In der Erkenntnistheorie gibt es den Begriff des skeptischen Arguments. Dieses soll beweisen, dass man etwas Bestimmtes nicht wissen kann. Markus Gabriel nennt ein Beispiel: „Das berühmteste skeptische Argument ist das Traumargument, das man übrigens von Ost bis West und Nord bis Süd in vielen Kulturen finden kann.“ In Europa machte es René Descartes berühmt, der es in seine „Meditationen über die erste Philosophie“ von 1641 überzeugend entkräfte. René Descartes zeigt nämlich, dass man auch dann noch viel über die Wirklichkeit wissen kann, wenn man träumt. Denn im Traum gelten immer noch logische und mathematische Gesetze. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.
Traum
Sicher ist nur das eigene Bewusstsein
Thomas Nagel erläutert: „Wenn man recht darüber nachdenkt, so kann man sich nur über das Innere seines eigenen Bewusstseins ganz sicher sein.“ Was auch immer man glaubt, es gründet sich auf die eigenen Erlebnisse und Gedanken, Gefühle und Sinneseindrücke. Das ist alles, wonach man sich unmittelbar richtet. Alles andere ist weiter von einem Menschen weg als seine inneren Erlebnisse und Gedanken und erreicht ihn nur durch sie. Für gewöhnlich zweifelt man nicht an der Existenz des Bodens unter den eigenen Füßen oder des Baumes draußen vor dem Fenster. Ja, die meiste Zeit denkt man nicht einmal an die psychischen Zustände, die einen diese Dinge wahrnehmen lassen. Der amerikanische Philosoph Thomas Nagel lehrt derzeit unter anderem an der University of California, Berkeley und an der Princeton University.
Die Mündigkeit weiß um die eigenen Grenzen
Mündig zu sein, ist ein Wunsch, seit die Neuzeit den Menschen in verträglichen Dosen in die Freiheit entlässt. In ihrer aufgeklärtesten Form weiß die Mündigkeit auch um die eigenen Grenzen. Weil nur ein mündiger Mensch weniger vollkommen als entstellt ist. Ulf Poschardt erläutert: „Die Sehnsucht des Menschen, seine Träume, seine Verrücktheiten und Poesien, sein Spleen, seine Unbedingtheit, es wissen zu wollen, sind der Urtrieb, den eine vernünftige Zivilisation nur sehr bedingt zulässt.“ Beim Verehrer der Mündigkeit Theodor W. Adorno ist die innere Unruhe beim Mündigwerden auch Ideologiekritik. Mündig zu sein heißt auch, im Ideal mehr verstanden zu haben, als nötig war, um sich selbst als Individuum konstant herauszufordern. Seit 2016 ist Ulf Poschardt Chefredakteur der „Welt-Gruppe“ (Die Welt, Welt am Sonntag, Welt TV).
Verschiebung und Verdichtung gestalten den Traum
Der Traum ist für Sigmund Freud das Ergebnis einer „sekundären Bearbeitung“ von Erfahrungsresten, die er in seiner „Bilderschrift“ gleichzeitig „verdichtet“ und „verschiebt“, das heißt: konzentriert und umlenkt. Sigmund Freud schreibt: „Traumverschiebung und Traumverdichtung sind die beiden Werkmeister, deren Tätigkeit wir die Gestaltung des Traumes hauptsächlich zuschreiben dürfen.“ Der Traum sei knapp, armselig, lakonisch im Vergleich zu dem Umfang und zur Reichhaltigkeit der Traumgedanken. Der Traum fülle niedergeschrieben eine halbe Seite; die Analyse, in der die Traumgedanken enthalten seien, bedürfe das sechs-, acht-, zwölffache an Schriftraum. Peter-André Alt ergänzt: „Der Traum ist überbestimmt, denn er entsteht aus der Konzentration, die im Verdichtungsprozess stattfindet.“ Dabei kommt es häufig zu einer direkten Veranschaulichung der in einem Wort bezeichneten Bedeutung. Peter-André Alt ist Professor für Neuere Deutsche Literaturgeschichte an der Freien Universität Berlin.
