Effizienz ist nicht die einzige wirtschaftliche Tugend

Als der wirtschaftliche Flächenbrand im März 2020 begann, schrieb William Galston in einem Leitartikel im „Wall Street Journal“: „Effizienz ist nicht die einzige wirtschaftliche Tugend.“ Er meinte, es könne etwas nicht stimmen mit einem Wirtschaftssystem, das außerstande ist, während einer Gesundheitskrise, wie sie in einem Jahrhundert nur einmal vorkommt, die Grundbedürfnisse der Bevölkerung zu decken. Jeremy Rifkin erläutert: „Galston legte dar, dass der Erfolg der Globalisierung darauf beruht, die Produktion von alltäglichen Gütern und Dienstleistungen in diejenigen Weltregionen zu verlagern, in denen sich durch niedrige Lohnkosten und nicht vorhandene Umweltschutzgesetze effiziente Skaleneffekte erzielen lassen.“ Diese Produkte werden dann mit Containerschiffen und Flugzeugen aus fernen Ländern in die reichen Länder transportiert. Jeremy Rifkin ist einer der bekanntesten gesellschaftlichen Vordenker. Er ist Gründer und Vorsitzender der Foundation on Economic Trends in Washington.

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Originalität und Rarität machen einzigartig

Die kulturellen Güter, die in der Spätmoderne fabriziert und angeeignet werden, sind überwiegend singuläre Güter. Andreas Reckwitz schränkt ein: „Natürlich: Jene kulturellen Güter, die massenhaft produziert und von der Masse als standardisierte genossen werden, hat es in der Moderne immer gegeben und gibt es immer noch.“ Doch sie sind in die Defensive geraten und herabgesunken in die Sphäre der Profanität. Aber was macht ein kulturelles Gut zu einem singulären? Um einzigartig zu werden, kommen für ein Gut zwei Eigenschaften in Frage, die nicht aufeinander reduzierbar sind: Originalität und Rarität. Demgegenüber ist das standardisierte Gut, dem die Singularität abgesprochen wird, durch Gleichförmigkeit und Massenhaftigkeit charakterisiert. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

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Freie Märkte fördern Ungleichheiten

Nur eine naive Verteidigung des freien Marktes verlässt sich vollständig auf dessen selbstheilende Kräfte. In Wahrheit pflegen in dem sich selbst überlassenen Markt außer Ungleichheit vor allem Oligopole, Monopole und Kartelle zu entstehen. Dadurch wird der Wettbewerb geschwächt und das Gegenteil des freien Marktes erreicht wird. Die Verbesserung der Produkte lässt nach, stattdessen steigen für die Konsumenten die Preise und für die Unternehmen die Gewinne. Derartige Verzerrungen des Wettbewerbs sind laut Otfried Höffe paradoxerweise von der ökonomischen Rationalität her gegeben. Denn unter der Voraussetzung der entsprechenden Macht erzielt man entweder mit gleichen Mitteln einen größeren Profit oder erreicht denselben Profit mit geringerem Einsatz. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

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Philipp Hübl erklärt den ästhetischen Kapitalismus

Besonders verfeinerte Speisen und Getränke sind Teil eines größeren Phänomens der Moderne, nämlich der Individualisierung. Philipp Hübl stellt fest: „Sobald wir alles besitzen, müsste unser Konsum eigentlich deutlich nachlassen.“ Das ist aber nicht der Fall, denn in diesem Moment setzt der „ästhetische Kapitalismus“ ein. Jetzt will man das ästhetisch Neue und Besondere, die „Singularitäten“, wie der Soziologe Andreas Reckwitz sagt. Man wünscht sich originelle oder seltene Einzelstücke und unwiederholbare Ereignisse. Und daher konsumiert man immer weiter. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu hat schon vor einem halben Jahrhundert in seiner Studie „Die feinen Unterschiede“ herausgearbeitet, dass es beim Konsum genau darauf ankommt. Philipp Hübl ist Philosoph und Autor des Bestsellers „Folge dem weißen Kaninchen … in die Welt der Philosophie“ (2012).

