Wenn sich Lebensweise, Erwartungen, Werte verändern, Wissenschaft und Technik neue Bedingungen des Lebens schaffen, versucht der Mensch die neuen Gesetzmäßigkeiten zu verstehen. Zudem versucht er sie mit den ihm vertrauten Gesetzen in Einklang zu bringen. Paul Kirchhof erläutert: „Er braucht Leitgedanken für sein Leben, Maßstäbe für sein Entscheiden, Methoden für sein Erkennen und Ziele für sein Wollen. Diese Gesetzmäßigkeiten findet er in der Natur und in der Menschlichkeit.“ Die Natur erschließt er sich vor allem durch Beobachten und Experimentieren, die Menschlichkeit durch Verständnis, Erfahrung, Einsehen und Beurteilen. Der Mensch bildet bewusst Regeln für das Zusammenleben, erprobt Verfahren der Willensbildung und Verständigung. Die Gesetze sind seit langem gewachsene, angeborene, in der Natur des Menschen von jeher angelegte Stützen menschlicher Freiheit. Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg.
Herrschaft
Die Freiheit ist das bestimmende Kennzeichen der Demokratie
Den Begriff der Freiheit durchzieht von seiner griechischen Entdeckung her eine gewisse Spannung. Der Schritt, der von der einen zur anderen Seite führen kann, zeigt sich exemplarisch an der Existenz der Demokratie. Denn die Freiheit, sagt Aristoteles, ist ihr „bestimmendes Kennzeichen“. Christoph Menke ergänzt: „Die Freiheit definiert die Würdigkeit in der Demokratie – sie ist es, was die Demokratie hochschätzt, ja, worin sie nach Perikles ihr Glück sieht.“ Das kann auf zwei ganz verschiedene, ja entgegengesetzte Weisen verstanden werden. Das erste Verständnis ist politisch. Es definiert, so Herodot, die demokratische Freiheit als die „Herrschaft des Volkes“, durch die „Gleichberechtigung aller“. Demokratische Freiheit heißt, so erläutert Thukydides, dass „in den Streitigkeiten der Bürger alle ihr gleiches Teil“ haben. Christoph Menke ist Professor für Philosophie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main.
Der Mensch gewinnt die Herrschaft über die Natur
Paul Kirchhof stellt fest: „Was der Mensch aus eigener Kraft nicht kann, gelingt ihm durch die Herrschaft über die Natur.“ Er gewinnt sie, indem er die Gesetzmäßigkeiten der Natur für seine Ziele einsetzt. Er beherrscht auch andere Menschen, die Gesetzmäßigkeiten der Natur für ihre Zwecke nutzen wollen. Diese werden nun durch Gegenkräfte gehemmt. Je mehr der Mensch seine Fähigkeiten und Kenntnisse erweitert, desto mehr stimmt er sich mit anderen Menschen ab, die auf andere Weise die Natur beherrschen. Die Geschichte der Freiheit beginnt mit dem Kampf gegen die Naturgewalten. Aus diesen löst sich der Mensch nach und nach. Er gewinnt Herrschaft über Teile der Natur. Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg.
Die Demokratie ist der einzige Weg zur Gerechtigkeit
Politische Gleichheit darf man nicht opfern. Danielle Allen betont: „Meiner Meinung nach ist die Demokratie der Weg zur Gerechtigkeit, und zwar der einzige.“ Es mag zwar sein, dass mildtätige Autokraten für materiellen Wohlstand in der Bevölkerung sorgen, aber sie werden qua Definition niemals die Grundlage für volles menschliches Wohlergehen schaffen. Und deshalb niemals vollumfängliche Gerechtigkeit erreichen. Dennoch gibt es zum Trotz immer Menschen, die einen anderen Weg wählen und auf Demokratie verzichten. Das nimmt Danielle Allen als unvermeidliche Gegebenheit des Lebens hin. Richtig verstandene Gerechtigkeit beruht auf politischer Gleichheit und den ihr zugrunde liegenden Institutionen. Danielle Allen ist James Bryant Conant University Professor an der Harvard University. Zudem ist sie Direktorin des Edmond J. Safra Center for Ethics in Harvard.
