Beim Schutz von Vulnerablen geht Freiheit auf allen Seiten verloren

Die Kennzeichnung von Menschen als vulnerable dient dazu, deren Anliegen und Interessen als besonders bedeutsam zu markieren und die Gesellschaft darauf aufmerksam zu machen. Was allerdings eher neu zu sein scheint, ist der Umfang, in dem Vulnerabilitäten ernstgenommen werden. Frauke Rostalski schreibt in ihrem neuen Buch „Die vulnerable Gesellschaft“: „Aktuelle Debatten über Vulnerabilität lassen sich deshalb zugleich für ein Zeichen dafür deuten, dass eine Wertediskussion ansteht und ein Wertewandel im Gang ist – ein Wandel, der nicht zuletzt mit rechtlichen Mitteln vollzogen werden soll.“ Damit tritt aber eine weitere Kategorie auf den Plan, die für das gesellschaftliche Miteinander von besonderer Bedeutung ist: die Freiheit. Frauke Rostalski ist Professorin für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsphilosophie, Wirtschaftsrecht, Medizinstrafrecht und Rechtsvergleichung an der Universität zu Köln.

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Die Freiheit ist die Kraft des Anfangens

Es gibt zwei selbstwidersprüchliche Auffassungen des Werdens der Freiheit. Christoph Menke erklärt: „Die eine Auffassung, als Geschehen, versteht nicht das Werden der Freiheit; sie gelangt nicht bis zur Freiheit. Die andere Auffassung, als Tat, versteht nicht das Werden der Freiheit; sie beginnt schon mit der Freiheit.“ Das Werden der Freiheit lässt sich nur begreifen, wenn man diesen Gegensatz von Aktivität und Passivität aufzulösen vermag. Die Befreiung muss sich von diesem Gegensatz befreien; sie muss das Werden befreien. Es gibt zwei verschiedene Konzeptionen des Denkens und seiner Freiheit: ein idealistisches und ein ästhetisch-materialistisches Konzept des Denkens. Die Freiheit ist wesentlich negativ. Sie ist die Negation der Unfreiheit. Christoph Menke ist Professor für Philosophie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main.

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Vielen Menschen ist am Schutz von Minderheiten gelegen

Markus Gabriel stellt fest: „Minderheiten kann man keineswegs stets den Anspruch zugestehen, Gehör zu finden und bei Entscheidungsprozessen mit am Tisch zu sitzen.“ Pädokriminelle, Antidemokraten, eindeutige Verfassungsfeinde, Mörder usw. haben aufgrund ihrer moralischen Defizite schlichtweg nicht das Recht, als Minderheiten vor institutioneller Härte geschützt zu werden. Vielen Menschen ist jedoch zu Recht am Schutz von Minderheiten gelegen. Zu schützende Minderheiten sind meistens solche, denen man nachweisbar Unrecht angetan hat. Man muss sie besonders schützen, um ihnen das volle moralische und juristische Recht zukommen zu lassen, dessen man sie beraubt hat. Es gehört zu der moralisch empfehlenswerten Seite der Demokratie, dass sie zu Unrecht unterdrückten Minderheiten Gehör verschafft. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Das Leiden an Trostlosigkeit breitet sich in einer sterbenden Welt aus

Der australische Naturphilosoph Glenn Albrecht hat 2005 den Begriff der „Solastalgie“ geschaffen, um das Trauma zu beschreiben, das durch den Verlust der vertrauten ökologischen Umwelt entsteht. Eva von Redecker ergänzt: „Nostalgie, aber in Echtzeit: eine Sehnsucht nicht nach Vergangenem, sondern nach dem, was man für unverrückbar gegenwärtig hielt.“ Das Wort, das sich aus dem lateinischen „solacium“ – Trost – und dem griechischen „algia“ – Leid – zusammengebaut ist, kommt einem nicht gerade leicht über die Lippen. „Leiden an Trostlosigkeit“: Das beschreibt nicht schlecht, was Menschen in einer sterbenden Welt befällt. Aber der Neologismus macht Eva von Redecker stutzig, weil in ihm so viel fehlt. Es kommt weder die Welt vor, auf die sich die Sehnsucht richtet, noch der Grund ihres Verlusts. Eva von Redecker ist Philosophin und freie Autorin. Sie beschäftigt sich mit der Kritischen Theorie, Feminismus und Kapitalismuskritik.

