Ferdinand von Schirach hat Jura studiert, weil er glaubte, ein bürgerliches Leben könnte ihm Halt geben. Er hat immer gewartet, ohne zu wissen, worauf. Erst als er wieder schreiben konnte, verstand er, dass es genau das war: das Schreiben. Das ist die ganze Geschichte. Das Schreiben ist seiner Meinung nach nicht aufregend oder romantisch: „Ich sitze vor dem Laptop, rauche, trinke Kaffee und schreibe. Drei Stunden am Vormittag. Man sollte sich vorher duschen, rasieren und ordentlich anziehen, sonst schreibt man Bademantelliteratur.“ Für Ferdinand von Schirach ist es schwieriger über sich selbst als über Erfundenes zu schreiben. Die Wahrheit kann ohnehin niemand erzählen. Ferdinand von Schirach verteidigte etwa 700 Mandanten vor Gericht, bevor er zu einem der international erfolgreichsten Romanautoren und Dramatiker Deutschland avancierte.
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Manchmal muss man das Weltbild radikal verändern
Carlo Rovelli vertritt die These, dass ein wichtiger Teil der wissenschaftlichen Methodologie ihren Ursprung in der Schule von Milet, vor allem im Denken Anaximanders hat. Gestützt wird seine Vermutung durch den milesischen Naturalismus, dem erstmaligen Gebrauch von theoretischen Begriffen oder der Vorstellung von Naturgesetzen. Dass die Naturgesetze die Notwendigkeit der Abfolge von Ereignissen bestimmen, geht auf die Schule von Milet zurück. Vor allem vermittelte Milet der Welt diese einzigartige Kombination aus Respekt und Kritik im selben intellektuellen Gebiet. Dort entstand auch die allgemeine Idee, dass die Welt nicht so sein muss, wie sie den Menschen erscheint. Um wie Welt besser zu verstehen, kann es notwendig sein, das existierende Weltbild radikal zu verändern. Carlo Rovelli ist seit dem Jahr 2000 Professor für Physik an der Universität Marseille.
Die Griechen verehrten die Sieben Weisen
Thales gilt als einer der „Sieben Weisen“ der griechischen Antike. Die Sieben Weisen sind mehr oder minder historische Figuren. Die Griechen verehren sie als Gründerväter ihres Denkens und ihrer Institutionen. Ebenfalls zu den Sieben Weisen gehörte Solon, ein Zeitgenosse von Thales und Anaximander, Autor der ersten demokratischen Verfassung von Athen. Carlo Rovelli ergänzt: „Anaximander war circa zehn Jahre jünger als Thales. Wir wissen nicht welches Verhältnis sie zueinander hatten.“ Im 6. griechischen Jahrhundert ist es zum ersten Mal in der Geschichte so weit, dass die Fähigkeit zum Lesen und zum Schreiben nicht länger auf einen begrenzten Kreis professioneller Schreiber beschränkt blieb. Ein Großteil der allgemeinen Bevölkerung und praktisch die gesamte Oberschicht konnte nun lesen und schreiben. Carlo Rovelli ist seit dem Jahr 2000 Professor für Physik an der Universität Marseille.
An der Oberfläche der Geschichte herrscht das Bewusste
Ein einfaches Modell ermöglicht eine geschichtliche Darstellung der menschlichen Gesellschaften und ihrer Veränderungen. Emmanuel Todd erläutert: „An der Oberfläche der Geschichte entdecken wir das Bewusste, die Wirtschaft der Ökonomen, die täglich in den Medien präsent ist und deren neoliberale Ideologie in einer merkwürdigen Rückbesinnung auf den Marxismus verkündet, dass sie das Ausschlaggebende sei. Zu diesem Bewussten, dem Schrillen, wie man sagen könnte, gehört natürlich auch die Politik.“ Etwas tiefer stößt man auf ein Unterbewusstes der Gesellschaft, auf die Bildung, eine Schicht, deren Bedeutung die Bürger und Kommentatoren erkennen, wenn sie an ihr reales Leben denken, während sich die orthodoxe Sicht weigert, vollauf anzuerkennen, wie entscheidend sie ist und wie stark sie auf die darüberliegende bewusste Schicht einwirkt. Emmanuel Todd ist einer der prominentesten Soziologen Frankreichs.