Viele Menschen sind Knechte ihres Smartphones
Das Smartphone erweist sich als mobiles Arbeitslager, in dem sich viele Menschen freiwillig einsperren. Das Smartphone ist ferner ein „Pornophone“. Byung-Chul Han erklärt: „Wir entblößen uns freiwillig. So funktioniert es wie ein mobiler Beichtstuhl. Es setzt die sakrale Herrschaft des Beichtstuhls in einer anderen Form fort.“ Jede Herrschaft hat ihre eigenen Devotionalien. Der Theologe Ernst Troeltsch spricht von den „die Volksphantasie fesselnden Devotionalien“. Sie stabilisieren die Herrschaft, indem sie sie habitualisieren und im Körper verankern. Devot heißt unterwürfig. Das Smartphone etabliert sich als Devotionalie des neoliberalen Regimes. Als Apparat der Unterwerfung gleicht es dem Rosenkranz, der genauso mobil und handlich ist wie das digitale Gadget. „Like“ ist das digitale Amen. Die Bücher des Philosophen Byung-Chul Han wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt.
Terror und Gewalt führen zu keiner stabilen Macht
Gewalt und Macht lassen sich mit Hannah Arendt dadurch unterscheiden, dass Erstere prozessual, dynamisch und zeitlich begrenzt ist. Letztere stellt dagegen eine strukturelle Größe dar, die dauerhaft, und, was fast dasselbe ist, institutionalisiert ist. Gewalt ist ein Komplement von Macht, insofern sie, wie Michel Foucault dargelegt hat, auf einem System von möglichen psychischen und/oder physischen Bestrafungen basiert, die gleichsam den symbolischen Horizont aller Macht bildet. Wolfgang Müller Funk ergänzt: „Das, was als politischer Körper bezeichnet wird, wäre gewissermaßen der Foucaultsche Aspekt des Zusammenhangs von Macht und Gewalt. Jenseits der Befunde des französischen Denkers besteht der Verdacht, dass keine Macht, die allein auf Terror und Gewalt beruht, dauerhaft stabil ist. Wolfgang Müller-Funk war Professor für Kulturwissenschaften in Wien und Birmingham und u.a. Fellow an der New School for Social Research in New York und am IWM in Wien.
Pluralität ist das zentrale Thema von Hannah Arendt
Es gibt ein Motiv, dass sich wie ein roter Faden durch alle Publikationen von Hannah Arendt zieht. Es handelt sich dabei um die Pluralität. Juliane Rebentisch erklärt: „Die Überzeugung, dass die Entfaltung menschlicher Würde auf Pluralität angewiesen ist, bestimmt ihren Begriff der Öffentlichkeit und ihre Unterscheidung von Macht und Herrschaft.“ Sie motiviert Hannah Arendts Kritik der modernen Arbeitsgesellschaft ebenso wie ihre Aversion gegen die Gleichsetzung von Souveränität und Freiheit sowie den Sog der Brüderlichkeit. Sie ist in ihrer frühen Kritik der Assimilation ebenso präsent wie im Spätwerk über das Denken und Urteilen. Kurz: Hannah Arendts Texte kann man in wesentlichen Zügen als Beiträge zu einer „Apologie der Pluralität“ lesen. Juliane Rebentisch ist Professorin für Philosophie und Ästhetik an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main.
