Die meisten Anthropologen waren der Überzeugung, der Übergang zu „modernen“ Verhaltensweisen habe bei unseren Vorfahren relativ spät stattgefunden. James Suzman erklärt: „Es herrschte die Ansicht vor, der frühe Homo sapiens habe bis vor rund 50.000 Jahren auf der „falschen Seite“ einer wichtigen kognitiven Entwicklungsschwelle gestanden; es haben ihm insbesondere die Fähigkeit gefehlt, sich Gedanken über die Mysterien des Lebens zu machen.“ Denn sie verehrten keine Götter und verfluchten keine bösen Geister, sie erzählten keine lustigen Geschichten und malten keine ordentlichen Bilder. Vor dem Wegdämmern in einen traumerfüllten Schlaf dachten sie nicht über die Ereignisse des verflossenen Tages nach, sangen keine Liebeslieber und drückten sich nicht mit schlauen Ausreden um die Erledigung einer Aufgabe. James Suzman ist Direktor des anthropologischen Thinktanks Anthropos und Fellow am Robinson Collage der Cambridge University.
Natur
Menschen sehen sich nach der Ursprünglichkeit der Natur
Die Natur steht für das Beharrliche, das wertvoller wird, wenn Veränderungen das Leben dominieren. Wilhelm Schmid ergänzt: „Sie ist das Nichttechnische, Ursprüngliche, nach dem Menschen sich sehnen, je mehr die jeweils neueste Technik das Leben bestimmt. In den ungreifbaren, unsinnlichen Welten der Virtualität wächst erst recht das Bedürfnis nach der greifbaren, sinnlichen Erfahrbarkeit einer Realität, die lange vor den Menschen da war und lange nach ihnen noch da sein wird.“ Die Natur ist das Basislager, von der das Menschsein ausgeht. Sie wird wieder zur Heimat, die sie immer war, auch als sie nur noch das war, was draußen ist, wenn das Autofenster geöffnet wird. Heimat heilt, und in besonderem Maße gilt das für die Heimat in der Natur. Wilhelm Schmid lebt als freier Philosoph in Berlin.
Der Klimawandel wirkt sich negativ auf die Gesundheit aus
Lucy F. Jones betont: „Die Zukunft der Natur hängt nicht zuletzt vom Klimawandel ab, davon, wie er sich auf das Landschaftsbild und die Bevölkerung auswirkt. Natürliche Räume, in denen wir uns erholen – und die erheblichen Einfluss auf unsere Gesundheit haben –, hängen zum Teil von den Wetterbedingungen ab, und diese befinden sich gerade im Wandel.“ In Schweden werden durch den Klimawandel wärmere, schneeärmere Winter und kältere, niederschlagsreiche Sommer prognostiziert. Eine Studie des Psychologen Terry Hartig zum Bedarf an Antidepressiva zwischen 1991 und 1998 legt nahe, dass sich ein Mangel an Erholung in der Natur auf die geistige Gesundheit niederschlägt. Lucy F. Jones ist Journalistin und schreibt regelmäßig zu wissenschaftlichen Themen, Gesundheit, Umwelt und Natur für die BBC, The Guardian und The Sunday Times.
Gegenstände und Verfahren von Volksentscheiden sind begrenzt
Wenn das Recht im Staatsvolk wurzelt und vom Denken der Bürger geprägt wird, sichert die Demokratie nachhaltig eine bürgergerechte Staatlichkeit, hält aber nicht jeden Bürger für einen geeigneten Gesetzgeber. Paul Kirchhof erläutert: „Moderne Verfassungen anerkennen eherne Gesetze und weisen die Gesetzgebung grundsätzlich in die Kompetenz des Parlaments. Das Gesetz gilt auch gegenüber dem unmittelbar geäußerten Volkswillen.“ Gegenstände und Verfahren von Volksentscheiden sind begrenzt. Das hat drei Gründe. Erstens: Das Volk trifft freiheitsberechtigt Mehrheitsentscheidungen, entscheidet nicht – wie der Gesetzgeber – freiheitsverpflichtet. Der von einem Volksentscheid Betroffene wird deshalb den Verlust oder zumindest die Schwächung seiner Menschen- und Bürgerrechte hinnehmen müssen. Zweitens: Zudem ist die Fragestellung – die Verurteilung einzelner Bürger von Mytilene je nach ihrer Schuld – oft nicht zu einer Abstimmungsfrage zu vereinfachen, die mit „ja“ oder „nein“ zu beantworten wäre. Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg.
