Glück ist nicht das Wichtigste

Das Glück beherrscht zurzeit das Denken vieler Menschen: Bin ich glücklich? Wie kann ich glücklich werden? Warum alle anderen, nur ich nicht? Wilhelm Schmid stellt fest: „Auf die Fragen nicht zu antworten erscheint unmöglich, zumal viele glauben, ohne Glück nicht mehr leben zu können. Es ist eine regelrechte Glückshysterie entstanden, mit der viele sich womöglich noch unglücklicher machen.“ Was aber ist das Glück? Zuallererst ist es, wie so vieles, nichts als ein Wort. Ganz Verschiedenes kann damit gemeint sein, es gibt keine verbindliche, einheitliche Definition. Was darunter zu verstehen ist, legt letztlich das jeweilige Individuum selbst fest. Die Philosophie kann lediglich Hilfestellung bieten, die etwa in einer Auseinanderlegung des Begriffs besteht, fern davon, eine bestimmte Bedeutung zu einzig möglichen zu erklären. Prof. Dr. Wilhelm Schmid lebt als freier Philosoph in Berlin und lehrte bis 2018 Philosophie an der Universität Erfurt.

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Das Zuhause beeinflusst das ganze Sein

Ein Leben, das versucht, den städtischen Raum unmittelbar zu bewohnen, ist zum Scheitern verurteilt. Denn der einzige wahre Stadtbewohner ist der Obdachlose. Er führt jedoch ein ungeschütztes, verletzliches Leben, das ihn tödlichen Gefahren aussetzt. Allen Übrigen erschließt sich die Stadt jedoch nur durch ein wie auch immer geartetes Zuhause. Emanuele Coccia hat Teile seines Lebens in Paris, Berlin, Tokio und New York verbraucht. Aber bewohnen konnte er diese Städte immer nur mit Hilfe von Schlafzimmern und Küchen, Stühlen, Schreibtischen, Schränken, Badewannen und Heizkörpern. Wohnen ist für Emanuele Coccia allerdings weit mehr als ein zu lösendes Raumproblem. Denn es bedeutet nicht, von etwas umgeben zu sein oder einen bestimmten Teil des auf der Erde verfügbaren Raumes zu okkupieren. Emanuele Coccia ist Professor für Philosophiegeschichte an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris.

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Der Mensch der Zukunft ist ein Spieler

Der an den Dingen interessierte Mensch der Zukunft ist kein Arbeiter, sondern ein Spieler. Byung-Chul Han erklärt: „Er braucht die Widerstände der materiellen Wirklichkeit nicht mühsam durch Arbeit überwinden. Die von ihm programmierten Apparate übernehmen die Arbeit.“ Die künftigen Menschen sind handlos. Er behandelt keine Dinge mehr, und darum kann man bei ihm nicht mehr von Handlungen sprechen. Die Hand ist das Organ der Arbeit und Handlung. Der Finger hingegen ist das Organ der Wahl. Der handlose Mensch der Zukunft macht nur von seinen Fingern Gebrauch. Er wählt, statt zu handeln. Er drückt auf Tasten, um seine Bedürfnisse zu befriedigen. Sein Leben ist kein Drama, das ihm Handlungen aufnötigt, sondern ein Spiel. Die Bücher des Philosophen Byung-Chul Han wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt.

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Das Prinzip der Weltoffenheit kämpft gegen den Partikularismus

Die Idee für das Buch „Der Krieg der Worte“ von Harold James ist dem Eindruck geschuldet, dass die heutige Debatte über die Globalisierung nicht auf einem klaren Verständnis der grundlegenden Konzepte und Begrifflichkeiten fußt. Aktuell ist das Erlebnis, wie das Aufeinandertreffen zweier Prinzipien oder Philosophien die Wirtschaft, Gesellschaft und Politik radikal verändern. Harold James schreibt: „Globalismus, Kosmopolitismus, Internationalismus, Multilateralismus: Es gibt viele Wörter für das Prinzip der Weltoffenheit. Auf der anderen Seite stehen Partikularismus, Lokalismus und Nationalismus.“ Ein Virus, der 2020 zum Gesicht – zur Verwirklichung – der Globalisierung wurde, hat diese Polarisierung weiter verschärft. Harold James hat eine Lehrstuhl für Geschichte an der Princeton University inne und ist Professor für Internationale Politik an der dortigen School of Public and International Affairs.