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Ein Wissenschaftler versucht die Welt zu verstehen

Der Wissenschaftler denkt menschlich – wie sollte es auch anders sein. Er beurteilt und bewertet die Welt und den Menschen aus seiner Perspektive. Er sucht die Welt zu verstehen, die Naturgesetze zu nutzen, um die Bedingungen des menschlichen Lebens zu verbessern und um mit sich selbst ins Reine zu kommen. Der Wissenschaftler dient allgemein menschlichen Zielen, sucht seinen Beitrag zum Gelingen des menschlichen Zusammenlebens zu erbringen. Paul Kirchhof weiß: „Deshalb ist er offen für alle Formen menschlichen Erfahrens, Messens, Beurteilens, Verstehens. Eine Beschränkung auf nur eine Form menschlichen Erkennens wäre einengend, widerspräche der vernünftigen und beherzten Freiheit.“ Dies gilt auch für eine Erfahrungswissenschaft, die ihre Fragestellungen nicht nur den Erkenntnisformen der Kausalität, des Experiments, der rationalen Erfahrung und Berechenbarkeit verdankt. Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg.

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Die Freiheit ist das bestimmende Kennzeichen der Demokratie

Den Begriff der Freiheit durchzieht von seiner griechischen Entdeckung her eine gewisse Spannung. Der Schritt, der von der einen zur anderen Seite führen kann, zeigt sich exemplarisch an der Existenz der Demokratie. Denn die Freiheit, sagt Aristoteles, ist ihr „bestimmendes Kennzeichen“. Christoph Menke ergänzt: „Die Freiheit definiert die Würdigkeit in der Demokratie – sie ist es, was die Demokratie hochschätzt, ja, worin sie nach Perikles ihr Glück sieht.“ Das kann auf zwei ganz verschiedene, ja entgegengesetzte Weisen verstanden werden. Das erste Verständnis ist politisch. Es definiert, so Herodot, die demokratische Freiheit als die „Herrschaft des Volkes“, durch die „Gleichberechtigung aller“. Demokratische Freiheit heißt, so erläutert Thukydides, dass „in den Streitigkeiten der Bürger alle ihr gleiches Teil“ haben. Christoph Menke ist Professor für Philosophie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main.

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Die Bürger sind für eine stabile Demokratie verantwortlich

Das neue Philosophie Magazin 04/2024 geht im Titelthema der Frage nach: Ist die Demokratie auf Sand gebaut? Chefredakteurin Svenja Flaßpöhler schreibt dazu: „Tatsächlich erlebt wohl jeder Mensch diese Momente, in denen man am Fundament unserer Staatsform, die alle Macht dem Volk verleiht, schier verzweifelt.“ Auch wenn alle Macht beim Volk liegt, gibt es kein Prüfsiegel für Mündigkeit und moralische Integrität. Niemand muss vor dem Wahlgang beweisen, dass er urteilsfähig ist. Der Rechtsphilosoph und Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde sagt: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist. Demokratien sind nur so lange stabil, wie die Bürger bestimmte, freiheitliche Werte teilen. Etwa, dass die Würde eines jeden Menschen unantastbar ist.

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Der politische Gehalt der Freiheit verändert sich ständig

Der politische Gehalt dessen, was Freiheit sein soll, hat sich im Lauf der Zeiten immer wieder verändert. Hans-Jürgen Papier blickt zurück: „Im klassischen Griechenland war die Demokratie Sache der Freien, Besitzenden und Gebildeten. Das schloss die große Mehrheit der Menschen aus. In den feudalen Gesellschaften des Mittelalters herrschten starke Hierarchien und eine unverrückbare Ordnung von Abhängigkeiten. Der Grad an Freiheit des einzelnen Menschen hing vom Grad seiner Macht ab.“ Einer überwiegenden Mehrheit unfreier Bauern stand eine sehr viel kleinere Gruppe von Freien, Lehnsherren und Lehnsleuten gegenüber. Die Lehnsleute wiederum waren ihren Lehnsherren als Vasallen verpflichtet, Dients und Gehorsam zu leisten. Da die Kirche nicht mehr wie im Römischen Reich Staatskirche war, gab es nebeneinander weltliche und kirchliche Herrscher und Hierarchien. Prof. em. Dr. Dres. h.c. Hans-Jürgen Papier war von 2002 bis 2014 Präsident des Bundesverfassungsgerichts.

