In seinem neuen Buch „Heimat finden“ vertritt Wilhelm Schmid die These, dass Heimat eine große Zukunft hat. Allerdings nicht als ein Modell der Vergangenheit. Seiner Meinung nach ist eine Erweiterung des Heimatbegriffs nötig, den Heimat ist für ihn mehr als nur ein Ort: „Sie kann als Basislager des Lebens gelten, von dem aus Erkundigungen ins Ungewisse möglich sind.“ Dabei gibt es zahlreiche Möglichkeiten Heimat zu finden. So ist es auch die Vielfalt der Heimat, die im Zentrum dieses Buches steht. Das Wesentliche, das allen Heimaten eigen ist, dürfte die Bedeutung sein, die ein Mensch allem und jedem geben kann. Was nichts bedeutet, kann folglich keine Heimat sein. Daher ist Heimat nur das, was nicht egal ist. Wilhelm Schmid lebt als freier Philosoph in Berlin.
Phantasie
David Gelernter begibt sich in die Welt der Tagträume
Träume sind Themenkreise, die die Vergangenheit in die Gegenwart holen. Tagträume und Phantasien – bei denen der Geist weit abschweift, bilden eine Übergangszone; anschließend nähert man sich den Gedanken des Einschlafens, den Halluzinationen und den Träumen. Tagträume können sich zu jeder Zeit einstellen. Eric Klinger, ein Spezialist für Tagträume, schreibt: „Tagträume erinnern uns immer wieder an unsere aktuellen Angelegenheiten … Bei den Angelegenheiten, auf die sie zurückkommen, handelt es sich meist um jene, die emotional für uns am wichtigsten sind.“ David Gelernter ergänzt: „Tagträume und Träume sind zuerst und vor allem Erinnerungsvorgänge.“ Das Erinnern ist – unter ansonsten gleichen Voraussetzungen – ein Vorgang, der die neuesten, frischesten Erinnerungen stark bevorzugt. Die gleiche Präferenz zeigen auch Tagträume. David Gelernter ist Professor für Computerwissenschaften an der Yale University.
Julia Shaw begibt sich auf die Spur des Bösen
Die Kriminalpsychologin und Bestsellerautorin Julia Shaw beschreibt in ihrem neuen Buch „Böse“ wie die Menschen jeden Tag das Böse neu erschaffen. Herausgekommen ist dabei eine Studie über Heuchelei und den ganz normalen Wahnsinn, welche die vertrauten Kategorien von Gut und Böse über den Haufen wirft. Julia Shaw sucht und findet das Böse nicht nur in den Gehirnen von Massenmördern, sondern in jedem Menschen. Und sie erläutert mithilfe psychologischer Fallstudien, wie man sich mit seiner dunklen Seite versöhnen kann. Friedrich Nietzsche, einer der bedeutendsten deutschen Philosophen des 19. Jahrhunderts, schrieb 1881: „Böse denken heißt böse machen.“ Das heißt: Nur wenn man etwas das Etikett böse verpasst, nur wenn man denkt, dass etwas böse ist, wird es auch böse. Das Böse, so argumentiert Friedrich Nietzsche, sei eine subjektive Erfahrung, nicht etwas, was einer Person, einem Objekt oder einer Handlung innewohne.
Selbstkontrolle verhindert aggressives Verhalten
Um die sichtbare Aggressivität eines Menschen zu verstehen, reicht es nicht aus, nur auf die treibenden Faktoren zu schauen, sondern ebenso muss man auch die hemmenden Faktoren berücksichtigen, vor allem Angst vor negativen Folgen sowie moralische Einstellungen. Durch sie ist die sichtbare Aggressivität bei den meisten Menschen viel geringer als die inneren Tendenzen. Hans-Peter Nolting erläutert: „Bei einem Teil der hochaggressiven Personen sind solche Hemmungen nur schwach ausgeprägt. Psychopathen haben keine Angst vor negativen Folgen, ebenso wie Despoten, eine positive Einstellung zu Gewalt und aggressiver Machtausübung.“ In anderen Fällen aber sin die Hemmungen des betreffenden Menschen immerhin so gut entwickelt, dass er gewöhnlich unaggressiv, wenn nicht sogar liebenswürdig erscheint. Dr. Hans-Peter Nolting beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Themenkreis Aggression und Gewalt, viele Jahre davon als Dozent für Psychologie an der Universität Göttingen.