Alle Menschen sind frei und mit gleichen Rechten geboren
Nach Jahrtausenden der religiösen Dogmatik und des Aberglaubens entwickelten mutige Philosophen ein neues Menschenbild. Alle Menschen sind frei und mit gleichen Rechten geboren, alle sind gleich vor dem Gesetz, und die einzigen Kriterien für Wissen sind Fakten und Rationalität. Philipp Blom ergänzt: „Auf dieser Grundlage können Menschen in Frieden miteinander leben und Fortschritt schaffen, der das Leben aller verbessert. Die Erlangung und Verteidigung der Freiheit ist oberstes Ziel von Individuen und Gesellschaften.“ Dieses neue Denken, dass man als „Aufklärung“ bezeichnete, wurde anfangs bekämpft und unterdrückt, konnte sich aber im Laufe von zwei Jahrhunderten durchsetzen. Nach den Philosophen und der Französischen Revolution kamen die Arbeiterbewegung, die Abschaffung der Sklaverei und danach die Dekolonisierung, die Civil-Rights-Aktivisten in den USA, Feministinnen, die Entkriminalisierung der Homosexualität, die Achtung von Minderheiten als Gradmesser der Zivilisiertheit. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.
Selbst vergessene Träume haben Einfluss auf das wache Leben
Wenn ein Mensch träumt, hat sein Gedächtnis das Sagen. Immer noch steht es in der Macht des bewussten Geistes, höchst beunruhigende Erinnerungen zurückzuweisen. Dennoch haben manchmal selbst vergessene Träume einen subtilen Einfluss auf das wache Leben. Während nahezu alle Träume vergessen werden, leuchten angenehme und insbesondere sexuelle Träume noch viele Stunden hell nach. David Gelernter ergänzt: „Erfreuliche Träume strahlen aus, ob wir uns an die Details erinnern oder nicht.“ Auch solche „entrückenden“ Träume tauchen nicht oft auf. Aber auch gewöhnliche Träume können das Alltagsleben selbst dann beeinflussen, wenn man sie nahezu vollständig vergessen hat. Zufällig tun oder sagen Menschen etwas, das mit einem fast vergessenen Traum zu tun hat – und dann spürt man eine schwache Reaktion unterhalb der Bewusstseinsebene des Gedächtnisses. David Gelernter ist Professor für Computerwissenschaften an der Yale University.
Liebe ist die Verantwortung eines Ichs für ein Du
Die Beziehung zum Du ist unmittelbar. Zwischen Ich und Du steht keine Begrifflichkeit, kein Vorwissen und keine Fantasie; und das Gedächtnis selber verwandelt sich, da es aus der Einzelung in die Ganzheit stürzt. Martin Buber ergänzt: „Zwischen Ich und Du steht kein Zweck, keine Gier und keine Vorwegnahme; und die Sehnsucht selber verwandelt sich, da sie aus dem Traum in die Erscheinung stürzt.“ Alles Mittel ist Hindernis. Nur wo alles Mittel zerfallen ist, geschieht die Begegnung. Dass die unmittelbare Beziehung ein Wirken am Gegenüber einschließt, ist an folgendem offenbar: die Wesenstat der Kunst bestimmt den Vorgang, in dem die Gestalt zum Werk wird. Das Gegenüber erfüllt sich durch die Begegnung, es tritt durch sie in die Welt der Dinge ein, unendlich fortzuwirken, unendlich Es, aber auch unendlich wieder Du zu werden, beglückend und befeuernd. Martin Buber (1878 – 1965) war ein österreichisch-israelischer Religionsphilosoph.