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Jeder möchte eine angenehme Wahrheit erzeugen

Die Differenz zwischen innerer und äußerer Rechtmäßigkeit ist ein typisch menschlicher Spannungszustand, der alle Bereiche des Alltags bestimmt. Ille C. Gebeshuber ergänzt: „Wir wollen gut sein und in diesem Zusammenhang für uns und die Mitmenschen eine Wahrheit erzeugen, die für alle angenehm und akzeptabel ist.“ Inwieweit sich Menschen dadurch von der Wirklichkeit entfernen, ist ihnen oft nicht bewusst. Die Psychoanalyse hat in diesem Bereich viele für den Homo sapiens unangenehme Entdeckungen gemacht. Aber das wird oft verdrängt, denn wer lässt sich schon gerne einen Spiegel vorhalten? Auf jeden Fall gilt: Eine Halbwahrheit, die einem das Gefühl gibt, im Recht zu sein, ist viel angenehmer als eine unangenehme Wahrheit, die eigentlich zutrifft. Aber recht zu behalten und das Richtige zu tun, ist nicht immer das Gleiche. Ille C. Gebeshuber ist Professorin für Physik an der Technischen Universität Wien.

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Viele Menschen machen sich das Leben selbst schwer

Rebekka Reinhard erklärt: „Das Leben schert sich einen Dreck um uns und unsere Erwartungen. Es interessiert sich nicht dafür, ob wir „gute Menschen“ sind oder nicht. Was passiert, passiert.“ Kann sein, dass Albert Camus eine andere Welt für möglich hält, eine, die Menschen nicht enttäuschen würde; eine sinnvolle, logische, widerspruchsfreie Welt. Doch wer kann ausschließen, dass nicht auch in dieser anderen Welt Zweifel grassieren? In Wahrheit ist es nicht die Realität, die Menschen das Leben schwer macht. Sie selbst sind es. Das Problem liegt nicht in der Kollision zwischen Erwartung und Welt, sondern darin, dass das etwas in den Menschen selbst aufeinanderprallt. Rebekka Reinhard ist Chefredakteurin des Magazins „human“ über Mensch und KI. Unter anderem ist sie bekannt durch den Podcast „Was sagen Sie dazu?“ der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft wbg.

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Menschen wollen ihr Leben bewerten

Von Albert Camus stammt folgender Satz: „Sich entscheiden, ob das Leben es wert ist, gelebt zu werden oder nicht, heißt auf die Grundfrage der Philosophie antworten.“ Dabei handelt es sich um eine Frage, die alle Menschen jederzeit angeht. Für Barbara Schmitz gehört sie zu den Grundfragen des Menschen. Sie ist ein Ausdruck dessen, dass Menschen ihr Leben nicht nur leben, sondern auch bewerten wollen und können. Und sie ist somit ein Teil der menschlichen Selbstreflexion. Barbara Schmitz vermutet, dass diese Frage jedem Menschen irgendwann in seinem Leben so begegnet und ihn zu einer Antwort herausfordert. Barbara Schmitz ist habilitierte Philosophin. Sie lehrte und forschte an den Universitäten in Basel, Oxford, Freiburg i. Br., Tromsø und Princeton. Sie lebt als Privatdozentin, Lehrbeauftragte und Gymnasiallehrerin in Basel.