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Adam Smith erklärt den Wohlstand der Nationen

Adam Smiths berühmtes Buch von 1776, „Der Wohlstand der Nationen“, ist ein guter Ausgangspunkt, um zu verstehen, wie Nationen gedeihen. Joseph Stiglitz erläutert: „Es gilt weithin als das Werk, dass die moderne Volkswirtschaft begründetet.“ Adam Smith kritisierte darin zu Recht den Merkantilismus. Das war jene wirtschaftliche Denkschule, die in Europa während der Renaissance und im frühen Industriezeitalter vorherrschte. Die Merkantilisten plädierten dafür, möglichst viele Güter zu exportieren, um so an Gold zu kommen. Sie glaubten, dies würde den Reichtum ihrer Volkswirtschaften erhöhen und die politische Macht ihrer Nationen steigern. Heute schmunzelt man eher über diese naiven Vorstellungen. Denn Gold in einer Schatzkammer zu horten, sorgt nicht für einen höheren Lebensstandard. Joseph Stiglitz war Professor für Volkswirtschaft in Yale, Princeton, Oxford und Stanford. Er wurde 2001 mit dem Nobelpreis für Wirtschaft ausgezeichnet.

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Menschen begehren Anerkennung durch andere

Ökonomen nehmen an, dass Menschen von Präferenzen oder Nützlichkeiten motiviert werden, von Wünschen nach materiellen Mitteln oder Gütern. Dabei vergessen sie jedoch den Thymos. Dabei handelt es sich um denjenigen Teil der Seele, der Anerkennung durch andere begehrt. Dies geschieht entweder in Form von Isothymia, dem Streben, die gleiche Würde wie die Mitmenschen zu empfangen. Oder vollzieht sich in der Form von Megalothymia, dem Bedürfnis, im Vergleich mit anderen als überlegen zu gelten. Francis Fukuyama erklärt: „Ein großer Teil dessen, was wir normalerweise für eine wirtschaftliche, von materiellen Bedürfnissen oder Wünschen ausgelöste Motivation halten, ist in Wirklichkeit ein thymotisches Verlagen nach Anerkennung der eigenen Würde oder des eigenen Status.“ Francis Fukuyama ist einer der bedeutendsten politischen Theoretiker der Gegenwart. Sein Bestseller „Das Ende der Geschichte“ machte ihn international bekannt.

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Nur der Mensch produziert Abfall

Der Abfall ist eine Sache des Menschen. Die Natur kennt keinen Abfall. Konrad Paul Liessmann erläutert: „Was im Kreislauf der Natur entsteht und vergeht, wird in diesen immer wieder eingespeist und verwandelt. Es ändert seine Gestalt, Form und Funktion, aber wird nicht als Abfall entsorgt.“ Nur der Mensch produziert Abfall. Nur aus der Perspektive des Menschen erscheinen bestimmte Dinge als Abfall. Für den Menschen gibt es drei Arten von Dingen: dauerhafte, vergängliche und den Abfall. Abfall ist all das, was eigentlich aus dem Blickfeld der Menschen entfernt werden soll. Abfall ist das, was noch da ist, aber schon weg sein sollte. Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech.

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So entstand das Geld

Geld ist erfunden worden, um den Austausch von Gütern zu erleichtern, sagt die Mehrzahl der Ökonomen. Anfangs hat man einfach nur Naturalien getauscht. Das Weggegebene war gewissermaßen das Geld; das, was man dafür bekam, die Ware. Vor allem Edelmetalle empfahlen sich später als allgemeine Tauschmittel. Christoph Türcke schreibt: „Man begann den Wert, den tauschbare Gebrauchsgüter für den Besitzer oder den Erwerber hatten, in Edelmetallmengen auszudrücken und bekam so eine allgemein anerkannte Währung, die sich als Regelwerk des Austauschs als außerordentlich praktisch erwies.“ So stellte sich zum Beispiel der griechische Philosoph Aristoteles die Entstehung des Geldes vor und die Pioniere der politischen Ökonomie der Neuzeit, John Locke, Adam Smith, David Ricardo und ihre Anhänger, sind ihm darin gläubig gefolgt. Prof. Dr. Christoph Türcke war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig.

