Silvio Vietta kennt den Wert der Demokratie

Silvio Vietta kann im Rückblick auf die Geschichte der Demokratie viele Argumente für sie ausfindig machen. Erstens: Die Demokratie entsteht mit der Ersten Aufklärung in der Antike als eine Art Entmythisierung der Vorstellung, die Götter oder ein Gott lenke die Geschichte. Der Mensch als Gattungswesen muss daher selbst „erwachsen“ werden, und seine Politik wie Geschichte selbst verantworten. Silvio Vietta stellt fest: „Demokratie bedeutet in diesem Sinne einen Reifungsprozess der ganzen Menschheit.“ Zweitens: Schon Perikles in der antiken Demokratie stellt diese selbst in den Zusammenhang einer Mündigwerdung der demokratischen Polis und auch des einzelnen Bürgers. Dieser muss ja nun die Verantwortung für seine Geschicke selbst in die Hand nehmen und sollte daher kulturell gebildet, gut informiert und persönlich gereift sein. Prof. em. Dr. Silvio Vietta hat an der Universität Hildesheim deutsche und europäische Literatur- und Kulturgeschichte gelehrt.

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Platons Staat hat repressive Strukturen

Barbara Schmitz weiß: „In der Philosophie finden sich bei Platon Überlegungen dazu, dass es bestimmte Arten des Lebens gibt, die nicht wert sind, gelebt zu werden.“ Platon entwirft in der „Politeia“ einen Staat, der sich nicht nur durch repressive Strukturen auszeichnet. Im Hinblick auf Menschen mit Behinderung stellt Platon fest: „Wer körperlich nicht wohlgeraten ist, den sollen sie sterben lassen. Wer seelisch missraten und unheilbar ist, den sollen sie sogar töten.“ Hintergrund ist für Platon nicht nur das Ideal von Schönheit und Jugendlichkeit, das das Denken der Antike vielfach prägte. Barbara Schmitz ist habilitierte Philosophin. Sie lehrte und forschte an den Universitäten in Basel, Oxford, Freiburg i. Br., Tromsø und Princeton. Sie lebt als Privatdozentin, Lehrbeauftragte und Gymnasiallehrerin in Basel.

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Manchmal muss man das Weltbild radikal verändern

Carlo Rovelli vertritt die These, dass ein wichtiger Teil der wissenschaftlichen Methodologie ihren Ursprung in der Schule von Milet, vor allem im Denken Anaximanders hat. Gestützt wird seine Vermutung durch den milesischen Naturalismus, dem erstmaligen Gebrauch von theoretischen Begriffen oder der Vorstellung von Naturgesetzen. Dass die Naturgesetze die Notwendigkeit der Abfolge von Ereignissen bestimmen, geht auf die Schule von Milet zurück. Vor allem vermittelte Milet der Welt diese einzigartige Kombination aus Respekt und Kritik im selben intellektuellen Gebiet. Dort entstand auch die allgemeine Idee, dass die Welt nicht so sein muss, wie sie den Menschen erscheint. Um wie Welt besser zu verstehen, kann es notwendig sein, das existierende Weltbild radikal zu verändern. Carlo Rovelli ist seit dem Jahr 2000 Professor für Physik an der Universität Marseille.

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Der Tod flößt stets Angst ein

Oft begegnet man dem Tod als Strafe, besonders als Gottesstrafe. Michael Wolffsohn fügt hinzu: „Nie ist der Tod gewünscht oder erwünscht oder gar Erlösung. Bestenfalls „bitter“ ist der Tod. Stets flößt er Angst ein, auch wenn er nicht als Strafe gedacht ist.“ Besonders beängstigend war schon immer die Tatsache, dass auch die ganz Starken unter den Lebenden dem Tod nicht entrinnen können. Kurzfristig jedoch kann der Mensch sehr wohl dem Tod entrinnen, nicht jedoch langfristig. Alle sterben. Nicht nur der Tod ängstigt, das Sterben mindestens ebenso. Die Auferstehung der Toten ist die große Ausnahme und eben nicht menschenmöglich, sondern gottgewollt. Prof. Dr. Michael Wolffsohn war von 1981 bis 2012 Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München.