Für Yasmina Reza ist das Schreiben kein intellektueller Akt
Die französische Dramatikerin Yasmina Reza hat einmal die Zeit als ihren Intimfeind bezeichnet. Denn sie hatte immer schon das Gefühl, dass es eilt, dass ihr Leben kurz ist. Schon als Kind. Erst als Erwachsene hat sie verstanden, dass nicht alle so denken: „Die meisten Menschen, denen man begegnet, haben viel Zeit. Ihnen steht nicht ständig vor Augen, dass es morgen schon vorbei sein kann.“ Gelegentlich tritt Yasmina Reza noch als Schauspielerin auf. Kritiker sind dabei immer wieder überrascht, wie körperlich ihr Spiel ist. Sie stellen es sich intellektueller, weniger sinnlich vor. Yasmina Reza war zunächst Schauspielerin, bevor sie Dramatikerin wurde. Gleich ihre ersten beiden Stücke erhielten den wichtigsten französischen Theaterpreis „Molière“. Ihr Stück „Gott des Gemetzels“ wurde 2011 von Roman Polanski verfilmt. Diese Woche erscheint ihr Buch „Anne-Marie die Schönheit“.
So lebten Knaben und Jünglinge in der Antike
Knaben und Jünglinge wuchsen in der Antike in einem gleichgeschlechtlichen Umfeld auf. In der klassischen Zeit durchliefen sie als Bürgersöhne ab dem siebten Lebensjahr ein körperlich-sportliches Training und erhielten in Athen ab dem 18. Lebensjahr eine militärische Ausbildung. Franz X. Eder ergänzt: „Ab dem 5. Jahrhundert v. Chr. wurden private Schulen errichtet, in denen neben Gymnastik und Sport auch Lesen und Schreiben sowie Poetik, Tanz und Literatur auf dem Lehrplan standen.“ Nach dem 20. Lebensjahr nahmen die Männer am Leben der Polis teil und arbeiteten sich in Berufsfelder, etwa in öffentliche Ämter, ein. Höhere Bildung in Philosophie, Medizin, Literatur und Rhetorik konnte man in größeren Städten wie Alexandria, Athen, Ephesos und Pergamon erwerben. Franz X. Eder ist Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien.
Geschliffene Bildung trifft auf tiefschwarzen Humor
Denken statt Daten, Diskussionen statt Diagramme, Kultur statt Kulturverweigerung: Der österreichische Philosoph Konrad Paul Liessmann ist der zurzeit gewandteste Anwalt in Sachen Aufklärung, Bildung und Wissen. Schar in der Analyse, provozierend in der Argumentation und rhetorisch geschliffen nimmt der Denker ins Visier, was den Menschen – und damit der Politik – unter den Nägeln brennt. Seine kurzen aber aphoristischen Texte werden in seinem neuen Buch „Die kleine Unbildung. Liessmann für Analphabeten“ kongenial von Nicolaus Mahler in Zeichnungen übersetzt, die zum Nachdenken und Schmunzeln anregen. Den Humor, der da zum Vorschein kommt, lässt sich teilweise als tiefschwarz beschreiben. Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech. Nicolas Mahler lebt und arbeitet als Zeichner und Illustrator in Wien.
Deutsch und zugleich zivilisiert zu sein ist möglich
Wie kein anderer Intellektueller hat Thomas Mann mit der Frage gerungen, ob es möglich sei, das zu sein: zugleich deutsch und zivilisiert. Für Thea Dorn scheint er der vorzüglichste Spiritus Rector zu sein, auf den man sich berufen kann, wenn man das Deutsche begreifen und für den künftigen Gebrauch retten will. Im Mai 1945 hielt der von den Nazis ins Exil getriebene Schriftsteller, der mittlerweile die amerikanische Staatsbürgerschaft hatte, in der Washingtoner Library of Congress einen berühmt gewordenen Vortrag. Darin versuchte er, sich, den Deutschen und seinem amerikanischen Publikum zu erklären, wie es zu der deutschen Barbarei hatte kommen können: „Es [gibt] nicht zwei Deutschland […], ein böses und ein gutes, sondern nur eines, dem sein Bestes durch Teufelslist zum Bösen ausschlug.“ Thea Dorn studierte Philosophie und Theaterwissenschaften. Sie schrieb eine Reihe preisgekrönter Romane, Theaterstücke und Essays.