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Das Kino verschränkt den Konsum mit der Kunst

Die Welt des Konsums entwickelt sich seit den 1920er Jahren zur neuen Kultursphäre. Es findet sozusagen eine Konsumrevolution statt. Andreas Reckwitz erläutert: „Güter, die bisher primär instrumentellen Zwecken dienten, kulturalisiert man nun mehr und mehr. Und sie erhalten einen narrativen, ästhetischen, expressiven oder ludischen Selbstzweck.“ Mit dem Konsum weitet sich jenseits von bürgerlicher Kunst und Kultur das Feld dessen, was Kultur sein kann, deutlich aus. Zentral ist: Die Güter in einer kommerziellen Marktkonstellation buhlen um die Gunst des Konsumenten. Daher koppelt man Kultur nun nicht mehr an den Staat, sondern an die Ökonomie. In einzelnen Segmenten lassen sich hier bereits Mechanismen von kultureller Innovation und Differenzierung nach Art eines „Modezyklus“ beobachten. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

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Erst mit den Märkten entstehen die modernen Städte

Ursprünglich bezeichnet das Deutsche mit dem Ausdruck „Markt“ den Hausiererbetrieb römischer Krämer, die seit den Zeiten Cäsars die Lande durchziehen. Allgemeiner heiß „Markt“ das öffentliche Feilbieten von Waren, der Handel oder öffentliche Verkauf, ferner der dafür reservierte große und freie Platz einer Stadt. Laut Max Weber entstehen soziologisch gesehen die modernen Städte sogar erst mit den Märkten; jede Stadt ist ein „Marktort“. Otfried Höffe stellt fest: „Wegen ihrer anthropologisch überragenden Bedeutung findet sich die Institution des Marktes in so gut wie allen Kulturen, im Orient beispielsweise als Basar.“ Spezialisierten sich die Märkte, so gibt es je nach Gegenstand den Fischmarkt, Kornmarkt oder Rindermarkt, außerdem den meist nicht ortsgebundenen Arbeits-, Geld- und Kapitalmarkt. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

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Kreative Arbeit besitzt einen Eigenwert

Modernes Arbeiten ist ein zweckrationaler Prozess, der in der Regel im Rahmen von Organisationen stattfindet. Dies gilt auch für die Arbeit an den singulären, kulturellen Gütern in der creative economy. Andreas Reckwitz erklärt: „Auch sie unterliegt einer formalen Rationalisierung, ist die zweckvolle, systematische Form, in der singuläre Güter verfestigt werden, und bleibt vom klassisch-modernen Optimierungsimperativ geprägt.“ Diese weiterhin existierende Logik des Allgemeinen bildet den Hintergrund für die Kreation kultureller Singularitätsgüter. Im Zuge der Transformation der industriellen Produktion zu dem, was Andreas Reckwitz kulturelle Produktion nennt, verändert die Arbeit jedoch ihre Form: Es bildet sich der Typus des kreativen Arbeitens, der Kreativarbeit aus. Von Seiten der spätmodernen Arbeitssubjekte selbst ist der Begriff des kreativen Arbeitens eindeutig positiv und normativ besetzt. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

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Die Singularisierung der Arbeitswelt schreitet unaufhaltsam voran

In der postindustriellen Ökonomie transformiert sich im Zuge des Strukturwandels der Güter und der Märkte auch die Arbeitswelt. Andreas Reckwitz erläutert: „Betroffen davon sind die Praxis des Arbeitens selbst, die Art und Weise, in der Organisationen aufgebaut sind, sowie die Kompetenzen, Wünsche und Anforderungen der arbeitenden Subjekte.“ Auf allen diesen Ebenen findet eine Kulturalisierung und Singularisierung der Arbeitsformen statt, die sich von den Strukturen standardisierter Arbeit der industriellen Moderne lösen. Die Erosion der industriellen Logik der Arbeitswelt hat die Soziologie in den vergangenen zwanzig Jahren mit unterschiedlichen Leitbegriffen herausgearbeitet: Der Begriff der immateriellen Arbeit weist darauf hin, dass vielfach weniger an materiellen Gütern, denn an Kommunikation, Zeichen und Affekten gearbeitet wird. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

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Die Kultur zeichnet sich durch eine Doppelstruktur von Moment und Dauer aus

