Die demonstrierte Entblößung symbolisiert den Sex

Konrad Paul Liessmann stellt fest: „Es ist die angedeutete oder demonstrierte Entblößung vor allem jener Körperteile, die das Begehren und den Sex symbolisieren, die in der Öffentlichkeit das zweideutige Interesse an der Nacktheit generieren.“ Und dies nicht nur, weil der öffentliche Raum nicht der richtige Ort für intime Signale ist. Sondern vor allem deshalb, weil das Erotische selbst der vollkommenen Entblößung gegenüber höchst ambivalent ist. Das Erotische lebt von einer Gestik des Entblößens. Diese weiß, dass das Wechselspiel von Enthüllen und Verhüllen nicht nur in einem faktischen Sinn das Begehren strukturiert. Sondern sie gibt dem Eros auch seine philosophische Dignität. Denn immerhin dachte sich das Abendland die Wahrheit als ein Weib, die seiner Enthüllung harrt. Konrad Paul Liessmann ist Professor emeritus für Philosophie an der Universität Wien, Essayist, Literaturkritiker und Kulturpublizist.

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Jugendliche erleben die intensivsten Freundschaften

Die aktuelle Sonderausgabe Nr. 30 des Philosophie Magazins stellt so gut wie alle Formen der Freundschaft vor. Manche Freude begleiten einen Menschen ein Leben lang, andere nur für einen kurzen Abschnitt oder zu einem bestimmten Zweck. Die Kindheitsfreunde finden sich zu zweit, zu dritt oder erkunden als Bande die Welt. Jugendliche erleben daran anschließend oft die intensivsten Freundschaften. Helena Schäfer schreibt: „Jugendfreundschaften sind prägend. Sie begleiten durch einen aufwühlenden Lebensabschnitt, in dem wichtige Stationen des Erwachsenwerdens gemeinsam durchlaufen werden. In der Rebellion gegen Eltern und Normen formt sich in dieser Phase ein eigenständiges Selbst.“ Dagegen teilt man mit manchen Freunden nicht den Alltag, nicht alle tiefen Emotionen oder Gedanken, sondern ein Interesse. Dabei handelt es sich um die sogenannten Hobby-Freunde.

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Die Technik gleicht das Defizit der biologischen Entwicklung aus

Emanuele Coccia erklärt: „Ein Kokon ist ein postnatales Ei, das vom Individuum gleichsam fabriziert wird. Er umreißt eine Sphäre, wo Sein und Machen in einer dritten Dimension verschmelzen.“ Diese Evidenz ist bestimmend für eine Eigenschaft des metamorphischen Phänomens: dessen rein technische Natur. Bei jeder Verwandlung konstruiert das Lebendige notwendigerweise die eigene Gestalt, die somit nichts Natürliches oder Spontanes an sich hat. Mehr noch, die Natur der Technik selbst geht tief gewandelt daraus hervor. Die meisten Menschen sind es gewohnt, die Technik als Folge eines biologischen Defizits des Individuums zu begreifen. Seit Platon und seinem Mythos von Prometheus und Epimetheus ist man es gewohnt, die Technik nicht nur als einen rein menschlichen Zug zu begreifen. Emanuele Coccia ist Professor für Philosophiegeschichte an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris.

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Jede Handlung ruft eine Wirkung hervor

Die Inder sind völlig überzeugt, dass es ein universelles Kausalitätsgesetz gibt: Jede Handlung ruft eine Wirkung hervor. Frédéric Lenoir ergänzt: „Sie denken außerdem, dass jedes Lebewesen ein Körnchen des Göttlichen – des unpersönlichen Brahman – in sich trägt: den Atman.“ Der Atman wandert von Leben zu Leben, von Körper zu Körper, bis es ihm gelingt, den endlosen Kreislauf der Wiedergeburten zu durchbrechen, weil es sich von der Unwissenheit befreit. Dadurch wird ihm bewusst, dass er nicht mit dem Ich übereinstimmt, sondern mit einem Körnchen des Göttlichen. Dies ist die Verwirklichung des Selbst. Durch spirituelle Bewusstseinsfindung befreit er sich sowohl vom Unwissen als auch aus dem Gefängnis der Leidenschaften. Indem er vom Ich zum Selbst kommt, gelangt der Mensch zur Erlösung, welche die Buddhisten „Erwachen“ nennen. Frédéric Lenoir ist Philosoph, Religionswissenschaftler, Soziologe und Schriftsteller.