Die Lust selbst ist weder gut noch böse
Für Friedrich Nietzsche (1844 – 1900) gehört die zelebrierte Grausamkeit „zur ältesten Festfreude der Menschheit“. Die Lust am Anblick Gequälter rechtfertigte man lange damit, dass die Götter an Opfern und Märtyrern Gefallen fänden. Ludger Pfeil fügt hinzu: „Auch bei harmloseren Bosheiten geht es dem Täter nicht vorrangig um das Leiden der anderen, sondern um den eigenen Genuss daran, der dann allerdings den mitfühlenden Blick auf den anderen verstellt.“ Friedrich Nietzsche schreibt: „Schon jede Neckerei zeigt, wie es Vergnügen macht, am anderen unsere Macht auszulassen.“ Die Lust selbst ist weder gut noch böse; eventuell damit verbundene Unlust eines anderen macht den Menschen laut Friedrich Nietzsche nur im Hinblick auf mögliche Strafe oder Rache Sorgen. Der Philosoph Dr. Ludger Pfeil machte nach seinem Studium Karriere in der Wirtschaft als Projektleiter und Führungskraft und ist als Managementberater tätig.
Das Böse ist das Fremde und radikal Andere
Das Böse. Dunkel, geheimnisvoll, furchteinflößend. Als das Unfassbare schlechthin, das menschliches Vertrauen in die Welt erschüttert, reizt es zu Dämonisierungen – und auch zu Projektionen. Das Böse ist das Fremde. Das radikal Andere. Ob Heimtücke, Falschheit oder Hinterlist, ob Missbrauch, Amoklauf oder Terrorismus: Den gesunden Menschenverstand übersteigend verursacht die böse Tat Abscheu, Angst und ein tiefes Schutzbedürfnis. Svenja Flaßpöhler fügt hinzu: „Das Böse muss bekämpft werden. Überwacht, weggesperrt, ausgeschlossen – gar ausgerottet.“ Aber könnte es nicht sein, dass das Böse gar nicht von außen kommt, verschlagen und verführerisch in Häuser und Herzen drängt – sondern vielmehr uranfänglich in uns selbst lebt? Tatsächlich zeigt sich ja gerade im Schlaf, wie ungeheuerlich die Phantasien eines Menschen sein können. Dr. Svenja Flaßpöhler ist Stellvertretende Chefredakteurin des Philosophie Magazins.
Gedanken sind in Wahrnehmungen oder Ideen verankert
„Denken“ wird nur selten als Fachterminus oder philosophischer Begriff benutzt. Intuitiv hat er laut David Gelernter aber eine klare Bedeutung: „Wir meinen damit die bewusste, absichtliche Handhabung mentaler Zustände, mit der wir, von den gegebenen Rohmaterialien ausgehend, ein Ziel erreichen wollen. Das Musterbeispiel ist die Vernunft.“ Man geht von bestimmten Voraussetzungen aus und hat ein Ziel. Darauf begibt man sich auf einen logischen Weg, der einen von den Voraussetzungen zum Ziel führt; es ist ein mentaler Weg, ein Gedankenweg. Damit dieser Gedankengang in eine Handlung umgesetzt wird, ist unter Umständen eine weitere Runde des vernünftigen Denkens notwendig. Das it mentale Manipulation, mentales Tun, die Anwendung des Geistes auf die Realität. David Gelernter ist Professor für Computerwissenschaften an der Yale University.