Gesetzmäßigkeiten findet der Mensch in der Natur
Wenn sich Lebensweise, Erwartungen, Werte verändern, Wissenschaft und Technik neue Bedingungen des Lebens schaffen, versucht der Mensch die neuen Gesetzmäßigkeiten zu verstehen. Zudem versucht er sie mit den ihm vertrauten Gesetzen in Einklang zu bringen. Paul Kirchhof erläutert: „Er braucht Leitgedanken für sein Leben, Maßstäbe für sein Entscheiden, Methoden für sein Erkennen und Ziele für sein Wollen. Diese Gesetzmäßigkeiten findet er in der Natur und in der Menschlichkeit.“ Die Natur erschließt er sich vor allem durch Beobachten und Experimentieren, die Menschlichkeit durch Verständnis, Erfahrung, Einsehen und Beurteilen. Der Mensch bildet bewusst Regeln für das Zusammenleben, erprobt Verfahren der Willensbildung und Verständigung. Die Gesetze sind seit langem gewachsene, angeborene, in der Natur des Menschen von jeher angelegte Stützen menschlicher Freiheit. Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg.
Kein Ort auf der Welt ist frei vom Einfluss der Menschen
Dirk Steffens und Fritz Habekuss stellen fest: „Es gibt heute keinen Ort mehr, der vom Einfluss des Menschen frei ist. Am Grund des Marianengrabens, 11.000 Meter unter dem Meer: Müll. In den Schneeflocken der Arktis, in abgefülltem Mineralwasser, in Bier, gebraut nach dem deutschen Reinheitsgebot, und wahrscheinlich atmen wir es längst: Plastik.“ Menschen und Nutztiere zusammen wiegen heute mehr als zwanzigmal so viel die alle wilden Tiere. Auf drei Vögel in der Natur kommen sieben Masthähnchen. Weltweit wachsen Pflanzen kräftiger, weil sie durch das Kohlenstoffdioxid in der Atmosphäre gedüngt werden. In ihrem Buch „Über Leben“ erzählen der Moderator der Dokumentationsreihe „Terra X“ Dirk Steffens und Fritz Habekuss, der als Redakteur bei der „ZEIT“ arbeitet, von der Vielfalt der Natur und der Schönheit der Erde.
Gärten changieren zwischen Wildnis und Zähmung
Die Philosophie der Gärten füllt Bibliotheken zwischen Japan und England. Sie stellt von Anfang an die Frage, ob es neben der Unterwerfung nicht auch ein kollaboratives Formen und Weiterdenken von Möglichkeiten natürlicher Gestaltung geben könne. Philipp Blom stellt fest: „Im Garten war immer schon die Spannung zwischen Wildnis und Zähmung präsent.“ Im europäischen Mittelalter entstand daraus der „Hortus conclusus“. Nämlich der umhegte Ort, an dem die Jungfrau und das Einhorn in mystischer Eintracht leben. Es handelt sich dabei um einen organisierten Raum, der allegorisch alle Ordnungen der Schöpfung abbilden soll und dessen Pflanzen eine eigene symbolische Sprache sprechen. Der Gegensatz von Natur und Kultur fand seinen Ausdruck in dieser Praxis. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford. Er lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.
