Die Demokratie begrenzt die Macht institutionell

Sind Demokratie und Eliten nicht per se ein Widerspruch? Das ist nur dann ein Widerspruch, wenn man Demokratie als Herrschaftsfreiheit, als die Abwesenheit jeglicher Herrschaft, als reine Selbstregierung versteht. Isolde Charim betont: „Tatsächlich aber ist dies eine Mystifizierung. Demokratie bedeutet nicht Herrschaftsfreiheit, sondern eine Gesellschaftsordnung, die Macht institutionell begrenzt.“ Insofern gibt es auch in der Demokratie Eliten, auch politische Eliten, ohne dass dieses Faktum undemokratisch wäre. Allerdings ist es nur dann demokratisch, wen die Macht dieser Eliten eingehegt ist, sozusagen gezähmt durch Begrenzung. Begrenzt durch die Verwandlung von Machthabern in Amtsträger. Begrenzt durch die Wähl- und Abwählbarkeit dieser Amtsträger. Eingehegt durch Kontrolle, Transparenz, Responsivität, Verantwortung. Zumindest der Möglichkeit nach. Dr. Isolde Charim ist Philosophin und freie Publizistin. Seit 2007 arbeitet sie als wissenschaftliche Kuratorin am „Bruno Kreisky Forum“.

Weiterlesen

Der Kampf um die Wortmacht hat begonnen

Ohne dass viele Menschen es überhaupt bemerken, stecken sie mitten in einem großen Kampf. Dabei geht es um die Form, die Bedingungen und die Grenzen der globalen Redefreiheit. Sowohl in den Smartphones in ihren Taschen und vielleicht auch in ihren Köpfen. Timothy Garton Ash nennt dieses Ringen den Kampf um die Wortmacht. Wie das Wort „Rede“ in „Redefreiheit“ schließt der Begriff „Wort“ in „Wortmacht“ offensichtlich viel mehr mit ein als nur Worte. Timothy Garton Ash erklärt: „Er umfasst auch Bilder, Töne, Symbole, Informationen und Wissen sowie Kommunikationsstrukturen und Kommunikationsnetze.“ Der spanische Soziologe Manuel Castells spricht von der „Kommunikationsmacht“. Aber Timothy Garton Ash ist das kurze Wort lieber als das lange, besonders weil ohnehin jede Bezeichnung nur einen Teil des Ganzen erfasst. Timothy Garton Ash ist Professor für Europäische Studien an der Universität Oxford und Senior Fellow an der Hoover Institution der Stanford University.

Weiterlesen

Jeder sollte mit seinen Gefühlen klug umgehen

In seinem neuen Buch „Vom klugen Umgang mit Gefühlen“ stellt Heinz-Peter Röhr die These auf, dass der intelligente Umgang mit Gefühlen für das persönliche Lebensglück wichtiger ist als ein hoher Intelligenzquotient (IQ). Wer dagegen die Kontrolle über seine Emotionen und sein Verhalten verliert, belastet sich selbst und seine Beziehung. Gründe dafür können endloses Grübeln, unrealistische Ängste oder auch Wut und Ärger sein. Heinz-Peter Röhr erklärt, was Kontrollverlust ist, wie es dazu kommt und welche Strategien es dagegen gibt. Mit einfachen Übungen kann man die im Gehirn verankerten Fehlreaktionen erkennen und destruktive innere Muster auflösen. Denn die Kontrolle über das eigene Leben und über seine Gefühle zu haben gehört zu den Urbedürfnissen des Menschen. Nur so kann er sich sicher fühlen. Heinz-Peter Röhr ist Pädagoge und war über dreißig Jahre lang in der Fachklinik Fredeburg/Sauerland für Suchtmittelabhängige psychotherapeutisch tätig.