Die Entdeckung einer Affäre ist eine Katastrophe
Gäbe es eine Richterskala für emotionale Erdbeben, würde die Entdeckung einer Affäre am obersten Ende der Skala rangieren. Manche Menschen erholen sich schnell, doch die Mehrheit fühlt sich, als wären sie an einem vermeintlich erdbebensicheren Ort von einer seismischen Katastrophe überrascht worden. Shirley P. Glass betont: „Sie sind in keinster Weise auf die Erschütterung vorbereitet, die ihnen den Boden unter den Füßen wegzieht und ihr häusliches Leben zerstört. In den ersten Minuten und Stunden nach der Enthüllung eines Betrugs sind die Gefühle außer Kontrolle.“ In den unmittelbar folgenden Tagen und Wochen werden sowohl der betrogene als auch der untreue Partner und der oder die Geliebte von Gefühlen enormen Verlusts überwältigt. Dr. phil. Shirley P. Glass war niedergelassene Psychologin und Familientherapeutin. Sie starb im Jahr 2003 im Alter von 67 Jahren an einer Krebserkrankung.
Ohne Aufklärung gibt es keinen freien Willen
Nur ein kleiner Teil dessen, was die Wahrnehmung des Menschen erreicht, findet auch Eingang in das Bewusstsein. Allerdings hindert dies die zahlreichen nicht bewusst registrierten Wahrnehmungen nicht daran, in uns eine Wirkung zu entfalten. Vom Bewusstsein nicht aufgenommene Signale können das Denken, Fühlen und Handeln beeinflussen. Joachim Bauer betont: „Die Annahme, die Existenz des Unbewussten bedeute per se die Außerkraftsetzung unseres freien Willens, halte ich jedoch für unbegründet, eine Sichtweise, die auch von anderen Neurowissenschaftlern geteilt wird.“ Das Unbewusste ist ein Teil der Person, deren übergeordneten Interessen es zuarbeitet. Es erspart den Menschen, alle kognitiven Verarbeitungsprozesse über die manchmal anstrengende und zeitaufwendige Schiene des bewussten Denkens laufen lassen zu müssen. Der Neurobiologe, Arzt und Psychotherapeut Joachim Bauer lehrt an der Universität Freiburg.
Eltern wollen Erfolg und Glück für ihre Kinder
Wenn Eltern tiefe Liebe für ihre Kinder empfinden, wenn sie es gut mit ihnen meinen und keine verdrehten Vorstellungen von einer Eltern-Kind-Beziehung haben, gibt es zwei Möglichkeiten, wie sie in Zorn geraten können. Martha Nussbaum erläutert: „Die eine Möglichkeit ergibt sich aus einer stellvertretenden Investition ins eigene Ego: Das betreffende Elternteil sieht in dem Kind eine Erweiterung seiner selbst bzw. jemanden, die oder der die eigene Existenz fortsetzt. Ihm geht es darum, die eigenen Träume zu erfüllen.“ Die andere Möglichkeit ergibt sich aus der Sorge um das jetzige beziehungsweise künftige Wohl des Kindes. Beide Möglichkeiten überschneiden sich, weil Eltern häufig ein zentrales Interesse daran haben, dass ihr Kind erfolgreich und glücklich ist. Martha Nussbaum ist Philosophin und Professorin für Rechtswissenschaften und Ethik an der University of Chicago. Sie ist eine der einflussreichsten Philosophinnen der Gegenwart.
Eine Wirtschaftskrise wie 2008 darf sich nicht wiederholen
Philipp Blom ist fest davon überzeugt, dass sich eine Wirtschaftskrise wie 2008 nicht wiederholen darf, weder moralisch noch finanziell: „Mit der Bankenrettung verloren demokratische Regierungen ihre Legitimität in den Augen vieler Bürger, die begriffen oder zu begreifen meinten, dass hier eine Seilschaft sich selbst versorgte, während sie zahllose einfache, hart arbeitende Leute in den Abgrund stürzen ließ.“ Diese Krise hat nicht nur finanzielle Reserven nutzlos verbrannt, sondern auch sehr öffentlich und ohne jedes Schamgefühl den Glauben an die fundamentale Gerechtigkeit einer Gesellschaft, die ehrliche Arbeit belohnt und Verbrechen bestraft. Wenn die liberale Demokratie in den Augen so vieler dramatisch versagt und so offensichtlich immer weniger imstande ist, die fundamentalen Versprechen des Gesellschaftsvertrags einzuhalten, dann ist es verständlich, dass sich die Menschen nach Alternativen umsehen, die ihnen eher geeignet erscheinen, ihre Interessen zu wahren, und die auch ihrem Selbstbild besser entsprechen. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.