Rom erhob den Anspruch auf Universalherrschaft
Der Name „Europa“ kam zwar nicht vor, doch das Imperium Romanum wurde zu seinem Synonym. „Brot und Spiele“ für die Stabilisierung nach innen. Die Losung der „Pax Romana“ für die Befriedung der wahrlich imponierenden Außengrenzen. Jürgen Wertheimer erklärt: „Ein durchgehender Ring römisch beherrschter Gebiete umschloss das Mittelmeer, Gallien, Teile Germaniens und die südliche Hälfte Britanniens war gleichfalls in das Reich integriert.“ Die neue Form einer Herrschpersönlichkeit des Caesars oder ursprünglich des Imperators hielt das Imperium zusammen und dominierte es. Er war kein „König“ als Oberherr eine Clans, eines Volkes, eines Stammes, sondern ein Herrscher in befehlshabender Funktion über alle regionalen Grenzen hinweg. Ursprünglich eher militärisch definiert, wurde der „Kaiser“ spätestens seit Augustus zum Symbol für „Rom“ un die römische Herrschaft. Jürgen Wertheimer ist seit 1991 Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Komparatistik in Tübingen.
Soziale Differenzen führen leicht zu Herrschaft
Eine grundlegende Äußerungsform der Vereinigungsfreiheit ist das Recht zu heiraten, wen man möchte. Danielle Allen erklärt: „Wenn in Zuneigung zueinander verbundene Menschen sich zu Ehepartnern zusammenfinden, bilden sie Bausteine zu kulturell homogenen Einheiten.“ Unabhängig davon, wie Heiratsmärkte genau beschaffen waren, haben sie normalerweise unterscheidbare ethnische Gemeinschaften hervorgebracht. Und es besteht aller Grund zu der Annahme, dass Vereinigungsfreiheit dieses Muster eher verstärkt als untergräbt. Denn einander ähnliche Menschen neigen dazu, sich zueinander zu gesellen. Diese Tatsache zählt zu den Grundbausteinen der menschlichen Sozialorganisation. Wo es soziale Differenzen gibt, kann es leicht auch zu Herrschaft kommen. Die Politikwissenschaftlerin und Altphilologin Danielle Allen lehrt als Professorin an der Harvard University. Zugleich ist sie Direktorin des Edmond J. Safra Center for Ethics in Harvard.
Autonomie beruht auf Grundfreiheiten
Der Schutz politischer Freiheit verlangt nicht bloß die Gewährung des Rechts zu wählen, ein Amt zu bekleiden oder als Geschworener zu fungieren. Dazu gehören auch Vereinigungsfreiheit und freie Meinungsäußerung, die politische Partizipation erst möglich machen. Danielle Allen erklärt: „Letztere Rechte bilden natürlich auch eine wertvolle Grundlage für die Äußerungen von privater und nicht bloß von öffentlicher Autonomie.“ Die Dynamik des Sozialen und Ökonomischen darf dabei die gleichen Grundfreiheiten, einschließlich der politischen Freiheiten, nicht untergraben. In Bezug auf diesen Punkt setzt sich Danielle Allen ganz entschieden von John Rawls ab. Dieser behauptet immerhin, dass die Grundfreiheiten, auf denen private Autonomie beruht, niemals dem materiellen Wohlstand geopfert werden dürfe. Die Politikwissenschaftlerin und Altphilologin Danielle Allen lehrt als Professorin an der Harvard University. Zugleich ist sie Direktorin des Edmond J. Safra Center for Ethics in Harvard.
Danielle Allen fordert eine vernetzte Gesellschaft
Laut Danielle Allen benötigt man politische Rahmenbedingungen, die dazu beitragen, dass man eine „vernetzte Gesellschaft“ erreicht. Nur so kann das Ideal „sozialer Verbundenheit“ entstehen. In diesem Rahmen gibt es kulturelle Gewohnheiten, die zum individuellen Wohlergehen beitragen. Zudem bringen sie die soziale Verbundenheit aktiv zur Geltung. Sozialkapital-Forscher unterscheiden drei Arten von sozialen Beziehungen: Bonding, Bridging und Linking. Danielle Allen erklärt: „Bindungen sind jene engen Beziehungen, die Verwandt, Freunde und sozial ähnliche Personen zusammenhalten.“ Brücken werden in jenen loseren Beziehungen gebaut, die Menschen über demografische Spaltungen hinweg miteinander verbinden. Und Verbindungen sind schließlich die vertikalen Beziehungen zwischen Menschen auf unterschiedlichen Stufen einer Statushierarchie. Danielle Allen ist James Bryant Conant University Professor an der Harvard University. Zudem ist sie Direktorin des Edmond J. Safra Center for Ethics in Harvard.