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Burgund definierte sich über seine Zentren

Burgund ist den meisten Menschen ein Begriff. Und doch war es im Laufe seiner Geschichte ein ganz unterschiedliches Gebilde. Dieses definierte sich mehr über seine Zentren als über seine Grenzen. Es liegt in der Berührungszone zwischen romanisch und germanisch geprägten Bereich. Dadurch entstehen all die Gefährdungen und Chancen einer solchen Mittellage. Von hier aus gingen in alle Richtungen Impulse von großer kultureller Kraft aus. Aber auch heftige Auseinandersetzungen wurden hier ausgetragen. Arnold Esch geht es aber nicht um historische Ereignisse, sondern um die historische Landschaft des Burgunds. So lässt sich beispielsweise die Eroberung durch Caesar in seinem Winterlager auf dem Mont-Beuvray vergegenwärtigen. Arnold Esch ist Professor für Mittelalterliche Geschichte und war bis zu seiner Emeritierung Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Rom.

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Besser leben heißt gesünder leben

Urbane Stileliten flüchten in unverdächtige Luxusformen wie hochpreisige Fahrräder und Nahrungsmittel aus dem Biomarkt. Ulf Poschardt stellt fest: „Beide Konsumfelder funktionieren auch als scharfe Distinktion gegen unakademische Aufsteiger, Neureiche und gegen den einfachen Plebejer, der seinen winzigen koreanischen SUV abstottert.“ Besser leben heißt seit der Antike gesünder leben. Askese als Lustgewinn bedeutet, anzuknüpfen an die Ethik der Antike, die bereits das maßvolle Leben als Garanten für Glück und Harmonie entdeckte. In den Klöstern waren schon vor Jahrhunderten alle Prinzipien nachhaltiger Entwicklung grundgelegt. Ob es nun um das Maßhalten geht mit einer Reduktion des Lebenstempos und der Anzahl von Erlebnissen. Oder ob es sich um die Regionalisierung handelt, die auf exotische und Ressourcen vergeudende Lebensmittel und Produkte verzichtet. Seit 2016 ist Ulf Poschardt Chefredakteur der „Welt-Gruppe“ (Die Welt, Welt am Sonntag, Welt TV).

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Das Klima formt Köper und Geist

Abgeleitet von κλίνω – das griechische Wort für neigen – meint Klima zunächst einmal nicht mehr und nicht weniger als den Einfallswinkel der Sonne an einem gegebenen Ort. Klima ist also ursprünglich, bei Eratosthenes, Hipparchos und Aristoteles, eine geographische Kategorie, ein Breitengrad. Eva Horn fügt hinzu: „Es bezeichnet Zonen oder, mit einem Ausdruck des 18. … Weiterlesen

Die Griechen verehrten die Sieben Weisen

Thales gilt als einer der „Sieben Weisen“ der griechischen Antike. Die Sieben Weisen sind mehr oder minder historische Figuren. Die Griechen verehren sie als Gründerväter ihres Denkens und ihrer Institutionen. Ebenfalls zu den Sieben Weisen gehörte Solon, ein Zeitgenosse von Thales und Anaximander, Autor der ersten demokratischen Verfassung von Athen. Carlo Rovelli ergänzt: „Anaximander war circa zehn Jahre jünger als Thales. Wir wissen nicht welches Verhältnis sie zueinander hatten.“ Im 6. griechischen Jahrhundert ist es zum ersten Mal in der Geschichte so weit, dass die Fähigkeit zum Lesen und zum Schreiben nicht länger auf einen begrenzten Kreis professioneller Schreiber beschränkt blieb. Ein Großteil der allgemeinen Bevölkerung und praktisch die gesamte Oberschicht konnte nun lesen und schreiben. Carlo Rovelli ist seit dem Jahr 2000 Professor für Physik an der Universität Marseille.