Die Gegenwart ist von massenhaften Artensterben überschattet
Eine stärkere Verbindung zur Natur würde die Menschen glücklicher und gesünder machen – so weit, so gut. Doch da gibt es ein Problem. Was nützt es, Waldspaziergänge zu verschreiben, wenn weltweit Waldgebiete von Rodungen bedroht sind? Wie sollen die Menschen Zeit im Grünen verbringen, wenn es immer weniger Parks gibt? Wie baut man eine Beziehung zu jemandem auf, der todkrank ist? Lucy F. Jones kritisiert: „In der gesamten westlichen, industrialisierten Welt leben wir zunehmend abgekapselt von der Natur und ignorieren, wie sehr wie sie brauchen. Und damit geht die Katastrophe einher, dass die Natur vor unseren Augen verschwindet; unsere Zeit auf diesem Planeten wird von der gewaltsamen Zerstörung natürlicher Lebensräume und dem massenhaften Artensterben überschattet.“ Lucy F. Jones ist Journalistin und schreibt regelmäßig zu wissenschaftlichen Themen, Gesundheit, Umwelt und Natur für die BBC, The Guardian und The Sunday Times.
Die Natur ist kein Luxus
Lucy F. Jones weiß: „Wie naturnah wir leben, wirkt sich messbar auf unsere Gesundheit aus. Menschen, die in der Nähe von Parks, Wäldern und dem Meer leben, geben an, sich körperlich und geistig besser zu fühlen.“ Die Wahrscheinlichkeit, an Depressionen oder anderen psychischen Problemen zu erkranken, ist bei Menschen, die nicht in zugebauten urbanen Settings leben, sondern nahe der Natur, geringer – ihre Zufriedenheit insgesamt höher. Studien haben gezeigt, dass dies besonders auf Senioren, Hausfrauen und sozial schwache Menschen zutrifft. Die Natur ist kein Luxus. Ob man Zugang zu ihr hat oder nicht, wirkt sich bei unterschiedlichsten Menschengruppen auf die Gesundheit aus. Lucy F. Jones ist Journalistin und schreibt regelmäßig zu wissenschaftlichen Themen, Gesundheit, Umwelt und Natur für die BBC, The Guardian und The Sunday Times.
Nicht jeder Mensch beherrscht die Kunst der Liebe
Man verkennt das Wesen der Liebe, wenn man meint, dies sei nichts weiter als ein Gefühl, das sich einstellt oder nicht und auf das man wenig Einfluss hat. Albert Kitzler ist ganz anderer Ansicht: „Liebe ist eine Kunst, die keineswegs jeder Mensch von Natur aus beherrscht, sondern von den meisten gelernt werden muss, soll ihr Leben gelingen.“ Würden die Menschen die Kunst des Liebens beherrschen, würden die Menschheit in einer anderen Welt leben. Man würde sich dann nicht gegenseitig persönlich angreifen und verletzen, sondern miteinander respektvoll, mitfühlend und verständnisvoll umgehen. Die Völker würden sich nicht bekriegen, ausbeuten und unterdrücken, Gläubige würden Andersgläubige nicht verfolgen, ausgrenzen und töten. Der Philosoph und Medienanwalt Dr. Albert Kitzler gründete 2010 „Maß und Mitte – Schule für antike Lebensweisheit und eröffnete ein Haus der Weisheit in Reit im Winkl.
„Providentia“ vereint drei Elemente
„Providentia“ war jahrhundertelang das Leitwort für menschliches Handeln in Bezug auf die Natur. Der Begriff knüpfte unmittelbar an die christliche Schöpfungslehre an. Er bezeichnete die Lehre von der Erhaltung der Welt und der Fortsetzung der göttlichen Schöpfung. Allerdings war diese Erhaltung- und Fortsetzungslehre von vornherein determiniert. Katia Henriette Backhaus erklärt: „Da die Menschen noch von der Existenz einer göttlichen Vorsehung ausgingen, war ihr Handeln in Bezug auf die Natur eher eine Art ausführender Gehorsam. So verbot sich ein allzu radikales, schädigendes Eingreifen in die Prozesse der Natur.“ Der Oberbegriff der „providentia“ bezeichnet allgemein die Handlung und die Fähigkeit, in die Zukunft hinein zu denken oder sie sogar vorauszusehen. Katia Henriette Backhaus hat an der Universität Frankfurt am Main promoviert. Sie lebt in Bremen und arbeitet als Journalistin.