Weiterlesen

Ein Verbrechen muss nicht verziehen werden

Die Philosophin Hannah Arendt schrieb 1953 in ihrem Aufsatz „Verstehen und Politik“: „Verstehen ist eine nicht endende Tätigkeit. Durch diese begreifen wir Wirklichkeit. In ständigem Abwandeln und Verändern, begreifen und versöhnen uns mit ihr. Das heißt, durch die wir versuchen, in der Welt zuhause zu sein.“ Manche Menschen versuchen die Bedingungen eines Verbrechens oder einer unmoralischen Handlung nachzuvollziehen. Dadurch bekommen sie wie Svenja Flaßpöhler salopp formuliert, wieder Boden unter ihre Füße. Zuerst schien die Welt gänzlich aus den Fugen geraten zu sein. Jetzt steht ihnen nicht mehr fremd, gar teuflisch gegenüber. Sondern sie ist jetzt der Rationalität zugänglich. Svenja Flaßpöhler erklärt: „Verstehen heißt, Zusammenhänge herzustellen, Kausalketten zu erkennen.“ Doch, so ergänzt Hannah Arendt, ein solches Verstehen zieht nicht notwendigerweise ein Verzeihen nach sich. Svenja Flaßpöhler ist promovierte Philosophin und stellvertretende Chefredakteurin des „Philosophie Magazin“.

Weiterlesen

Die Überwachung breitet sich im Alltag aus

Die Suche nach Lösungen der Überwachung und Kontrolle ist nicht nur auf China und die USA beschränkt. Auch in Deutschland springen Geheimdienste und Polizei auf den Zug auf. Damit optimieren sie im Zuge der scheinbaren Terrorbekämpfung ihre Möglichkeiten. In den Achtzigerjahren empörten sich viele Menschen in Deutschland über die Volkszählung und den maschinenlesbaren Personalausweis. Heute sind sie bereit, Techniken der Überwachung in ihrem Alltag zu dulden. Richard David Precht kritisiert: „In vielen kleinen Schritten verschiebt sich damit das Verhältnis von Sicherheit und Freiheit gewaltig.“ Und zwar nicht, weil sich die Bedrohungslage in Deutschland in den letzten Jahren vergrößert hat. Es gibt heute einfach viele technische Möglichkeiten, die es früher nicht gab. Der Philosoph, Publizist und Autor Richard David Precht zählt zu den profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum.

Weiterlesen

Zorn entsteht oft durch eine Statusverletzung

In der von der Psychologin Carol Travis vorgelegten umfangreichen empirischen Untersuchung des Zorns finden sich überall Belege für „Kränkungen“, „Geringschätzigkeit“, „herablassendes Verhalten“ und eine „Behandlung, als hätte man keine Bedeutung“. Die Menschen sind heutzutage wie auch in früheren Zeiten ungemein besorgt um ihr Ansehen. Und sie haben eine endlose Bereitschaft, sich von Handlungen, die sie dem Anschein nach darin bedrohen, in Zorn versetzen zu lassen. Diese Art der empfundenen Herabsetzung bezeichnet Martha Nussbaum als „Statusverletzung“. Allein die Idee der Statusverletzung schließt bereits die Vorstellung einer Unrechtmäßigkeit ein. Denn Statusminderung ist gemeinhin beabsichtigt, wie schon der griechische Philosoph Aristoteles wusste. Martha Nussbaum ist Philosophin und Professorin für Rechtswissenschaften und Ethik an der University of Chicago. Sie ist eine der einflussreichsten Philosophinnen der Gegenwart.

Weiterlesen

Die Verfassung sichert den deutschen Rechtsstaat

Ohne Zweifel braucht es zur Gewährleistung der Freiheitsrechte und als Riegel sowohl gegen rechtliche Privilegien als auch gegen Diskriminierung und Korruption den Rechtsstaat. Otfried Höffe ergänzt: „Erst mit seiner Hilfe wird die Gefahr von Willkür eingedämmt und werden die Behörden und die Gerichte einer wirksamen Kontrolle unterworfen.“ Mangelt es an Rechtsstaatlichkeit kann es sehr schwierig werden, seinen Anstand und seine Würde zu wahren. Zu dem dann erforderlichen hohen Maß an Raffinesse und Courage, oft sogar Heroismus ist weder jeder bereit noch fähig. Hier tritt der Rechtsstaat auf den Plan, denn er erlaubt auch den gewöhnlichen Menschen, in Rechtschaffenheit und Selbstachtung zu leben. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