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Die Freiheit ist die Kraft des Anfangens

Es gibt zwei selbstwidersprüchliche Auffassungen des Werdens der Freiheit. Christoph Menke erklärt: „Die eine Auffassung, als Geschehen, versteht nicht das Werden der Freiheit; sie gelangt nicht bis zur Freiheit. Die andere Auffassung, als Tat, versteht nicht das Werden der Freiheit; sie beginnt schon mit der Freiheit.“ Das Werden der Freiheit lässt sich nur begreifen, wenn man diesen Gegensatz von Aktivität und Passivität aufzulösen vermag. Die Befreiung muss sich von diesem Gegensatz befreien; sie muss das Werden befreien. Es gibt zwei verschiedene Konzeptionen des Denkens und seiner Freiheit: ein idealistisches und ein ästhetisch-materialistisches Konzept des Denkens. Die Freiheit ist wesentlich negativ. Sie ist die Negation der Unfreiheit. Christoph Menke ist Professor für Philosophie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main.

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Das Gehirn negiert nicht zuträgliche Informationen

Jonathan Rauch stellt fest: „Wenn Ihr gesellschaftliches Ansehen und Ihre Gruppenidentität davon abhängen, dass Sie etwas glauben, dann werden Sie auch einen Weg finden, es zu glauben. Tatsächlich wird Ihnen Ihr Gehirn dabei sogar helfen, indem es Informationen, die diesem Vorhaben zuträglich sind, bereitwillig akzeptiert und sich an sie erinnert, während es nicht zuträgliche Informationen vergräbt und ignoriert.“ Das ist der Grund dafür, dass Intelligenz keinen Schutz vor falschen Überzeugungen bietet. Sie macht Menschen im Gegenteil sogar noch besser im Rationalisieren. Wie Jonathan Haidt in „The Righteous Mind“ schreibt, sind extrem kluge Menschen besser als andere dazu in der Lage, Argumente zur Untermauerung ihrer eigenen Ansichten zu finden. Jonathan Rauch studierte an der Yale University. Als Journalist schrieb der Politologe unter anderem für das National Journal, für The Economist und für The Atlantic.

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Von der Unruhe kommt man nicht so leicht los

Das Titelthema des neuen Philosophie Magazins 05/2024 beschäftigt sich mit der Frage: „Wie komme ich zur Ruhe?“ Die Ruhe ist eine große Sehnsucht vieler Menschen, doch sie ist nur schwer zu erreichen, wie bereits die Stoiker in der Antike wussten. Heute inmitten digitaler Ablenkung, politischer Krisen und spätmoderner Leistungsansprüche scheint sie weiter entfernt denn je. Der Philosoph Ralf Konersmann schreibt: „Charakteristisch für die Situation ist unser ambivalentes Verhältnis zur Unruhe: Wir leiden unter ihr, möchten sie aber auch nicht missen. Ich habe deshalb die Unruhe, unsere moderne Unruhe, eine Passion genannt.“ Inzwischen sind jedoch Trends wie Arbeitszeitreduktion zugunsten der Familien oder die Priorisierung von Hobbys auf dem Vormarsch. Ralf Konersmann erkennt in solchen Initiativen den Versuch, Alternativen zu entwickeln. Dennoch haben auch sie das Potential, neue Unruhe zu erzeugen. Die Unruhe ist also etwas, von dem man nicht so leicht loskommt.