Die individuelle Freiheit ist das höchste Gut der menschlichen Existenz
Viele Menschen in den reichen Staaten des Westens sind so frei wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit. Und doch fühlen sie sich oft gefangen, erdrückt von Anforderungen, getrieben durch inneren Leistungszwang. Das neue Philosophie Magazin 05/2018 versucht in seinem Titelthema die Frage zu beantworten, warum diese Menschen nicht mehr aus ihrer Freiheit machen. „Mach die Ding!“, „Lebe deinen Traum!“ – das sind die Imperative der Gegenwart. Aber wie das so ist mit großen Sehnsüchten verweisen sie umso deutlicher auf einen Mangel. Zeitnot, Stress, Beschleunigung, Angst vor der Zukunft, Burn-out. Von einem geglückten Leben scheinen die meisten Menschen nach wie vor weit entfernt. Eine Ausrede, die auf die widrigen Verhältnisse verweist, würde ein Denker wie Jean-Paul Sartre niemals gelten lassen. Denn seiner Meinung nach ist der Mensch dazu verurteilt, seine Existenz selbst zu entwerfen und sich in jeder konkreten Situation für die Freiheit zu entscheiden.
In den reichen Gesellschaften wird die Arbeit knapper
Wirtschaftswachstum, das auf Ausbeutung beruht – dieses Geschäftsmodell ist längst an seine Grenzen gelangt. Der Planet Erde, auf dessen äußerster Kruste die Menschheit ihre Existenz beschreitet, scheint nicht mehr willens zu sein, die Kapriolen der Menschen zu ertragen. Phillip Blom schreibt: „Smartphones und Internet haben Informationen, Gerüchte und Propaganda globalisiert, riesige Menschenströme sind auf der Flucht vor dem Tod und auf der Suche nach einem Leben.“ In den reichen Gesellschaften selbst wird die Arbeit knapper. Das wird nur deswegen noch nicht deutlicher sichtbar, weil noch genug Geld da ist, es zu verbergen. Arbeitslose werden umdeklariert oder nicht gezählt, aber ihre Zahl wächst stetig, und wer einen neuen Job findet, das der Arbeitsplatz morgen schon wieder verschwunden sein kann. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.
Der Traum ist eine Halluzination
Beim Träumen wartet das Gedächtnis mit einer Sequenz aus halluzinierten Gedanken auf, die vom bewussten Geist in eine kontinuierliche Halluzination, eine Art Geschichte, verwandelt werden. David Gelernter erläutert: „Eine Erzählepisode geht ohne eindeutigen Grund in die nächste über, als würde der Autor eines Romans ständig seltsame Mitteilungen vom Mars erhalten, von denen er jede einzelne in seine Handlung einarbeiten muss.“ Das würde nur funktionieren, wenn seine Zuhörer erstaunlich leichtgläubig wären. Aber natürlich ist das schlafende Selbst tatsächlich bemerkenswert vertrauensselig. Der Traum ist eine Halluzination, aber nicht alles in ihm ist ein Produkt der Fantasie. Wenn man zum Beispiel im Traum die Alarmanlage eines Autos hört, könnte das eine Halluzination sein – oder aber auf der Straße heult tatsächlich eine Sirene. David Gelernter ist Professor für Computerwissenschaften an der Yale University.