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Konflikte sind nicht problematisch

Jan-Werner Müller weiß: „Gleichheit, ob nun im sozialen Sinne oder im Sinne gleicher politischer Grundrechte, bedeutet nicht Unterschiedslosigkeit oder Homogenität.“ Das Gegenteil von Gleichheit ist nicht Vielfalt – die mit politischer Gleichheit vollkommen verträglich sein kann –, sondern Ungleichheit. Zudem verlangen weder politische noch soziale Gleichheit, dass Menschen immer einer Meinung wären. Eines der am weitesten verbreiteten Missverständnisse bezüglich demokratischer Politik der Gegenwart besagt, Spaltung und Konflikt wären an sich problematisch oder sogar gefährlich. Denn die Bürger haben ganz unterschiedliche Vorstellungen über ein gutes Leben für sich selbst und auch über das Gemeinwohl. Diese Unterschiede lassen sich nicht allein auf Irrationalität, mangelnde Information oder ein Fehlen der rechten politischen Bildung zurückführen. Jan-Werner Müller ist Roger Williams Straus Professor für Sozialwissenschaften an der Princeton University.

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Der Mensch gewinnt die Herrschaft über die Natur

Paul Kirchhof stellt fest: „Was der Mensch aus eigener Kraft nicht kann, gelingt ihm durch die Herrschaft über die Natur.“ Er gewinnt sie, indem er die Gesetzmäßigkeiten der Natur für seine Ziele einsetzt. Er beherrscht auch andere Menschen, die Gesetzmäßigkeiten der Natur für ihre Zwecke nutzen wollen. Diese werden nun durch Gegenkräfte gehemmt. Je mehr der Mensch seine Fähigkeiten und Kenntnisse erweitert, desto mehr stimmt er sich mit anderen Menschen ab, die auf andere Weise die Natur beherrschen. Die Geschichte der Freiheit beginnt mit dem Kampf gegen die Naturgewalten. Aus diesen löst sich der Mensch nach und nach. Er gewinnt Herrschaft über Teile der Natur. Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg.

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Die Demokratie ist der einzige Weg zur Gerechtigkeit

Politische Gleichheit darf man nicht opfern. Danielle Allen betont: „Meiner Meinung nach ist die Demokratie der Weg zur Gerechtigkeit, und zwar der einzige.“ Es mag zwar sein, dass mildtätige Autokraten für materiellen Wohlstand in der Bevölkerung sorgen, aber sie werden qua Definition niemals die Grundlage für volles menschliches Wohlergehen schaffen. Und deshalb niemals vollumfängliche Gerechtigkeit erreichen. Dennoch gibt es zum Trotz immer Menschen, die einen anderen Weg wählen und auf Demokratie verzichten. Das nimmt Danielle Allen als unvermeidliche Gegebenheit des Lebens hin. Richtig verstandene Gerechtigkeit beruht auf politischer Gleichheit und den ihr zugrunde liegenden Institutionen. Danielle Allen ist James Bryant Conant University Professor an der Harvard University. Zudem ist sie Direktorin des Edmond J. Safra Center for Ethics in Harvard.

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Jeder Mensch hat seinen Preis

In der Lebenswelt hat alles seinen Preis, nicht nur die natürlichen Ressourcen und die Dinge, sondern auch die Menschen. Annemarie Pieper erklärt: „Zwar läuft niemand mit einem angehefteten Preisetikett durch die Gegend, aber wir taxieren andere automatisch: anhand ihres Aussehens, ihrer Kleidung, der Art, wie sie sich bewegen, sprechen, sich verhalten.“ In lange zurückliegenden Zeiten mag die blitzschnelle Einschätzung, insbesondere von Fremden, überlebenswichtig gewesen sein: Freund oder Feind? Besser, man bemächtigt sich seines Skalps als Trophäe für die eigene Überlegenheit, als die Konfrontation mit dem Leben zu bezahlen. Die heutigen Kopfjäger hingegen, die sogenannten Headhunter, bemessen den Wert einer Person an den Spitzengehältern, die der freie Markt für die Fähigkeiten ihres Kopfes zu zahlen bereit ist. Prof. Dr. Annemarie Pieper lehrte von 1981 bis 2004 Philosophie an der Universität Basel.

