Der Fortschritt geht von den Städten aus

Wenn die Griechen der Antike zum Firmament blickten, sahen sie, wie die Sterne ihre immer gleichen Bahnen ziehen. Das griechische Wort „Kosmos“ bedeutet nicht nur „Weltall“, sondern auch „Schmuck“ und „Ordnung“. Philipp Hübl erläutert: „Die die Astronomen des Altertums war der Sternenhimmel mathematisch geordnet. Die Jahreszeiten und die Sonnenfinsternisse kehrten in berechenbaren Zyklen wieder.“ Natürlich durchbrachen besondere Ereignisse wie Kriege oder Herrscherwechsel die Zeitläufe. Doch im Prinzip blieb alles in den gewohnten Bahnen. Die moderne Idee des Fortschritts, die Verbesserung von Technologien und Lebensverhältnissen, war der griechischen Antike und den darauffolgenden Jahrhunderten weitgehend fremd. Heute dagegen ist nicht nur der technische Fortschritt schnell und andauernd, sondern auch der gesellschaftliche Fortschritt. Philipp Hübl ist Philosoph und Autor des Bestsellers „Folge dem weißen Kaninchen … in die Welt der Philosophie“ (2012).

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Jede Art hat eine Funktion im Ökosystem

Die genetische Vielfalt ist der Rohstoff, mit dem die Evolution die Vielfalt des gesamten Lebens baut. Dirk Steffens und Fritz Habekuss warnen: „Wir wissen nicht, wie viele Bauteile wir aus der Maschine des irdischen Lebens entfernen können, bevor sie aufhört zu funktionieren. Wir wissen nicht, wo genau die Kipppunkte liegen, wie viele Arten noch aussterben können, bevor es auch für uns Menschen lebensgefährlich wird.“ Eine Rechtfertigung für die Untätigkeit und Ignoranz der Menschheit ist dieses Nichtwissen keinesfalls. Auch wenn jede Art eine Funktion in ihrem Ökosystem hat, sind manche doch wichtiger als andere. In ihrem Buch „Über Leben“ erzählen der Moderator der Dokumentationsreihe „Terra X“ Dirk Steffens und Fritz Habekuss, der als Redakteur bei der „ZEIT“ arbeitet, von der Vielfalt der Natur und der Schönheit der Erde.

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Die homogene Gesellschaft ist eine Illusion

Die Deutschen leben in einer pluralisierten Gesellschaft. Das ist nicht nur ein relativ neues Faktum. Das ist auch ein unhintergehbares Faktum: Es gibt keinen Weg zurück in eine nicht-pluralisiert, in eine homogene Gesellschaft. Isolde Charim erklärt: „Um die Reichweite und das ganze Ausmaß der Neuheit zu ermessen, muss man sich den „prä-pluralen“ Gesellschaften, also den Gesellschaften Westeuropas vor ihrer Pluralisierung zuwenden.“ Denn diese geben das Vergleichsmodell ab. Diese homogenen Gesellschaften, also diese Gesellschaften einer relativen ethischen, religiösen und kulturellen Einheitlichkeit sind gewissermaßen die Negativfolie. Der Hintergrund, von dem sich die heutige, pluralisierte Gesellschaft abhebt. Diese homogenen Gesellschaften waren nicht einfach da. Sie sind nicht einfach gewachsen, sozusagen natürlich. Die Philosophin Isolde Charim arbeitet als freie Publizistin und ständige Kolumnistin der „taz“ und der „Wiener Zeitung“.

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Nicht jede Gleichförmigkeit ist schädlich

Einige Formen des Andersseins sind zu begrüßen, andere dagegen nicht. Es ist nicht im Mindesten irrational, gelegentlich Furcht vor dem anderen zu haben. Vielleicht muss man erst einmal feststellen, ob seine Absichten freundlich oder feindlich sind. Terry Eagleton weiß: „Nur sentimentale Schwärmer meinen, man müsse Fremde immer in die Arme schließen. Einige dieser Fremden kennt man unter der Bezeichnung Kolonialisten.“ Die meisten Kulturtheoretiker glauben nicht nur an eine Pluralität der Lebensweisen, sondern auch daran, dass diese sich hybrid mischen müssten. In ethnischen Fragen wäre Hybridität sicherlich ein Vorteil, aber das trifft nicht überall zu. Nicht alle Gleichförmigkeit ist schädlich. Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.

