichkeiten der Märkte

Auch die Demokratie ist ein Geschöpf des Marktes oder seines antiken Vorgängers, der Agora: Dort, wo man über Politik sprechen konnte, wo sich Bürger zusammenfanden und gemeinsam beschlossen, was zu tun ist. Hier bildeten sich Koalitionen, wurden Reden gehalten, Meinungen geändert, Argumente ausgetauscht. Philipp Blom weiß: „Dieser Austausch, die Offenheit des öffentlichen Raums, macht die Lebendigkeit und die Kraft einer Demokratie aus. Demokratien brauchen Märkte.“

Das Verhältnis, das der Liberalismus und der Markt zueinander haben, bestimmt darüber, welche Prioritäten eine Gesellschaft setzt. Die Aufklärer des 17. und 18. Jahrhunderts, die diese Ideen zum ersten Mal umfassend debattierten, waren begeistert von den Möglichkeiten der Märkte, soziale Hierarchien zu zerschlagen, Ignoranz und Aberglauben hinwegzufegen, empirische Wahrheiten zu privilegieren und selbstbestimmte Arbeit gerecht zu entlohnen. Sie lebten in protektionistischen Gesellschaften mit kontrollierten Preisen, Zünften und Innungen, käuflichen Ämtern, unerklärbaren Ritualen, schikanösen Zöllen und endemischer Korruption.

Märkte sollten Armut bekämpfen und Wettbewerb ermöglichen

Da erschien der freie Markt vielen Aufklärern als Antwort auf alle Übel. Trotzdem waren freie Märkte als Konzept etwas ganz anderes als das, was wir heute so nennen. Philipp Blom erklärt: „Märkte sollten der Gesellschaft dienen, Innovationen und Produktion fördern, die Armut bekämpfen und Wettbewerb ermöglichen, aber nicht einmal die radikalsten unter den radikalen Denkern des 18. Jahrhunderts wollten die Preiskontrollen für Brot abschaffen, denn die Kontrolle über den Getreidepreis war eines der wenigen effektiven Steuerungsmittel, über die ein Staat verfügte, um auf Marktschwankungen zu reagieren und so nicht nur Hungersnöte, sondern auch Revolutionen zu verhindern.“

Der sogenannte freie Markt war also niemals frei, er bedurfte schon immer der Absicherung seiner Verträge durch Gerichte, Gesetze und Polizei, der Einhegung möglicher Monopole, des Schutzes der Händler und Kunden, die sonst keine Handhabe gegen Betrug hätten, einer Infrastruktur von Straßen und Häfen, von Schulen und Krankenhäusern. Ein Markt braucht ein Gemeinwesen mit bindenden Regeln, einen Staat, um funktionieren zu können. Denn er baut auf den Ressourcen und dem Wohlstand des Staates auf. Quelle: „Was auf dem Spiel steht“ von Philipp Blom

Von Hans Klumbies