Tod und Sex sind die Themen von Philip Roth

„Hier, wo der Mensch palavert und wehklagt, Der graue Schopf, erbärmlich dünn, sich neigt, Wo Jugend bleich und geisterhaft verdirbt, Wo denken heißt: sich sorgen.“ Diese großartigen Verse von John Keats sind als Motto Philip Roths Roman „Jedermann“ vorangestellt. Alain Finkielkraut weiß: „Es ist der Roman eines Sterblichen, unser aller Geschichte, und seinen Vornamen werden wir deswegen im ganzen Roman nicht erfahren. In Philip Roths Werk ist die ständige Auseinandersetzung mit dem Altern und dem Tod mindestens ebenso präsent wie der Sex.“ Der Tod ist unausweichlich, absurd, universell, so schrecklich wie banal, und inzwischen auch ohne Aussicht auf ein schöneres Jenseits. „Der Tod ist von Gott und hat seinen Vater gefressen“, sagt Elias Canetti. Alain Finkielkraut gilt als einer der einflussreichsten französischen Intellektuellen.

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Mythen prägten die griechische Tragödie

In der griechischen Tragödie spielte die Handlung in der mythologischen Vergangenheit, da man genau diese Vergangenheit am Ende überwand. Ágnes Heller ergänzt: „Bei Shakespeare spielte sich die Handlung hauptsächlich in der historischen Vergangenheit ab. Und nicht nur die aus der englischen Geschichte, sondern auch Hamlet, Macbeth oder König Lear – denn man kann die Geschichte nur hinter sich lassen, wenn man in ihr aufgeht. Die klassische französische Tragödie folgte beiden Vermächtnissen, ähnlich wie die Barockoper. Im griechischen Drama spielte der Chor immer eine entscheidende Rolle, nicht nur in Tragödien, sondern auch in Komödien des Aristophanes. Ab 1977 lehrte Ágnes Heller als Professorin für Soziologie in Melbourne. 1986 wurde sie Nachfolgerin von Hannah Arendt auf deren Lehrstuhl für Philosophie an der New School for Social Research in New York.

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William Shakespeare schrieb Tragödien und Komödien

Ágnes Heller weiß: „In der Neuzeit war die strikte Trennung zwischen tragischem Dichter und komischem Dichter bereits überholt.“ Sokrates schlug vor, dass derselbe Dichter Tragödie und Komödie schreiben sollte. Dabei bezog er sich offensichtlich auf seine eigenen philosophischen Dialoge, die sowohl tragisch als auch komisch waren. Doch der erste Dichter, der sowohl Tragödien als auch Komödien und darüber auch „Romanzen“ schrieb, war William Shakespeare. Und er tat noch etwas Unerhörtes: Es gab komische Szenen in seinen Tragödien als auch tragische Szenen in seinen Komödien. Ágnes Heller, Jahrgang 1929, war Schülerin von Georg Lukács. Ab 1977 lehrte sie als Professorin für Soziologie in Melbourne. 1986 wurde sie Nachfolgerin von Hannah Arendt auf deren Lehrstuhl für Philosophie an der New School for Social Research in New York. Ágnes Heller starb am 19. Juli 2019 in Ungarn.

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Johann Wolfgang von Goethe ritt von Weimar nach Jena

Am 20. Juli 1794 ritt Johann Wolfgang von Goethe von seinem Haus im Zentrum Weimars nach Jena, wo er an einer Sitzung der neu gegründeten Naturforschenden Gesellschaft teilnehmen wollte. Andrea Wulf blickt zurück: „Auf dem gut zwanzig Kilometer langen Weg von Weimar nach Jena kam Goethe an Bauern vorbei, die auf goldenen Feldern Weizen ernteten.“ Zwei Stunden ritt er durch flaches Ackerland, dann änderte sich die Landschaft allmählich. Kleiner Dörfer und Weiler schmiegten sich in sanfte Senken, dann wurde der Wald dichter und die Felder verschwanden. Die Gegend prägten nun Hügel. Als Autorin wurde Andrea Wulf mit einer Vielzahl von Preisen ausgezeichnet, vor allem für ihren Weltbestseller „Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur“ 2016, der in 27 Sprachen übersetzt wurde.

