Philipp Blom stellt fest: „Michel de Montaignes aufmerksame Beobachtung und sein Mut, seinen Gedanken freien Lauf zu lassen, auch wenn sie den Konventionen der Zeit und den Dogmen des Glaubens zuwiderliefen, hat ihn zu einem persönlichen Freund von vielen Generationen lesender und denkender Menschen gemacht, die gerade diese Freiheit bewunderten und bewundern.“ Für das immer klarer formulierte Projekt, sich die Erde untertan zu machen, war dieses Denken allerdings nicht brauchbar. Es war auch nicht nötig, denn sein Zeitgenosse Francis Bacon (1561 – 1626), selbst ein begeisterter, wenn auch offensichtlich kein vollkommen überzeugter Leser der berühmten „Essais“, entwickelte die theoretische Grundlage dafür. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford. Er lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.
Gedanken
Das Denken ist kostenlos
Der Intellekt wird in den Gesellschaften des Westens hoch geschätzt. Deshalb ist nicht nur der Bedarf an Gutem, sondern auch der Denkbedarf gigantisch. Rebekka Reinhard erklärt: „Riesige Mengen kognitiver Inhalte werden täglich produziert und freigesetzt. Denken ist ein globaler Markt, der keine Lieferengpässe kennt. Das Tolle am Denken ist: Es ist kostenlos.“ Jeder Mensch mit verstandes- und vernunftmäßiger Ausstattung kann so viel denken, wie er will. Man kann sich sein Gehirn vorstellen wie einen inneren Streaming-Dienst, der alle Themen, Info-Formate, Filme und Serien inkludiert – und damit nicht alle guten und schlechten Gedanken, sondern auch sämtliche positive und negative Emotionen. Rebekka Reinhard ist Chefredakteurin des Magazins „human“ über Mensch und KI. Unter anderem ist sie bekannt durch den Podcast „Was sagen Sie dazu?“ der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft wbg.
Das Denken verbindet das Subjekt mit dem Objekt
Das Denken ist eine wirkliche, objektiv existierende Schnittstelle, die Subjekt und Objekt verbindet. Der Mensch verfügt über einen besonders ausgebildeten Denksinn. Mittels dessen kann er sich in der Wirklichkeit der Gedanken umschauen. Denken ist selber etwas Wirkliches. Markus Gabriel stellt fest: „Weder die Flügel unserer Einbildungskraft noch unsere modernen Simulationen, die uns virtuelle Realitäten erleben lassen, reichen hin, um der Wirklichkeit wirklich zu entfliehen.“ Der Neue Realismus richtet sich gegen die heutige Entfremdung von der Wirklichkeit. Denn die Wirklichkeit ist niemals zur Science-Fiction geworden – und verschwunden ist sie schon gar nicht. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.
Ohne Gottlob Frege gäbe es heute keine digitale Revolution
Gottlob Frege gehört für Markus Gabriel zu den größten Logikern aller Zeiten. Als Mathematiker hat er maßgeblich zur Erfindung moderner symbolischer Logiken beigetragen. Das heißt, zu den mathematischen Zeichensystemen, die man heute noch verwendet, um die abstrakten Gedanken der Mathematik auszudrücken. Markus Gabriel stellt fest: „Gottlob Frege hat eine eigene Schriftsprache erfunden, um auf diese Weise die logischen Beziehungen zwischen Gedanken übersichtlicher darstellen zu können.“ Diese Schriftsprache nennt er die „Begriffsschrift“. Ohne Gottlob Freges Begriffsschrift gäbe es heute keine digitale Revolution. Er hat auch eine der wichtigsten Texte über das Denken geschrieben, seinen unscheinbaren kleinen Aufsatz „Der Gedanke“ von 1918. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.
Die Wirklichkeit korrigiert Meinungen
Wirklichkeit ist der Umstand, dass es Gegenstände und Tatsachen gibt, über die man sich täuschen kann, weil sie nicht darin aufgehen, dass man bestimmte Meinungen über sie hat. Markus Gabriel fügt hinzu: „Wirkliches korrigiert unsere Meinungen. Aufgrund der Wirklichkeit unserer Gedanken können wir uns täuschen, aber eben auch richtigliegen. Dabei ist zu beachten, dass Wirklichkeit kein Ding oder Behälter ist, in dem sich Dinge befinden.“ Bei der Wirklichkeit handelt es sich vielmehr um eine Modalkategorie. Andere Beispiele für Modalkategorien sind Notwendigkeit, Möglichkeit, Unmöglichkeit und Kontingenz. Platon und Aristoteles haben als Erste damit begonnen, Modalkategorien aufzulisten und voneinander zu unterscheiden. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.