Cicero war einer der bedeutendsten Redner der Antike
Der bei weitem wichtigste Vermittler griechischen Denkens in Rom war der Redner und Philosoph Marcus Tullius Cicero (105 – 43 v. Chr.), als Staatsmann und Theoretiker ein leidenschaftlicher Verteidiger der untergehenden Republik. Bernd Roeck fügt hinzu: „Cicero war nicht nur einer der bedeutendsten Redner der Antike, sondern zugleich einer der brillantesten Stilisten lateinischer Sprache. Die technische Seite des Diskutierens, die Form der Rede und des Schreibens, gewann in seinen Schriften überragende Bedeutung.“ Als junger Mann war Cicero in Athen bei dem Platoniker Antiochos von Askalon in die Schule gegangen. Hier hatte er die Lehren der Akademie kennengelernt. Sie befand sich in einem Gymnasium nahe der Akropolis. Bernd Roeck ist seit 1999 Professor für Neuere Geschichte an der Universität Zürich und einer der besten Kenner der europäischen Renaissance.
Jede Art des Gehens entspricht einer philosophischen Erfahrung
Die neue Sonderausgabe der Philosophie Magazins hat sich Gedanken zum Thema „Wandern“ gemacht. Und ist dabei unterwegs mit Thea Dorn, Michel Serres, Frédéric Gros, Gerd Kempermann und vielen anderen. Der Leser geht spazieren mit Henry David Thoreau, flaniert mit Walter Benjamin und schweift umher mit Jean-Jacques Rousseau. Im Gespräch mit Catherine Newmark erklärt Kurt Bayertz, Seniorprofessor für Philosophie an der Universität Münster, welche Bedeutung das aufrechte Gehen in der Philosophiegeschichte hat: „Eine Gemeinsamkeit, die sich durch die ganze Ideengeschichte zieht, besteht darin, dass der aufrechte Gang niemals nur als ein bloß zufälliges Faktum angesehen, sondern immer mit dem Wesen des Menschen in Verbindung gebracht wurde.“ In der Antike ist vor allem das Denken, dass als menschliches Alleinstellungsmerkmal aufgefasst und mit dem der aufrechte Gang in Verbindung gebracht wird.
Guter Journalismus versucht der Wahrheit auf die Spur zu kommen
Timothy Garton Ash ist seit 40 Jahren als Journalist und Wissenschaftler tätig. In dieser Zeit hat sich die Antwort auf die Frage „Was ist ein Journalist?“ dramatisch verändert, während die Antwort auf die Frage „Was ist guter Journalismus?“ völlig gleich geblieben ist. Es ist völlig gleichgültig, ob jemand als Journalist betrachtet wird oder nicht, er kann auf jeden Fall guten Journalismus machen. Im Oxford English Dictionary lautet die erste Definition von Journalist: „eine Person, die durch Redigieren oder Schreiben für eine oder mehrere Zeitschriften ihren Lebensunterhalt verdient.“ Das wirkt heute herrlich altmodisch. Denn sehr schlecht bezahlte freie Mitarbeiter und frisch entlassene Redakteure sind heute eher die Regel. Timothy Garton Ash ist Professor für Europäische Studien an der Universität Oxford und Senior Fellow an der Hoover Institution der Stanford University.
Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller wurden Freunde
Die Ablehnung der Französischen Revolution war die gemeinsame Basis, auf der sich die Annäherung zwischen Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller in den 1790er Jahren vollziehen konnte; sie führte schließlich zu dem viel beschworenen „Freundschaftsbund“, der das Bild nachfolgender Generationen von der Klassik geprägt hat. Bereits im Jahr 1787 war Friedrich Schiller – angezogen von dem kulturellen Zentrum und in der Hoffnung auf materielle Sicherheit – nach unruhigen Wanderjahren nach Weimar gekommen, ohne dass sich die beiden Schriftsteller in den ersten Jahren näher kamen. Der langsame Annäherungsprozess, der nicht widerspruchsfrei verlief, führte zu einer engen und intensiven Zusammenarbeit auf verschiedenen Gebieten. Es kam zu einem regen Austausch der literarischen und philosophischen Arbeiten, wobei insbesondere Friedrich Schiller durch seine produktive Kritik Johann Wolfgang von Goethe in seiner Arbeit an den „Lehrjahren“ entscheidend förderte.