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Es gibt vier Kardinaltugenden

Menschen brauchen Werte und moralische Tugenden. Die antiken Philosophen haben einige Werte und moralische Qualitäten definiert. Diese beweisen die Überlegenheit der Menschen. Sie haben sie Tugenden genannt. Etymologisch betrachtet heißt das so viel wie „Vorzüglichkeiten“. Frédéric Lenoir fügt hinzu: „Im Französischen sprechen wir auch von der >Tugend< einer Pflanze oder eines Medikaments und meinen damit deren positive Wirkung.“ Michel de Montaigne und Baruch de Spinoza haben sich der der gedanklichen Tradition der Antike verpflichtet, die für Frédéric Lenoir nichts von ihrer Stichhaltigkeit verloren hat. Michel de Montaigne schreibt: „Nichts ist so schön und berechtigt, als gut und recht ein Mensch zu sein.“ Die vier Haupttugenden, auch Kardinaltugenden genannt, sind Gerechtigkeit, Mäßigung, Tapferkeit und Klugheit. Frédéric Lenoir ist Philosoph, Religionswissenschaftler, Soziologe und Schriftsteller.

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Italien ist für viele der Inbegriff der Zivilisation

Die Kultur Italiens wurde ebenso stark von außen geprägt wie durch seine innere Vielfalt. In seinem Buch „Die Macht der Schönheit“ zeigt Volker Reinhardt wie sich seit dem 11. Jahrhundert aus all diesen Faktoren die italienische Kultur entwickeln konnte. Zu den äußeren Einflüssen zählt der Historiker beispielsweise das Erbe der Antike, arabische Vorbilder auf Sizilien, byzantinische Prägungen in Venedig. Die italienische Kultur ist aus Krisen und Katastrophen erwachsen. Dennoch gehört zu ihrer DNA eine optimistische Lebenskraft. Diese Lebensfreude spricht jeden an und entwickelt dabei eine bezaubernde Wirkung. Für die italienischen Intellektuellen des 19. Jahrhunderts war Italien der Inbegriff der Zivilisation, die Prometheus-Nation schlechthin. Volker Reinhardt ist Professor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Fribourg. Er gehört international zu den führenden Italien-Historikern.

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Griechische Mythen bestimmen das europäische Weltbild

Der Historiker Paul Veyne zeigte in den 80er Jahren in seinem Buch „Glaubten die Griechen an ihre Mythen?“, dass die griechischen Mythen Geschichten sind, die das europäische Weltbild und die Wahrnehmung der Europäer bestimmen. Dabei handelt es sich auch durchaus um doppelbödige Geschichten. Sie machen laut Jürgen Wertheimer deutlich, wie konstruiert und fragil, wie skrupellos und kreativ die europäische Art ist, Geschichte herzustellen und zu schreiben. Und auch wie virtuos sie damit umzugehen verstehen. Jürgen Wertheimer erläutert: „Einerseits wandeln wir gläubig auf den Spuren der Alten und lesen jedes Gran Wirklichkeit andachtsvoll auf. Zugleich bezweifeln wir jeden Echtheitsanspruch und lösen die Illusionen in der Säure unseres kritischen Verstandes auf.“ Jürgen Wertheimer ist seit 1991 Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Komparatistik in Tübingen.