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Ohne Vielfalt gibt es keine Alternativen

Vielfalt ist eine Bereicherung von Freiheit. Wenn es keine Vielfalt gäbe, hätten die Menschen keine Alternativen, zwischen denen sie wählen könnten. Doch das Leben mit einer solchen Vielfalt der Unterschiede hat auch seine Schwierigkeiten. Denn viele wollen vielleicht gerne wieder mehr „unter ihresgleichen“ leben. Das Problem ist nichts Neues. Die Kombination von Massenmigration und Internet hat zu einer atemberaubenden Zunahme der sichtbaren Vielfalt, sowohl materiell auf den Straßen der Weltstädte als auch virtuell auf den Seiten des Internets, geführt. Timothy Garton Ash ergänzt: „Wie nicht anders zu erwarten, geht es in einigen der heftigsten Konflikte um die Meinungsfreiheit um die Frage, wie Menschen sich in Bezug auf solche Unterschiede ausdrücken.“ Timothy Garton Ash ist Professor für Europäische Studien an der Universität Oxford und Senior Fellow an der Hoover Institution der Stanford University.

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Das Leben fließt nie konfliktfrei dahin

Harmonie bedeutet laut Reinhard K. Sprenger nicht Gleichklang, sondern Zusammenklang. Letzteres funktioniert nur bei „Gegenstimmen“. Harmonie ist also ein kluger Umgang mit Gegenstimmen. Befreien muss man sich aber vor allem von der Erwartung, das Leben müsse irgendwie konfliktfrei fließen. Jede Verhandlung im Geschäftsleben ist im Grunde konfliktär. Als Beispiel nennt Reinhard K. Sprenger die Tarifverhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden. Auch in Projekten und Teams ist Konfliktfreiheit wirklichkeitsfremd. Im Grunde ist jede Veränderung mit Spannung verbunden, weil sie alle jene zum Gegner hat, die aus dem Status quo ihre Vorteile ziehen. Das Bild vom ruhigen Fluss führt also in die Irre. Das Gegenteil ist richtig: Konflikt ist das Normale. Reinhard K. Sprenger zählt zu den profiliertesten Managementberatern und wichtigsten Vordenkern der Wirtschaft in Deutschland.

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Es gibt keinen Weg zurück in eine homogene Gesellschaft

Die Vorstellung von Pluralisierung beruht auf dem grundlegenden Missverständnis, dass die Vielfalt, dass die Pluralisierung eine Gesellschaft unverändert ließe. Woher rührt diese falsche Vorstellung. Isolde Charim erläutert: „Sie rührt daher, dass man glaubt, gesellschaftliche Vielfalt sei eine Ansammlung unterschiedlicher Kulturen und Religionen. Gesellschaftliche Vielfalt sei einfach eine Addition.“ Da gäbe es das Bestehende, das sind die Einheimischen, und zu denen käme dann einfach etwas Neues hinzu: beispielsweise die Türken oder die Jugoslawen. Aber Pluralisierung ist keine Addition. Es ist für Isolde Charim das Gebot der Stunde zu verstehen, was Pluralisierung eigentlich bedeutet. Und da muss man zweierlei festhalten: Erstens: Pluralisierung ist ein unhintergehbares Faktum. Es gibt keinen Weg zurück in einen nicht-plurale, in eine homogene Gesellschaft. Die Philosophin Isolde Charim arbeitet als freie Publizistin und ständige Kolumnistin der „taz“ und der „Wiener Zeitung“.