Die Identität eines Menschen besteht in seiner Erzählung
So gut wie alle Wissenschaften vom Menschen – vornehmlich die Cultural Studies, Anthropologie und Geschichtswissenschaft – sind sich darin einig, dass die Identität eines Menschen in der Erzählung besteht, die ihm aus sich zu manchen gelingt. Christian Schüle ergänzt: „Eine Person ist ihre Geschichte, und Heimat ist das Narrativ dieser Geschichte. Nur in der Schilderung meiner Realität erlangt die Geschichte meiner Person Glaubwürdigkeit.“ Nur über das Narrativ wird Herkunft zur Identität. Christian Schüle formuliert es noch genauer: „Die Identität ist selbst das Narrativ: Ich bin, was ich von mir erzähle.“ Dabei ist zu beachten, dass die Erinnerung nicht mit dem Gedächtnis gleichzusetzen ist, obwohl sie sich natürlich nicht vom Gedächtnis trennen lässt. Christian Schüle ist freier Autor und Publizist. Seit dem Sommersemester 2015 lehrt er Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin.
David Gelernter kennt die Ränder der Träume
Viele Menschen wissen, dass sie nicht nur mehr schläfrig sind, dass sie vielmehr auf der Gleitbahn zum Schlaf hinabrutschen. Dann bemerken sie plötzlich einen Gedanken, der im Bewusstsein herumlungert, ohne dass sie ihn dorthin gebracht haben. Oft werden also an den Rändern der Träume Gedanken bewusst, die anscheinend leicht übersehen werden – genau wie im Wachzustand manche Dinge an den Rändern des Bewusstseins auffallen. David Gelernter erläutert: „Die Tatsache, dass wir den Gedanken nicht ins Bewusstsein befördert haben, kennzeichnet den Beginn des freien Gedankenflusses oder Assoziierens und damit unseren langsamen Abstieg in den Schlaf und in die Träume.“ Unterhalb der Regionen der Tagträume tritt man in den Bereich des freien Fließens ein, der zum Schlaf führt. David Gelernter ist Professor für Computerwissenschaften an der Yale University.
David Gelernter kennt die Themen des Traums
In Träumen ist eine endlose Zahl von Themen möglich, aber bestimmte Motive sind als Grundbestandteile anderer Gefühle allgegenwärtig. David Gelernter nennt ein Beispiel: „Das wichtigste davon ist eine bestimmte Form des Heimwehs, die Sehnsucht nach einer Heimat, die es nicht mehr gibt und nie mehr geben wird.“ Die Trauer um den Verlust der Heimatwelt, die Sehnsucht nach einer verlorenen Heimat, ist in gewisser Weise ein Zeichen, dass man Glück gehabt hat; wer sie erlebt, denkt voller Liebe oder Zuneigung – oder zumindest mit Nostalgie – an das vergangene Leben. Aber die Sehnsucht nach verlorener Heimat findet man selbst bei Menschen, die eine schlimme Kindheit hatten. Sie ist ein machtvoller und nahezu universeller Impuls, der nicht nur den eigenen Erinnerungen zugrunde liegt. David Gelernter ist Professor für Computerwissenschaften an der Yale University.
Das Thema eines Traums ist ein Gefühl
Beim Träumen hat der bewusste Geist den Gedächtnishahn weit geöffnet, und die Erinnerungen strömen hinaus. Das eine führt zum anderen. Beängstigende oder schmerzliche Erinnerungen tauchen auf. Der bewusste Geist kann nur noch eines tun: Er improvisiert aus dem vorhandenen Material eine zusammenhängende Handlung oder versucht es zumindest. Der amerikanische Traumforscher Allan Hobson bezeichnet die Traumgedanken zusammenfassend als „unlogisch, bizarr“. Diese weitverbreitete Auffassung ist nach der Überzeugung von David Gelernter nicht ganz richtig: „Wie im Wachzustand, so sind unsere bewussten Gedanken auch im Traum ein rationaler Versuch, der Realität einen Sinn zu geben.“ Wenn ein Mensch schläft, besteht die Realität aus dem inneren Bereich des Bewusstseins – und dann präsentiert sie dem Schlafenden eine Reihe von Erinnerungen, die in ihrer Abfolge wahrscheinlich keinen Sinn ergeben und auch jeweils schadhaft oder entstellt sein können. David Gelernter ist Professor für Computerwissenschaften an der Yale University.