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Tätige Freiheit ist keine Faulheit

Wer auf die antike Tradition zurückblickt, kann unter anderem folgendes erkennen: Die klassische „Oase“, das, was als das höchst Anstrebenswerte galt, war, von jeglicher Arbeit frei zu sein, um „Muße“ zu haben. Diese benötigte man für die wirklich wichtigen Dinge wie Philosophie, Politik und Kunst. Dazu braucht man zuerst einmal Freiheit vom Werk, von der Arbeit und vom Dauerstress. Sophie Loidolt ergänzt: „Erst dadurch öffnen sich die anderen Tätigkeitsräume des Betrachtens und des Erscheinens vor und mit anderen.“ Diese hervorgebrachte tätige Freiheit „zu“ ist daher keine Faulheit. Sie ist nur eine andere Form des Tätigseins als Arbeiten. Wer heutzutage Muße hat, wird leicht als dumpfer, aber keineswegs aufsässiger Typ angesehen. Prof. Dr. Sophie Loidolt ist Gastprofessorin am Philosophieinstitut der Universität Kassel und Mitglied der „Jungen Akademie“ der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

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Der Mensch ist als Teil mit einem Ganzen verbunden

Die ersten großen Denker in der Epoche der Renaissance Marsilius Ficinus und Pico della Mirandola lassen das griechische Ideal der Weisheit wiederaufleben. Frédéric Lenoir erläutert: „Sie versuchen, nach dem Vorbild der Antike den Menschen in einem Kosmos zu integrieren: Der Mensch ist als Teil mit einem Ganzen verbunden und muss sich der universellen Gesetzen der Natur unterwerfen.“ Im 17. Jahrhundert denkt der Philosoph Baruch Spinoza gewissermaßen die von den Denkern der Antike ererbte Sichtweise weiter. Er entwickelt eine ethische Philosophie, die ganz dem Streben nach Weisheit verpflichtet ist. Im vorigen Jahrhundert hatte auch Montaigne eine Weisheit „auf der Höhe des Menschen“ vorgeschlagen. Diese ist zwar von Skeptizismus gefärbt, aber auch auf Glück und Freude ausgerichtet. Frédéric Lenoir ist Philosoph, Religionswissenschaftler, Soziologe und Schriftsteller.

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Alle Menschen streben nach Glück

Die Frage nach dem Glück steht im Zentrum aller großen Weisheitslehren der Menschheit. Schon Epikur erinnerte daran, dass alle Menschen nach Glück streben, egal wie es dann im Einzelnen aussehen mag. Frédéric Lenoir weiß: „Allerdings machen wir auch die Erfahrung, dass es so wenig greifbar ist wie Wasser oder Luft. Sobald man denkt, man habe es in der Hand, entwischt es einem wieder.“ Wenn man versucht es festzuhalten, läuft es davon. Manchmal entzieht es sich da, wo man es erhofft, und kommt in dem Augenblick wieder, in dem man es am wenigsten erwartet. Das große Paradoxon des Glücks ist, dass es ebenso widerspenstig wie zähmbar ist. Es hängt gleichermaßen vom Schicksal und von günstigen Zufällen ab wie von einem vernünftigen und willentlichen Handeln. Frédéric Lenoir ist Philosoph, Religionswissenschaftler, Soziologe und Schriftsteller.

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Die Denker der Antike strebten nach Weisheit

Die ersten großen Denker in der Epoche der Renaissance Marsilius Ficinus und Pico della Mirandola lassen das griechische Ideal der Weisheit wiederaufleben. Frédéric Lenoir erläutert: „Sie versuchen, nach dem Vorbild der Antike den Menschen in einem Kosmos zu integrieren: Der Mensch ist als Teil mit einem Ganzen verbunden und muss sich der universellen Gesetzen der Natur unterwerfen.“ Im 17. Jahrhundert denkt der Philosoph Baruch Spinoza gewissermaßen die von den Denkern der Antike ererbte Sichtweise weiter und entwickelt eine ethische Philosophie, die ganz dem Streben nach Weisheit verpflichtet ist. Im vorigen Jahrhundert hatte auch Montaigne eine Weisheit „auf der Höhe des Menschen“ vorgeschlagen, die zwar von Skeptizismus gefärbt, aber auch auf Glück und Freude ausgerichtet ist. Frédéric Lenoir ist Philosoph, Religionswissenschaftler, Soziologe und Schriftsteller.