Es gibt universelle moralische Prinzipien
Der amerikanische Psychologe Jonathan Haidt und andere Forscher neigen zu einem Relativismus, der zugespitzt lautet: Jede Kultur hat ihre eigene Moral. Philipp Hübl erläutert: „Wenn die Moral den Gefühlen gehorchen muss, kanns sie als Sklavin der Leidenschaften schwerlich universell sein.“ Im Westen ist moralischer Relativismus heute oft aus Minderheitenschutz heraus, also aus Fürsorge und Fairness motiviert. Denn es besteht die Angst, in der Moral kolonialistisch oder „ethnozentrisch“ zu verfahren. Doch universelle moralische Prinzipien sind nicht „westlich“, nur weil einige von ihnen zuerst im Westen formuliert wurden. Genauso wenig ist das Prinzip des gewaltlosen Widerstands gegen Unterdrücker „indisch“, nur weil es Mahatma Gandhi als Erster erfolgreich gegen die britischen Besatzer eingesetzt hat. Philipp Hübl ist Philosoph und Autor des Bestsellers „Folge dem weißen Kaninchen … in die Welt der Philosophie“ (2012).
Das Gedächtnis begründet die Identität
Es gibt eine ganz entscheidende Komponente, welche die Identität eines Menschen begründet. Und sie ist wahrscheinlich die Wesentliche, nämlich das Gedächtnis. Carlo Rovelli schreibt: „Wir sind keine Gesamtheit aus voneinander unabhängigen Prozessen, die in aufeinanderfolgenden Momenten ablaufen.“ Jeder Moment der Existenz ist über das Gedächtnis über einen besonderen doppelten Faden mit der Vergangenheit – der unmittelbar vorangehenden und der ferneren – verknüpft. Die Gegenwart eines Menschen wimmelt von Spuren aus seiner Vergangenheit. Menschen sind für sich selbst Geschichten oder Erzählungen. Was einen Menschen ausmacht, sind auch seine Gedanken. Jeder ist diese lange Roman, der sein Leben ist. Menschen bestehen unter anderem aus dem Gedächtnis, das die über die Zeit verstreuten Prozesse zusammenfügt. Carlo Rovelli ist seit dem Jahr 2000 Professor für Physik in Marseille.
Die Logik ist eine Wissenschaft
Die Logik ist die Lehre von der Verhältnisbestimmung zwischen Gedanken. Markus Gabriel erläutert: „Das altgriechische Wort „logos“ hat eine Bedeutungsspannweite, die Verhältnis, Maß, Aussage, Sprache, Denken, Rede, Wort und Vernunft umfasst.“ Platon und Aristoteles haben die Logik als Wissenschaft etabliert. Es geht dabei um die Frage, wie verschiedene Gedanken zusammenhängen sollen, wenn man etwas Neues durch reine Gedankenverknüpfung erkennen will. Deswegen beschäftigt sich die Logik traditionell mit den drei Themen Begriff, Urteil und Schluss. Ein Begriff ist etwas, das man aus einem Gedanken herauslösen kann, um ihn für einen anderen Gedanken weiterzuverwenden. Seit 2009 hat Markus Gabriel den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.
Das Leben begann vor vier Milliarden Jahren
Das Universum der Lebewesen war nie einfach, ganz im Gegenteil. Antonio Damasio weiß: „Es war komplex, und das seit seinen Anfängen vor vier Milliarden Jahren. Das Lebendige kam ohne Worte oder Gedanken voran, ohne Gefühle und Überlegungen, ohne Geist oder Bewusstsein.“ Und doch spürten die lebenden Organismen andere, die ihnen glichen, und sie spürten ihre Umgebung. Mit „spüren“ meint Antonio Damasio die Wahrnehmung einer „Gegenwart“. Nämlich eines anderen ganzen Lebewesens, eines Moleküls, das auf der Oberfläche eines anderen Organismus liegt oder von einem anderen Organismus ausgeschieden wird. Spüren ist nicht das Gleiche wie Erfassen. Und es besteht nicht in der Konstruktion eines Musters von etwas anderem. Antonio Damasio ist Dornsife Professor für Neurologie, Psychologie und Philosophie und Direktor des Brain and Creativity Institute an der University of Southern California.