Weiterlesen

Freiheitsrechte bilden den Kern der Menschenrechte

Nach einem für die politische Moderne unverzichtbaren Prinzip, dem der allgemeinverträglichen Freiheit, gibt es Menschenrechte, und deren Kern bilden zwei Grundarten von Freiheitsrechten: Die negativen Freiheitsrechte schützen jeden Einzelnen vor Übergriffen seiten der Rechtsgenossen als auch seitens der Staatsgewalten. Und positive Freiheitsrechte bündeln sich im Staatsziel des Sozialstaates. Als Beispiel eines Freiheitsrechts greift Otfried Höffe ein junges, aber keineswegs geringes Recht heraus, den Datenschutz. Wegen des Internets verlieren räumliche Entfernungen an Gewicht, werden Ereignisse weltweit so gut wie gleichzeitig wahrgenommen und Informationen in Sekundenschnelle ausgetauscht. Nicht zuletzt sind die revolutionär neuen Formen audiovisueller Kommunikation enorm preisgünstig. Für Otfried Höffe geht damit ein erheblicher Demokratisierungsgewinn einher. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

Weiterlesen

Das Prinzip der Freiheit darf niemals aufgegeben werden

An dem für sie wesentlichen Prinzip der Freiheit zeigt die Moderne, dass sie kein schlechthin neues Ziel verfolgt, sondern eine anthropologisch Grundintention, eben die Freiheit, zur Blüte, am liebsten sogar zur Vollendung bringen will. Otfried Höffe warnt: „Wer das Prinzip Freiheit aufgibt, setzt also mehr als nur das Projekt der Moderne und Einsichten ihrer großen Denker aufs Spiel.“ Allerdings erweist sich die Freiheit samt Moderne als ein vielschichtiges, inneren Spannungen ausgesetztes, in mancher Hinsicht sogar widersprüchliches Ziel. Otfried Höffe versteht also die Freiheit als ein facettenreiches, intern spannungsgeladenes und von Widersprüchen durchwirktes Phänomen. Viele Vorhaben und Visionen, erneut sowohl der Menschheit im Allgemeinen als auch der Moderne im Besonderen, sind von einem Freiheitsgedanken inspiriert. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

Weiterlesen

Autorität beruht auf Unterschied und Abstand

Autorität funktioniert über eine freiwillige Unterwerfung, einen inneren Zwang. Beides kommt aber erst, wenn die Umgebung dem Nachwuchs lange genug ihre Erwartungen vorhält. Die Voraussetzung dafür liegt auf der Hand. Paul Verhaeghe erklärt: „Die beteiligten Personen müssen Tatkraft und Präsenz an den Tag legen. Nach einiger Zeit übernehmen die Kinder diese Erwartungen, und die konkrete Anwesenheit muss nicht mehr so konkret sein.“ Heute ist dieser Prozess aus zwei Gründen problematisch. Zum einen können Eltern immer weniger Zeit mit ihren Kindern verbringen. Zudem schrecken viele davor zurück, eine Autoritätsposition einzunehmen und ein deutliches „Nein“ verlauten zu lassen. Einerseits meinen sei, das sei nicht angemessen, andererseits fürchten sie – oft zu Recht – eine brutale Reaktion. Paul Verhaeghe lehrt als klinischer Psychologe und Psychoanalytiker an der Universität Gent.

Weiterlesen

David Gelernter begibt sich in die Welt der Tagträume

Träume sind Themenkreise, die die Vergangenheit in die Gegenwart holen. Tagträume und Phantasien – bei denen der Geist weit abschweift, bilden eine Übergangszone; anschließend nähert man sich den Gedanken des Einschlafens, den Halluzinationen und den Träumen. Tagträume können sich zu jeder Zeit einstellen. Eric Klinger, ein Spezialist für Tagträume, schreibt: „Tagträume erinnern uns immer wieder an unsere aktuellen Angelegenheiten … Bei den Angelegenheiten, auf die sie zurückkommen, handelt es sich meist um jene, die emotional für uns am wichtigsten sind.“ David Gelernter ergänzt: „Tagträume und Träume sind zuerst und vor allem Erinnerungsvorgänge.“ Das Erinnern ist – unter ansonsten gleichen Voraussetzungen – ein Vorgang, der die neuesten, frischesten Erinnerungen stark bevorzugt. Die gleiche Präferenz zeigen auch Tagträume. David Gelernter ist Professor für Computerwissenschaften an der Yale University.