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Der Philosoph ist ein Abenteurer des Geistes

Indem die Weisheit den Einzelnen auffordert, sich selbst und die Welt kennenzulernen, sein Wissen und seine Vernunft zu entwickeln, innerlich frei zu werden und sich gemäß seiner Natur zu entfalten, ist die Weisheit zutiefst subversiv. Frédéric Lenoir erläutert: „Denn sie stellt sich den religiösen und politischen Mächten entgegen, die gemeinsam daran arbeiten, den Zusammenhalt und die Stabilität der sozialen Gruppe bisweilen sogar mit Gewalt aufrechtzuerhalten.“ Wenn der Einzelne beginnt, sich mit seinem Seelenheil oder persönlichen Glück zu beschäftigen, wenn er seine Vernunft und Fähigkeit zur Erkenntnis entwickelt, läuft er Gefahr, den kollektiven Normen nicht mehr zuzustimmen. Ein Blick zurück in die Vergangenheit zeigt, dass die Suche nach Weisheit einst das wichtigste Ziel der Philosophie war, als sie im ersten Jahrtausend v. Chr. in Griechenland entstand. Frédéric Lenoir ist Philosoph, Religionswissenschaftler, Soziologe und Schriftsteller.

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Die Griechen dachten als erste über die Zukunft nach

An die Stelle von Neugier ist heutzutage bei vielen Deutschen eine große Verunsicherung getreten. Ein großer Teil der Bevölkerung weiß nicht, wie es politisch und gesellschaftlich weitergeht – in Deutschland, Europa und der ganzen Welt. Horst Opaschowski erinnert sich: „In Griechenland wimmelte es vor Orakeln – Delphi, Delos, Olympia, Epidaurus, Theben und andere – die miteinander um Treffsicherheit wetteiferten.“ Hinzu kamen sogenannte Seher, die Politikern und Militärstrategen nicht selten das verkündeten, was sie hören wollten. So vermittelten beispielsweise die Feldzüge Alexander des Großen den Eindruck einer fast konspirativen Kooperation zwischen dem König und den Sehern, bei der man nicht wusste, wer wen manipulierte. Horst Opaschowski gründete 2014 mit der Bildungsforscherin Irina Pilawa das Opaschowski Institut für Zukunftsforschung. Bis 2006 lehrte er als Professor für Erziehungswissenschaften an der Universität Hamburg. Ab 2007 leitete er die Stiftung für Zukunftsfragen.

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Vielen Menschen fehlt es an Muße und an Bildung

Es ist paradox: Obwohl der moderne Mensch aufgrund seiner hohen Produktivität, durch unzählige raffinierte und zunehmend intelligente Technologien unterstützt, mehr Zeit frei von den Zwängen unmittelbarer Erwerbstätigkeit verbringen könnte, macht er den Eindruck eines gehetzten Tieres. Der moderne Mensch muss ständig in Bewegung sein, darf nie innehalten, kann keinen Stillstand dulden, ist hilflos dem Beschleunigungstaumel einer Entwicklung ausgesetzt, die er weder kontrolliert, noch wirklich versteht. Konrad Paul Liessmann ergänzt: „Das ständig präsente Gefühl, von Märkten, Innovationen, vom Wettbewerb und der Konkurrenz getrieben zu sein, die Angst, sofort zurückzubleiben und alles zu verlieren, gönnte man sich nur eine Pause, die fatalistische Vorstellung, dass man nicht der Gestalter der Zukunft sei, sondern nur auf die Herausforderungen reagieren könne […] – all dies sabotiert jeden Gedanken an Phasen der Ruhe und der Besinnung.“ Konrad Paul Liessmann ist Professor am Institut für Philosophie der Universität Wien und arbeitet zudem als Essayist und Publizist.