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Vielen Menschen ist am Schutz von Minderheiten gelegen

Markus Gabriel stellt fest: „Minderheiten kann man keineswegs stets den Anspruch zugestehen, Gehör zu finden und bei Entscheidungsprozessen mit am Tisch zu sitzen.“ Pädokriminelle, Antidemokraten, eindeutige Verfassungsfeinde, Mörder usw. haben aufgrund ihrer moralischen Defizite schlichtweg nicht das Recht, als Minderheiten vor institutioneller Härte geschützt zu werden. Vielen Menschen ist jedoch zu Recht am Schutz von Minderheiten gelegen. Zu schützende Minderheiten sind meistens solche, denen man nachweisbar Unrecht angetan hat. Man muss sie besonders schützen, um ihnen das volle moralische und juristische Recht zukommen zu lassen, dessen man sie beraubt hat. Es gehört zu der moralisch empfehlenswerten Seite der Demokratie, dass sie zu Unrecht unterdrückten Minderheiten Gehör verschafft. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Eine Person ist das Vollkommenste in der Natur

Der Begriff der Person entstammt – anders als der der Individualität –, von vornherein dem Humanbereich. Silvio Vietta weiß: „Die Herkunft des Begriffs ist nicht zweifelsfrei belegt. Man nimmt an, das Wort wurde von lateinisch „personare“ abgeleitet im Sinne des Durchdringens einer Stimme durch die Maske.“ Diese Theatermasken hatten individuelle Züge eines Charakters, wenn auch stark stereotypisiert. Sie konnten daher als Anhaltspunkte für bestimmte personale Charakterzüge dienen. Die hellenistische Philologie ging dann auch daran, in philosophischen Texten verschiedene Sprecherrollen ausfindig zu machen. Der Begriff der Person vollzieht dann eine regelrechte „Himmelfahrt“. Er bezeichnet nämlich in der christlichen Theologie des Mittelalters die Einheit von Gottvater, Sohn und heiligem Geist. Prof. em. Dr. Silvio Vietta hat an der Universität Hildesheim deutsche und europäische Literatur- und Kulturgeschichte gelehrt.

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Es gibt eine neue Moral und den Willen zur Umerziehung

Was der Mensch hervorbringt, misst man stets an derselben Elle der Humanität, dem Maßstab gleichberechtigter Menschenwürde. Alain Finkielkraut fügt hinzu: „Keine Möglichkeit wird übersehen, eine Mühe gescheut, wenn es darum geht, Geist und Herz zu öffnen.“ Man beurteilt Philip Roth und Milan Kundera als zu sexistisch, um den Nobelpreis zu verdienen. Und man verdammt Vladimir Nabokovs „Lolita“ aus allen Lehrveranstaltungen der Universitäten. So kann man sich rühmen, niemanden mehr zu privilegieren und die Missetaten und Wunschvorstellungen der letzten Vertreter der patriarchalischen Gesellschaft zu verdammen. Der Bannstahl der neuen Moral und der Wille zur Umerziehung entspringen jedoch nicht dem „Tugendideal der Askese“, sondern einem „egalitären Ideal“. Man hütet sich übrigens, das Wort Tugend zu verwenden, weil man sich unbedingt vom Krieg gegen die Libido distanzieren will. Alain Finkielkraut gilt als einer der einflussreichsten französischen Intellektuellen.

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Viele Menschen werden in starre Lebensläufe gezwungen

Sogenannte „Fachidioten“ führen ihre Follower in die Gefangenschaft der eigenen Selbstverständlichkeiten. Diese verleiten zu einem sehr gegrenzten Handeln. Die „Filter-Bubble“ ist nicht nur ein Phänomen des Digitalen, sondern zeigt sich auch im Analogen, in der Bildung. Anders Indset kritisiert: „Die Wissensgesellschaft ist ein Produkt des fatalen Nickerchens, in der trotz der Aktivierung und der Aufbruchstimmung der Sechzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts die Menschen im Wesentlichen in starre und vorbestimmte Lebensläufe gezwungen werden.“ Der Lebensplan steht bereits in der Kindheit fest. Man weiß, was einen im Leben erwartet – der Job wartet. So dient die sich zur Absolutheit gesteigerte Wissensgesellschaft der Förderung der Wirtschaft und des ökonomischen Wachstums. Auf einem kontrollierten und messbaren Bildungsweg begeben sich die Menschen in ein Leben der Konformität. Anders Indset, gebürtiger Norweger, ist Philosoph, Publizist und erfolgreicher Unternehmer.