Heinrich Heine stand an der Spitze der literarischen Avantgarde
Heinrich Heine (1797 – 1856), der sich selbst den „letzten, abgedankten Fabelkönig“ der deutschen Romantik nannte, knüpft an George Gordon Byron an, dem Vertreter der liberalen westeuropäischen Romantik und aktiven Teilnehmer am griechischen Freiheitskampf. Bei George Gordon Byron schon findet sich die für die dann in den 20er Jahren gemeineuropäisch verbreitete literarische Haltung des „Weltschmerzes“ charakteristische Verbindung von radikaler Subjektivität und reflexiv gebrochenem Gefühl. Mit ihr verbunden sind die Erscheinungen der „Zerrissenheit“, der Hamlet-Gestalten und „problematischen Naturen“, die als Ausdruck einer ersten fundamentalen Krise der sozialen Identität oppositioneller Intellektueller in der Zeit der Heiligen Allianz und metternichschen Restauration gedeutet werden können. Diese mit sich selbst Zerfallenen sind zugleich resignierend und – im dialektischen Umschlag des Gefühls – revoltierend gegenüber der bestehenden Wirklichkeit, ohne dass allerdings die gesellschaftlichen Ursachen sofort ganz in den Blick geraten.
Zu jedem Zeitpunkt zeigen Menschen Gefühle
Träumen ist Geschichtenerzählen in Bildern. Der Psychoanalytiker Stephen Grosz schreibt: „Ich denke, wir versuchen alle, dem Leben durch das Erzählen unserer Geschichte einen Sinn zu verleihen.“ Der deutsch-britische Psychiater und Psychoanalytiker S. H. Foulkes fügt hinzu: „Die fließende Visualisierung, wie sie in unseren Träumen geschieht, ist ein Denkprozess.“ Damit knüpft er an Sigmund Freud an, für den Träume nichts anderes als eine „besondere Form des Denkens“ sind. Sprache und Bilder sind für David Gelernter nicht einfach nur zwei verschiedene Ausdrucksmittel: „Zum Beispiel bringen wir Kindern das Sprechen und Schreiben bei, nicht aber in gleichem Maße das Zeichnen.“ Bei der Sprache geht es um Präzision, Prägnanz und Abstraktion. Bilder dagegen transportieren eine Fülle konkreter Details wie manchmal auch die Nuancen, die Gefühle und Atmosphäre ausmachen. David Gelernter ist Professor für Computerwissenschaften an der Yale University.
Auktionen sind Matching-Märkte
Auf Stellenmärkten wie der der Paarvermittlung können Menschen ihr Interesse auf vielfältige Art und Weise signalisieren. Das Internet hat einige neue Möglichkeiten eröffnet, aber Menschen haben auch Zehntausende von Jahren damit verbracht, Mittel und Wege zu ersinnen, um leicht zu verstehende Signale des Interesses zu senden. Alvin E. Roth ergänzt: „Interessanterweise sind viele Signale, die sich am leichtesten interpretieren lassen, zugleich diejenigen, deren Sendung, in einem gewissen Sinne, auf aufwendigsten, am kostspieligsten sind.“ Auf Arbeitsmärkten kann ein Motivationsschreiben im Rahmen einer Stellenbewerbung ein starkes Signal des Interesses vermitteln. Es zeigt, dass der Bewerber sich die Zeit genommen hat, sich genauer über die Stelle zu informieren, für die er sich bewirbt. Im Jahr 2012 erhielt Alvin E. Roth den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Der Wirtschaftsprofessor lehrt an der Stanford University.
Bodo Kirchhoff gewinnt den Deutschen Buchpreis 2016
Bodo Kirchhof wurde im Frankfurter Römer für seine Novelle „Widerfahrnis“ (FVA) mit dem Deutschen Buchpreis 2016 ausgezeichnet. Dieses Werk erzählt von zwei älteren Menschen, die sich kaum kennen und gemeinsam ihrem Leben und ihren Krisen davonfahren gen Süden und in Richtung einer späten Liebe. Doch plötzlich treffen die Flüchtlinge des Lebens in Sizilien auf echte Flüchtlinge, eine Begegnung von Ideen und Projektionen mit der Realität der Gegenwart. Für Bodo Kirchhoff ist dieser Preis mehr als nur die Auszeichnung dieses Buches: „Man hat das Buch, aber auch das, was ich vorher geschrieben habe, endlich einmal für sich gesehen und gewürdigt. Häufig hat meine Person dem Werk im Weg gestanden.“ Bodo Kirchhoff hat ein einem verhältnismäßig kurzem Zeitraum von wenigen Jahren drei Bücher geschrieben, die stark beachtet wurden.