Zarathustra ist nicht Friedrich Nietzsche
Zarathustra darf nicht als das Alter Ego Friedrich Nietzsches missverstanden werden. Denn dieser will das triebdynamische Gewaltverhältnis umkehren. Er will das Leben, die Sinnlichkeit, das Begehren peitschen. Es bleibt jedoch bei einer leeren Geste. Das Leben hält sich angesichts des Geknalles seine zierlichen Ohren zu. Friedrich Nietzche schreibt: „Oh Zarathustra! Klatsche doch nicht so fürchterlich mit deiner Peitsche! Du weißt es ja: Lärm mordet Gedanken.“ Konrad Paul Liessmann fragt sich, welche Gedanken das Geknalle Zarathustras stört und kommt zu folgendem Schluss: „Es sind, bekundet das Leben, durchaus zärtliche Gedanken, die durch Zarathustras Geknalle irritiert werden.“ Konrad Paul Liessmann ist Professor für Philosophie an der Universität Wien. Zudem arbeitet er als Essayist, Literaturkritiker und Kulturpublizist. Im Zsolnay-Verlag gibt er die Reihe „Philosophicum Lech“ heraus.
Der Geist muss immer wachsam sein
Buddha sagt, dass Wachsamkeit oder Wachheit des Geistes mit deren Anwendung auf Gedanken und Worte beginnen müsse. Wenn man einen gesundheitsschädlichen, krankhaften Gedanken bemerkt, kann man vermeiden, dass er sich weiterentwickelt, indem man wachsam ist. Frédéric Lenoir weiß: „Gedanken haben nicht nur einen beträchtlichen Einfluss auf uns selbst, sondern auch auf andere. Ein böser Gedanke kann ein wahres Gift sein, das unseren Geist und unser Herz verdunkelt.“ Er kann sich auch, wenn der eigene Geist entsprechend negative Energie erzeugt, auf andere auswirken. Was man in bestimmten Kulturen den „bösen Blick“ nennt, ist kein Aberglaube. Die Tatsache, dass man gegenüber jemandem negative Gedanken hat, kann einen realen negativen Einfluss auf diese Person haben. Frédéric Lenoir ist Philosoph, Religionswissenschaftler, Soziologe und Schriftsteller.
Der Funktionalismus hat unzählige Schwächen
Die Stärke des Funktionalismus, die sich technisch bezahlbar macht, besteht darin, das Denken nicht an bestimmte interne Vorgänge im Lebewesen zu binden. Es spielt demnach keine wesentliche Rolle, wie die Funktion realisiert wird. Solange sie verwirklicht wird, liegt scheinbar ein Denkakt der relevanten Art vor. Doch der Funktionalismus hat in seiner Reinform laut Markus Gabriel unzählige Schwächen: „Das Hauptproblem des Funktionalismus besteht darin, dass er keine Beschreibung dessen liefert, was das menschliche Denken wirklich ist.“ Er handelt nicht vom Denken selbst, sondern von einem Denkmodell. Denken ist dabei die Erstellung von Modellen der Wirklichkeit. Seit 2009 hat Markus Gabriel den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne und ist dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.
Maren Urner: „Alles beginnt in unserem Kopf!“
Wie können sich Menschen aus der Endlosschleife von Krisen befreien? Antworten auf diese Frage gibt Maren Urner in ihrem neuen Buch „Raus aus der ewigen Dauerkrise“. Dabei muss man lernen, die gewohnten Denkmuster hinter sich zu lassen. Die Autorin stellt dazu die neuesten Erkenntnisse der neurowissenschaftlichen und psychologischen Forschung vor. Maren Urner zeigt, wie man sein Gehirn besser verstehen und nutzen kann, um den Krisenmodus zu überwinden. Ihr Credo lautet: „Alles beginnt in unserem Kopf!“ Außerdem beschreibt sie die Denkfallen, die Menschen gerade in Krisenzeiten das Leben schwer machen und sie von einem Missverständnis zum nächsten stolpern lässt. Deshalb stellt Maren Urner das Konzept eines neuen, dynamischen Denkens vor, das den Weg aus der Endlosschleife des vermeintlich alternativlosen Denkens weist. Dr. Maren Urner ist Professorin für Medienpsychologie an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW) in Köln.