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Freiheit und Nachhaltigkeit gehören zusammen

Über Freiheit nachzudenken erfordert, die Herausforderungen der Gegenwart mitzubedenken, unter denen die ökologische Krise weit oben steht. Aus dieser Überlegung heraus ist das Vorhaben von Katia Henriette Backhaus entstanden, das Konzept nachhaltiger Freiheit zu entwerfen. Dabei geht es ihr bewusst nicht darum, nach einer neutralen Position zu streben. Eine solche Konzeption muss plausibel darlegen, dass sie die Relation von Freiheit und Nachhaltigkeit in beide Richtungen stärken kann. Katia Henriette Backhaus erklärt: „Sie erhält die politische Freiheit der Menschen auf der Erde nachhaltig, also auf Dauer. Und sie respektiert und gewährleistet den Erhalt der natürlichen Bedingung der Möglichkeit der politischen Freiheit.“ Das bedeutet: Die nachhaltige Freiheit darf die Bedingungen der Möglichkeit der Freiheit nicht ignorieren. Katia Henriette Backhaus hat an der Universität Frankfurt am Main promoviert. Sie lebt in Bremen und arbeitet als Journalistin.

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Es gibt einen Mythos der milden Diktatoren

„Kein Mensch bekämpft die Freiheit. Er bekämpft höchstens die Freiheit des anderen. Jede Art der Freiheit hat daher immer existiert, nur einmal als besonderes Vorrecht, das andere Mal als allgemeines Recht“, schrieb Karl Marx am 12. Mai 1842. Freiheit für alle oder nur für Wenige? Roger de Weck erklärt: „Die Wenigen schätzen eben die Freiheit für Wenige, weil sie riesengroß ist. Weil sie auf die Vielen keine Rücksicht nehmen müssen.“ Nicht nur in Italien hängen sie am Mythos der milden Diktatoren, da „ohne Ordnung keine Freiheit“. Im Handumdrehen ließen sich Konservative und Liberale von Autokraten einwickeln. Zum Beispiel als 1922 in Rom das bürgerliche Parlament Benito Mussolini eine Blankovollmacht erteilte. Er versprach eine „befreiende Gewalt“. Roger de Weck ist ein Schweizer Publizist und Ökonom.

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Immanuel Kant revolutioniert die Philosophie

Die Sonderausgabe des Philosophie Magazins ist diesmal Immanuel Kant gewidmet. Der Philosoph, dessen Geburtstag sich am 22. April zum 300. Mal jährt, gehört zu den bedeutendsten Denkern der Philosophiegeschichte. Der israelische Philosoph Omri Boehm versteht Kant, entgegen der gängigen Klischees, als einen Philosophen des Ungehorsams, gar als Anarchisten. Er sagt: „Die wichtigste Erkenntnis Kants ist, dass es Autorität – im Gegensatz zu Macht – nur geben kann, wenn die Vernunft in der Lage ist, sich selbst ihre eigenen Regeln zu geben.“ Dadurch wird jede von außen kommende Autorität abgelehnt. Denn äußere Autorität und Autonomie schließen sich in gewisser Weise aus. Laut Omri Boehm besteht Immanuel Kants wichtigstes Vermächtnis darin, den Universalismus durch die Freiheit und nicht durch Gott oder die Natur zu begründen – im Zusammenhang mit der Menschenwürde.

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Es gibt universelle moralische Prinzipien

Der amerikanische Psychologe Jonathan Haidt und andere Forscher neigen zu einem Relativismus, der zugespitzt lautet: Jede Kultur hat ihre eigene Moral. Philipp Hübl erläutert: „Wenn die Moral den Gefühlen gehorchen muss, kanns sie als Sklavin der Leidenschaften schwerlich universell sein.“ Im Westen ist moralischer Relativismus heute oft aus Minderheitenschutz heraus, also aus Fürsorge und Fairness motiviert. Denn es besteht die Angst, in der Moral kolonialistisch oder „ethnozentrisch“ zu verfahren. Doch universelle moralische Prinzipien sind nicht „westlich“, nur weil einige von ihnen zuerst im Westen formuliert wurden. Genauso wenig ist das Prinzip des gewaltlosen Widerstands gegen Unterdrücker „indisch“, nur weil es Mahatma Gandhi als Erster erfolgreich gegen die britischen Besatzer eingesetzt hat. Philipp Hübl ist Philosoph und Autor des Bestsellers „Folge dem weißen Kaninchen … in die Welt der Philosophie“ (2012).