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Das Leben selbst wird als Problemlösen betrachtet

Tücken der Dinge gehören wohl der Vergangenheit an. Menschen werden nicht mehr von den Dingen traktiert. Byung-Chul Han ergänzt: „Sie verhalten sich nicht destruktiv und widerstrebend. Sie verlieren ihre Stacheln. Wir nehmen sie nicht in ihrer Andersheit und Fremdheit wahr. Dadurch schwächt sich das Wirklichkeitsgefühl ab.“ Vor allem die Digitalisierung verschärft die Entwirklichung der Welt. Befremdlich klingt Jacques Derridas Bemerkung, dass das Ding das „ganz Andere“ sei, dass es uns sein „Gesetz“ diktiere, dem sich die Menschen zu unterwerfen hätten. Die Dinge sind heute ganz unterwürfig. Sie werden en menschlichen Bedürfnissen unterworfen. Die Dinge verlieren plötzlich ihr Eigenleben und werden willfährige Werkzeuge zur Problemlösung. Das Leben selbst wird als Problemlösen betrachtet. Die Bücher des Philosophen Byung-Chul Han wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt.

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Gewohnheiten geben Halt und erleichtern das Leben

Das Titelthema des neuen Philosophie Magazins 02/2025 beschäftigt sich diesmal mit Gewohnheiten. Manchmal scheint es gänzlich unmöglich zu sein, von einer Gewohnheit abzulassen, sie gegen eine neue einzutauschen. Chefredakteurin Svenja Flaßpöhler schreibt: „So tief sitzt und diese oder jene Gewohnheit in den Knochen, so unauflöslich gehört sie zum Ich, dass es einer Selbstverletzung gleichkäme, auf sie zu verzichten.“ Nicht umsonst charakterisiert man Menschen maßgeblich über jene Tätigkeiten, die sie wiederholt, routiniert, ja nahezu automatisiert ausüben und die den Alltag erleichtern, weil sie der Last der Entscheidung enthoben sind. Wie sehr lieb gewonnene Verhaltensweisen mit dem Ich verwoben sind, zeigt sich überdeutlich dann, wenn ein Mensch davon abgehalten wird, sie auszuüben. Gerade weil die Gewohnheit Halt gibt und das Leben erleichtert, hängt das Ich an ihr; und zwar bisweilen so sehr, dass sie ins Zwanghafte driftet.

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Das Wesen der Natur hat ihre eigenen Prinzipien

Francis Bacons Schriften zeigen ihn als einen Mann, der zwischen zwei intellektuellen Kulturen und zwei Zeiten stand. Philipp Blom erklärt: „Als Junge in Cambridge war er nach dem mittelalterlichen Curriculum erzogen worden und als Erwachsener nahm er an Hexenprozessen teil. Er war aber auch einer der weitsichtigsten Kritiker seiner eigenen Zeit und formulierte Prinzipien des wissenschaftlichen Denkens und Handelns, die über Jahrhunderte kritisiert und weitergedacht, nie aber ersetzt wurden.“ Der Jurist und Politiker Francis Bacon dachte produktiv im Gespräch oder in Korrespondenzen mit anderen, unter ihnen der italienische Denker Bernardino Telesio (1509 – 1588). Dieser hatte in seinem Wert „De rerum natura iuxta propria principia – Vom Wesen der Natur nach ihren eigenen Prinzipien, 1565 – eine revolutionäre Theorie über die Natur vorgeschlagen hatte. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford. Er lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

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Michel de Montaigne lässt jede Vorstellung von Gott hinter sich

Michel de Montaigne (1533 – 1592) schrieb: „Wenn ich mit meiner Katze spiele – wer weiß, ob ich nicht mehr ihr zum Zeitvertreib diene als sie mir?“ Montaigne wird oft als einer der Begründer des modernen Humanismus genannt. Dabei handelt es sich um eine Denkströmung, die darauf abzielt, jegliche Vorstellung von Gott hinter sich zu lassen. John Gray ergänzt: „In Wahrheit aber stand er dem Menschen genauso skeptisch gegenüber wie Gott. Michel de Montaigne schrieb: „Das unseligste und gebrechlichste aller Geschöpfe ist der Mensch, gleichzeitig jedoch das hochmütigste.“ Beim Durchforsten früherer Philosophien fand er keine, die das Wissen vom richtigen Leben, das Tiere von Natur aus besäßen, ersetzen könne. John Gray lehrte Philosophie unter anderem in Oxford und Yale. Zuletzt hatte er den Lehrstuhl für Europäische Ideengeschichte an der London School of Economics inne.