Der Mensch kann von illusionären Erinnerungen getäuscht werden
In einem bahnbrechenden Aufsatz aus dem Jahr 1975 prägten John Flavell und Henry Wellman von der Minnesota University „Metagedächtnis“ (metamemory), um auf eine wichtige Fähigkeit hinzuweisen, mit der alle Menschen ausgestattet sind und die bei der Selbstkorrektur des Gedächtnisses eine entscheidende Rolle spielt. Julia Shaw erklärt: „Unter Metagedächtnis versteht man, dass das Individuum wahrnimmt und weiß, dass es ein Gedächtnis hat. Dazu gehört auch unser Wissen um unsere Erinnerungsfähigkeit und ein Verständnis für Strategien, die unser Gedächtnis verbessern können. Und es umfasst unsere Fähigkeit, zu überwachen, woran wir uns korrekt erinnern können, und unsere Erinnerungen zu analysieren, um ihre Plausibilität zu bestätigen.“ Wenn man sich also selbst auf die Schliche kommt und merkt, dass eine der persönlichen Erinnerungen falsch ist, dann nutzt man sein Metagedächtnis. Die Rechtspsychologin Julia Shaw lehrt und forscht an der London South Bank University.
Denken und Träumen können ineinander übergehen
Auf der Schwelle zum Schlaf und den Träumen befindet man sich in einem Zustand des freien Assoziierens. Denken und Träumen können laut David Gelernter ineinander übergehen. Die Grenze zwischen Denken und Träumen ist ein faszinierender, wenig bekannter Teil des Geistes. David Gelernter erklärt: „Dass Träume Halluzinationen sind, wissen wir alle; aber der besondere Charakter der geistigen Aktivität beim Einschlafen bzw. des hypnagogischen Denkens, das zum Schlaf führt, ist nicht allgemein bekannt.“ Bekannt dagegen ist, dass der hypnagogische Zustand durch lockeres oder freies Assoziieren gekennzeichnet ist, das man als „Bewusstseinsstrom“ beschreiben könnte.“ Aber das ist es nicht allein; oft treten in diesem Zustand auch einzelne, kurze Halluzinationen auf. Sich im „Wachtraum“ zu befinden, traumähnliche Halluzinationen zu erleben, während man noch wach ist, aber am Rande des Schlafes steht – genau das ist der Charakter des Einschlafgedankens. David Gelernter ist Professor für Computerwissenschaften an der Yale University.
Die Frühromantik will Poesie und Mythologie miteinander verbinden
Zu den zentralen Forderungen der Frühromantik gehört die nach einer neuen Mythologie. Dadurch unterschied sich die frühromantische Bewegung an einem entscheidenden Punkt von der Aufklärung, zu der sonst durchaus Verbindungslinien bestanden. Gerade die Skepsis gegen den Mythos gehörte zu den entscheidenden Elementen der aufklärerischen Weltanschauung. Die Frühromantiker versuchten, Poesie und Mythologie wieder miteinander zu verbinden. Friedrich Schlegel schrieb in seinem „Gespräch über die Poesie“ (1800) folgendes: „Dann das ist der Anfang aller Poesie, den Gang und die Gesetze der vernünftig denkenden Vernunft aufzuheben und uns wieder in die schöne Verwirrung der Phantasie, in das ursprüngliche Chaos der menschlichen Natur zu versetzen, für das ich kein schöneres Symbol bis jetzt kenne, als das bunte Gewimmel der alten Götter.“ Auch Friedrich Wilhelm Joseph Schelling wandte sich in seiner „Philosophie der Kunst“ (1802/03) ausführlich dem Verhältnis von Dichtung und Mythologie zu.