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Der Literatur Kalender 2023 preist das Miteinander

Der Literatur Kalender 2023 hat diesmal Texte und Bilder aus der Weltliteratur über Momente des Miteinanders zusammengetragen. Von solchen beflügelnden oder inspirierenden, deprimierenden oder verzweifelnden Augenblicken erzählen 53 Schreibende. Die algerische Schriftstellerin Assia Djebar feiert in ihrem ersten preisgekrönten, autobiografisch geprägten Roman „La Soif“ das Leben: „Hin und wieder hatte ich in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen mit Freunden die Kinos und Kasinos von Algier besucht, hatte mit ihnen an regnerischen Sonntage Überraschungspartys gefeiert und an Autorennen teilgenommen, bei denen die Wagen im Wind so nervös zuckten wie junge Pferde.“ Ganz nah am Leben dran ist auch der Dichter F. C. Delius in seinem Gedicht „Fähre Schenkenschanz“. „Das Wasser tot und ich führt mich nicht / Ich mag es nicht zu sagen das Wort Glück / Du zeigst dem Kind die nahen Weiden und das Licht / Komm näher her ich halt dich diesen Augenblick.“

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Literatur muss den Leser berühren

Ferdinand von Schirach hat Jura studiert, weil er glaubte, ein bürgerliches Leben könnte ihm Halt geben. Er hat immer gewartet, ohne zu wissen, worauf. Erst als er wieder schreiben konnte, verstand er, dass es genau das war: das Schreiben. Das ist die ganze Geschichte. Das Schreiben ist seiner Meinung nach nicht aufregend oder romantisch: „Ich sitze vor dem Laptop, rauche, trinke Kaffee und schreibe. Drei Stunden am Vormittag. Man sollte sich vorher duschen, rasieren und ordentlich anziehen, sonst schreibt man Bademantelliteratur.“ Für Ferdinand von Schirach ist es schwieriger über sich selbst als über Erfundenes zu schreiben. Die Wahrheit kann ohnehin niemand erzählen. Ferdinand von Schirach verteidigte etwa 700 Mandanten vor Gericht, bevor er zu einem der international erfolgreichsten Romanautoren und Dramatiker Deutschland avancierte.

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Die griechische Tragödie befreit von Zwängen

Die griechische Tragödie ist der öffentlich vorgetragene Versuch, sich aus den Zwängen archaischer Rituale zu befreien. Außerdem will man Rachemechanismen und Schicksalsobsessionen, an deren Fäden die Menschen hängen zu scheinen, abschütteln. Jürgen Wertheimer erläutert: „Denn alle, die wir in ihr Unglück stürzen sehen, müssen so handeln, wie sie handeln.“ Klytämnestra muss ihren Mann, der als Sieger von Troja zurückkehrt, töten. Damit will sie den Berg an Schuld und Lügen, die sich zwischen beiden angehäuft hat, abtragen. Orest muss Klytämnestra, seine Mutter, töten, um dem Gesetz seiner Götter und der Ehre zu genügen. Kassandra muss ihre Warnungen herausschreien. Wohl wissend, dass ihr auch jetzt, wie einst vor Troja, niemand glauben wird. Jürgen Wertheimer ist seit 1991 Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Komparatistik in Tübingen.

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Homer umgab eine Aura von Göttlichkeit

Das Schicksal Trojas hörte nie auf, die Griechen zu beschäftigen. Sogar Xerxes hatte bei seiner Ankunft am Hellespont verlangt, dass man ihm den Ort zeige. In der „Ilias“ war die Erinnerung an jene aufgehoben war, die im Staub der Ebene vor Troja gekämpft hatten. Zudem gab sie den Griechen auch ihr wichtiges Fenster auf das Wirken der Götter und ihr Verhältnis zu den Sterblichen. Tom Holland fügt hinzu: „Der Verfasser der „Ilias“, ein Mann, dessen Geburtsort und dessen Lebensdaten Gegenstand endloser Diskussionen waren, was selbst eine Gestalt mit einer gewissen Aura von Göttlichkeit.“ Einige gingen so weit zu sagen, Homers Vater sei ein Fluss und seine Mutter eine Meeresnymphe gewesen. Der Autor und Journalist Tom Holland studierte in Cambridge und Oxford Geschichte und Literaturwissenschaft.