Singuläre Güter besitzen eine eigentümliche Zeitstruktur, die sich von derjenigen funktionaler Güter grundsätzlich unterscheidet. Andreas Reckwitz erläutert: „Letztere werden vernutzt und abgenutzt, wodurch es im Laufe der Zeit zu einem sukzessiven Verlust des Gebrauchswertes kommt.“ Dies gilt für Dinge, Informationen und Dienstleistungen: Elektrogräte werden irgendwann defekt, Informationen veralten und die Wohnung, die gestern geputzt wurde, muss nächste Woche gereinigt werden. Ganz anders hingegen verhält es sich mit der temporalen Struktur der kulturell-singulären Güter: Sie enthalten eine extrem kurzfristige Orientierung am Erleben im Moment und eine extrem langfristige Orientierung an einem bleibenden kulturellen Wert. Genau diese zeitliche Doppelstruktur von Moment und Dauer ist für die Welt der Kultur generell kennzeichnend. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

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Einzigartigkeit und Authentizität sind eng miteinander verknüpft

Während der Konsument von funktionalen Gütern erwartet, dass sie einen Nutzen erfüllen, erwartet er von kulturell-singulären Gütern Authentisches. Andreas Reckwitz nennt Beispiele: „Authentisch soll der Urlaubsort sein – und ebenso die Politikerin, der Yoga-Kurs, die Musik oder das Essen.“ Entsprechend ist der Prozess der Singularisierung der Güter zugleich immer ein Prozess der Authentifizierung, das heißt der Beobachtung, der Bewertung, Hervorbringung und Aneignung als authentisch. Die spätmoderne Ökonomie ist eine Ökonomie von Authentizitätsgütern. Nun ist Authentizität ein vieldeutiger Begriff, der nicht zufällig aus dem semantischen Pool der Romantik stammt. Bereits in diesem historisch-kulturellen Kontext waren Einzigartigkeit und Authentizität eng miteinander verknüpft. Das Authentische erscheint beispielsweise bei Jean-Jacques Rousseau als das Gegenteil des Künstlichen. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

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Andreas Reckwitz beschreibt die Kulturalisierung der Güter

In der spätmodernen Gesellschaft verlangen die Konsumenten verstärkt nach kulturell-singulären Gütern. Und der singularistische Lebensstil gewinnt seine Struktur, seinen Reiz und seinen Sinn dadurch, dass er sich solche Güter aneignet. Andreas Reckwitz stellt fest: „Entsprechend verlegt sich das ökonomische Feld darauf, diese Form der Güter in hochgradig differenzierter Form anzubieten und das Begehren nach ihnen noch weiter anzustacheln.“ Die Singularisierung der ökonomischen Objekte geht hier einher mit der Singularisierung der Subjekte: Wer von Objekten das Besondere erwartet, erwartet dies auch von Subjekten – einschließlich von sich selbst; wer selbst als Subjekt Besonderheit beansprucht, sucht nach Objekten, mittels deren sich diese ausdrücken und fortentwickeln lässt. Güter zeichnen sich zuerst einmal dadurch aus, dass sie auf Märkten angeboten und von Konsumenten gekauft werden. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

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Die kreative Ökonomie nimmt immer größeren Raum ein

Im institutionellen Kern der Singularisierung und Kulturalisierung der spätmodernen Ökonomie befindet sich das, was man die creative industries, die cultural economy oder die creative economy nennt. Andreas Reckwitz weiß: „Die creative economy ist die treibende Kraft der postindustriellen Wirtschaft.“ In einer engen Definition umfassen die creative industries die Architektur, die Werbung, die Kunst, das Kunsthandwerk, die Musik, Film und Video, das Design, die Mode, die darstellenden Künste, Computerspiele, Softwareentwicklung und Computerdienste, schließlich Medien aller Art, ob Print, Hörfunk, Fernsehen oder Online. In einer etwas weiter gefassten Definition schließt die creative economy auch die Branchen des Tourismus und des Sports ein. Sie geh darin in die sogenannte experience economy – Erlebnisökonomie – über. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

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Andreas Reckwitz kennt den Nachfolger der Industriegesellschaft

Seit den 1980er Jahren transformiert sich die westliche Wirtschaft von einer Ökonomie der standardisierten Massengüter zu einem Wirtschaftssystem der Singularitäten. Andreas Reckwitz erläutert: „Diese Singularisierung bedeutet zugleich eine Kulturalisierung der Ökonomie, in deren Zentrum sich der Strukturwandel von den funktionalen Gütern zu jenen Gütern befindet, denen die Konsumenten primär einen kulturellen Wert und kulturelle Qualitäten zuschreiben.“ Die creative economy wird damit zur treibenden Kraft. Die Singularisierung und Kulturalisierung der Güter geht Hand in Hand mit jener der Märkte, der Arbeitsformen und des Konsums. Die Strukturmerkmale der Industrieökonomie und industriellen Moderne insgesamt, welche die westlichen Gesellschaften vom Ende des 19. Jahrhunderts bi sin die 1970er Jahre hinein fast ein ganzes Jahrhundert lang prägten, werden damit abgelöst von jenen einer genuin postindustriellen Ökonomie. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