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Jeder Mensch sollte den souveränen Umgang mit der Liebe lernen

Man kann sich durchaus vorstellen, die Menschen werden in Sachen Liebe endlich vernünftig. Flexibel, tolerant und ehrlich. Matthias Horx ergänzt: „Nach all den Tränen der Eifersucht, der Enttäuschung, der Trennung, die aus nichts anderem stammen als dem unerfüllbaren, ja perversen Anspruch an den Einzigen oder die Einzige im Leben, würden wir uns endlich eines Besseren besinnen. Eine neue Liebeskultur entstünde, in der wir uns vor der komplexen Realität der Liebe verbeugen und uns die menschliche Fähigkeit, vernünftige Verträge zu schließen, ins Gedächtnis rufen.“ Die Menschen würden einsehen, dass es keinen Zweck hätte, auf Normen und Sexualkontrakten zu beharren, di ein der Steinzeit oder im 19. Jahrhundert entstanden sind. Sie akzeptieren: Es gibt ein großes, unstillbares Bedürfnis nach lebenslanger Treue, Verlässlichkeit. The one and only! Matthias Horx ist der profilierteste Zukunftsdenker im deutschsprachigen Raum.

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Das Selbst ist einem ständigen Wandel unterworfen

Es ist das Akzeptieren von Vielfalt, von Zweideutigkeit, von verschiedenen möglichen Wegen, die einem Menschen die Augen für das Eigene öffnen. Dabei geht es auch um das Einräumen von Uneindeutigkeit und inneren und äußeren Grenzen, die man mitdenken muss – und zwar gerade dann, wenn man auf der Suche nach dem Wahren, dem Wahrhaftigen ist. Ina Schmidt weiß: „Es ist der Mut, den wir brauchen, einer solch zweideutigen Wahrheit gegenüberzutreten, eröffnet die Möglichkeit, sich wirklich selbst zu begegnen.“ Es geht also nicht darum, das eigene Wesen aufzudecken, sondern sich in einem werdenden Sein zurechtzufinden, einem Selbst, das aufmerksamer Betrachtung und Begleitung bedarf, um in allem Wandel immer wieder ein Selbst bleiben zu können. Ina Schmidt gründete 2005 die „denkraeume“, eine Initiative, in der sie in Vorträgen, Workshops und Seminaren philosophische Themen und Begriffe für die heutige Lebenswelt verständlich macht.

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Eine pluralistische Gesellschaft hat kein gemeinsames Weltbild mehr

In den demokratischen Staaten des Westens leben die Menschen heute in einer pluralisierten Gesellschaft. Und Pluralisierung bedeutet, dass alle vollen Identitäten in die Krise geraten. Oder wertfrei gesagt: Alle vollen Identitäten erfahren eine massive Veränderung. Isolde Charim fügt hinzu: „Pluralisierung der Gesellschaft meint nicht einfach Vielfalt, sie bedeutet einen tiefgreifenden Wandel gerade der europäischen Gesellschaften. Das radikal Neue an dieser Pluralität liegt nicht einfach darin, dass unsere Gesellschaften vielfältiger werden – moralisch und religiös. Das radikal Neue liegt darin, dass wir selbst uns so grundlegend verändern in einer Gesellschaft, die kein gemeinsames Weltbild mehr hat.“ Für den Einzelnen bedeutet das: Sein Selbstverständnis verändert sich, seine ehemals volle Identität erodiert. Die Philosophin Isolde Charim arbeitet als freie Publizistin und ständige Kolumnistin der „taz“ und der „Wiener Zeitung“.

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Selbstbestimmt zu leben entspricht nicht der Norm

Das Industriezeitalter und die damit verbundenen Kultur der engen Vorschriften, strikten Hierarchien und dumpfen Routinearbeit ist längst mausetot. Heute existiert ein weit offener Raum an möglichen Arbeits- und Lebensformen. Es ist eine Zeit des Aufbruchs und der Veränderung angebrochen. Anja Förster und Peter Kreuz erklären: „Und hier kommen die Menschen ins Spiel, die ihre Freiheit annehmen und auf ihre Selbstbestimmung setzen. Sie hinterfragen die ausgediente Wertewelt eines längst vergangenen Zeitalters und akzeptieren die engen Grenzen nicht mehr.“ Jede Gesellschaft braucht dringend Erneuerer, die nach praktikablen Wegen für eine neue Zeit suchen. Sie braucht Persönlichkeiten, die Neues vorantreiben. Aber das bedeutet noch lange nicht, dass das alte Denken auf dem Rückzug ist. Anja Förster und Peter Kreuz nehmen als Managementvordenker in Deutschland eine Schlüsselrolle ein.