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Der Ur-Held ist zum Projektleiter mutiert

Während sich die weichen Helden warmtanzen, plustert sich der moderne Herkules immer noch ein wenig auf. Rebekka Reinhard ergänzt: „Doch zwischen Videokonferenzen, Calls und Tischtenniszonen ist der „Mann“ und „Krieger“ auf Turnschuhträger-Dimension geschrumpft.“ Der männliche Vorstand hat keine wilden Tiere am Hals, er trägt höchstens eine Krawatte. Der Manager durchschlägt gordische Knoten nicht mit dem Schwert, er löst sie digital. Der Ur-Held ist zum Projektleiter mutiert. Muss er sich deshalb mit Sexismus abreagiere? Der #MeToo-Zeitgeist will den Schrumpfhelden an die Kette legen wie einen ungezogenen, Feuer speienden Drachen. Plötzlich heißt es gemäß binärer Logik: „Wo Superman war, soll Wonder Woman werden.“ Rebekka Reinhard ist Chefredakteurin des Magazins „human“ über Mensch und KI. Unter anderem ist sie bekannt durch den Podcast „Was sagen Sie dazu?“ der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft wbg.

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Das Ergebnis der Hoffnung ist weder sicher noch unmöglich

„Hoffnung“ im heutigen Gebrauch des Wortes ist an einen guten Ausgang gebunden. Dies steht im Gegensatz zum altgriechischen Wort „elpis“, das Zukunftsvorstellungen bezeichnete, die negativ, positiv oder wertneutral sein konnten. Lars Svendsen fügt hinzu: „Elpis ist also nicht ganz deckungsgleich mit dem, was wir als Hoffnung bezeichnen, aber ebenso wie die Hoffnung muss es mit einem Ergebnis verbunden sein, das weder sicher noch unmöglich ist.“ Wohlgemerkt ist die subjektive Unsicherheit ausschlaggebend. Hoffnung setzt eine reale Möglichkeit voraus, wobei diese reale Möglichkeit jedoch ganz subjektiv verstanden werden muss, ausgehend davon, was der Einzelne als real möglich betrachtet. Lars Frederik Händler Svendsen ist Philosoph und Professor für Philosophie an der Universität Bergen. Seine Werke wurden in mehr als 20 Sprachen übersetzt und mehrfach ausgezeichnet.

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Neue Werte übernehmen die Vorherrschaft

Die Umbruchzeit der Digitalisierung dürfte Opfer kosten. Diese sind weit größer als das, was die Bürger der DDR in der Umbruchzeit der deutschen Vereinigung erlebt haben. Richard David Precht kennt die Zukunft auch nicht: „Ob es mit der Moral in Deutschland alles in allem bergab oder vielleicht doch bergauf geht, ist eine heiß umstrittene Frage.“ Auf der einen Seite steht das Gefühl jener Generation, dass Pflichtgefühl, Treue, Gemeinsinn, Arbeitsmoral, Sitte und Anstand kontinuierlich nach unten gingen. Erstaunlich nur, dass es sie, so oft totgesagt, heute irgendwie immer noch gibt. Was seit über hundert Jahren zur Neige geht, müsste eigentlich irgendwann einmal erloschen sein. Kulturpessimismus scheint oft mehr mit dem Lebensalter und den persönlichen Zukunftserwartungen zu tun zu haben als mit dem Zeitalter und den gesellschaftlichen Ausblicken auf die Zukunft. Der Philosoph, Publizist und Autor Richard David Precht einer der profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum.