Phantasien und Tagträume sind sich sehr ähnlich
Tagträume und Phantasien sind schwer voneinander zu unterscheiden. Im normalen Sprachgebrauch meint man mit Phantasien häufig Tagträume mit sexuellem Inhalt. David Gelernter stellt fest, dass Phantasien den eigenartig dämmrigen Gedanken des Einschlafens und dem Schlaf selbst einen Schritt näher stehen als die Tagträume: „Phantasien, die uns überkommen, ähneln eher echten Träumen, nur sind sie keine Halluzinationen.“ In Phantasien kommen fast ebenso häufig absonderliche Situationen vor wie in Träumen. Bizarre Elemente sind keineswegs nur ein Begleitmaterial von Träumen, sondern sie fließen auch in vielfältiger Weise in die Phantasietätigkeit von Wachen ein. Die meisten Menschen erinnern sich an Phantasien ebenso wie an Träume nur schlecht. Phantasien, die einen Menschen mit Beschlag belegen, die Aufmerksamkeit fesseln oder ablenken, sind meist lebhaft. David Gelernter ist Professor für Computerwissenschaften an der Yale University.
Die Momente des Innehaltens sind die intensivsten des Liebesspiels
Der amerikanische Philosoph Robert Nozick (1938 – 2002), ein Kollege Thomas Nagels, widerspricht dem Klischee des prüden Amerikaners mit den Worten des Kenners, indem er sinnfällig die Erregung beschreibt, die nur das Zwischenmenschliche bieten kann: „Manchmal konzentrieren wir uns beim Liebesakt auf die winzigsten Bewegungen, das zarteste Streifen eines Haars, das langsame Wandern der Fingerspitzen oder der Nägel oder der Zunge über die Haut, die geringste Veränderung oder das Einhalten an einem Punkt.“ Die Momente des Innehaltens sind für ihn die intensivsten des Liebesspiels. Ludger Pfeil ergänzt: „Das Warten auf das, was als Nächstes geschieht, schärft die Wahrnehmung aufs äußerste. Das gegenseitige Wissen um die Spannung und die Fokussierung auf die Empfindungen des anderen erhöhen den Reiz weiter.“ Der Philosoph Dr. Ludger Pfeil machte nach seinem Studium Karriere in der Wirtschaft als Projektleiter und Führungskraft und ist als Managementberater tätig.
Zustände des reinen Seins können Angstgefühle verursachen
Tagträume und Phantasien sind in der Regel emotionaler Natur. Auch viele Träume sind höchst emotional. In ihnen brütet der menschliche Geist die intensivsten emotionalen Erlebnisse aus, die ihm überhaupt möglich sind. Befindet sich ein Mensch im Sein in reinster Form, schwindet sogar sein Ich-Gefühl. David Gelernter erklärt: „Wir vergessen uns selbst – wir verlieren unser Ich. Wir erleben nur noch und begegnen dem Ich-losen Zustand des reinen Seins.“ Zustände des reinen Seins sind gefährlich und können Menschen Angst machen: Sie sind dann weit offen und verfügen beispielsweise in solchen Fällen keine Abwehr gegen Alpträume. Solche Zustände können Menschen auch an den Rand explosiver Euphorie bringen – oder mit tiefer Befriedigung überfluten oder für kurze Zeit eins mit dem Universum machen. David Gelernter ist Professor für Computerwissenschaften an der Yale University.
Die Literatur der Spätromantik war düster und sarkastisch
Die frühromantische Aufbruchsstimmung wich in der Spätphase der Romantik einer eher düsteren, sarkastischen und gebrochenen Sicht auf die Verhältnisse. Beispielhaft für diese neue Phase der romantischen Bewegung ist das Werk von E. T. H. Hoffmann(1776 – 1822), das schon bald über Deutschland hinaus beachtet wurde und auf Autoren wie Nikolai Wassiljewitsch Gogol, Charles Baudelaire und Edgar Allan Poe entscheidende Wirkung hatte. E. T. H. Hoffmann führte ein Doppelleben wie so viele seiner Figuren, die sich in verschiedene Ichs aufspalten. Tagsüber arbeitete er in dem ungeliebten Beruf eines Kammergerichtsrats, nachts führte ein sein „eigentliches“ Leben. Seine Begabungen waren weit gespannt und machten es ihm schwer, sich zu entscheiden. Er zeichnete, musizierte und komponierte und schrieb immer wieder über jenen Zwiespalt zwischen „Künstler“ und „Philister“, dem nicht nur er, sondern dem sich auch andere romantische Autoren ausgesetzt fühlten.