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Das Selbst wächst in der Auseinandersetzung mit sich und der Welt

Es gibt Menschen, die nur wenig von dem, was sie eigentlich ausmacht, wissen. Dies erlebt man zunächst in der Form eines Mangels. Georg Milzner ergänzt: „Eines Mangels an innerer Vielfalt und eines Mangels an Authentizität. Diese gründet sich nämlich darauf, dass wir uns als Ganzheit wahrzunehmen vermögen.“ Wo immer die Identifikation mit nur einem Teilbereich an die Stelle der Ganzheit tritt – etwa dem beruflichen Erfolg, der Abstammung, den sexuellen Erfolgen, der künstlerischen Begabung, der Sportlichkeit o. Ä. – spricht man in der Psychologie von einer brüchigen Konstruktion. Und sobald ein Teilbereich, auf den sich dieses künstliche Selbst stützt, zusammenbricht, bricht gleich die ganze Person mit ein. Georg Milzner weiß: „Doch ein gelungenes Selbst umfasst mich mit allem, was ich bin.“ Georg Milzner ist Diplompsychologe und arbeitet in eigener Praxis als Psychotherapeut.

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Ein intaktes Selbst ist keineswegs selbstverständlich

Ein starkes, gesundes Selbst entsteht nicht nebenbei. Ein intaktes Selbst ist vielmehr die Folge eines aufmerksam in Auseinandersetzung und Introspektion gelebten Lebens. Georg Milzner fügt hinzu: „Wie das Ich nur entstehen kann, indem Konflikte ausgehalten, Kompromisse gebildet und Spannungen durchgestanden werden, so kann das Selbst nur durch vertiefte Wahrnehmung, Auseinandersetzung und das Erkunden tieferer Seelenschichten wachsen.“ All dies braucht zweierlei: Aufmerksamkeit und Zeit. Aufmerksamkeit ist, wie viele Menschen sagen, die heikelste humane Ressource der Gegenwart. Sie ist ebenso schwer zu bekommen wie unverzichtbar für ein beglückendes Dasein. Die Aufmerksamkeit, die jeder Mensch für sein seelisches Gedeihen benötigt, ist überdies von besonderer Art. Es handelt sich bei ihr nicht darum, bloß zur Kenntnis genommen zu werden. Georg Milzner ist Diplompsychologe und arbeitet in eigener Praxis als Psychotherapeut.

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Die homogene Gesellschaft ist eine Illusion

Homogen ist eine Gesellschaft nicht, wenn es keine Unterschiede gibt. Homogen ist sie, wenn man ihr voll und ganz angehören kann. Wenn man sich dieser Illusion hingeben kann. Isolde Charim erläutert: „Denn das ist das Versprechen der homogenen Gesellschaft: Sie versorgt uns mit einer herausragenden Bestimmung, einer Bestimmung, die uns vereinheitlicht, die uns „ganz“ macht, die uns mit einer vollen Identität versieht – auch wenn dies im Freud`schen Sinne immer eine Illusion bleibt.“ Und genau das ist der Punkt, an dem sich der Unterschied zur heutigen Gesellschaft ablesen lässt. Genau das ist der Hintergrund, von dem sich eine pluralistische Gesellschaft abhebt. Die Folie, an der man die Differenzen zur heutigen multikulturellen Gesellschaft ablesen kann. Die Philosophin Isolde Charim arbeitet als freie Publizistin und ständige Kolumnistin der „taz“ und der „Wiener Zeitung“.