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Die etablierten Sitten gelten oftmals nicht mehr

Durch den Schutz vor sexueller Belästigung stellt man die etablierten Sitten grundsätzlich in Frage. Alexander Somek erläutert: „Aus der Sicht des Schutzes vor sexueller Belästigung gelten unsere herkömmlichen Umgangsformen als immer schon sexistisch kontaminiert.“ Das Anstarren, taxierende Blicke, die Zote, die anzügliche Bemerkung oder das Hinterherpfeifen galten zwar bislang als frech und nicht gerade höflich. Aber dennoch erschienen sie als „normales“ männliches Verhalten. Nunmehr sollen sie als sexuelle Belästigung verpönt sein, ohne dass aber der gesetzliche Tatbestand Hinweise darauf gibt, was eigentlich unter ihn fällt. Genau zu wissen scheinen das freilich diejenigen, die für Ombudsstellen oder Arbeitskreise für Gleichbehandlung Broschüren produzieren. Alexander Somek ist seit 2015 Professor für Rechtsphilosophie und juristische Methodenlehre an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien.

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Selbst dem Gegenwarts-Ich fehlt die stimmige Identität

Michel de Montaigne macht die überraschende Entdeckung, dass es dieses ruhige Selbst, das er als Zuflucht gesucht haben mochte, gar nicht gibt. Es fehlt also die Stabilität, man kann sich nicht an sich selbst festhalten. Und nicht nur das. Rüdiger Safranski ergänzt: „Man unterscheidet sich offenbar nicht nur von anderen Menschen, sondern auch von sich selbst.“ Es kann sogar vorkommen, dass einem das eigene vergangene Ich fremder vorkommt als ein anderer Mensch, dem man gerade begegnet. Die Identität der Zeit ist kaum zu fassen, und was das Gegenwarts-Ich betrifft, so fehlt ihm ebenfalls die in sich stimmige Identität. Rüdiger Safranski arbeitet seit 1986 als freier Autor. Sein Werk wurde in 26 Sprachen übersetzt und mit vielen Preisen ausgezeichnet.

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Friedrich Nietzsche postuliert den „Tod Gottes“

Friedrich Nietzsche glaubte tatsächlich, das Schwergewicht der Verantwortung zu ahnen, das nach dem von ihm postulierten „Tod Gottes“ auf allen Menschen laste. „Verantwortlichkeit“ nennt es das „Privilegium“ des „souveränen Individuums“. Friedrich Nietzsche braucht Charles Darwin nicht, um über den Menschen hinauszudenken. Volker Gerhardt ergänzt: „Unstrittig sollte auch sein, dass dem Menschen nicht verboten werden kann, in geschichtlicher Perspektive über sich hinauszudenken.“ Dennoch hat sie die Rede vom „Übermenschen“, ebenso wie die vom „Willen zur Macht“, als leichtfertig erwiesen. Sie ist schon bald zur Parole der politischen Inhumanität geworden. Diese hatte nur eine Neuauflage aller Herrschaftsmodelle zu Ziel – mit effektivierter Manipulation und unter Verhöhnung des Menschenrechts. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

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Die Kommunikation übers Smartphone ist körperlos

In der digitalen Kommunikation fällt auch die Anrede häufig weg. Man ruft den Anderen nicht eigens an. Byung-Chul Han fügt hinzu: „Wir schreiben lieber Text-Nachrichten als anzurufen, denn schriftlich sind wir dem Anderen weniger ausgeliefert. So verschwindet der Andere als Stimme.“ Die Kommunikation übers Smartphone ist eine entkörperlichte und blicklose Kommunikation. Dagegen hat die Gemeinschaft eine körperliche Dimension. Schon aufgrund fehlender Körperlichkeit schwächt die digitale Kommunikation die Gemeinschaft. Die Digitalisierung bringt den „Anderen als Blick“ zum Verschwinden. Die Abwesenheit des Blicks ist mitverantwortlich für den Verlust der Empathie im digitalen Zeitalter. Bereits beim Kleinkind verwehrt man den Blick dadurch, dass die Bezugsperson aufs Smartphone starrt. Gerade im Blick der Mutter findet das Kleinkind normalerweise Halt, Selbstbestätigung und Gemeinschaft. Die Bücher des Philosophen Byung-Chul Han wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt.