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Philosophie ist kein absolutes Wissen

Wer die Philosophie als Lehrerin für sein Leben wählt, darf nicht erwarten, sie sage einem mit allgemeiner Gültigkeit, was zu tun und zu lassen ist. Das wäre nach Seneca ein großes Missverständnis. Albert Kitzler erläutert: „Zwar geht es ihr um Erkenntnis, Einsicht, Schärfung der Begriffe, Unterscheidung, um Wahrheit und Irrtum. Aber unser Leben, das wir zu bewältigen haben, ist immer einmalig, jeder von uns ist einmalig.“ Es ist noch eine Kluft zu überbrücken, die sich immer und unvermeidlich zwischen einer Erkenntnis und allgemeinen Weisheitsregeln einerseits und den individuellen Umständen einer konkreten Lebenssituation andererseits auftut. Dies kann dazu führen, dass eine Weisheit modifiziert werden und hinter einer anderen zurücktreten muss. Der Philosoph und Jurist Dr. Albert Kitzler ist Gründer und Leiter von „MASS UND MITTE“ – Schule für antike Lebensweisheit.

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Paul Kirchhof weist den Weg zu einer beherzten Freiheit

Paul Kirchhof fordert in seinem neuen Buch „Beherzte Freiheit“ ein neues Denken der freiheitlichen Autonomie des Menschen. An zahlreichen Beispielen zeigt er, wie Menschen durch das Recht und die Politik aus falschem Wohlmeinen eingeschränkt werden. Die Globalisierung und Digitalisierung kann eine Person von einem handelnden Subjekt in ein lenkbares Objekt verwandeln. Paul Kirchhof warnt: „Wenn wir die Sorge für die Freiheit allein dem Staat überlassen, verkümmert unsere innere Kraft dazu.“ Echte Freiheit, so zeigt der Autor, lässt sich in einer an Gütern, Chancen und Informationen übervollen Gesellschaft nicht allein durch die Verbesserung der äußeren Lebensbedingungen gewinnen. Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg. Als Richter des Bundesverfassungsgerichts hat er an zahlreichen, für die Entwicklung der Rechtskultur der Bundesrepublik Deutschland wesentlichen Entscheidungen mitgewirkt.

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Der Minimalismus beschränkt sich nicht nur auf Gegenstände

Das Wegwerfen von Dingen ist kein Ziel an sich. Fumio Sasaki hält Minimalismus für eine Methode, um herauszufinden, was einem wirklich etwas bedeutet. Minimalismus ist seiner Meinung nach nur der Prolog einer ganz persönlichen Geschichte, die jeder selbst schreiben muss. Übrigens beschränkt sich der Minimalismus nicht nur auf Gegenstände. In der hektischen Welt der Gegenwart ist alles derart kompliziert, dass sich der Minimalismus inzwischen auch auf weitere Gebiete ausbreitet. Fumio Sasaki schreibt: „Minimalismus ist der Versuch, das Nicht-Essenzielle zur Seite zu schieben, um das wirklich Wichtige besser würdigen können. Diese einfache Idee lässt sich auf alle Facetten des Lebens anwenden.“ Steve Jobs hält Fumio Sasaki für das Musterexemplar eines Minimalisten. Mutter Teresa ebenfalls. Fumio Sasaki arbeitete als Cheflektor des japanischen Verlages Wani Books, bevor er freier Autor wurde.