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Atemberaubende Fotografien zeigen Afrika von Kairo bis Kapstadt

Seit mehr als fünf Generationen bezaubert und bildet das National Geographic-Magazin mit seinen atemberaubenden Fotografien, lehrreichen Abbildungen und fesselnden Geschichten aus allen Ecken der Erde. Das trifft auch in besonderen Maße auf den Bildband „Afrika“ zu, der eine exklusive Auswahl 200 außergewöhnlicher und packender Afrikabilder aus den Archiven des legendären Magazins vereint – darunter 40 neue Fotografien, die die Schönheit des Kontinents und seiner Landschaften, Geschichte, Kulturen und Wildtiere widerspiegeln. Die Reise durch das faszinierende Afrika beginnt mit atmosphärischen, frühen Schwarz-Weiß-Aufnahmen, führt den Betrachter weiter durch das goldene Zeitalter der Kodachrome-Dias und endet in der heutigen Epoche der digitalen Fotografie. Zu sehen sind unter anderem die nebelverhangenen Vulkane Ugandas, die kühlen Grabstätten Ägyptens, die gleißenden Wolkenkratzer von Simbabwe sowie die Gassen und Suks der Altstadtviertel Algeriens.

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Konrad Paul Liessmann betrachtet Europa unter ästhetischen Gesichtspunkten

Europa, so lautet eine gerne mit abwertendem Unterton vorgetragene These, sei in erster Linie ein ökonomisches Projekt, dem noch die Seele fehle; seit einiger Zeit sei Europa auch ein politisches Projekt, dem es allerdings noch an Demokratie und der Beteiligung der Bürger ermangele; und nicht zuletzt sei Europa ein moralisches Projekt, das den Nationalismus und seine Exzesse ebenso in die Schranken weisen werde wie Fremdenfeindlichkeit, soziale Ungerechtigkeit und jede Form von Ausgrenzung. Konrad Paul Liessmann stellt sich dabei folgende Frage: „Wie wäre es, das europäische Projekt einmal unter ästhetischen Gesichtspunkten zu betrachten?“ Welche Farbe trägt Europa? Nein, das EU-Blau ist nicht die einzige Antwort. Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech.

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Singularität meint das Streben nach Einzigartigkeit

Singularität meint laut Andreas Reckwitz mehr als Selbstständigkeit und Selbstoptimierung: „Zentral ist ihr das kompliziertere Streben nach Einzigartigkeit und Außergewöhnlichkeit, die zu erreichen freilich nicht nur subjektiver Wunsch, sondern paradoxe gesellschaftliche Erwartung geworden ist.“ Markant ausgeprägt ist dies in der neuen, der hochqualifizierten Mittelklasse, also in jenem Produkt von Bildungsexpansion und Postindustrialisierung, das zum Leitmilieu der Spätmoderne geworden ist. An alles in der Lebensführung legt man den Maßstab des Besonderen an: wie man wohnt, wie man isst, wohin und wie man reist, wie man den eigenen Körper oder den Freundeskreis gestaltet. Im Modus der Singularisierung wird das Leben nicht einfach gelebt, es wird kuratiert. Das spätmoderne Subjekt performed sein besonderes Selbst vor den anderen, die zum Publikum werden. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

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In der Ekstase tritt das Denken aus sich selbst heraus

Plotin strebte ein Synthese des antiken Denkens an und entwickelte so eine Metaphysik des Einen, welche die Einheit als Grund und Bedingung alles Seienden und alles Denkbaren versteht. Den Urgrund des Bedingten und der Vielheit, der selbst urbedingt und absolut sein muss, nennt Plotin „das Eine“. Plotins Philosophie befasst sich anders als die platonische nicht nur mit der Frage des Aufstiegs zum Göttlichen, sondern auch mit dem Problem, wie das Göttliche sich in die Einzeldinge entfaltet hat. Diese Entfaltung des Einen in die verschiedenen Stufen des Seins – das Weltganze, den Geist, die Seele, die Einzeldinge – beschreibt Plotin als Vorgang der Emanation. Plotin lebte von circa 204 bis 270 nach Christus und lehrte in Rom seine neuplatonische Philosophie, die an Wirkmächtigkeit den Lehren von Aristoteles und Platon nicht nachstand.