Das Glück liegt nicht allein im Vollkommenen
Ideale haben für Reinhard K. Sprenger eine hochgradig zerstörerische Spitze. Sie machen die Menschen blind für das Mögliche, weil sie über Unerreichbares fantasieren. Diese Menschen nehmen sich und ihre suchende, latent unzufriedene Einstellung mit zu jeder neuen Aufgabe. Irgendetwas fehlt für sie immer. Manchmal ist es einfach besser, die zweitbeste Möglichkeit, das Unvollkommene zu verteidigen. Reinhard K. Sprenger ergänzt: „Das Absolute ist – ebenso wie der Traum vom mühelosen Glück – nicht menschenmöglich. Beides ist nicht von dieser Welt.“ Deshalb ist „alles oder nichts“ für einen Menschen keine praktikable Devise. Wer allein das Vollkommene will und das Glück im Unvollkommenen leugnet, macht sich nicht glücklich, sondern verrückt. Reinhard K. Sprenger ist promovierter Philosoph und gilt als einer der profiliertesten Managementberater und Führungsexperte Deutschlands.
Denken und Träumen können ineinander übergehen
Auf der Schwelle zum Schlaf und den Träumen befindet man sich in einem Zustand des freien Assoziierens. Denken und Träumen können laut David Gelernter ineinander übergehen. Die Grenze zwischen Denken und Träumen ist ein faszinierender, wenig bekannter Teil des Geistes. David Gelernter erklärt: „Dass Träume Halluzinationen sind, wissen wir alle; aber der besondere Charakter der geistigen Aktivität beim Einschlafen bzw. des hypnagogischen Denkens, das zum Schlaf führt, ist nicht allgemein bekannt.“ Bekannt dagegen ist, dass der hypnagogische Zustand durch lockeres oder freies Assoziieren gekennzeichnet ist, das man als „Bewusstseinsstrom“ beschreiben könnte.“ Aber das ist es nicht allein; oft treten in diesem Zustand auch einzelne, kurze Halluzinationen auf. Sich im „Wachtraum“ zu befinden, traumähnliche Halluzinationen zu erleben, während man noch wach ist, aber am Rande des Schlafes steht – genau das ist der Charakter des Einschlafgedankens. David Gelernter ist Professor für Computerwissenschaften an der Yale University.
Die Klugheit sprengt die Fesseln der Unmündigkeit
Denken bedeutet, im mentalen Innenraum zu experimentieren. Menschen bedienen sich ihres immensen Erinnerungsschatzes, den sie über ihre Erziehung, Kultur und Bildung erworben haben, und erleben ihre Gedanken als persönliche Kreationen. Meistens merken sie nicht, dass sie der Erfahrung eines Mitmenschen nachplappern oder durch ein unbewusstes Motiv beeinflusst werden. Denn das Denken ist immer beeinflusst vom Milieu und der Geschichte eines Menschen. Allan Guggenbühl rät: „Um aus dieser Falle herauszukommen, müssen wir es wagen, unseren Irritationen zu folgen, das Außergewöhnliche anzudenken. Klugheit bedeutet, sich immer wieder aus der selbst auferlegten Unmündigkeit zu befreien, Nischen zu entdecken und Rituale zu entwickeln, in denen die Vorgaben des politisch korrekten Denkens und persönlicher Prägungen abgelegt werden.“ Allan Guggenbühl ist seit 2002 Professor an der Pädagogischen Hochschule Zürich tätig. Außerdem fungiert er als Direktor des Instituts für Konfliktmanagement in Zürich.