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Im Traum und im Rausch erreicht der Mensch das Wonnegefühl des Daseins

Der Rausch beschäftigt die Philosophie, auch die Theologie, die Physiologie und die Psychiatrie gleichermaßen. Reinhard Haller fügt hinzu: „In manchen Religionen ist er die Brücke zum Himmlischen.“ Für Friedrich Nietzsche war der Rausch ein Mittel, soziale und religiöse Fesseln zu sprengen: „In zwei Zuständen nämlich erreicht der Mensch das Wonnegefühl des Daseins, im Traum und im Rausch“, schreibt er in der „Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“. Und an anderer Stelle, in den „Streifzügen eines Unzeitgemäßen“, seinen kreativen Effekt betonend: „Damit es Kunst gibt, damit es irgendein ästhetisches Thun und Schauen gibt, dazu ist eine physiologische Vorbedingung unumgänglich: der Rausch.“ Abgeleitet aus dem Mittelhochdeutschen, haben die Begriffe „rüsch, riuschen“ mit ungestümen Bewegungen, Anstürmen, zu tun. Reinhard Haller ist Chefarzt einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Klinik mit dem Schwerpunkt Abhängigkeitserkrankungen.

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Rom beschreitet den Weg zum Imperium

Durch das Weltreich, das von Rom seinen Ausgang nahm, wurde die orientalisch-hellenistische Kultur weitergetragen und, am Ende in Auseinandersetzung mit dem Christentum, umgeformt. Bernd Roeck fügt hinzu: „Nach dem Untergang des weströmischen Imperiums werden zunächst Byzanz und die islamischen Reiche diese Rolle übernehmen. Sie hatten Anteil an der Überlieferung des großen Dialogs der Griechen.“ Die kometenhafte Karriere Roms wurde auch von der Geografie begünstigt. Die langgezogenen Küsten des Stiefels wenden sich bekanntlich Orient und Okzident zu. Italien ist die Mitte des Mittelmeeres. Die Siedlung nahe eine Furt durch den Tiber, der Ursprung Roms“ dürfte am Ende des 7. vorchristlichen Jahrhunderts entstanden sein. Bauern und Hirten lebten darin. Bernd Roeck ist seit 1999 Professor für Neuere Geschichte an der Universität Zürich und einer der besten Kenner der europäischen Renaissance.

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So lebten Knaben und Jünglinge in der Antike

Knaben und Jünglinge wuchsen in der Antike in einem gleichgeschlechtlichen Umfeld auf. In der klassischen Zeit durchliefen sie als Bürgersöhne ab dem siebten Lebensjahr ein körperlich-sportliches Training und erhielten in Athen ab dem 18. Lebensjahr eine militärische Ausbildung. Franz X. Eder ergänzt: „Ab dem 5. Jahrhundert v. Chr. wurden private Schulen errichtet, in denen neben Gymnastik und Sport auch Lesen und Schreiben sowie Poetik, Tanz und Literatur auf dem Lehrplan standen.“ Nach dem 20. Lebensjahr nahmen die Männer am Leben der Polis teil und arbeiteten sich in Berufsfelder, etwa in öffentliche Ämter, ein. Höhere Bildung in Philosophie, Medizin, Literatur und Rhetorik konnte man in größeren Städten wie Alexandria, Athen, Ephesos und Pergamon erwerben. Franz X. Eder ist Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien.

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Die Gelassenheit zählt zu den vier Kardinaltugenden

Das, was viele Menschen suchen, um genügend Spielraum für ihre Handlungen zu gewinnen, die mehr sein sollen als reine Reaktionen auf Stressmomente, ist offenbar nicht der Zustand der Entspannung, sondern eher eine innere Haltung, die Ina Schmidt mit dem Begriff „Gelassenheit“ definiert: „Die Gelassenheit beschreibt eine Tugend, die schon in der Antike mit dem Begriff der Seelenruhe beschrieben wurde, nicht weil sie all das, was zu tun ist, loslässt, sondern weil sie uns befähigt, auch in emotionalen Stürmen den Blick für das Wesentliche nicht zu verlieren und handlungsfähig zu bleiben.“ In der platonischen Schule gehört die Gelassenheit zu den vier Kardinaltugenden für ein gelingendes Leben – neben der Weisheit, der Tapferkeit und der Gerechtigkeit. Ina Schmidt gründete 2005 die „denkraeume“, eine Initiative, in der sie in Vorträgen, Workshops und Seminaren philosophische Themen und Begriffe für die heutige Lebenswelt verständlich macht.