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Die Menschen sind von Natur aus polygam

Von den Harems orientalischer Fürsten bis zum Mätressenhof des sächsischen Kurfürsten August des Starken, von den Mormonen bis zu den Massai – es gibt kaum eine Kultur, in der die männliche Vielehe nicht stillschweigend toleriert wird. In den meisten islamisch geprägten Ländern ist sie noch heute ein allgemein anerkanntes Beziehungsmodell. Daher zieht Thomas Junker folgende Schlussfolgerung: „Dass die Einehe in den westlichen Industriestaaten als das Übliche und das einzig Normale angesehen wird, ist also keineswegs selbstverständlich: Nur fünfzehn Prozent aller heutigen Kulturen fordern diese Art von Beziehung! Im Vergleich dazu wird in 85 Prozent der Kulturen irgendeine Form der Vielehe praktiziert.“ Nimmt man nur diese Zahlen als Anhaltspunkt, dann könnte man vermuten, dass Menschen von Natur aus polygam und gerade nicht monogam sind. Thomas Junker ist Professor für Biologiegeschichte an der Universität Tübingen.

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Für François Jullien gibt keine kulturelle Identität

In einer globalisierten Welt fürchten sich viele Menschen vor dem Verlust ihrer kulturellen Identität. Doch gibt es überhaupt so etwas wie eine kulturelle Identität? In seinem neuen Buch „Es gibt keine kulturelle Identität“ zeigt François Jullien, dass der Glaube daran eine Illusion ist. Denn das Wesen einer Kultur ist die ständige Veränderung. Der Autor plädiert dafür, die Vielfalt der Bräuche, Traditionen und Sprachen als Ressourcen zu begreifen, die prinzipiell allen Menschen zur Verfügung stehen. Anders als die Werte, sind die Ressourcen einer Kultur nicht exklusiv – sie preisen sich nicht an und man predigt sie nicht. François Jullien ergänzt: „Man bringt sie vielmehr zur Geltung oder nicht, man aktiviert sie oder lässt sie verkommen; ob dies geschieht, liegt in der Verantwortung jedes Einzelnen.“ François Jullien, geboren 1951 in Embrun, ist ein französischer Philosoph und Sinologe.

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Die Machtfülle der Presse muss im Zaum gehalten werden

Durch die digitale Revolution haben heute Milliarden Menschen die Möglichkeit, Ansichten zu veröffentlichen und in diesem Sinne direkt zu allen Menschen zu sprechen, die mit dem World Wide Web verbunden sind. Timothy Garton Ash schränkt allerdings ein: „Stellt man jedoch die Frage, wessen Stimmen und Ansichten tatsächlich Gehör finden, erkennt man, wie weit wir immer noch vom Ideal einer voll repräsentierten Vielfalt entfernt sind.“ Der Fachausdruck für die Vielfalt in der Medienbrache lautet „Medienpluralismus“. Eine für die Europäische Union erstellte Studie postuliert fünf Dimensionen von Medienpluralismus: Besitz und Kontrolle; Medientypen und –genres; politische Standpunkte; kulturelle Ausdrucksformen; und lokale und regionale Interessen. Timothy Garton Ash ist Professor für Europäische Studien an der Universität Oxford und Senior Fellow an der Hoover Institution der Stanford University.

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Für die Meinungsfreiheit gibt es einige zentrale Begründungen

Dass die meisten Staaten auf der Welt internationale Abkommen ratifiziert haben, die unter anderem das Recht auf freie Meinungsäußerung festschreiben, und dass sie in ihren Verfassungen ein solches Recht garantieren, ist für Timothy Garton Ash keine Antwort auf die Frage, warum es überhaupt Meinungsfreiheit geben sollte. Man braucht Argumente, die solche Abkommen, Gesetze und politische Maßnahmen entweder rechtfertigen oder in Frage stellen. Timothy Garton Ash erklärt: „In der westlichen Denktradition gibt es für die Meinungsfreiheit vier zentrale Begründungen, jede in mannigfaltigen philosophischen, literarischen oder juristischen Ausführungen, aber mit bemerkenswert beständigen Grundgedanken. Ich verwende für sie die Abkürzung SWSV: Selbst, Wahrheit, Staatsführung, Vielfalt. Der britische Zeitgeschichtler Timothy Garton Ash lehrt in Oxford und an der kalifornischen Stanford University.