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Die Herausforderungen für die Menschheit sind gewaltig

Die größten Herausforderungen dieser Welt – Klimawandel, Migration, Epidemien, Kriege, Ungleichheiten – lassen sich weder „lösen“ noch „besiegen“. Rebekka Reinhard ergänzt: „Auch ganze Heerscharen weicher Helden, die Anarchie und Gewaltlosigkeit in sich vereinten, könnten uns nicht den Weltfrieden bescheren. Dafür können sie mit spielerischer Leichtigkeit den ineffizienten Heroismus durchkreuzen.“ Mit jedem Akt des „Nicht-Tuns“. Bis der Lauf der Welt sich in eine andere Richtung dreht. Bis man sieht, dass die durch Schwerter, Bomben und Granaten, Strafen und Sanktionen erzeugten Risse im Gewebe der Welt allen schaden. Weil auf dem Planeten Erde nichts isoliert existiert. Sondern alles mit allem verwoben und in seiner Freiheit und Verletzlichkeit auf anderes angewiesen ist. Rebekka Reinhard ist Chefredakteurin des Magazins „human“ über Mensch und KI. Unter anderem ist sie bekannt durch den Podcast „Was sagen Sie dazu?“ der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft wbg.

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Eine wunderbare Zukunft ist kein leerer Traum

Die Zukunft könnte immens sein. Sie könnte auch sehr gut sein – oder aber sehr schlecht. William MacAskill erklärt: „Um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie gut, sollten wir uns ansehen, welche Fortschritte die Menschheit in den vergangenen Jahrhunderten gemacht hat.“ Vor 200 Jahren betrug die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen weniger als dreißig Jahre, heut sind es 73. Damals lebten mehr als 80 Prozent der Menschen in extremer Armut; heute sind es weniger als zehn Prozent. Damals konnten nur 10 Prozent der Erwachsenen lesen, heute sind es 85 Prozent. Gemeinsam hat die Menschheit die Fähigkeit, diese positiven Entwicklungen fortzusetzen und etwas gegen negative Entwicklungen wie die massiven Treibhausemmissionen und das Leid der Massentierhaltung zu unternehmen. William MacAskill ist außerordentlicher Professor für Philosophie an der Universität Oxford.

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Daniel-Pascal Zorn kennt die Geschichte der Postmoderne

Die Geschichte der Postmoderne gibt es nicht. Eine Geschichte der Postmoderne, sicherlich die bekannteste, ist verbunden mit Michel Foucault und Jacques Derrida, den beiden großen Philosophen der französischen Philosophie der 1960 und 1979er Jahre. Sie ist auch verknüpft mit Jean-François Lyotard, der 1979 „Das postmoderne Wissen“ geschrieben hat und mit Richard Rorty, der den Begriff „Postmoderne“ oder „postmodern“ zu verschiedenen Gelegenheiten diskutiert hat. Daniel-Pascal Zorn fügt hinzu: „Aber die Fragen, die diese Philosophen stellen, finden nicht im luftleeren Raum statt. Sie sind ihrerseits eingebettet in einen historischen und theoretischen Kontext, der weiter zurückreicht, bis zu den Anfängen der bürgerlichen Gesellschaft im 19. Jahrhundert. Daniel-Pascal Zorn studierte Philosophie, Geschichte und Komparatistik. Seit 2021 ist er Geschäftsführer des Zentrums für Prinzipienforschung an der Bergischen Universität Wuppertal.