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Die Tragödie ist die Nachahmung der Natur

Die Tragödie ist nach Aristoteles eine Untergattung innerhalb der allgemeinen Gattung der Kunst. Sie ist Mimesis, also eine Art Imitation, und zwar in seinen Augen die Nachahmung der Natur. Ágnes Heller stellt fest: „Der Begriff umfasst nicht nur Poesie oder Drama oder Malerei, sondern auch Werkzeuge für den praktischen Gebrauch. Aristoteles betont das Offensichtliche: Von der frühen Kindheit an ahmen wir immer nach. Wir können nicht aufwachsen, ohne zu imitieren.“ Ágnes Heller, Jahrgang 1929, war Schülerin von Georg Lukács. Ab 1977 lehrte sie als Professorin für Soziologie in Melbourne. 1986 wurde sie Nachfolgerin von Hannah Arendt auf deren Lehrstuhl für Philosophie an der New School for Social Research in New York. Ágnes Heller starb am 19. Juli 2019 in Ungarn.

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Der Literaturkalender 2022 weckt Erinnerungen

Diesmal dreht sich im „Literatur Kalender 2022“ alles um Momente der Erinnerung, die manchmal Haltepunkte im Leben sind. Dabei kann es sich um eine Reise, eine vergangene Liebe, ein wichtiges Gespräch oder einen Sonnenuntergang am Meer handeln. Einen Moment lang befindet sich der Erinnernde an einem anderen Ort, sei es das Haus der Kindheit, versunken in eine Melodie oder in ein Buch. Erinnerungen sind manchmal glücklich, können jedoch auch tief traurig sein. Wie zum Beispiel diese Zeilen aus dem Gedicht „Du hast Spanien gehasst“ von Ted Hughes, des Mannes von Sylvia Plath. Er veröffentlichte es in seinen „Birthday Letters“ 35 Jahre nach ihrem Suizid und kurz vor seinem eigenen Tod: „ …Ich sehe dich im Mondlicht, Den leeren Kai von Alicante entlanggehen, Wie eine Seele, die auf die Fähre wartet, Eine neue Seele, die noch immer nicht versteht, Die denkt, es sei noch immer deine Hochzeitsreise In der glücklichen Welt, dein ganzes Leben noch vor dir, Glücklich, und alle deine Gedichte warteten noch auf dich.“

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Dante hatte 19 Jahre in der Verbannung verbracht

Dante wurde zwar 1265 in Florenz geboren, doch starb er 1321 in Ravenna, wo er auch begraben lag. Und die dortigen Machthaber weigerten sich seit fast anderthalb Jahrhunderten standhaft, die kostbaren Überreste an den Arno überführen zu lassen. Volker Reinhardt ergänzt: „Selbst politische Zugeständnisse und verlockende Geldgeschenke vermochten sie nicht zu erweichen.“ Dante hatte die letzten neunzehn Jahre in der Verbannung verbracht. Nach seinen Worten als „exul immeritus“, als zu Unrecht Vertriebener. Dafür hatte er sich an seiner Heimat mit den Waffen, die er wie kein anderer beherrschte, gerächt. Mit anklagenden Versen, die Florenz zum Hort des Bösen dämonisierten. Das Gegenteil davon ist im Dom zu sehen und zu lesen. Volker Reinhardt ist Professor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Fribourg. Er gehört international zu den führenden Italien-Historikern.