Die Reformation verursachte einen Flächenbrand
Was große Religionskriege der Moderne betrifft, hat Europa eine beachtliche Vorreiterrolle gespielt. Jürgen Wertheimer nennt ein Beispiel: „Mit seinen vermutlich über sechs Millionen Toten ist der sogenannte Dreißigjährige Krieg eine der blutigsten und verheerendsten Katastrophen.“ Was die Zahl der Opfer betrifft, liegt der damit auf Augenhöhe mit dem Zweiten Weltkrieg. Europa war in der beginnenden Neuzeit auf dem Sprung zu einer kultivierten Wissensgesellschaft. Wie konnte es zu diesem gedanklichen und emotionalen Rückschritt kommen? Dynastische Spannungen, Auseinandersetzungen zwischen den Kontinentalmächten Frankreich, Spanien und der Insel, England, gab es im gesamten Mittelalter bis zur Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert. Doch erst mit dem Ereignis der Reformation erhielten die Konflikte jene ideologische Schärfe, die aus ihnen einen verheerenden Flächenbrand machen sollte. Jürgen Wertheimer ist seit 1991 Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Komparatistik in Tübingen.
Isaiah Berlin prägte den Freiheitsbegriff
Isaiah Berlins Diskussion des Freiheitsbegriffs ist von zwei zentralen Konfliktlinien geprägt. Einerseits geht es um den Konflikt von individueller und kollektiver Freiheit, andererseits um den Widerstreit zwischen Herrschaft und Freiheit. Katia Henriette Backhaus ergänzt: „Zudem unterscheidet sich der Anspruch der sogenannten negativen und positiven Freiheit mit Blick auf die Spezifikation.“ Oder, anders gesagt, die Offenheit der jeweiligen Spielräume und Konsequenzen der Freiheit. In diesem Sinne handelt es sich also tatsächlich um Argumente für die Differenzierung zweier grundverschiedener, unvereinbarer Einstellungen zu den Zielen des Lebens. Im Zentrum steht dabei ein vom Staat potentiell bedrängtes, seiner Natur und seinem Wesen nach einem privaten Raum bedürftigen, Individuum. Katia Henriette Backhaus hat an der Universität Frankfurt am Main promoviert. Sie lebt in Bremen und arbeitet als Journalistin.
Die Befreiung dient der Rechtfertigung von Herrschaft
Christoph Menke vertritt in seinem Buch „Theorie der Befreiung“, dass sich die Menschheit in einer Zeit der gescheiterten Befreiungen befindet. Denn die Befreiung von äußerer Herrschaft und Bevormundung hat zu Regimen der Selbstkontrolle und Selbstdisziplin geführt. Die Befreiung der menschlichen Bedürfnisse und Interessen aus den Grenzen, die ihnen durch Tradition und Sittlichkeit gezogen waren, hat sie der Verwertungslogik der kapitalistischen Ökonomie unterworfen. Alle Befreiungsversuche, ob politisch, ökonomisch, rechtlich, ethische, kulturell oder künstlerisch, haben sich in Paradoxien und Widersprüche verfangen. Sie haben neue Gestalten und Strategien der Herrschaft hervorgebracht. Christoph Menke betont: „Mehr noch ist offensichtlich geworden, dass die Befreiung in Wahrheit immer schon der Rechtfertigung von Herrschaft diente.“ Christoph Menke ist Professor für Philosophie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main.