Tony Judt beschreibt das Berufsethos des Historikers
Der Historiker Tony Judt hegt keinen Zweifel daran, dass man die Vergangenheit nicht für gegenwärtige Zwecke erfinden noch in den Dienst nehmen kann. Das ist seiner Meinung nach allerdings nicht so offensichtlich, wie es vielleicht scheint. Denn für viele Historiker ist die Geschichtsschreibung heutzutage tatsächlich eine Übung in angewandter Polemik. Tony Judt erklärt: „Man will etwas aufdecken, was in herkömmlichen Narrativen ignoriert wird – eine bestimmte Interpretation der Vergangenheit zurechtrücken, weil man in der Gegenwart Partei ergreifen will.“ Wenn dies ganz unverhohlen praktiziert wird, findet das Tony Judt deprimierend. Denn das ist seiner Ansicht nach Verrat an der Geschichtsschreibung, deren Aufgabe darin besteht, die Vergangenheit zu verstehen! Der britische Historiker Tony Judt lehrte in Cambridge, Oxford und Berkeley. Er starb 2010 in New York.
Die Literatur war einst die Kompensation für zu wenig Leben
Der Lesende ist eine eigentümliche Erscheinung: Er ist da und doch nicht da. Er befindet sich, obwohl leiblich anwesend, in einer anderen Welt. Konrad Paul Liessmann erklärt: „Die durch Buchstaben hervorgerufene Welt im Kopf gleicht keiner anderen Welt: weder der Erfahrungswirklichkeit noch der von Bildern, noch einer durch Digitalrechnung erzeugten virtuellen Welt.“ Es ist die Kraft des Visionären, die dem Leser einen universellen Weltbezug erlaubt: Welt ist dort, wo der Leser ein Buch aufschlägt. Das machte in früheren Zeiten das Lesen und das Schreiben zum bevorzugten Medium der Menschen an Randlagen. Die Literatur war damals das eigentliche Medium der Provinz – in jeder Hinsicht. Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech.
Lesen und Schreiben sind grundlegende Kulturtechniken
Bücher können zu Begleitern, zu Freuden, aber auch zu Feinden werden. Bücher, die man über die Jahre hin ansammelt, sind Ausdruck einer intellektuellen Biographie und der dazugehörigen Zeitgeister. An diesen Büchern lässt sich mehr ablesen als in so manch geschönter Kulturgeschichte. Konrad Paul Liessmann schreibt: „Solches Wissen, solche Erfahrungen, solche Erinnerungen wird keine digitale Bibliothek der Welt bieten können.“ Digitale Bibliotheken, auf welchem Speichermedium sie auch immer archiviert, bieten etwas anderes: den nahezu unbeschränkten raschen Zugriff auf die Welt der Texte. Konrad Paul Liessmann rät, diese Tatsache nicht gering zu schätzen, denn das sei durchaus verlockend, ja faszinierend! Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech.
Rebekka Reinhard verdient Geld mit praktischer Lebenshilfe
Als Rebekka Reinhard Philosophie studierte, wurde sie oft gefragt, wovon sie leben will. Damals hatte sich auch noch keinen Plan. Aber eines wurde ihr dann klar: „Während der Promotion habe ich gemerkt, ich bin nicht so der Uni-Typ. Das Denk-Beamtentum, das da vorherrschte hat mir nicht getaugt.“ Rebekka Reinhard war trotz Bestnoten frustriert und beschloss Schriftstellerin zu werden. Es ist ihr aber nicht gelungen, etwas zu veröffentlichen und sie kam dadurch zunehmend in eine Krise. Diese Zeit war auch finanziell für sie sehr schwierig. Sie hat nur ein paar wissenschaftliche Artikel veröffentlicht und das war´s. Rebekka Reinhard ist freie Philosophin in München und verdient ihr Geld mit Beratung sowie mit Büchern wie „Die Sinn-Diät oder Artikeln für die Philosophiezeitschrift „Hohe Luft“.
Analphabetismus ist ein Skandal der modernen Gesellschaft
Der Analphabetismus ist für Konrad Paul Liessmann längst keine Metapher mehr für eine Unbildung, die nur wenige Menschen am Rande der Gesellschaft betrifft, sondern der Skandal einer modernen Gesellschaft schlechthin: dass junge Menschen nach Abschluss der Schulpflicht die grundlegenden Kulturtechniken wie das Lesen und das Schreiben nur unzureichend, manchmal gar nicht beherrschen. Neben der umstrittenen Methode, Schreiben nach dem Gehör zu lernen, zählt der Versuch, die Lesefähigkeit zu steigern, indem man die Texte drastisch vereinfacht, zu den problematischen Strategien einer umfassenden Praxis der Unbildung. Sprache, so suggerieren diese Konzepte, dient nur der Übermittlung simpler Informationen. Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech.