Weiterlesen

Antonio Damasio erklärt den Begriff der Homöostase

Die Ausdrücke „Homöostase“ und „Regulation des Lebens“ werden meist in der gleichen Bedeutung verwendet. Das steht im Einklang mit dem traditionellen Konzept, wonach Homöostase die in allen Lebewesen vorhandene Fähigkeit ist, wichtige chemische und allgemein-physiologische Abläufe automatisch in einem Bereich zu halten, der mit dem Überleben vereinbar ist. Antonio Damasio stellt fest: „Diese eng gefasste Vorstellung von Homöostase wird aber der Komplexität und Reichweite der Phänomene, auf die sich der Begriff bezieht, nicht gerecht.“ Eines stimmt sicher: Ganz gleich, ob man einzellige Lebensformen oder komplexe Organismen wie den Menschen betrachtet – nur sehr wenige Aspekte der Abläufe in einem Organismus entziehen sich der Notwendigkeit, sich selbst unter Kontrolle zu halten. Antonio Damasio ist Professor für Neurowissenschaften, Neurologie und Psychologie an der University of Southern California und Direktor des dortigen Brain and Creative Institute.

Weiterlesen

So helfen Eltern ihren Kindern bei der Entdeckung der Welt

Kinder wollen begeisterte Eltern. Allein das gemeinsame Beobachten des Sonnenaufgangs kann für sie zum spannenden Ereignis werden. Andreas Salcher stellt fest: „Die größte Falle für Eltern ist die eigene Erschöpfung und die Delegation ihrer Erziehungsverantwortung an YouTube, wo sie ihre Kinder stundelang Videos anschauen lassen.“ Dabei kommt kein Naturfilm an die Faszination der realen Erfahrung einer Begegnung mit einem Tier im Wald heran, dieses zu entdecken, ihm zu lauschen und es vielleicht sogar ganz nah zu beobachten. Die Aufgabe der Eltern besteht darin, Kindern aus der Versagensangst zu helfen, wenn sie zu früh aufgeben wollen, weil sie sich für zu dumm, zu klein oder zu unbegabt halten. Die Botschaft „Wir fallen nieder, damit wir lernen, wieder aufzustehen“ können nur Eltern vermitteln. Dr. Andreas Salcher ist Unternehmensberater, Bestseller-Autor und kritischer Vordenker in Bildungsthemen.

Weiterlesen

Ohne Wohlstand funktioniert keine Demokratie

Der deutsch-amerikanische Politikwissenschaftler Yascha Mounk sieht einen klaren Zusammenhang zwischen der Existenz von liberalen Demokratien und Wohlstand oder, genauer gesagt, steigendem Wohlstand. Philipp Blom ergänzt: „Tatsächlich gründen funktionierende Demokratien auf weit aufgefächerten Strukturen, auf Parlamenten, Gerichten, Schulen, Universitäten, Infrastruktur, Landesverteidigung.“ Ohne Wohlstand kann nichts von alledem gewährleistet werden. Gerade der strukturelle Zusammenbruch der westeuropäischen und US-amerikanischen Parteienlandschaft und die dort weit verbreitete Verbitterung zeigen, dass Wohlstand augenscheinlich nicht ausreicht. Denn trotz der immer weiter aufklaffenden Einkommensschere und der manifesten wirtschaftlichen Ungerechtigkeiten sind die Gesellschaften der reichen Welt heute wohlhabender als je zuvor in ihrer Geschichte. Ein typischer amerikanischer oder europäischer Haushalt ist heute fünfmal so reich wie nach dem Zweiten Weltkrieg. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