Freiheit ist tief im Leben verankert
Verschiedene Freiheitsaspekte sind für die Moderne wesentlich. Dazu zählt die Gedankenfreiheit, die jenseits von Autoritäten selbst zu denken erlaubst. Sie beschert als Freiheit von Wissenschaft und Forschung diesen eine nie nachlassende Blüte. Und jene Freiheit der Person, die sich mit den anderen Freiheitsbereichen, etwa der sozialen und politischen Freiheit, nicht zufriedengibt, sondern eine „Willensfreiheit“ innere Freiheit meint. Otfried Höffe fügt hinzu: „Zu den Merkwürdigkeiten unserer Zeit gehört, dass sich die erstgenannte Freiheit gegen die zweite wendet. Denn im Rahmen der Forschungsfreiheit werden gegen die Annahme der inneren, personalen Freiheit Einwände laut.“ Zunächst sind es Philosophen, später Einzelwissenschaftler, die sich der Annahme, der Mensch sei frei, widersetzen und die personale Freiheit rundum leugnen. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.
Sicher ist nur das eigene Bewusstsein
Thomas Nagel erläutert: „Wenn man recht darüber nachdenkt, so kann man sich nur über das Innere seines eigenen Bewusstseins ganz sicher sein.“ Was auch immer man glaubt, es gründet sich auf die eigenen Erlebnisse und Gedanken, Gefühle und Sinneseindrücke. Das ist alles, wonach man sich unmittelbar richtet. Alles andere ist weiter von einem Menschen weg als seine inneren Erlebnisse und Gedanken und erreicht ihn nur durch sie. Für gewöhnlich zweifelt man nicht an der Existenz des Bodens unter den eigenen Füßen oder des Baumes draußen vor dem Fenster. Ja, die meiste Zeit denkt man nicht einmal an die psychischen Zustände, die einen diese Dinge wahrnehmen lassen. Der amerikanische Philosoph Thomas Nagel lehrt derzeit unter anderem an der University of California, Berkeley und an der Princeton University.
Die Biologie wirkt an der Gestaltung der Kultur mit
Alle mentalen Fähigkeiten greifen in den Prozess der menschlichen Kultur ein. Ohne die Fähigkeit Bilder, Affekte und Bewusstsein zu erzeugen, ist der kulturelle Geist nicht vorstellbar. Gedächtnis, Sprache, Fantasie und Vernunft sind die maßgeblichen Elemente kultureller Prozesse. Sie erfordern jedoch die Erzeugung von Bildern. Antonio Damasio ergänzt: „Was die kreative Intelligenz angeht, die für die tatsächliche kulturelle Praxis und ihre Erzeugnisse verantwortlich ist, so kann sie ohne Affekte und Bewusstsein nicht funktionieren.“ Interessanterweise sind die Affekte und das Bewusstsein auch genau die Fähigkeiten, die überlebt haben. Denn sie wurden in den Fängen der rationalistischen und kognitiven Revolution vergessen. Antonio Damasio ist Professor für Neurowissenschaften, Neurologie und Psychologie an der University of Southern California und Direktor des dortigen Brain and Creative Institute.
Die Manipulation spielt sich im Verborgenen ab
In seinem Buch „Mach doch, was ich will“ enthüllt Thorsten Havener die Geheimnisse der Manipulation. Er beschreibt darin die psychologischen Strategien, mit denen man Meinungen und Entscheidungen sabotieren kann. Er erklärt, welche Schwachstellen eines Menschen ihn angreifbar machen und der unbewussten Einflussnahme anderer aussetzen. Vor allem aber verrät er, wie man sich gegen diese mächtigen Kräfte wehren und die Selbstbestimmung zurückgewinnen kann. Dies gelingt, indem man die häufigsten und wirksamsten Manipulationsmethoden durchschaut und die verborgenen Interessen seiner Mitmenschen erkennt. Thorsten Havener ist unter anderem deswegen so von der Manipulation fasziniert, weil sie sich im Verborgenen abspielt. Eines der wesentlichen Werkzeuge der Beeinflussung ist dabei die Sprache. Der Autor hat sein Buch aus der Sicht eines „Gedankenlesers“ geschrieben. Thorsten Havener ist Deutschlands bekanntester Mentalist.