Jede Handlung könnte die letzte im Leben sein
Mark Aurel (121 – 180), römischer Kaiser und Philosoph, erklärt: „Verscheuche jeden anderen Gedanken, und das wirst du können, wenn du jede deiner Handlungen als die letzte deines Lebens betrachtest.“ Wenn es eine einzige Lektion gäbe, die Daniel Klein bis an seinen letzten Tag mit sich tragen möchte, dann wäre es diese. Wenn Mark Aurels Aussage auch noch heutzutage so vertraut klingt, liegt das daran, dass Philosophen und religiöse Denker von alters her mehr oder weniger das gleiche sagen. Daniel Klein erläutert: „Sei jetzt hier. Sei stets achtsam. Lebe in der Gegenwart.“ Daniel Klein, Jahrgang 1939, studierte Philosophie in Harvard. Zusammen mit Thomas Cathcart schrieb er „Platon und Schnabeltier gehen in eine Bar“, das in 26 Sprachen übersetzt wurde.
Frühere Liebschaften sind sehr leicht entflammbar
So wie sich Freundschaften und kollegiale Beziehungen in Affären verwandeln können, sind frühere Liebschaften leicht entflammbar. Wenn beide sich nach Jahren wieder treffen, kann die Glut leicht aufflackern. Man blickt sich in die Augen und sieht sich so, wie man damals war: jünger, schöner, voller Lebensenergie. Shirley P. Glass fügt hinzu: „Die Leidenschaft schlägt schnell wieder Wurzeln. Man kennt sich, und das Zusammensein ist wie ein Nachhausekommen.“ Menschen, die sich nach einer Wiederbegegnung erneut verlieben, sprechen oft von der Intensität ihrer Bindung und halten ihre Liebe für einmalig. Wenn ihre Wiedervereinigung in eine Heirat oder eine feste, exklusive Partnerschaft mündet, sind diese Beziehungen höchst erfolgreich. Dr. phil. Shirley P. Glass war niedergelassene Psychologin und Familientherapeutin. Sie starb im Jahr 2003 im Alter von 67 Jahren an einer Krebserkrankung.
Allan Guggenbühl rät: „Denken Sie selbst!“
Allan Guggenbühl beantwortet in seinem neuen Buch „Die vergessene Klugheit“ die Frage inwieweit Menschen von Normen gezähmt sind. Wenn diese zu sehr die Oberhand gewinnen, leidet die Klugheit des Einzelnen darunter. Der renommierte Schweizer Psychologe zeigt eindrücklich, dass die Klugheit weit mehr bedeutet als die Verfügbarkeit von Wissen. Er rät: „Denken Sie selbst!“ Viele Menschen brechen vor allem deswegen zu neuen Ufern auf, weil sich sie von ihren Traumvorstellungen verführen lassen. Oft haben sie wenig oder nichts mit der Lebensrealität zu tun. Menschen wagen Neues und gehen Risiken ein, weil innere Bilder sie scheinbar dazu zwingen. Was sie antreibt, ist nicht die Realität, sondern die Phantasie. Allan Guggenbühl Allan Guggenbühl ist seit 2002 Professor an der Pädagogischen Hochschule Zürich tätig. Außerdem fungiert er als Direktor des Instituts für Konfliktmanagement in Zürich.