Weiterlesen

Der freie Wille dient als zentrales Totem des Konsumkapitalismus

Matthew B. Crawford erklärt: „Die Vorstellungen Immanuel Kants sind der philosophische Ursprung der modernen Gleichsetzung von Freiheit und Wahlmöglichkeit, wobei die Wahl als bloßer Ausdruck des unbedingten Willens verstanden wird.“ Das ist grundlegend für das Verständnis der gegenwärtigen Kultur, denn der so verstandene freie Wille dient als zentrales Totem des Konsumkapitalismus, und viele Menschen halten jene, die ihnen die Wahlmöglichkeiten anbieten, für Diener ihrer Freiheit. Wenn man von der Prämisse ausgeht, die stumpfsinnige Natur bedroht die menschliche Freiheit als vernünftige Wesen, ist die Verlockung groß, eine virtuelle Realität zu konstruieren, die weniger real ist und in der das Selbst nicht mit der Welt kollidiert. Immanuel Kant versuchte, die Freiheit des Willens gegen äußere Einflüsse abzuschotten und zu einem „unbedingten“ apriorischen Gesetz zu machen. Matthew B. Crawford ist promovierter Philosoph und gelernter Motorradmechaniker.

Weiterlesen

Eltern wollen Erfolg und Glück für ihre Kinder

Wenn Eltern tiefe Liebe für ihre Kinder empfinden, wenn sie es gut mit ihnen meinen und keine verdrehten Vorstellungen von einer Eltern-Kind-Beziehung haben, gibt es zwei Möglichkeiten, wie sie in Zorn geraten können. Martha Nussbaum erläutert: „Die eine Möglichkeit ergibt sich aus einer stellvertretenden Investition ins eigene Ego: Das betreffende Elternteil sieht in dem Kind eine Erweiterung seiner selbst bzw. jemanden, die oder der die eigene Existenz fortsetzt. Ihm geht es darum, die eigenen Träume zu erfüllen.“ Die andere Möglichkeit ergibt sich aus der Sorge um das jetzige beziehungsweise künftige Wohl des Kindes. Beide Möglichkeiten überschneiden sich, weil Eltern häufig ein zentrales Interesse daran haben, dass ihr Kind erfolgreich und glücklich ist. Martha Nussbaum ist Philosophin und Professorin für Rechtswissenschaften und Ethik an der University of Chicago. Sie ist eine der einflussreichsten Philosophinnen der Gegenwart.

Weiterlesen

Einsamkeit hängt eng mit Stress zusammen

Wer mitten im Berufsleben steht und viel mit Leuten zu tun hat, möchte am Wochenende wahrscheinlich abschalten, sich „ausklinken“ und die Seele baumeln lassen. Auch den Chef möchte er am Wochenende nicht sehen. Manfred Spitzer erläutert: „Ein solcher Mensch, der die Einsamkeit sucht, um dem Stress zu entgehen, käme wahrscheinlich nicht auf den Gedanken, dass Einsamkeit mit Stress eng zusammenhängt.“ Akute Einsamkeit muss Stress auslösen, denn sie stellte im Laufe der menschlichen Entwicklung immer schon den größten denkbaren Notfall dar. Auf sich allein gestellt, ist das Gemeinschaftswesen Mensch nicht überlebensfähig, insofern leuchte tes ein, dass das Leben in einer Gemeinschaft das Stressniveau senkt. Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer leitet die Psychiatrische Universitätsklinik in Ulm und das Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen.

Weiterlesen

Martha Nussbaum erklärt die Beziehung zwischen Eltern und Kindern

Das Vertrauen zwischen Eltern und Kindern ist vielgestaltig und in ständiger Entwicklung. Solange sie noch klein sind, haben Kinder in der Vertrauensfrage keine Mitsprache; sie hängen voll und ganz von den Eltern ab und müssen ihnen zwangläufig ihr Wohl anvertrauen – ob die Eltern vertrauenswürdig sind oder nicht. Martha Nussbaum ergänzt: „Kinder scheinen dazu noch eine Art natürlicher Vertrauensseligkeit zu besitzen, die sie mit den Eltern unwillkürlich eine Beziehung aufbauen lässt, es sei denn, sie sind wirklich schwerer Misshandlung oder Vernachlässigung ausgesetzt.“ Diese Haltung entwickelt sich mit der Zeit weiter, ebenso wie die durch sie begründeten Erwartungen. Martha Nussbaum ist Philosophin und Professorin für Rechtswissenschaften und Ethik an der University of Chicago. Sie ist eine der einflussreichsten Philosophinnen der Gegenwart.