Zustände des reinen Seins können Angstgefühle verursachen
Tagträume und Phantasien sind in der Regel emotionaler Natur. Auch viele Träume sind höchst emotional. In ihnen brütet der menschliche Geist die intensivsten emotionalen Erlebnisse aus, die ihm überhaupt möglich sind. Befindet sich ein Mensch im Sein in reinster Form, schwindet sogar sein Ich-Gefühl. David Gelernter erklärt: „Wir vergessen uns selbst – wir verlieren unser Ich. Wir erleben nur noch und begegnen dem Ich-losen Zustand des reinen Seins.“ Zustände des reinen Seins sind gefährlich und können Menschen Angst machen: Sie sind dann weit offen und verfügen beispielsweise in solchen Fällen keine Abwehr gegen Alpträume. Solche Zustände können Menschen auch an den Rand explosiver Euphorie bringen – oder mit tiefer Befriedigung überfluten oder für kurze Zeit eins mit dem Universum machen. David Gelernter ist Professor für Computerwissenschaften an der Yale University.
Sigmund Freud revolutionierte das Verständnis vom Seelenleben
Peter-André Alt erzählt in seinem neuen Buch „Sigmund Freud“ von der Bewegung der Psychoanalyse, ihrem Siegeszug und ihren Niederlagen. Er porträtiert Sigmund Freud als selbstkritischen Dogmatiker und wissenschaftlichen Eroberer. Der Begründer der Psychoanalyse war auch selbst ein Zerrissener, der die Nöte der Seele, von denen seine neue Therapie die neurotischen Menschen befreien sollte, aus eigener persönlicher Erfahrung kannte. Der Nervenarzt Sigmund Freud arbeitete in Wien an seinen wegeweisenden Theorien zu Sexualität und Neurose, Traum und Unbewusstem, Familie und Gesellschaft, Märchen und Mythos. In seinen Behandlungsräumen in der Berggasse 19 vollzog sich die Erfindung einer neuen Lehre vom Menschen, die das Verständnis des Seelenlebens umfassend und eingreifend veränderte. Peter-André Alt ist Professor für Neuere Deutsche Literaturgeschichte an der Freien Universität Berlin.
Der Mensch ist nicht auf seine Gene reduzierbar
Ein Grundziel sexueller Fortpflanzung ist der Erhaltung beziehungsweise gewissermaßen die Steigerung von genetischer Diversität. Durch bestimmte unter dem Begriff Rekombination zusammengefasste Prozesse wird dabei dafür Sorge getragen, dass die Nachkommen genetisch anders sind als die Eltern und auch zwischen den Mitgliedern einer Generation ein signifikantes Maß an genetischer Verschiedenartigkeit existiert. Markus Hengstschläger erklärt: „Abgesehen von zwei eineiigen Zwillingen ist das Genom eines Menschen einzigartig. Andererseits ist der genetische Unterschied zwischen zwei Menschen, wenn man ihn in Prozent der gesamten DNA ausdrückt, eigentlich auch wieder nur gering.“ Aber eben signifikant und relevant, sodass es sich dabei gemeinsam mit den für jeden Menschen individuellen Umwelteinflüssen aller Art und die beiden Komponenten handelt, die die Basis menschlicher Individualität bilden. Markus Hengstschläger ist Professor für Medizinische Genetik an der Medizinischen Universität Wien.
Gute Vorsätze sind eigentlich Selbstbetrug
„Gute Vorsätze“ heißt: „Ich will eigentlich etwas anderes.“ Wenn man ehrlich zu sich selbst ist, verhält es sich ähnlich wie mit dem Konzept „Versuchen“. Vorsätze sind nichts anderes als ein Ersatz für das klare „Ich will es nicht!“ Es fehlt aber der Mut, diese eindeutige Aussage zu machen. Nicht einem selbst gegenüber und nicht anderen gegenüber. Deshalb erzählen viele Menschen davon, was sie sich vorgenommen haben. Reinhard K. Sprenger nennt das Selbstbetrug: „Und Sie können sicher sein: Die anderen interessieren sich für alles Mögliche, nur nicht für das, was Sie sich alles vorgenommen haben.“ Menschen sind Gleichgewichtswesen, denn sie können nicht lange in einer belastenden seelischen Situation leben. Reinhard K. Sprenger ist promovierter Philosoph und gilt als einer der profiliertesten Managementberater und Führungsexperte Deutschlands.