Der demographische Wandel prägt die USA
Die USA erleben derzeit einen umfassenden demographischen Wandel. Dieser wird mit Sicherheit frühere Denkansätze in Bezug auf Fragen der Identität, der Gemeinschaft und der sozialen Beziehungen auf den Kopf stellen. Wenn die US-amerikanischen Bürger heute die falschen Entscheidungen treffen, könnte es sein, dass der binäre Gegensatz schwarz / nichtschwarz sich von Neuem behauptet und Rassenprivilegien genauso massiv sind wie eh und je. Danielle Allen ergänzt: „Etwas Ähnliches ließe sich über Europa sagen. So wie es sich gerade mit einer Mischung aus niedrigen Geburtsraten in der einheimischen Bevölkerung, Flüchtlingskrise, binneneuropäischer Migration und der Frage von Europas Zukunft herumschlägt.“ Die Politikwissenschaftlerin und Altphilologin Danielle Allen lehrt als Professorin an der Harvard University. Zugleich ist sie Direktorin des Edmond J. Safra Center for Ethics in Harvard.
Eine Differenz ohne Herrschaft ist möglich
In der Welt der Ökonomie liegt der Schwerpunkt der politischen Entscheidungsfindung im Allgemeinen nicht auf Grund und Boden, sondern auf Arbeitskraft und Kapital. Danielle Allen stellt sich dabei die Frage, wie eine Ökonomie aussehen muss, die für Differenz ohne Herrschaft sorgt. Und wie man die gleichen Grundfreiheiten schützen könnte. Das Streben nach Differenz ohne Herrschaft macht ihrer Meinung nach auch in der Welt der Ökonomie nicht zwangsläufig die Schaffung von neuen politischen Programmen und oder Maßnahmen notwendig. Viele der gegenwärtigen wirtschaftspolitischen Ansätze sind nach Maßgabe eines Bildes von Gerechtigkeit strukturiert, das sein Augenmerk in erster Linie auf die Verteilung materieller Güter richtet. Die Politikwissenschaftlerin und Altphilologin Danielle Allen lehrt als Professorin an der Harvard University. Zugleich ist sie Direktorin des Edmond J. Safra Center for Ethics in Harvard.
Freie Märkte fördern Ungleichheiten
Nur eine naive Verteidigung des freien Marktes verlässt sich vollständig auf dessen selbstheilende Kräfte. In Wahrheit pflegen in dem sich selbst überlassenen Markt außer Ungleichheit vor allem Oligopole, Monopole und Kartelle zu entstehen. Dadurch wird der Wettbewerb geschwächt und das Gegenteil des freien Marktes erreicht wird. Die Verbesserung der Produkte lässt nach, stattdessen steigen für die Konsumenten die Preise und für die Unternehmen die Gewinne. Derartige Verzerrungen des Wettbewerbs sind laut Otfried Höffe paradoxerweise von der ökonomischen Rationalität her gegeben. Denn unter der Voraussetzung der entsprechenden Macht erzielt man entweder mit gleichen Mitteln einen größeren Profit oder erreicht denselben Profit mit geringerem Einsatz. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.
Die Demokratie begrenzt die Macht institutionell
Sind Demokratie und Eliten nicht per se ein Widerspruch? Das ist nur dann ein Widerspruch, wenn man Demokratie als Herrschaftsfreiheit, als die Abwesenheit jeglicher Herrschaft, als reine Selbstregierung versteht. Isolde Charim betont: „Tatsächlich aber ist dies eine Mystifizierung. Demokratie bedeutet nicht Herrschaftsfreiheit, sondern eine Gesellschaftsordnung, die Macht institutionell begrenzt.“ Insofern gibt es auch in der Demokratie Eliten, auch politische Eliten, ohne dass dieses Faktum undemokratisch wäre. Allerdings ist es nur dann demokratisch, wen die Macht dieser Eliten eingehegt ist, sozusagen gezähmt durch Begrenzung. Begrenzt durch die Verwandlung von Machthabern in Amtsträger. Begrenzt durch die Wähl- und Abwählbarkeit dieser Amtsträger. Eingehegt durch Kontrolle, Transparenz, Responsivität, Verantwortung. Zumindest der Möglichkeit nach. Dr. Isolde Charim ist Philosophin und freie Publizistin. Seit 2007 arbeitet sie als wissenschaftliche Kuratorin am „Bruno Kreisky Forum“.