Weiterlesen

Das Unbewusste entsteht vor dem Bewussten

Innerhalb des Rahmens der kognitiven Psychologie mit ihrem Primat des Bewusstseins konnte es einen unbewussten Prozess nur dann geben, wenn er zuerst bewusst und vorsätzlich wäre; erst nach beträchtlicher Erfahrung konnte dieser Prozess so reibungslos und effizient verlaufen – in der Psychologie benutzt man dafür den Begriff „automatisiert“ –, dass es keiner großen bewussten Steuerung mehr bedürfte. Bis zur Jahrtausendwende gingen John Bargh und seine Kollegen davon aus, dass dies die einzige Möglichkeit der Entstehung unbewusster mentaler Prozesse sei: Zu Beginn bewusst und aufwendig, gewinnen sie erst durch Erfahrung und Übung die Fähigkeit, unbewusst abzulaufen. Doch sie lagen falsch oder zeichneten zumindest ein unvollständiges Bild. Prof. Dr. John Bargh ist Professor für Psychologie an der Yale University, wo er das Automaticity in Cognition, Motivation, and Evaluation (ACME) Laboratory leitet.

Weiterlesen

Selbstkontrolle verhindert aggressives Verhalten

Um die sichtbare Aggressivität eines Menschen zu verstehen, reicht es nicht aus, nur auf die treibenden Faktoren zu schauen, sondern ebenso muss man auch die hemmenden Faktoren berücksichtigen, vor allem Angst vor negativen Folgen sowie moralische Einstellungen. Durch sie ist die sichtbare Aggressivität bei den meisten Menschen viel geringer als die inneren Tendenzen. Hans-Peter Nolting erläutert: „Bei einem Teil der hochaggressiven Personen sind solche Hemmungen nur schwach ausgeprägt. Psychopathen haben keine Angst vor negativen Folgen, ebenso wie Despoten, eine positive Einstellung zu Gewalt und aggressiver Machtausübung.“ In anderen Fällen aber sin die Hemmungen des betreffenden Menschen immerhin so gut entwickelt, dass er gewöhnlich unaggressiv, wenn nicht sogar liebenswürdig erscheint. Dr. Hans-Peter Nolting beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Themenkreis Aggression und Gewalt, viele Jahre davon als Dozent für Psychologie an der Universität Göttingen.

Weiterlesen

In der westlichen Welt macht sich ein Gefühl des Niedergangs breit

In der westlichen Welt hat sich ein seltsames Gefühl der Ohnmacht ausgebreitet angesichts einer technischen Revolution, die dem Einzelnen doch eigentlich alle Möglichkeiten in die Hand zu geben scheint. Emmanuel Todd erläutert: „Worte, Bilder und Waren zirkulieren frei und in rasantem Tempo. Wir sehen eine medizinische Revolution, die eine fortschreitende Verlängerung des Lebens verheißt.“ Zwischen 1999 und 2014 stieg der Anteil der Internetnutzer von 5 auf 50 Prozent. Ländern verwandelten sich in Dörfer, Kontinente in Kantone. Dennoch macht sich in den hochentwickelten Staaten das Gefühl eines unaufhaltsamen Niedergangs breit. So sank beispielsweise im gleichen Zeitraum in den USA das durchschnittliche Einkommen von 57.909 auf 53.718 Dollar. Die Sterblichkeit der weißen Amerikaner zwischen 45 und 54 ist gestiegen. Emmanuel Todd ist einer der prominentesten Soziologen Frankreichs.