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Das Philosophie Magazin gibt Denkanstöße für das Jahr 2025

Die 31. Sonderausgabe des Philosophie Magazins enthält ausgesuchte Essays und Gespräche zu den großen Fragen unserer Zeit. Gegliedert ist das Heft in vier große Abschnitte: Das Ringen um die Ordnung, Wege ins Maschinenzeitalter, Aufwachen im Anthropozän und Orientierung im Denken. Der Philosoph Peter Sloterdijk und der Verfassungsrechtler Christoph Möller diskutieren darüber, ob es wirklich wünschenswert ist, den Handlungsspielraum des Einzelnen dem Wohl aller unterzuordnen. Peter Sloterdijk sagt: „Wir schauen auf ein Jahrhundert zurück, in dem Freiheitsrechte so stark misshandelt wurden wie nie zuvor.“ Christoph Möllers hat den Verdacht, dass die kollektive Freiheit schon den Primat der individuellen Freiheit voraussetzt. Die kollektive Freiheit ist für ihn nicht die Summe von individuellen Freiheiten, gemeint sind Spielräume, die man nur in der Interaktion mit anderen haben kann.

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Der Humanismus bewahrt die Menschen vor Mutlosigkeit

Der Antihumanismus mahnt die Menschen, nicht naiv zu sein und macht ihnen klar, dass sie und ihre Mitmenschen jederzeit etwas Dummes oder Böses tun können. Er zwingt den Humanismus dazu, sich immer wieder zu rechtfertigen. Sarah Bakewell fügt hinzu: „Der Humanismus wiederum ermahnt uns, die Aufgaben unserer gegenwärtigen Welt nicht zugunsten des Traums von einem Paradies auf Erden oder anderswo zu vernachlässigen. Er hilft uns, den verführerischen Versprechen von Extremisten zu widerstehen, und bewahrt uns vor der Verzweiflung, in die uns eine obsessive Beschäftigung mit unseren Defiziten stürzen kann.“ Er bewahrt die Menschen vor einem Defätismus, der alle Probleme auf Gott, die Biologie oder historische Unausweichlichkeit schiebt. Sarah Bakewell lebt als Schriftstellerin in London, wo sie Creative Writing an der City University lehrt und für den National Trust seltene Bücher katalogisiert.

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Freiheit bedeutet das Fehlen von Widerstand

Eva von Redecker hat den Begriff „Bleibefreiheit“ ins Leben gerufen. Sie meint damit, die Freiheit zu bleiben. Das ist natürlich paradox. Bleibezwang kann keine Freiheit sein. Schließlich ist Freiheit in der westlichen Tradition untrennbar mit Bewegungsfreiheit verknüpft. Thomas Hobbes begründet mit seiner Schrift „Leviathan“ Mitte des 17. Jahrhunderts die moderne politische Philosophie. Er erklärte etwa: „Freiheit bedeutet genau genommen das Fehlen von Widerstand, wobei ich unter Widerstand äußere Bewegungshindernisse verstehe.“ Gut einhundert Jahre später hieß es beim britischen Rechtsgelehrten William Blackstone weiterhin, dass individuelle Freiheit in „Lokomotion“, also Fortbewegungsfähigkeit bestünde. Die mechanische Vorstellung von Freiheit als ungehinderter Bewegung scheint vielleicht etwas simpel, aber unterliegt auch komplexeren Konzeptionen. Eva von Redecker ist Philosophin und freie Autorin. Sie beschäftigt sich mit der Kritischen Theorie, Feminismus und Kapitalismuskritik.

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Die Jugend ist keine Frage des Alters

Die Metamorphose ist eine Eigenschaft von Körpern, die sich von ihrer Kindheit niemals trennen. Andererseits hört ein Körper auf, wenn er nicht mehr fähig ist seine Kindheit zu erfahren, sich zu verwandeln. Emanuel Coccia ergänzt: „Die Idee, dass die Jugend nicht nur eine vorübergehende Etappe im Leben eines Körpers ist, sondern eine stabile und konstante Struktur eines jeden lebendigen Körpers darstellt, ist in der Biologie oft gehegt worden.“ Jugend und Alter sind organische und geistige Kräfte, die im Leben jedes Individuums zu jeder Zeit zusammen auftreten. Schon das Kind hat alte Zähne – die Milchzähne – zu frühem Untergang bestimmt, und noch im späten Alter erscheinen junge Zähne – die Weisheitszähne. Emanuele Coccia ist Professor für Philosophiegeschichte an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris.