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Das Selbst ist einem ständigen Wandel unterworfen

Es ist das Akzeptieren von Vielfalt, von Zweideutigkeit, von verschiedenen möglichen Wegen, die einem Menschen die Augen für das Eigene öffnen. Dabei geht es auch um das Einräumen von Uneindeutigkeit und inneren und äußeren Grenzen, die man mitdenken muss – und zwar gerade dann, wenn man auf der Suche nach dem Wahren, dem Wahrhaftigen ist. Ina Schmidt weiß: „Es ist der Mut, den wir brauchen, einer solch zweideutigen Wahrheit gegenüberzutreten, eröffnet die Möglichkeit, sich wirklich selbst zu begegnen.“ Es geht also nicht darum, das eigene Wesen aufzudecken, sondern sich in einem werdenden Sein zurechtzufinden, einem Selbst, das aufmerksamer Betrachtung und Begleitung bedarf, um in allem Wandel immer wieder ein Selbst bleiben zu können. Ina Schmidt gründete 2005 die „denkraeume“, eine Initiative, in der sie in Vorträgen, Workshops und Seminaren philosophische Themen und Begriffe für die heutige Lebenswelt verständlich macht.

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Die Urteilskraft minimiert die Gefahr der Täuschung

Der Besitz von Urteilskraft ist eine der wesentlichen Eigenschaften eines Philosophen. Diese Fähigkeit besteht darin, vor der Äußerung eines Urteils, der Zustimmung zu einer Aussage beziehungsweise ihrer Ablehnung oder der Entscheidung für eine Handlungsweise die dazu leitenden Vorstellungen beziehungsweise Beweggründe präzise zu analysieren und so alles auf sein wahren Prinzipien zurückzuführen. Da dieses Vorgehen eine klare Erkenntnis der Wahrheit, der Wahrscheinlichkeit, der Zweifelhaftigkeit oder der Falschheit der untersuchten Aussagen mit sich bringt, minimiert der Besitz von Urteilskraft die Gefahr diesbezüglicher Täuschung. Urteilskraft fungiert also als Instanz zur Bewertung des Verhältnisses von Aussagen zu den unabhängig von Aussagen bestehenden Sachverhalten und bewirkt die treffende, obgleich nicht schnelle Bewertung der Weise, in der Aussagen Aufschluss über die Wirklichkeit geben. Allgemein gefasst heißt das, dass die Urteilskraft Aussagen überhaupt erst in eine bewertbare Beziehung zur Wirklichkeit setzt.

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Die Philosophen waren in der Antike sehr populär

Die griechische Welt der Antike war eine Börse der Ideen und ein Experimentierfeld der Politik. Man bekämpfte einander, fand sich zu Bündnissen zusammen, experimentierte mit bundesstaatlichen Modellen. Bernd Roeck weiß: „Kriege und innere Krisen, wie sie Athen in dichter Folge seit dem Tod des Perikles, 429 v. Chr., erlebte, wirkten sich keineswegs ungünstig auf das kulturelle Leben aus.“ Im Gegenteil vergrößerten Umbruch und Chaos den Markt für Philosophen, weil sie Orientierung versprachen und eine Erziehung anboten, die half, sich in einer komplizierten Gesellschaft durchzusetzen und Erfolg zu haben. Außerdem zeigte sich ein lernbegieriges Publikum bereit, Gelehrsamkeit und Rhetorik – wichtiges Handwerkszeug im politischen Geschäft – zu entgelten. Bernd Roeck ist seit 1999 Professor für Neuere Geschichte an der Universität Zürich und einer der besten Kenner der europäischen Renaissance.

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