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Adalbert Stifter will nicht Tugend oder Sitte predigen

In einer Vorrede zu den sechs Erzählungen, denen er nach mehrfacher Umarbeitung schließlich den programmatisch gemeinten Obertitel „Bunte Steine“ gab, erläutert Adalbert Stifter (1805 – 1869) seine literarischen Absichten und einige Grundsätze seiner Weltanschauung auf wenigen Seiten. Diese sind in Aufbau und einfacher, aber einprägsamer Gedankenführung kaum zu überbieten. Ausgehend von einer dreifachen Verneinung. Er sei kein Künstler (Dichter). Er wolle nicht Tugend oder Sitte predigen und er habe weder „Großes“ noch „Kleines“ als Ziel. Damit will Adalbert Stifter sich und seine Freunde abgrenzen gegen die alles zersetzende Außenwelt. Denn, so sagt er, er wolle nur „Geselligkeit unter Freunden“ und ein Körnchen Gutes zum Bau der Welt beitragen – und natürlich wolle er auch vor falschen Propheten schützen. Erst nach dieser fast familiären Erklärung greift Adalbert Stifter weiter aus und erläutert, was er mit dem Großen und dem Kleinen meint.

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So unterscheiden sich Tragödie und Philosophie

Was in einer Tragödie geschieht, entfaltet sich in der Handlung. Dagegen entfaltet sich in Argumenten und Beweisführungen, was in der Philosophie geschieht. Ágnes Heller fügt hinzu: „Beide – Geschichten und Argumente – führen zu einem Ergebnis, zum Ausgang, beide sind teleologisch konstruiert.“ Aristoteles setzte voraus, dass fast alle guten Tragödiendichter das Endergebnis ihrer Geschichte kennen, bevor sie zu schreiben beginnen. Er missbilligte Tragödienreihen. Wo etwas endet, da sollte es auch enden, es gibt nichts anderes mehr zu beginnen. Ágnes Heller, Jahrgang 1929, war Schülerin von Georg Lukács. Ab 1977 lehrte sie als Professorin für Soziologie in Melbourne. 1986 wurde sie Nachfolgerin von Hannah Arendt auf deren Lehrstuhl für Philosophie an der New School for Social Research in New York. Ágnes Heller starb am 19. Juli 2019 in Ungarn.

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Medea wird zur Mörderin

Das bekannteste Stück von Euripides ist „Medea“. Eine Magierin aus Kolchis, vom Rande der zivilisierten Welt, betritt den sauberen Boden der Polis. Jürgen Wertheimer fügt hinzu: „Eine Barbarin an der Seite eines griechischen Helden, des Argonauten Jason, Eroberer des Goldenen Vlieses, zieht in Korinth ein.“ Sehr früh treten Frauen als Helferinnen und Organisatorinnen im Hintergrund in Erscheinung. Bereits Theseus hatte den Minotaurus unter tatkräftiger Mitwirkung Ariadnes zur Strecke gebracht. Medeas aktive Rolle geht jedoch sehr viel weiter. Um ihrer Liebe willen hatte sich ihm nicht nur bei Diebstahl der begehrten Trophäe geholfen, sondern sogar den Tod des eigenen Bruders in Kauf gekommen. In Korinth unternahm Medea zaghafte Integrationsversuche, die jedoch ins Leere liefen. Jürgen Wertheimer ist seit 1991 Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Komparatistik in Tübingen.

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Antigone kämpft gegen ein korruptes Staatssystem

Das wagemutige Theater der griechischen Polis liebte und riskierte es, den Blick in die Abgründe und Gefährdungen des eigenen, fragilen Systems zu werfen. Wie auch Sophokles (497/6 – 406/5 v.u.Z.) dies getan hat. Selbst und gerade in seinem zu Recht berühmtesten und von der Jury der Dionysien ausgezeichneten Stück, „Antigone“. Jürgen Wertheimer erläutert: „Eine todesmutige junge Frau, die ihr Leben einsetzt für – scheinbar ein bloßes Beerdigungsritual, in Wirklichkeit für den Kampf gegen ein in ihren Augen korruptes Herrschaftssystem.“ Eine selbstbewusste junge Frau stellt den Staat auf offener Bühne infrage. Sie will den Ernstfall, sie schafft den Ernstfall. Sie ist der Ernstfall, entschlossen, die Grenzen des Systems zu erkunden und darüber hinauszugehen. Jürgen Wertheimer ist seit 1991 Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Komparatistik in Tübingen.