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Ohne Gottlob Frege gäbe es heute keine digitale Revolution

Gottlob Frege gehört für Markus Gabriel zu den größten Logikern aller Zeiten. Als Mathematiker hat er maßgeblich zur Erfindung moderner symbolischer Logiken beigetragen. Das heißt, zu den mathematischen Zeichensystemen, die man heute noch verwendet, um die abstrakten Gedanken der Mathematik auszudrücken. Markus Gabriel stellt fest: „Gottlob Frege hat eine eigene Schriftsprache erfunden, um auf diese Weise die logischen Beziehungen zwischen Gedanken übersichtlicher darstellen zu können.“ Diese Schriftsprache nennt er die „Begriffsschrift“. Ohne Gottlob Freges Begriffsschrift gäbe es heute keine digitale Revolution. Er hat auch eine der wichtigsten Texte über das Denken geschrieben, seinen unscheinbaren kleinen Aufsatz „Der Gedanke“ von 1918. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Die Liebe ist das schwarze Loch aller moralischen Überlegungen

Emanuele Coccia weiß: „Dass es so schwer ist, über die Liebe – und damit über das Zuhause – nachzudenken, liegt allerdings nicht nur an der Zerbrechlichkeit und moralischen Blindheit unserer Kultur. Vielmehr ist die Liebe schon aufgrund ihrer Beschaffenheit das schwarze Loch aller moralischen Überlegungen.“ Denn sie ist der ethische Raum, in dem sich das Leben nicht auf Vorschriften, Gesetze oder Gewissheiten stützen kann. Der Grund dafür ist jedoch nicht ihr vermeintlich anarchisches Wesen, denn in Wahrheit gibt es nichts Strukturierteres als die Erfahrung der Liebe. Aber es ist eine besondere Struktur. In der Antike bezeichnete man moralische Kategorien wie diese üblicherweise als „Mysterien“, als Bereiche der Existenz also, in denen man sich nicht auf Wissen oder Gesetzmäßigkeiten verlassen kann, sondern in die man eingeweiht werden muss. Emanuele Coccia ist Professor für Philosophiegeschichte an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris.

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Die Fotografie ist ein Drama von Tod und Auferstehung

Das analoge Foto ist ein Ding. Nicht selten hüten es Menschen wie ein Herzensding. Seine fragile Materialität setzt es dem Altern, dem Verfall aus. Es wird geboren und erleidet den Tod. Byung-Chul Han ergänzt: „Die analoge Fotografie verkörpert die Vergänglichkeit auch auf der Ebene des Referenten. Das fotografierte Objekt entfernt sich unerbittlich in die Vergangenheit. Die Fotografie trauert.“ Ein Drama von Tod und Auferstehung beherrscht die Theorie der Fotografie von Roland Barthes, die sich als eine Eloge der analogen Fotografie lesen lässt. Als fragiles Ding ist die Fotografie zwar dem Tod geweiht, aber sie ist gleichzeitig ein Medium der Auferstehung. Sie fängt die Lichtstrahlen ein, die von ihrem Referenten ausgehen, und hält sie auf Silberkörnchen fest. Die Bücher des Philosophen Byung-Chul Han wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt.

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Das Leiden an Trostlosigkeit breitet sich in einer sterbenden Welt aus

Der australische Naturphilosoph Glenn Albrecht hat 2005 den Begriff der „Solastalgie“ geschaffen, um das Trauma zu beschreiben, das durch den Verlust der vertrauten ökologischen Umwelt entsteht. Eva von Redecker ergänzt: „Nostalgie, aber in Echtzeit: eine Sehnsucht nicht nach Vergangenem, sondern nach dem, was man für unverrückbar gegenwärtig hielt.“ Das Wort, das sich aus dem lateinischen „solacium“ – Trost – und dem griechischen „algia“ – Leid – zusammengebaut ist, kommt einem nicht gerade leicht über die Lippen. „Leiden an Trostlosigkeit“: Das beschreibt nicht schlecht, was Menschen in einer sterbenden Welt befällt. Aber der Neologismus macht Eva von Redecker stutzig, weil in ihm so viel fehlt. Es kommt weder die Welt vor, auf die sich die Sehnsucht richtet, noch der Grund ihres Verlusts. Eva von Redecker ist Philosophin und freie Autorin. Sie beschäftigt sich mit der Kritischen Theorie, Feminismus und Kapitalismuskritik.