Weiterlesen

Fehlende Kontrolle über das eigenen Leben verursacht chronischen Stress

Die Hauptursache von chronischem Stress sind nicht irgendwelche Widrigkeiten, die das Leben nun einmal bereithält. Vielmehr geht er mit dem Erleben einher, den Dingen beziehungsweise der Umgebung gegenüber ausgeliefert zu sein und keine Kontrolle über das eigene Schicksal zu haben. Manfred Spitzer ergänzt: „Es ist hier meist nicht irgendein akutes Ereignis gemeint, sondern das dumpfe Gefühl, das eigene Leben nicht im Griff zu haben und den Umständen ohnmächtig ausgesetzt zu sein. Dieses Gefühl der fehlenden Kontrolle über das eigene Leben ist chronischer Stress.“ Es ist also die Ungewissheit einer Situation, die einen Menschen stresst, nicht deren Widrigkeit. Ein weit verbreitetes Phänomen ist dabei der Stress am Arbeitsplatz. Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer leitet die Psychiatrische Universitätsklinik in Ulm und das Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen.

Weiterlesen

Demokratien brauchen Märkte

In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wurden das liberale Denken und die Marktwirtschaft zum Traumpaar der politischen und ökonomischen Theorie. Philipp Blom erläutert: „Der Gedanke, dass alle Menschen gleiche Rechte haben, dass Wissen besser ist als Ignoranz, dass Menschen einander tolerieren müssen, auch wenn sie unterschiedlicher Meinung sind, wurde auf einem Markt geboren.“ Händler müssen pragmatisch und nicht ideologisch urteilen, sie brauchen sachliche Informationen, die ihnen bei der Urteilsfindung helfen, Informationen, auf die sie Geld wetten können, ohne ruiniert zu werden. Die ersten Zeitungen entstanden im 16. Jahrhundert in Handelszentren, um Kaufleute darüber zu informieren, was bei ihren Handelspartnern geschah, welche Investitionen sicher waren. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

Weiterlesen

Zorn in der Ehe rührt oftmals von ungerechtfertigten Geschlechterrollen her

Zorn in vertrauten Beziehungen resultiert häufig aus einer der zahlreichen falschen Wertvorstellungen einer Gesellschaft in Bezug auf Fehlverhalten und die Schwere, mit der es ins Gewicht fällt. Beispielsweise das Streben nach Unabhängigkeit von Kindern und selbst ihre Suche nach bloßem Vergnügen häufig äußerste Missbilligung erfahren. Martha Nussbaum nennt ein weiteres Beispiel: „So verbindet sich auch der Zorn in der Ehe in vielen Fällen mit Annahmen und Erwartungen, die maßgeblich von ungerechtfertigten Geschlechterrollen herrühren; Männer haben namentlich das Streben der Frauen nach Unabhängigkeit und Gleichheit als besonders bedrohlich empfunden.“ Es ist oft schwierig zu trennen zwischen Fällen, in denen Zorn unangebracht ist, weil die betreffende Person gegen eine schlechte gesellschaftliche Norm verstoßen, aber nichts wirklich Falsches getan hat, und Fällen, in denen ein wirkliches Unrecht geschehen ist. Martha Nussbaum ist Philosophin und Professorin für Rechtswissenschaften und Ethik an der University of Chicago. Sie ist eine der einflussreichsten Philosophinnen der Gegenwart.

Weiterlesen

Klatsch kann Menschen schwer verletzen und demütigen

Gruppen bestrafen diejenigen, die das Gemeinwohl der Gemeinschaft mit Klatsch untergraben. Für viele gehört Klatsch sogar zu den Todsünden. Der Heilige Paulus ordnete „üble Nachrede“, Überheblichkeit und Hochmut zusammen mit Mord und Unzucht unter die Laster ein, die schärfste Strafen verdienen. Dacher Keltner fügt hinzu: „Lehrer fordern ihre Schüler immer wieder auf, keine Gerüchte und Klatschgeschichten zu verbreiten und nicht verschwörerisch mit ihren Freunden zu flüstern.“ Dafür gibt es einen guten Grund: Klatsch kann in einer Weise verletzen und demütigen, die sogar das Leben verkürzt. Kein Wunder, dass sich die meisten Menschen dagegen sträuben, für ein Klatschmaul gehalten zu werden. Dacher Keltner ist Professor für Psychologie an der University of California in Berkeley und Fakultätsdirektor des UC Berkeley Greater Good Science Center.

Weiterlesen