Fast jeder Mensch läuft mit einem Sack voll Vorurteilen herum
Der schottische Schriftsteller Irvine Welsh wurde durch seinen Debutroman „Trainspotting“ weltberühmt. Dabei ging es um Drogenexzesse mit Heroin und Ecstasy. Dieses Buch schockierte Anfang der 90er-Jahre ganz Großbritannien. Die Verfilmung von „Trainspotting“ gehört zum Kultinventar des gesamten Jahrzehnts. Sein neuer Roman „Das Sexleben siamesischer Zwillinge“ spielt in Miami. Lucy, eine Fitnessverrückte, verhindert darin mit mutigem Eingreifen einen Mord und wird zur Heldin in einem lokalen Fernsehsender. Lena, eine übergewichtige Künstlerin, hat die Heldentat gefilmt und den Medien zugespielt. Danach bleiben die beiden Frauen in Kontakt. Lucy beschießt, auch das Leben von Lena zu retten, indem sie ihre Personal Trainerin wird. Wenn Irvine Welsh besonders dicke Menschen sieht, denkt er zuerst einmal daran, dass sich die Leute wohlfühlen sollten, egal wie sie sind.
In allen Fragen der Moral gehen die Ansichten weit auseinander
Die große Vielfältigkeit des Geschmacks wie auch der Meinungen, die in der Welt herrscht, ist allzu offensichtlich, um nicht jedermann aufzufallen. Selbst Menschen mit sehr geringer Bildung können feststellen, dass es im engen Umkreis ihrer Bekannten Unterschiede des Geschmacks gibt, auch wenn sie alle dieselbe Erziehung genossen und von früh an denselben Vorurteilen ausgesetzt waren. Jene aber, die ihren Horizont vergrößern und fremde Völker und ferne Zeiten mit in den Blick nehmen, sind dann doch überrascht, wie groß die Unstimmigkeit und Gegensätzlichkeit ist. David Hume erklärt: „Wir neigen dazu, „barbarisch“ zu heißen, was nur weit genug von unserem Geschmack und von unserer Auffassung abweicht – um freilich bald festzustellen, dass das herabsetzende Epitheton uns selbst zurückgegeben wird.“ David Hume, der von 1711 bis 1776 lebte, gehört zu den Klassikern der europäischen Philosophie.
Tucholsky sieht schon 1929 das kommende Dritte Reich (8. Teil)
Literaturkritiker bezeichnen das Jahr 1928 gerne als eine Art Scheitelpunkt im Leben Kurt Tucholskys. Voller Zorn rüttelt er noch einmal an den Grundmauern der politischen Gleichgültigkeit in Deutschland. Mit seinem Buch „Deutschland, Deutschland über alles“ entfacht er noch einmal einen Trommelwirbel auf den Sturmhelmen der Reaktion, muss aber dann auf einer ausgedehnten Lesereise durch Deutschland erkennen, dass all seine Bemühungen vergeblich waren. Es war die verheerende Mischung aus Mittelmäßigkeit und Ratlosigkeit, dumpfer Gleichgültigkeit und lammfrommer Anpassungsbereitschaft breiter Bevölkerungsschichten, gepaart mit dem stillen oder offenen Verlangen nach Revanche für den Versailler Vertrag, die Kurt Tucholskys Meinung nach Deutschland zerstörte. Seine damalige Stimmung beschreibt er wie folgt: „Um mich herum verspüre ich ein leises Wandern. Sie rüsten zur Reise ins Dritte Reich.“
„High Fidelity“ machte den Schriftsteller Nick Hornby berühmt
Bestsellerautor Nick Hornby hat nur einen seiner Romane für eine Filmfassung umgeschrieben – sein Debüt „Fever Pitch“. Das war Ende der Neunziger, ganz zu den Anfängen seiner Schriftstellerkarriere. Damals war er noch unbekannt und hatte noch nie ein Drehbuch geschrieben. Zudem wusste er nicht, ob er jemals vom Schreiben würde leben können. Als man ihn fragte, ob er zu „Fever Pitch“ auch das Drehbuch schreiben wolle, konnte er allein schon aus finanziellen Gründen nicht absagen. Er hatte eine junge Familie und brauchte das Geld. Dabei wurde ihm allerdings sehr schnell klar: Wenn der Roman auch als Film funktionieren sollte, brauchte er viele Elemente, die im Buch nicht vorkamen. Nick Hornsby stellte sich das Drehbuchschreiben in seiner naiven Sicht als erfrischende Abwechslung vor.