Markus Gabriel spürt dem Denken nach
Ohne zu denken kann sich ein Mensch nicht im Unendlichen orientieren. Die Art und Weise, wie man sich irgendeine Szene vorstellt, ist eine Ausübung der Einbildungskraft, die Teil des Denkens ist. Markus Gabriel fügt hinzu: „Sich etwas in der Einbildungskraft auszumalen ist eine Art und Weise, einen Gedanken zu erfassen, das heißt zu denken.“ Das Denken ist kein Privileg des Menschen. Andere Lebewesen orientieren sich auch. Sie verfügen ebenfalls über Begriffe, die sie im Denken als Wegmarken einsetzen.“ Ein Schwein denkt etwa, dass es Futter erhalten wird. Aber ein Mensch kann nicht einmal ahnen, was in einem Schweineleben alles vorfällt und welche Begriffe Schweine einsetzen. Seit 2009 hat Markus Gabriel den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne und ist dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.
Schon Einzeller haben ein Gedächtnis
Nahezu alles, was in Form neu erzeugter mentalen Bilder einem Menschen zur Verfügung steht, ist auch der inneren Aufzeichnung zugänglich. Ob es einem gefällt oder nicht. Antonio Damasio ergänzt: „Wir originalgetreu die Aufzeichnung ist, hängt zunächst einmal davon ab, wie viele Emotionen und Gefühle erzeugt wurden, während die Bilder durch den Strom unser Gedanken wanderten. Viele Bilder bleiben bestehen. Und beträchtliche Teile der Aufzeichnungen können wir später mehr oder weniger genau erneut abspielen, abrufen und rekonstruieren.“ Manchmal tritt die Erinnerung an solche alten Inhalte sogar in Konkurrenz zu neuen Informationen, die gerade erzeugt werden. Das Gedächtnis ist schon bei einzelligen Lebewesen vorhanden. Es erwächst dort aus chemischen Veränderungen. Antonio Damasio ist Professor für Neurowissenschaften, Neurologie und Psychologie an der University of Southern California und Direktor des dortigen Brain and Creative Institute.
Die Ästhetik konkurriert mit der Philosophie
Was heißt es, ein Mensch zu sein? Und insbesondere was heißt es in der heutigen Zeit ein Mensch zu sein? Das sind Fragestellungen, die typisch für Philosophen sind. Aber die Philosophie hat in ihrem Versuch, die großen Fragen nach dem Menschen und seinem in der Welt sein zu beantworten, durchaus auch Konkurrenz. Lambert Wiesing stellt fest: „Der zweifellos bekannteste Mitbewerber ist die Religion.“ Man sollte seiner Meinung allerdings folgendes nicht übersehen. Nämlich dass es noch einen weiteren wichtigen Mitbewerber für die Zuständigkeit für die großen Fragen gibt. Denn es ist keineswegs so, dass sich nur die Philosophie und die Religion mit der Frage nach der „conditio humana“ befassen. Prof. Dr. Lambert Wiesing lehrt an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena Bildtheorie und Phänomenologie. Außerdem ist er geschäftsführender Direktor des Instituts für Philosophie.
Klugheit wird in Form von Wissen weitergegeben
In der überwiegenden Mehrzahl der Gesellschaften ist Klugheit nicht nur eine persönliche Angelegenheit, sondern ein Wert, den man pflegen muss. Allan Guggenbühl erklärt: „Gemeinschaften haben eine größere Überlebenschance, wenn kluges Denken und Handeln formalisiert und weitergegeben wird. Eine Gesellschaft würde bald zusammenbrechen, wenn jeder und jede sich nur auf persönliche Kompetenzen verlassen würde. Kluge Gedanken und Einsichten werden dann durch Institutionen gehütet und durch Rituale weitergegeben.“ Einsichten und Schlussfolgerungen der Mitmenschen und der Ahnen können Menschen helfen, aktuelle Probleme und Herausforderungen zu verstehen und zu bewältigen. Klugheit wird in Form von Wissen weitergegeben. Die älteren Generationen oder weise Menschen berichten von den Erkenntnissen, die bei der Bewältigung schwieriger Herausforderungen gezogen wurden. Allan Guggenbühl ist seit 2002 Professor an der Pädagogischen Hochschule Zürich tätig. Außerdem fungiert er als Direktor des Instituts für Konfliktmanagement in Zürich.