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Der Held im Bildungsroman ist immer ein Mann

Die Rehabilitierung des Romans als Literaturgattung war eine Leistung der Aufklärung, aber erst in der Kunstepoche erlangte der Roman weltliterarische Geltung und trat gleichberechtigt neben das Drama. Als Kunstepoche bezeichnete Heinrich Heine die Zeit zwischen der Französischen Revolution 1789 und dem Tod Johann Wolfgang von Goethes 1832. Johann Wolfgang von Goethes „Werther“ (1774) und Christoph Martin Wielands „Agathon“ (1766/67) stellten die ersten Versuche dar, Erfahrungen und Entwicklungen des bürgerlichen Individuums episch zu erfassen. Beide Romane waren jedoch noch weit davon entfernt, die hoch gesteckten Hoffnungen zu erfüllen, die Friedrich von Blanckenburg in seiner „Theorie des Romans“ (1774) mit dem bürgerlichen Roman verbunden hatte. „Werther“ bot nur einen höchst subjektivistischen Ausschnitt der Gesellschaft. „Agathon“ war in ein antikes Gewand gehüllt und verdeckte die bürgerliche Identitätsproblematik mehr, als dass er sie verdeutlichte.

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Der Literatur Kalender 2021 verbreitet Hoffnung

Der Literaturkalender 2021 widmet sich diesmal ganz und gar Momenten der Hoffnung. In diesen grässlichen Zeiten der Corona-Seuche ist das löblich und mehr als verständlich. Auch nach dem Ende einer jeden Diktatur blüht die Hoffnung. Der portugiesische Arzt und Dichter Miguel Torga beschreibt das Ende des Salazar-Regimes durch die sogenannte Nelken-Revolution: „Von Norden nach Süden füllten strahlende Menschenmassen im Sog hemmungslos erneuerter Hoffnung die Straßen. Es war wie ein Traum! … Väter und Söhne, Freunde und Feinde, Gegner und Parteigänger fühlten sich von der gleichen brüderlichen Begeisterungswelle mitgerissen.“ Zora Neale Hurston war in den 1930er Jahren eine der wichtigsten afroamerikanischen Autorinnen. Über die Hoffnung sagt sie folgendes: „Mein Wunsch, wieder zur Schule zu gehen, war nie verstummt … Entschlossen ergriff ich die einzige Waffe, die ich besaß – Hoffnung –, und nahm die Beine in die Hand. Vielleicht würde von nun an alles gut werden.“

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Friedrich Schiller macht Karl Moor zum Helden

Die Gestalt des Karl Moor in „Die Räuber“ (1781) von Friedrich Schiller weigert sich der Welt und den Winkelzügen, die sie ihm abverlangt, anzupassen. Er kann das Unrecht, das ihm angetan wird, nicht überwinden. Sein Gemüt bricht sich Bahn und er gerät mit seiner Welt auf Kollisionskurs. Friedrich Schiller macht ihn zu einem Helden. Er hat beschlossen für sich selbst und für andere Opfer der Ungerechtigkeit Rache an der verhassten, scheinheiligen Gesellschaft zu üben. Ger Groot fügt hinzu: „Dazu scheut er sogar nicht davor zurück, die schwersten Verbrechen zu begehen.“ Er gründet eine Räuberbande, er plündert und mordet. Aber er ist ein edler Verbrecher, der büer der verkommenen Welt steht, die seine Persönlichkeit missachtet. Ger Groot lehrt Kulturphilosophie und philosophische Anthropologie an der Erasmus-Universität Rotterdam und ist Professor für Philosophie und Literatur an der Radboud Universität Nijmegen.