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Rund eine Million Menschen in Deutschland sind Veganer

Dass inzwischen selbst Essensregeln eine politische Sprengkraft entwickeln können, zeigt sich nirgends so deutlich wie beim Megatrend Veganismus. Anders als Vegetarier lehnen Veganer nicht nur Fleisch, sondern auch Milchprodukte, Eier und Honig ab – also alles, was tierisches Eiweiß enthält oder vom Tier stammt. Wie viele Menschen sich in Deutschland vegan ernähren, ist nicht bekannt. Glaubt man dem Vegetarierbund, sind es bereits bis zu eine Million Menschen – Tendenz steigend. Relativ genau erforschst ist dagegen, welcher Typ von Verbraucher sich vegan ernährt: Wer auf tierische Produkte verzichtet, ist mehrheitlich zwischen 30 und 50 Jahre alt, überwiegend weiblich, steht politisch eher links, ist überdurchschnittlich gebildet, einkommensstark und lebt in einem urbanen Umfeld. Der Theologe Kai Funkschmidt stellt fest: „Veganer sind damit dem Milieu der grünen Bourgeoisie zuzurechnen.“

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Freiheit allein macht die Menschen nicht glücklich

Die äußere Freiheit eines Menschen sind seine Wahlmöglichkeiten in Aspekten wie Bildung, Wohlstand und Lebensgestaltung. Die aber haben einen erstaunlich geringen Einfluss auf die generelle Lebenszufriedenheit. Anja Förster und Peter Kreuz erklären: „Glück und Zufriedenheit steigen gerade dann, wenn Menschen ganz unabhängig von den äußeren Bedingungen das Gefühl haben, eigenverantwortlich zu handeln und frei zu entscheiden. Das stellt sich allerdings nur ein, wenn wir Überblick und Orientierung haben.“ Nun ist allerdings die Zahl der real existierenden Möglichkeiten in den letzten Jahren geradezu explodiert. Gleichzeitig hat sich auch die Menge der zur Verfügung stehenden Informationen gewaltig vergrößert. Vor einigen Jahrzehnten glaubten die Kommunikationswissenschaftler noch daran, dass Informationen Ungewissheit reduzieren. Anja Förster und Peter Kreuz nehmen als Managementvordenker in Deutschland eine Schlüsselrolle ein.

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Christian Felber plädiert für einen ethischen Welthandel

Christian Felber widmet sich in seinem neuen Buch „Ethischer Welthandel“ möglichen Alternativen zu TTIP, WTO und Co. Der Gründer der Bewegung der Gemeinwohl-Ökonomie kritisiert die Religionen des Freihandels und des Protektionismus. Christian Felber schlägt vor: „Weniger Hürden soll es für jene Staaten und Unternehmen geben, die einen Beitrag zu Menschenrechten, nachhaltiger Entwicklung, Verteilungsgerechtigkeit, kultureller Vielfalt oder sinnvollen Arbeitsplätzen leisten.“ Dagegen soll es Handelsbarrieren für diejenigen geben, die Menschenrechte missachten, keine Rücksicht auf das Klima nehmen oder Menschen ausbeuten. Der Grund, dass sich heutzutage der Handel zu einem reinen Selbstzweck entwickelt hat, könnte recht einfach darin liegen, dass mehr Handel schlicht mehr Geschäft für die Händler bedeutet. Und die bedeutendsten Händler sind heute internationale Konzerne. Der Universitätslektor und Autor Christian Felber lebt in Wien und ist Mitbegründer von Attac in Österreich.

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