Einparteienstaaten fördern Scharlatane und Narren
Die schlimmsten Einparteienstaaten sind diejenigen, die unerbittlich alle Talente und Begabungen durch Scharlatane und Narren ersetzen. Ihre Dummheit und ihr Mangel an Einfällen sind so lange die Bürgschaft für die Sicherheit des Regimes, als dieses noch nicht seine eigene Funktionärsschicht herangezogen hat. Lenins Verachtung für die Vorstellung von einem neutralen Staat, einer unpolitischen Beamtenschaft und neutralen Medien war ebenfalls ein wichtiger Bestandteil seines Einparteiensystems. Anne Applebaum weiß: „Die Pressefreiheit bezeichnete er als Täuschung und die Versammlungsfreiheit als leeres Gerede. Die parlamentarische Demokratie war für nichts als eine Maschinerie zur Unterdrückung der Arbeiterklasse.“ Die Presse konnte nur frei und staatliche Institutionen nur fair sein, wenn sie der Kontrolle der Arbeiterklasse oder genauer gesagt der Partei unterstanden. Anne Applebaum ist Historikerin und Journalistin. Sie arbeitet als Senior Fellow an der School of Advanced International Studies der Johns Hopkins University.
Griechenlands Demokratie war keine Wohlfühloase
Die griechische Demokratie war alles andere als eine Wohlfühloase. Jürgen Wertheime weiß: „Sehr viel eher war sie ein permanentes psychisches und physisches Testlabor und eine Art mentales Trainingslager. Was auf dem Theater durchgespielt wurde, konnte im Alltag auch und gerade bekannter Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens den Tod bedeuten.“ Die großen Philosophen wie Sokrates, Platon, aber auch die Vorsokratiker wie Empedokles standen unter Generalverdacht. Und oft bedurfte es nur einer speziellen politischen Konstellation, um sie zu Fall zu bringen. Für Platon zum Beispiel waren die Herrschaftsmethoden der 30 Oligarchen ein tiefer Schock. Diese hatten 404 v. Chr. nach der Niederlage Athens im Peloponnesischen Krieg die Macht an sich gerissen. Jürgen Wertheimer ist seit 1991 Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Komparatistik in Tübingen.
Das Internet kennt keine Gnade
Viele Bürger glauben, dass es heute ein bisschen riskanter ist als früher, sich in der Öffentlichkeit zu Wort zu melden. Roger de Weck stellt fest: „Denn das Netz kennt keine Gnade und alle Willkür. Es wechselt nahtlos von der Kritik zur Fertigmache, ganz ohne Proportionen skandaliert es Belangloses, während es Belangvolles ignoriert.“ Der öffentliche Raum kann sich in einen Strafraum verwandeln. Und als die wüstesten, gemeingefährlichsten haben sich rechte Shitstorms erwiesen. Vor allem sind Kulturkämpfer zugleich empfindlich und unerbittlich. Althergebrachte Verteilungskämpfer sind hat im Nehmen, hart im Geben. Mitten in einer Tarifrunde sparen Arbeitgeber und Gewerkschafter nicht mit Schelte und Kraftausdrücken. Stets sind sie dabei aber auf dem Weg zum Kompromiss. Roger de Weck ist ein Schweizer Publizist und Ökonom. Zudem lehrt er als Gastprofessor am College of Europe in Brügge.
Politische Gleichheit besteht aus 5 Phänomenen
Politische Gleichheit besteht laut Danielle Allen aus folgenden Phänomenen. Aus Herrschaftsfreiheit, gleichberechtigtem Zugang zum Regierungsapparat und epistemischer Egalitarismus. Dazu kommen gleiche, sich auf Praktiken der Gegenseitigkeit stützende Handlungsmacht sowie Mitgestaltung von und Miteigentümerschaft an den politischen Institutionen und deren weiteren Auswirkungen. Wenn man der Argumentation des irischen Politikwissenschaftlers Philip Pettit folgt, heißt Herrschaftsfreiheit im Sinne von Nichtbeherrschung, dass keine willkürliche Einmischung, kein Kontrollvorbehalt droht. In seinem Buch „Gerechte Freiheit“ erklärt Philip Pettit Herrschaftsfreiheit unter Bezugnahme auf den Ausdruck „freie Hand lassen“. Herrschaftsfreiheit setzt mehr voraus als den bloßen Schutz des Grundrechts, dass man seine Religion, politische Partei, Vereinigungen und Arbeitsstelle frei wählen kann. Die Politikwissenschaftlerin und Altphilologin Danielle Allen lehrt als Professorin an der Harvard University. Zugleich ist sie Direktorin des Edmond J. Safra Center for Ethics in Harvard.