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Freiheit verlangt die Macht der Selbstbeherrschung

Die These, dass die Befreiung zur demokratisch-freien Subjektivität durch die Arbeit erfolgt ist, ist selbst eine demokratische These. Christoph Menke erklärt: „Es ist das Selbstverständnis der demokratisch Freien, dass sie sich ihre Freiheit selbst erarbeitet haben. Ihre aristokratischen Kritiker bestreiten das. Deren Gegenthese lautet, dass es vielmehr ohne Herrschaft – Herrschaft, nicht Arbeit – gar keine Freiheit gibt.“ Man muss daher Herrschaft über sich selbst ausüben können, um wahrhaft frei zu sein. Subjektivität wird durch Herrschaft konstituiert – in Friedrich Nietzsches Reformulierung dieses antidemokratischen Arguments: „Bei allem Wollen handelt es sich schlechterdings um Befehlen und Gehorchen.“ Wenn die Demokraten glauben, sich durch die Arbeit selbst befreit zu haben, dann verdrängen sie demnach die entscheidende Wahrheit, dass die Freiheit die Macht der Selbstbeherrschung verlangt, ja dass sie diese Macht ist. Christoph Menke ist Professor für Philosophie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main.

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Die Wurzeln der Stoa liegen bei Sokrates

Zenon von Kition (333/332 – 262/261 v. Chr.) gründete die Stoa um 300 v. Chr. als philosophische Schule. Die Wurzeln der Lehre liegen aber bei dem wohl größten Philosophen des Abendlandes, dem Griechen Sokrates (469 – 399 v. Chr.). Mit seiner Formel „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ verkörperte der den Skeptizismus, der den Stoizismus nachhaltig beeinflusste. Gerhard Gleißner fügt hinzu: „Sein sokratischer Dialog – ein ständiges Hinterfragen von subjektiven Wahrheiten – stand im Zentrum seiner praktischen Anwendung. Er wurde von den Stoikern übernommen und lebt nach über 2000 Jahren noch heute in der kognitiven Psychologie fort.“ Platon (428/427 – 348/347 v. Chr. und Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) gründeten jeweils Schulen, um ihre Lehren an die Allgemeinheit weiterzugeben. Dr. med. Gerhard Gleißner ist seit 2014 als Amtsarzt und Gutachter im öffentlichen Gesundheitsdienst tätig.

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Autonomie und Selbstverwirklichung gibt es auch in einer Partnerschaft

Im Titelthema geht das neue Philosophie Magazin 01/2025 der Frage nach: „Können wir noch zusammen sein?“ Chefredakteurin Svenja beantwortet die Frage mit Ja. Das funktioniert aber nur, wenn ein Paar Streit zulässt, anstatt ihn krampfhaft zu bekämpfen. Denn ein Streit dynamisiert Beziehungen, hält sie lebendig – und ermöglicht so Substanz und Dauer. Aber es gibt natürlich Fälle, in denen sehr starke Gründe für ein Beziehungsende sprechen, etwa Gewalt, Demütigung und Respektlosigkeit. Doch ein Großteil der Kontaktabbrüche dürfte heute auf andere Weise motiviert sein: vom Gefühl, dass die Beziehung dem eigenen Streben nach Autonomie und Selbstverwirklichung entgegensteht. In einer Partnerschaft gilt es, sich zu öffnen, Veränderungen zuzulassen und sich mit vielleicht bislang unbeachtete Seiten der eigenen Persönlichkeit auseinanderzusetzen. Wenn das gelingt, kann es eine Selbstverwirklichung in tieferem Sinne bedeuten.

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