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Die Literatur des Spätmittelalters ist keine bürgerliche

Walther von der Vogelweide klagte um das Jahr 1220 wiederholt über den Verfall der Sitten bei Rittertum und Volk und über die allgemeine unsichere Situation im Lande und den sichtbaren Schwund der Reichsmacht. Dabei ist eines allerdings zu bedenken: Das ist eine ständische Klage, auch wenn sie im Namen der Menschheit zu sprechen scheint. Ihre ideologische Adresse ist das politisch bedeutungslos gewordene staufische Reichsrittertum und nicht die gesamte Menschheit des christlichen Weltkreises. So hellsichtig und vielseitig sich diese Standesdichtung oft darbietet, letzten Endes ist sie dem konservativen Lager zuzuordnen, weil ihr ein aufnahmebereiter, aufnahmefähiger Blick für die neuen reichspolitischen Realitäten zwangsläufig und aus ihrem eigenen Selbstverständnis fehlen muss. Die Epik und Lyrik der Stauferzeit lebt im 13. Jahrhundert weiter, aber sie tut es in Erfüllung eines einmal gefundenen Musters, mit deutlichem Blick zurück.

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Thomas Mann trifft Theodor W. Adorno

Im Jahr 1943 lud der Literaturnobelpreisträger Thomas Mann den Philosophen Theodor W. Adorno in sein Haus am San Remo Drive in Pacific Palisades ein. Er wollte ihm aus dem Manuskript seines letzten Romans „Doktor Faustus: Das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn, erzählt von einem Freunde“ vorlesen. Stuart Jeffries nennt den Grund der Einladung: „Der 68 Jahre alte Schriftsteller erhoffte sich vom zwanzig Jahre jüngeren Theodor W. Adorno fachmännischen musikalischen Rat, den er in den Roman, eine aktuelle Fassung der Faustsage, einarbeiten konnte.“ Thomas Mann schrieb an Theodor W. Adorno: „Wollen Sie mit mir darüber nachdenken, wie das Werk – ich meine Leverkühns Werk – ungefähr ins Werk zu setzen wäre; wie Sie es machen würden, wenn Sie im Pakt mit dem Teufel wären?“ Stuart Jeffries arbeitete zwanzig Jahre für den „Guardian“, die „Financial Times“ und „Psychologies“.

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Das Lesen tritt immer mehr in den Hintergrund

Das Lesen ist immer noch allgegenwärtig, wird durchgängig pädagogisch gelobt, ist immer noch Kern der Bildung, kennt aber leider kaum noch eine praktische oder kommunizierte Kultur. Wann soll man lesen, und wenn ja, wie viel? Walter Benjamin sah noch im Studenten den Urtyp des Sammlers – weil Studierende Wissen suchen, sammeln und ordnen. Wer den Hochschulbetrieb wie Frank Berzbach kennt, der weiß, dass die Bildungsidee lange durch die der bloßen Qualifikation ersetzt wurde: „Die bedarf aber weniger der strengen Lektüre, sondern eher der Fähigkeit zur schnellen Recherche. Da Google alles zu wissen scheint, wird das Gedächtnis narkotisiert, die Aufmerksamkeitsspanne wird geringer.“ Das alles mag für den Arbeitsmarkt wichtig sein, für den Zugang zur Schönheit ist diese Entwicklung hinderlich.“ Dr. Frank Berzbach unterrichtet Psychologie an der ecosign Akademie für Gestaltung und Kulturpädagogik an der Technischen Hochschule Köln.