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Im natürlichen Zustand gibt es nur Stärke und Schwäche

Im natürlichen Zustand gibt es weder Freiheit noch Unfreiheit, sondern nur Stärke und Schwäche. Und die Beherrschung der Schwachen durch die Starken. Christoph Menke erklärt: „Die Hervorbringung der Freiheit beginnt damit, dass dieser Zustand aufhört natürlich zu sein – oder natürlich zu scheinen – und die Abwesenheit der Freiheit als Unfreiheit erfahren wird.“ Nämlich als Negation der Freiheit, als Knechtschaft. Das macht diesen Zustand zu einem nichtnatürlichen; zu einem Zustand, in dem nicht frei zu sein heißt, der Freiheit beraubt zu sein. Mit dieser Erfahrung befinden sich die Menschen zum ersten Mal – in der Gesellschaft. Die erste wahrhafte Erfahrung eines nichtnatürlichen Verhältnisses, ist die Erfahrung der Unfreiheit. Christoph Menke ist Professor für Philosophie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main.

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Nur die Vernunft führt zur Erkenntnis

Den richtigen Weg zur Erkenntnis kann man nur mit dem richtigen Gebrauch des Logos beziehungsweise der Vernunft finden. Silvio Vietta ergänzt: „Der menschliche Geist kann, aber muss auch die Wahrheit selbst auffinden. Dies wiederum geht nur mit dem richtigen Gebrauch der Vernunft. Also ist die Freiheit des menschlichen Geistes, der auf sich gestellt den Weg finden muss zwischen dem wahren und dem falschen Weg zur Erkenntnis des Seins.“ Und wie in der Philosophie, so auch im antiken Drama. In vielen der Mythen herrscht ja ein Generationengeschick, das dem Menschen gar keine eigene Freiheit der Entscheidung lässt. Sondern sie binden ihn in ein zwanghaftes Geschehen ein, das er auf tragische Weise erfüllen muss. Prof. em. Dr. Silvio Vietta hat an der Universität Hildesheim deutsche und europäische Literatur- und Kulturgeschichte gelehrt.

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Menschen haben verschiedene Identitäten

Es ist keine neue Erkenntnis, dass die Menschen verschiedene Identitäten haben können und tatsächlich auch haben. Diese sind an verschiedene wichtige Gruppen geknüpft, denen sie gleichzeitig angehören. Amartya Sen fügt hinzu: „Im normalen Leben sehen wir uns als Mitglieder einer Vielzahl von Gruppen, denen wir allen angehören.“ Jedes dieser Kollektive, denen allen der Betreffende angehört, verleiht ihm eine potentielle Identität, die je nach Kontext sehr wichtig sein kann. Die Darstellung Indien in Samuel P. Huntigtons Buch „Der Kampf der Kulturen“ als einer hinduistischen Kultur ist für Amartya Sen ein grober Fehler. Grobheit der einen oder anderen Art findet man dort auch in der Charakterisierung anderer Kulturen. Amartya Sen ist Professor für Philosophie und Ökonomie an der Harvard Universität. Im Jahr 1998 erhielt er den Nobelpreis für Ökonomie.

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Der Mensch versteht sich als offenes Wesen

Was ist der Mensch? In dieser Frage laufen nach Immanuel Kant die Grundlinien der Philosophie, der Religion und der Moral zusammen. Seit der Renaissance versteht sich der Mensch als prinzipiell offenes Wesen. Nämlich nicht nur tendenziell frei gegenüber der Welt, sondern auch frei sich selbst gegenüber. Konrad Paul Liessmann stellt fest: „Friedrich Nietzsche steht, wenn auch kritisch, in dieser Tradition. Er treibt sie weiter, spitzt sie zu, entkleidet sie jedoch vom Pathos der Würde.“ Der Mensch: Das ist, wie Nietzsche sich einmal notierte, „das noch nicht festgestellte Thier“. Im „Antichrist“ resümierte Nietzche seine Position. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Philosophie an der Universität Wien. Zudem arbeitet er als Essayist, Literaturkritiker und Kulturpublizist. Im Zsolnay-Verlag gibt er die Reihe „Philosophicum Lech“ heraus.

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Die Bürger sollten die Werte des Staates teilen

Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Richard David Precht erläutert: „Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist. Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des Einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert.“ Andererseits kann er nicht von sich aus, das heißt mit den Mitteln des Rechtszwangs und autoritativen Gebots, zu garantieren suchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben. Denn dadurch würde er auf säkularisierter Ebene in jenen Totalitätsanspruch zurückfallen, aus dem er in den konfessionellen Bürgerkriegen herausgeführt hat. Der Philosoph, Publizist und Autor Richard David Precht einer der profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum.