Noch ist die Verbesserung des Menschengeschlechts Utopie
Das Bild, das der Mensch von sich entwirft, entspricht in der Regel dem, was der Mensch entwerfen kann. Modelle für die Selbstansichten des Menschen sind seit Anbeginn der Artefakte und Maschinen, die der Mensch selbst imstande war zu konstruieren und zu bauen. Konrad Paul Liessmann stellt fest: „In der Genetik schließlich skizzieren evolutionstheoretische und technizistische Pinselstriche ein Bild des Menschen, das diesen nun als Maschine zur Produktion und Streuung von Genen zeigt.“ Die Entzifferung des genetischen Codes des Menschen erschien vielen deshalb nicht nur als ein entscheidender Schritt zur Selbsterkenntnis, sondern auch als erster Schritt, um nun wirklich an der Verbesserung des Menschen arbeiten zu können. Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech.
Markus Gabriel erklärt den Epiphänomenalismus
Der Epiphänomenalismus ist die These, dass geistige Zustände und Vorgänge insgesamt keine Auswirkungen auf Vorgänge im Universum haben. Markus Gabriel ergänzt: „Ein Epiphänomenalist hält geistige Zustände für reine Begleiterscheinungen.“ Der US-amerikanische Philosoph John Searle, der den Epiphänomenalismus offensichtlich ablehnt, spitzt ihn durch den Vergleich zu, dass man sich vorstellen solle, „das Gehirn wäre nichts weiter als ein völlig mechanischer Haufen Schrott, wie ein Automotor, nur feuchter, und es würde durch absolut eindeutige mechanische Verbindungen funktionieren.“ Im Grunde führt die Denkweise des Epiphänomenalismus dazu, dass im ganzen Universum eine Ereigniskette abläuft, die alternativlos und zwingend von einer Ursache zu einer Wirkung führen soll, die wiederum eine Ursache einer Wirkung ist und so weiter. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne und ist dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.
Für viele Menschen sind Bilder die Sprache des Denkens
Es gibt zwei Bereiche des Bewusstseins: einen äußeren und einen inneren. Der äußere umfasst Wahrnehmungen der Außenwelt und des eigenen Körpers. Der innere besteht aus Erinnerungen und Gedanken, die sich ein Mensch macht. Natürlich kann man Dinge, an die man sich erinnert oder die man sich ausgedacht hat, im übertragenen Sinn ebenso wahrnehmen und überprüfen wie die Außenwelt. David Gelernter stellt fest: „Für viele Menschen ist visuelles Denken – einschließlich der Erfindung von und den Umgang mit abstrakten Bildern – ausgesprochen wichtig. Aber das visuelle Denken ist kaum erforscht.“ Für viele Menschen sind Bilder die Sprache des Denkens. David Foulkes schreibt: „Träumen ist die bruchlose Fortsetzung unseres wachen reflexiven Vermögens, in Bildern zu denken.“ David Gelernter ist Professor für Computerwissenschaften an der Yale University.
Die Weltbevölkerung produziert täglich 3,5 Millionen Tonnen Müll
„Reduzieren“ bedeutet für Serge Latouche zunächst einmal, eine Produktionsweise und ein Konsumverhalten zu entwickeln, die sich weniger negativ auf die Biosphäre auswirken. Dabei geht es vor allem darum, den Überkonsum zu beschränken und die weitverbreitete Wegwerfmentalität abzulegen. Serge Latouche kritisiert: „80 Prozent der auf den Markt gelangenden Güter werden, wenn überhaupt, nur ein einziges Mal benutzt, bevor sie direkt in den Abfalleimer geworfen werden.“ Im Jahr 2013 produzierte die Weltbevölkerung rund 3,5 Millionen Tonnen Müll pro Tag. Die Industrieländer in Europa und Nordamerika produzieren dabei den meisten Müll: Ein Europäer 522 Kilogramm Hausmüll pro Jahr, ein Amerikaner 675 Kilogramm. Serge Latouche ist emeritierter Professor für Wirtschaftswissenschaften der Universität Paris-Sud. Der Ökonom und Philosoph gilt als einer der wichtigsten Vordenker des französischen Konzepts der Rücknahme des Wachstums.
