Die Todesgefahr ist die extremste Bedrohung der Meinungsfreiheit

„Wenn du das sagst, bringen wir dich um.“ Dieser Satz verkörpert die extremste Bedrohung der Meinungsfreiheit. In Europa leben Tausende von Menschen versteckt oder fürchten um ihr Leben, weil sie von gewaltbereiten Islamisten, Mafiosi unterschiedlicher Couleur, mächtigen Interessengruppen, gewalttätigen Verwandten oder unterdrückerischen Regimen Todesdrohungen erhalten haben. Noch sehr viel höher sind diese Zahlen in Afrika, im Nahen Osten und in Teilen Asiens. Timothy Garton Ash formuliert dagegen folgendes Prinzip: „Weder drohen wir mit Gewalt, noch akzeptieren wir gewaltsame Einschüchterung.“ Doch in der Politik kann eine solche Strategie der Beschwichtigung am Ende auch den gegenteiligen Effekt bewirken. In diesem Sinne kann, wer sich gewaltsamer Einschüchterung beugt, eben dadurch den Anreiz liefern, noch mehr mit Gewalt zu drohen. Timothy Garton Ash ist Professor für Europäische Studien an der Universität Oxford und Senior Fellow an der Hoover Institution der Stanford University.

Die Strenge des Gesetzes muss der Gewalt entgegentreten

Dass so vielen illegitimen Missbräuchen und Einschränkungen zugrunde liegende generische Übel ist, wie Timothy Garton Ash zeigt, die tatsächliche oder auch nur unterstellte Androhung von Gewalt. Nimmt man diese weg, so verlieren selbst extreme Bekundungen der Intoleranz ihre einschüchternde Wirkung. Denen, die mit Gewalt drohen, muss deshalb mit der ganze Strenge des Gesetzes entgegengetreten werden. Sie dürfen allerdings nicht selbst getötet oder verletzt werden, es sei denn, sie stiften nicht nur Gewalt an, sondern verüben sie auch und können durch andere Mittel nicht aufgehalten werden.

Timothy Garton Ash erläutert: „Wir müssen konsistent sein: Nichts kann jemals rechtfertigen, jemanden wegen etwas, was er sagt, zu töten, selbst wenn es sich dabei um den Satz „Wenn du das sagst, werden wir dich umbringen“ handelt.“ Die physische Beschränkung einer langen Haftstrafe nach einem rechtsstaatlichen Verfahren hingegen ist als Antwort voll und ganz gerechtfertigt. Der amerikanische Wissenschaftler Cass Sunstein war einer der Ersten, die davor warnten, dass das Internet in der Praxis zu einer, wie er es nannte, Gruppenpolarisation beitragen kann.

Die Bewahrung der Meinungsfreiheit hängt vom Mut herausragender Individuen ab

Die amerikanische Analystin Susan Benesch hat Kriterien dafür formuliert, wann Hassrede zu gefährlicher Rede wird. Ihre ersten drei Kriterien, bauen auf der Analyse der drei Dimensionen der Rhetorik von Aristoteles auf. Dazu zählen ein mächtiger Redner mit einem hohen Grad an Einfluss auf die Zuhörer, eine anfällig, leicht zu beeindruckende Zuhörerschaft mit Sorgen und Ängsten, die der Redner kultivieren kann und ein Sprechakt, der eindeutig als Aufruf zu Gewalt verstanden wird. Dazu kommen laut Susan Benesch ein der Gewalt zuträglicher gesellschaftlicher oder historischer Kontext sowie ein Verbreitungsmedium, das für sich genommen einflussreich ist.

Timothy Garton Ash plädiert für eine Unterscheidung zwischen gefährlicher Rede und Hassrede. Als liberaler Internationalist legt er zudem großen Wert auf internationale Menschenrechtsabkommen. In der gesamten Geschichte hing die Bewahrung der Meinungsfreiheit von dem Mut herausragender Individuen ab, die auch im Angesicht von Inhaftierung, Folter und Todesdrohungen weder widerrufen noch einknicken. Doch damit der Widerstand dieser Menschen etwas bewirkt, solange sie noch am Leben sind, braucht es sowohl die Standhaftigkeit des Staates als auch die Solidarität der Gesellschaft. Quelle: „Redefreiheit“ von Timothy Garton Ash

Von Hans Klumbies