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Vertrauen gewährt eine anerkannte Freiheit

Die Moralphilosophin Annette Baier hat einmal bündig definiert, Freiheit heiße, mit Hilfe des anderen auf sich selbst gestellt oder unbewacht sein zu können. Als Freiheitsdefinition wäre das wohl zu heikel. Denn klar ist, dass der, dem man Vertrauen schenkt, nur frei ist, weil man es ihm schenkt. Martin Hartmann fügt hinzu: „Ich könnte überwachen oder kontrollieren, aber ich tue es nicht.“ Stärkere Freiheitsbegriffe hätten mit diesem „könnte“ Probleme. Es schwebt in ihren Augen gleichsam wie ein Damoklesschwert über den Spielräumen, die man durch das Vertrauen anderer erhält. Wirklich frei wäre dann man erst, wenn anderen nicht einmal die Möglichkeit hätten, die persönlichen Spielräume einzuschränken. Etwa, weil sie es nicht dürfen oder weil sie kein Recht dazu haben. Martin Hartmann ist Professor für Praktische Philosophie an der Universität Luzern.

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Freiheit ist zunächst einmal eine Fiktion

Freiheit ist vorab nichts anderes als eine Idee, eine Fiktion, eine Unterstellung. Konrad Paul Liessmann erläutert: „Es mag nun Wesen geben, denen diese Idee gefällt und die gerne danach handeln. In diesem Moment sind sie tatsächlich frei. Es ist genau so, als ob die Freiheit ihres Willens überzeugend nachgewiesen worden wäre. Oder, sehr verkürzt, aber treffend: Wir sind genau dann frei, wenn wir so tun, als wenn wir frei wären.“ Immanuel Kants Moralphilosophie und sein Kategorischer Imperativ beruhen auf diesem „Als ob“, gründen in der Fiktion der Freiheit. Alle damit zusammenhängenden Annahmen haben dieses „Als ob“, die Fiktion zur Voraussetzung. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Philosophie an der Universität Wien. Zudem arbeitet er als Essayist, Literaturkritiker und Kulturpublizist. Im Zsolnay-Verlag gibt er die Reihe „Philosophicum Lech“ heraus.

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Dem Menschen ist seine Autonomie sehr wichtig

Die Freiheit wird auch heute noch immer hochgeschätzt. Immanuel Kant schrieb einst, dass man von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlich Gebrauch machen sollte. Aber um welche Freiheit geht es? Der amerikanische Informatiker und Künstler Jaron Lanier vergleicht moderne Menschen mit Wölfen. Wie kann das sein? Rebekka Reinhard antwortet: „Eigentlich ist der moderne, aus dem soliden Umfeld der Tradition gerissene Mensch doch ein unvergleichliches Individuum, eine Singularität. Dieser Mensch möchte kein skinnerisches Versuchstier sein. Autonomie ist ihm sehr wichtig.“ Die Computer-Logik dagegen übersetzt Vieldeutigkeit in Eindeutigkeit und kennt nur zwei Zustände: Entweder – Oder. So blitzschnell, dass sie wie aus Versehen ein Gleichheitszeichen zwischen „subjektiv“ und „objektiv“ setzt. Die Philosophin Rebekka Reinhard war, bis zur Einstellung der Zeitschrift, stellvertretende Chefredakteurin des Magazins „Hohe Luft“.

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Freiheit kann ein Irrglaube sein

Laut Isaiah Berlin fühlt ein Mensch sich eben in dem Maße frei, in dem er glaubt, er sei seiner selbst bewusst, kontrolliere den eigenen Willen und sein handlungsfähig. Katia Henriette Backhaus erklärt: „Berlins These nach handelt es sich bei diesen Annahmen um einen Irrglauben. Freiheit wird nur vorgetäuscht. Weil Selbstbestimmung im Endeffekt nichts anderes ist als nur wieder eine Form der Herrschaft über das Selbst ist.“ Das dominierende Selbst, welches das Moment im Inneren beherrscht, ist für Isaiah Berlin das zentrale Problem. Es setzt eine Spaltung der Persönlichkeit in einen transzendenten, dominierenden Kontrolleur einerseits und das empirische Bündel von Wünschen und Leidenschaften andererseits voraus. Katia Henriette Backhaus hat an der Universität Frankfurt am Main promoviert. Sie lebt in Bremen und arbeitet als Journalistin.

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