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Moralisieren führt zu nichts

Was bedeutet es, ein guter und glücklicher Mensch zu sein? Die Frage ist nicht, wie gut ein Mensch ist, sein sollte oder müsste, um als „gut“ durchzugehen. Rebekka Reinhard erläutert: „Ethik ist kein Wettbewerb. Moralisieren führt zu nichts – außer zur Spaltung aller menschlichen Regungen in „gut“ und „schlecht“. Die einzige Frage, auf die es ankommt, ist: „Was kann ich jetzt Gutes tun?“ Man fängt bei sich selbst an und tut es. So einfach ist das. Gutes geschieht nicht, wenn man es durchdenkt, darüber liest oder schreibt. Es passiert nicht irgendwann, wenn sich ein Slot im Kalender ergibt. Rebekka Reinhard ist Chefredakteurin des Magazins „human“ über Mensch und KI. Unter anderem ist sie bekannt durch den Podcast „Was sagen Sie dazu?“ der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft wbg.

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Der Philosoph Alain de Botton hat die „School of Life“ gegründet

Alain de Botton, Philosoph und Verfasser des Bestsellers „Wie Proust Ihr Leben verändern kann“, hat in London eine „School of Life“ gegründet. Andreas Salcher erläutert: „Er ist überzeugt, dass Literatur und Philosophie helfen können, ein besseres Leben zu leben – wenn sie nur richtig vermittelt werden.“ Alain de Botton sagt: Was wir tun, ist eine Provokation dem akademischen Betrieb. Die Grundannahme der Akademie ist: Es gibt sehr viel Wissen, aber es sollte nicht im Leben angewandt werden. Dies gilt als vulgär, jedenfalls in den Geisteswissenschaften. Alain de Botton hat nie verstanden, was so gefährlich daran sein soll, nach dem Nutzen von etwas zu fragen. Oder was so schlimm daran ist, wenn etwas Spaß macht. Dr. Andreas Salcher ist Mitgebegründer der „Sir Karl-Popper-Schule“ für besonders begabte Kinder. Mit mehr als 250.000 verkauften Büchern gilt er als einer der erfolgreichsten Sachbuchautoren Österreichs.

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Nicht jeder Mensch beherrscht die Kunst der Liebe

Man verkennt das Wesen der Liebe, wenn man meint, dies sei nichts weiter als ein Gefühl, das sich einstellt oder nicht und auf das man wenig Einfluss hat. Albert Kitzler ist ganz anderer Ansicht: „Liebe ist eine Kunst, die keineswegs jeder Mensch von Natur aus beherrscht, sondern von den meisten gelernt werden muss, soll ihr Leben gelingen.“ Würden die Menschen die Kunst des Liebens beherrschen, würden die Menschheit in einer anderen Welt leben. Man würde sich dann nicht gegenseitig persönlich angreifen und verletzen, sondern miteinander respektvoll, mitfühlend und verständnisvoll umgehen. Die Völker würden sich nicht bekriegen, ausbeuten und unterdrücken, Gläubige würden Andersgläubige nicht verfolgen, ausgrenzen und töten. Der Philosoph und Medienanwalt Dr. Albert Kitzler gründete 2010 „Maß und Mitte – Schule für antike Lebensweisheit und eröffnete ein Haus der Weisheit in Reit im Winkl.