Die Literatur war einst die Kompensation für zu wenig Leben
Der Lesende ist eine eigentümliche Erscheinung: Er ist da und doch nicht da. Er befindet sich, obwohl leiblich anwesend, in einer anderen Welt. Konrad Paul Liessmann erklärt: „Die durch Buchstaben hervorgerufene Welt im Kopf gleicht keiner anderen Welt: weder der Erfahrungswirklichkeit noch der von Bildern, noch einer durch Digitalrechnung erzeugten virtuellen Welt.“ Es ist die Kraft des Visionären, die dem Leser einen universellen Weltbezug erlaubt: Welt ist dort, wo der Leser ein Buch aufschlägt. Das machte in früheren Zeiten das Lesen und das Schreiben zum bevorzugten Medium der Menschen an Randlagen. Die Literatur war damals das eigentliche Medium der Provinz – in jeder Hinsicht. Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech.
Lesen und Schreiben sind grundlegende Kulturtechniken
Bücher können zu Begleitern, zu Freuden, aber auch zu Feinden werden. Bücher, die man über die Jahre hin ansammelt, sind Ausdruck einer intellektuellen Biographie und der dazugehörigen Zeitgeister. An diesen Büchern lässt sich mehr ablesen als in so manch geschönter Kulturgeschichte. Konrad Paul Liessmann schreibt: „Solches Wissen, solche Erfahrungen, solche Erinnerungen wird keine digitale Bibliothek der Welt bieten können.“ Digitale Bibliotheken, auf welchem Speichermedium sie auch immer archiviert, bieten etwas anderes: den nahezu unbeschränkten raschen Zugriff auf die Welt der Texte. Konrad Paul Liessmann rät, diese Tatsache nicht gering zu schätzen, denn das sei durchaus verlockend, ja faszinierend! Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech.
Der Weisheit sind alle anderen Künste untergeordnet
Die Natur erfüllt ihre Forderungen laut Seneca von selbst. Tägliche Zügellosigkeit, die über einen längeren Zeitraum hin ständig anwächst und mit viel Phantasie das Laster fördert, bedeutet die Abkehr von der Natur. Wenn ein Mensch seine Wünsche auf Überflüssiges oder sogar auf Naturwidriges ausrichtet, liefert er seinen Geist dem Körper aus und macht ihn zum Sklaven seiner Begehrlichkeiten. Wer das natürliche Maßgefühl verliert, das sich bei der Befriedigung von Wünschen mit dem Unentbehrlichen und Lebensnotwendige begnügt, gilt als zurückgeblieben und ärmlich. Selbst bedeutende Männer lassen sich gemäß Seneca durch den Wohllaut der Rede von der Wahrheit ablenken.
Walter Benjamin stellt seine Philosophie der Zukunft vor
Für Walter Benjamin ist es die zentrale Aufgabe der kommenden Philosophie die tiefsten Ahnungen, die sie aus der Zeit und dem Vorgefühl einer großen Zukunft schöpft, durch die Beziehung auf das Philosophiesystem von Immanuel Kant zu Erkenntnis werden zu lassen. Walter Benjamin begründet dies wie folgt: „Denn Kant ist von denjenigen Philosophen, denen es nicht unmittelbar um den Umfang und die Tiefe, sondern vor Allem, und zu allererst, um die Rechtfertigung der Erkenntnis ging der jüngste und nächst Platon auch wohl der Einzige.“ Der deutsche Philosoph, Literaturkritiker und Übersetzer Walter Benjamin wurde am 15. Juli 1892 in Berlin geboren. Am 26. September 1940 nahm er sich auf der Flucht vor der Gestapo an der spanischen Grenze das Leben.