Die Liebe ist für Max Scheler ein Urakt
Max Scheler vertritt eine Aktphänomenologie, für die das Fühlen als intentionaler Akt eine zentrale Rolle einnimmt. So etwa beim Erfühlen von Werten in seiner bekannten Schrift „Der Formalismus in der Ethik und die materielle Wertethik“. Mit welcher er sich nicht nur gegen die kantische Pflichtethik wendete. Sondern mit der er auch die Grundlegung einer bis heute einflussreichen Position der Wertethik vorlegte. Es verwundert daher nicht, dass in einer Theorie, die das Fühlen derart aufwertet, auch der Liebe eine wichtige Rolle zugeschrieben wird. Max Scheler postuliert einen Primat des Emotionalen im geistigen Geschehen. Dabei versteht er die Liebe als den „Urakt“ menschlicher Geistestätigkeit. Er geht hier von einem christlichen Liebesgedanken aus, wobei er stark an augustinische Gedanken anknüpft. Max Scheler (1874–1928) war ein deutscher Philosoph, Psychologe, Soziologe und Anthropologe.
Die Redefreiheit ist ein Recht für jedermann
„Wir – alle Menschen – müssen in der Lage und befähigt sein, frei unsere Meinung zu äußern und ohne Rücksicht auf Grenzen, Informationen und Ideen zu suchen, zu empfangen und mitzuteilen.“ Dieses Prinzip ist für Timothy Garton Ash diejenige Freiheit, von der alle anderen Freiheiten abhängen. Die Fähigkeit zu sprechen unterscheidet den Menschen von anderen Tieren und von allen bislang erfundenen Maschinen. Nur wenn man seine Gedanken und Gefühle voll und ganz ausdrücken kann, kann man sein Menschsein voll und ganz realisieren. Nur wenn man seine Mitmenschen sehen und hören kann, kann man wirklich verstehen, was es heißt, ein anderer zu sein. Timothy Garton Ash ist Professor für Europäische Studien an der Universität Oxford und Senior Fellow an der Hoover Institution der Stanford University.
Die Leistungselite lebt gern ihr ganzen Potential aus
Zur Leistungselite zählen Menschen, die gerne deutlich mehr leisten als das Nötigste, Übliche, das Minimum. Weil sie gerne ihre ganzes Leistungspotential ausleben, gerne in die Vollen gehen, nichts von unnötiger Schonung halten. Man darf diesen Willen zur Leistung auf keinen Fall mit „Competitiveness“, also dem Hunger nach Medaillen verwechseln. Evi Hartmann erklärt: „Der Erfolgshungrige liebt den Erfolg. Er möchte die Medaille, den „Verkäufer des Monats“, den „besten Papa der Welt“. Leistung ist für ihn Mittel zum Zweck. Zum Zwecke des Erfolgs.“ Nichts dagegen! Auch Evi Hartmann mag Erfolg mehr als Misserfolg. Das erklärt jedoch nicht, warum die Leistungselite auch da leistet, wo es keinen Erfolg zu ernten gibt. Prof. Dr.-Ing. Evi Hartmann ist Inhaberin des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Supply Chain Management, an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg.
Friedrich Nietzsche entwickelt eine Philosophie des Fragens
Schaut man genauer hin, verbergen sich schon in Friedrich Nietzsches Werk „Menschliches, Allzumenschliches“ Aphorismen, seine Kurz- und Kürzesttexte. Sie nehmen hier in ihrer Gestalt die verschiedensten Formen an. Andreas Urs Sommer kennt sie: „Selbstgespräche gibt es ebenso wie kurze Dialoge. Sprichwörtlich pointierte Epigramme ebenso wie Experimentanleitungen. Merksätze ebenso wie Miniaturerzählungen, Prosagedichte ebenso wie Parabeln.“ Vielen dieser Texte gemeinsam ist, wenigstens dem Anspruch nach, ihr „dickes Ende“: Das in ihnen nämlich sehr viel mehr steckt, als der knappe Raum, den sie einnehmen, eigentlich zu fassen erlaubt. In seinem Nachlass schrieb Friedrich Nietzsche 1885: „In Aphorismen-Büchern gleich den meinigen stehen zwischen und hinter kurzen Aphorismen lauter verbotene lange Dinge und Gedanken-Ketten.“ Andreas Urs Sommer lehrt Philosophie an der Universität Freiburg i. B. und leitet die Forschungsstelle Nietzsche-Kommentar der Heidelberger Akademie der Wissenschaften.