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Ein Wissenschaftler versucht die Welt zu verstehen

Der Wissenschaftler denkt menschlich – wie sollte es auch anders sein. Er beurteilt und bewertet die Welt und den Menschen aus seiner Perspektive. Er sucht die Welt zu verstehen, die Naturgesetze zu nutzen, um die Bedingungen des menschlichen Lebens zu verbessern und um mit sich selbst ins Reine zu kommen. Der Wissenschaftler dient allgemein menschlichen Zielen, sucht seinen Beitrag zum Gelingen des menschlichen Zusammenlebens zu erbringen. Paul Kirchhof weiß: „Deshalb ist er offen für alle Formen menschlichen Erfahrens, Messens, Beurteilens, Verstehens. Eine Beschränkung auf nur eine Form menschlichen Erkennens wäre einengend, widerspräche der vernünftigen und beherzten Freiheit.“ Dies gilt auch für eine Erfahrungswissenschaft, die ihre Fragestellungen nicht nur den Erkenntnisformen der Kausalität, des Experiments, der rationalen Erfahrung und Berechenbarkeit verdankt. Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg.

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Viele Menschen suchen bei der Arbeit den Sinn des Lebens

Früher war der Job einfach nur zum Geldverdienen da. Heute geht es vielen Menschen bei der Arbeit um nichts weniger als den Sinn des Lebens. Sie meinen, dass sinnvolle Jobs jene sind, durch die die Welt ein bisschen besser wird. Ist die Suche nach dem Sinn bei der Arbeit nicht eigentlich die Suche nach Moral? Nämlich nach hehren Prinzipien allgemeinverbindlichen Handelns? Oder nach den unbestreitbaren und ewig gültigen Guten? Das nobelste aller Ziele wäre dann ein guter Mensch zu sein. Ingo Hamm stellt die Frage noch einmal anders: „Ist Sinn = Moral? Suchen wir insgeheim nicht nach einer sinnvollen, sondern in Wirklichkeit nach einer moralischen Aufgabe?“ Vielleicht ist das lediglich eine simple Wortverwechslung. Dr. Ingo Hamm ist Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Darmstadt.

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„Providentia“ vereint drei Elemente

„Providentia“ war jahrhundertelang das Leitwort für menschliches Handeln in Bezug auf die Natur. Der Begriff knüpfte unmittelbar an die christliche Schöpfungslehre an. Er bezeichnete die Lehre von der Erhaltung der Welt und der Fortsetzung der göttlichen Schöpfung. Allerdings war diese Erhaltung- und Fortsetzungslehre von vornherein determiniert. Katia Henriette Backhaus erklärt: „Da die Menschen noch von der Existenz einer göttlichen Vorsehung ausgingen, war ihr Handeln in Bezug auf die Natur eher eine Art ausführender Gehorsam. So verbot sich ein allzu radikales, schädigendes Eingreifen in die Prozesse der Natur.“ Der Oberbegriff der „providentia“ bezeichnet allgemein die Handlung und die Fähigkeit, in die Zukunft hinein zu denken oder sie sogar vorauszusehen. Katia Henriette Backhaus hat an der Universität Frankfurt am Main promoviert. Sie lebt in Bremen und arbeitet als Journalistin.

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Der Mensch ist zum Untergang bestimmt

Der Mensch, so Zarathustra mit einer berühmt gewordenen Formulierung, „ist ein Seil, geknüpft zwischen Thier und Übermensch, – ein Seil über einem Abgrund“. Das Bild des Seils ist für Konrad Paul Liessmann so eindringlich wie schief. Der Mensch erscheint als Brücke, als Übergang zwischen den Existenzformen Tier und Übermensch. Darunter lauert ein Abgrund. Der Mensch ist Mensch nur auf Abruf, etwas Vorläufiges, der sich auf einem unsicheren Weg befindet. Er bewegt sich auf einem gefährlichen Hinüber, immer bedroht von einem gefährlichen Schaudern und Stehenbleiben. In diesem Sinne ist der Mensch zum Untergang bestimmt, denn er soll über sich hinausgehen können. Mit anderen Worten: Was jetzt noch Mensch heißt, soll verschwinden. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Philosophie an der Universität Wien. Zudem arbeitet er als Essayist, Literaturkritiker und Kulturpublizist. Im Zsolnay-Verlag gibt er die Reihe „Philosophicum Lech“ heraus.

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