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In den reichen Gesellschaften wird die Arbeit knapper

Wirtschaftswachstum, das auf Ausbeutung beruht – dieses Geschäftsmodell ist längst an seine Grenzen gelangt. Der Planet Erde, auf dessen äußerster Kruste die Menschheit ihre Existenz beschreitet, scheint nicht mehr willens zu sein, die Kapriolen der Menschen zu ertragen. Phillip Blom schreibt: „Smartphones und Internet haben Informationen, Gerüchte und Propaganda globalisiert, riesige Menschenströme sind auf der Flucht vor dem Tod und auf der Suche nach einem Leben.“ In den reichen Gesellschaften selbst wird die Arbeit knapper. Das wird nur deswegen noch nicht deutlicher sichtbar, weil noch genug Geld da ist, es zu verbergen. Arbeitslose werden umdeklariert oder nicht gezählt, aber ihre Zahl wächst stetig, und wer einen neuen Job findet, das der Arbeitsplatz morgen schon wieder verschwunden sein kann. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

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Der kulturelle Kapitalismus ersetzt den industriellen

In der Gesellschaft der Gegenwart wird nicht mehr das Allgemeine, sondern das Besondere erwartet. Andreas Reckwitz erläutert: „Nicht an das Standardisierte und Regulierte heften sich die Hoffnungen, das Interesse und die Anstrengungen von Institutionen und Individuen, sondern an das Einzigartige, das Singuläre.“ Diese Entwicklung hat die gesamte spätmoderne Ökonomie erfasst. Sowohl für materielle Güter wie für Dienstleistungen gilt, dass an die Stelle der Massenproduktion uniformer Waren jene Ereignisse und Dinge treten, die nicht für alle gleich oder identisch sind, sondern einzigartig, das heißt singulär sein wollen. Die spätmoderne Ökologie ist mehr und mehr an singulären Dingen, Diensten und Ereignissen ausgerichtet, und die Güter, die sie produziert, sind zunehmend solche, die nicht mehr rein funktional, sondern auch oder allein kulturell konnotiert sind und affektive Anziehungskraft ausüben. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

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Das Begehren gilt als die eigentliche Dynamik der Zivilisation

Der Begriff „Zivilisation“ bezeichnet eine Welt, die der Mensch mit seinen Händen geschaffen hat. Sie drängt die Natur so weit zurück, dass der Mensch in seiner Umgebung auf fast nichts mehr trifft, was nicht ihn selbst widerspiegelt. Terry Eagleton ergänzt: „Uns fällt es schwer, uns zu vergegenwärtigen, wie neu diese Art von Umwelt ist im Vergleich zu den weitgehend naturbestimmten Lebensweisen, die ihr vorausgingen.“ Terry Eagleton zweifelt nicht daran, dass das Bedürfnis nach einer Befreiung vom kollektiven Narzissmus einer der Gründe ist, warum der Natur in jüngerer Zeit ein so spektakuläres Comeback gelungen ist. Eine Welt, in der fast alles, mit dem man es zu tun hat, aus den Händen des Menschen stammt, scheint jeder Transzendenz entkleidet zu sein. Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.

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Luxus geht über das Notwendige hinaus

Als Luxus bezeichnet man – und das scheint unstrittig wie sinnvoll zu sein – „jeden Aufwand, der über das Notwendige hinausgeht“. Dies ist die klassische Definition, die der Soziologe Werner Sombart in seinem berühmten Buch „Luxus und Kapitalismus“ von 1913 gegeben hat. Lambert Wiesing ergänzt: „Luxusgüter sind demnach die Dinge und Lebensweisen, mit denen die Vorstellungen vom Notwendigen, vom Sinnvollen, vom Normalen und Angemessenen gesprengt werden.“ Die Kontexte und die Situationen mögen sich ändern; was einmal Luxus war, muss nicht immer Luxus bleiben. Doch in jedem Fall gilt: Wenn etwas in einer Situation Luxus ist, dann deshalb, weil dieses Etwas mit einem übertriebenen, verschwenderischen, irrationalen und überflüssigen Aufwand verbunden ist. Prof. Dr. Lambert Wiesing ist lehrt an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena Bildtheorie und Phänomenologie und ist geschäftsführender Direktor des Instituts für Philosophie.

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Frank Trentmann erforscht den Kult ums Neue

Auf die Frage, warum die meisten Menschen so viel mehr konsumieren, als sie benötigen, antwortet Frank Trentmann: „Konsum ist heute ein wesentliches Merkmal unseres Lebens. Unsere Identität wird zum großen Teil davon bestimmt, was und wie wir konsumieren. Wir drücken uns über Dinge aus, die wir kaufen.“ Dass es solche Massen von Dingen sein müssen, … Weiterlesen