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Aristoteles zählt die Dichter zu den besten Lehrern des Volkes

Aristoteles zählt in Übereinstimmung mit der griechischen Tradition die Dichter zu den besten Lehrern des Volkes. Dabei spricht er ihnen laut Otfried Höffe nachdrücklich die Aufgabe zu, starke emotionale Wirkungen hervorzurufen. Aristoteles billigt der Dichtung eine eigene vorrangig nicht intellektuelle, sondern affektive Form von Rationalität zu, was auf ein Plädoyer für ein erhebliches Maß an ästhetischer Autonomie hinausläuft. Der griechische Philosoph befasst sich mit dem Wesen der Dichtung, mit ihren verschiedenen Gattungen und mit ihrer anthropologischen Grundlage. Dabei sieht er das Wesen in jener Mimesis, Nachahmung, die nicht etwa täuschende Echtheit sucht. Vielmehr besagt die Mimesis, dass selbst eine geniale Fiktion an vorgängig existierende Wirklichkeit, insbesondere an die emotionale, soziale und politisch Natur und Kultur des Menschen, zurückgebunden bleibt. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

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Der Literatur Kalender 2020 handelt vom Glück & Leid des Seins

Der Literatur Kalender 2020 rückt erstmals die ganze Vielfalt internationalen literarischen Lebens ins Blickfeld und zeigt unbekannte und bekannte Autorinnen und Autoren über Zeiten und Ländergrenzen hinweg. Die Beiträge handeln vom Glück und Leid des Seins. Die erste Seite ist einem Weltstar der Literatur gewidmet: Umberto Eco. Er war immer missmutig, wenn er spürte, dass einer seiner Romane dem Ende entgegengeht. Das Schöne, die wahre Freude war, sechs, sieben, acht Jahre lang – möglichst ewig – in einer Welt zu leben, die er sich nach und nach erbaute, bis sie seine eigene wurde: „Die Traurigkeit beginnt, wenn der Roman zu Ende ist.“ Dieses Geständnis stammt aus seinem autobiografischen Essay „Wie ich schreibe“. Es offenbart seine glücklichen wie leidvollen Erfahrungen, die vermutliche denen seiner erzählenden Kolleginnen und Kollegen weltweit ähneln.

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Für Yasmina Reza ist das Schreiben kein intellektueller Akt

Die französische Dramatikerin Yasmina Reza hat einmal die Zeit als ihren Intimfeind bezeichnet. Denn sie hatte immer schon das Gefühl, dass es eilt, dass ihr Leben kurz ist. Schon als Kind. Erst als Erwachsene hat sie verstanden, dass nicht alle so denken: „Die meisten Menschen, denen man begegnet, haben viel Zeit. Ihnen steht nicht ständig vor Augen, dass es morgen schon vorbei sein kann.“ Gelegentlich tritt Yasmina Reza noch als Schauspielerin auf. Kritiker sind dabei immer wieder überrascht, wie körperlich ihr Spiel ist. Sie stellen es sich intellektueller, weniger sinnlich vor. Yasmina Reza war zunächst Schauspielerin, bevor sie Dramatikerin wurde. Gleich ihre ersten beiden Stücke erhielten den wichtigsten französischen Theaterpreis „Molière“. Ihr Stück „Gott des Gemetzels“ wurde 2011 von Roman Polanski verfilmt. Diese Woche erscheint ihr Buch „Anne-Marie die Schönheit“.

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Jean Paul mischte Ironie mit Gefühl und Humor

Neben den drei großen literarischen Lagern – Klassik, Romantik und Jakobinismus – gab es einige Autoren, die sich bewusst abseits hielten, sich keiner Gruppierung anschlossen und ihren eigenen unverwechselbaren Weg gingen. Aufgrund ihrer Sonderstellung führten sie, jeder auf seine Weise, ein problematisches Außenseiterleben. Bis heute hat die Forschung große Schwierigkeiten, ihre Rolle in der Kunstepoche angemessen zu bestimmen. Johann Paul Friedrich Richter (1763 – 1825), der sich als Schriftsteller Jean Paul nannte, gelang es schon zu seinen Lebzeiten, einen gleichberechtigten und anerkannten Platz neben den klassischen und romantischen Autoren zu behaupten und zu einer Autorität im literarischen Leben zu werden. Die Voraussetzungen dafür waren allerdings alles andere als günstig. Als Sohn eines armen Lehrers und Organisten lernt er die Armut früh kennen und litt sehr unter der Strenge des Vaters.

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