In der Demokratie geht die Herrschaft vom Volk aus
Auch wenn die Demokratie in vielerlei Gestalt auftritt, gibt es doch einen gemeinsamen Kern. Otfried Hoffe kennt ihn: „Dessen nähere Bestimmung kann man aus den drei Dimensionen mit insgesamt Gesichtspunkten aufbauen, wobei in der vollentwickelten Gestalt ein hohes Maß an Partizipation noch hinzukommt.“ Die erste legitimatorische Dimension ergänzt erstens einen formalen Gesichtspunkt, dass die Herrschaft von den Betroffenen ausgeht um zweitens den inhaltlichen Aspekt, dass sich die Herrschaft von jedem einzelnen Betroffenen und zusätzlich von der Gesamtheit rechtfertigen lässt. Zur formalen, herrschaftslegitimierenden kommt hier inhaltlich, als herrschaftsnormierende Demokratie, die universale Konsensfähigkeit dazu. Sie wird dort erfüllt, wo die Herrschaft als Gewährleistung der Freiheitsrechte jedem einzelnen und zusätzlich der Gesamtheit zugutekommt. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.
Start-ups sind per definitionem aggressiv
Die Essensbringdienste haben Europa unter sich aufgeteilt. Andreas Barthelmess nennt den Grund: „Tatsächlich ist es für alle Unternehmen besser, in einem Markt gut zu laufen, statt in mehreren Verluste zu sammeln und weiterzustrampeln.“ Start-ups sind unkonventionell und unideologisch, sie reizen nicht nur die Grenzen des Erlaubten voll aus, sie übertreten sie auch. Regelbrüche und Strafen sind Teil der Risikoabwägung, schließlich will man ja den Markt verändern. Lieber stirbt man einen schnellen Tod, als Risiken zu vermeiden und langsam dahinzukränkeln. Manchmal muss man sich zurückziehen. Aber angreifen muss man immer. Martialisch, aber wahr: Start-ups sind per definitionem aggressiv. „Avantgarde“ eben, das heißt ursprünglich „militärische Vorhut“. Deshalb ist die Start-up-Rhetorik kriegerisch, um Political Correctness schert man sich nicht. Andreas Barthelmess ist Ökonom, Start-up-Unternehmer und Publizist.
Die christlichen Traditionen leben noch
Tom Holland schildert in seinem Buch „Herrschaft“ die Geschichte des Westens, ausgehend von seinem antiken und christlichen Erbe. Dabei zeigt er, dass christliche Traditionen auch in den modernen Gesellschaften des Westens noch immer allgegenwärtig sind. Selbst dort, wo sie negiert werden: etwa im Säkularismus, Atheismus oder den Naturwissenschaften. Daneben beschreibt Tom Holland welthistorische Ereignisse und zeichnet dabei Porträts der zentralen Akteure und ihrer Gegenspieler. In seinem Buch „Herrschaft“ untersucht der Autor vor allem, wodurch das Christentum so subversiv und revolutionär wurde und wie vollständig es die Grundhaltung der lateinischen Christenheit imprägnierte. Und warum in der westlichen Welt, die häufig ein sehr kompliziertes Verhältnis zur Religion hat, so viele ihrer Instinkte nach wie vor durch und durch christlich sind. Der Autor und Journalist Tom Holland studierte in Cambridge und Oxford Geschichte und Literaturwissenschaft.