Die Natur ist eine gewaltige medizinische Ressource
Die Natur dient dem Menschen nicht nur als Lebensraum, sie ist auch eine gewaltige medizinische und soziale Ressource. Joachim Bauer erläutert: „Menschliche Gesundheit, gutes menschliches Zusammenleben und die Bewahrung der Natur stehen in einem Dreiecksverhältnis der Gegenseitigkeit.“ In der Natur zu sein und sie bewusst auf sich wirken zu lassen fördert die körperliche und psychische Gesundheit. Es fördert zudem die Bereitschaft, sich gegenüber Mitmenschen empathisch zu verhalten. Umgekehrt zeigen Menschen mit ausgeprägter Empathie ein höheres Interesse an Fragen des Umweltschutzes und eine stärker ausgeprägte Bereitschaft, sich in Umweltfragen zu engagieren. Joachim Bauer fordert, dass sich die Menschen wieder in eine echte Beziehung zur Natur setzen sollten. Damit ist gemeint, dass man die Natur nicht nur als Kulisse für diverse selbstgefällige oder ehrgeizige sportliche Auftritte benutzt. Prof. Dr. Med. Joachim Bauer ist Neurowissenschaftler, Psychotherapeut und Arzt.
Niemand weiß wie viele Arten es auf der Erde gibt
Die Vielfalt der Natur hat drei Dimensionen: Ökosysteme, Gene und Arten. Dirk Steffens und Fritz Habekuss erläutern: „Letztere haben den praktischen Vorteil, dass man sie relativ einfach zählen kann. Ein Zebra hier, eine Pusteblume da und eine Motte dort. Am Ende addiert sich das auf Millionen. Wie viele Millionen ist unbekannt.“ Denn selbst die scheinbar einfachste Frage ist erstaunlich schwer zu beantworten: Wie viele Arten gibt es überhaupt auf der Erde? Niemand weiß es. Die Forschenden streiten sogar darüber, was eine Art überhaupt ist. Biologen kennen mindestens 24 verschiedene Ansätze, um das Konzept einer Art zu definieren. In ihrem Buch „Über Leben“ erzählen der Moderator der Dokumentationsreihe „Terra X“ Dirk Steffens und Fritz Habekuss, der als Redakteur bei der „ZEIT“ arbeitet, von der Vielfalt der Natur und der Schönheit der Erde.
Der Mensch gewinnt die Herrschaft über die Natur
Paul Kirchhof stellt fest: „Was der Mensch aus eigener Kraft nicht kann, gelingt ihm durch die Herrschaft über die Natur.“ Er gewinnt sie, indem er die Gesetzmäßigkeiten der Natur für seine Ziele einsetzt. Er beherrscht auch andere Menschen, die Gesetzmäßigkeiten der Natur für ihre Zwecke nutzen wollen. Diese werden nun durch Gegenkräfte gehemmt. Je mehr der Mensch seine Fähigkeiten und Kenntnisse erweitert, desto mehr stimmt er sich mit anderen Menschen ab, die auf andere Weise die Natur beherrschen. Die Geschichte der Freiheit beginnt mit dem Kampf gegen die Naturgewalten. Aus diesen löst sich der Mensch nach und nach. Er gewinnt Herrschaft über Teile der Natur. Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg.
Jeder Mensch kann der Natur wertvolle Dienste erweisen
Joachim Bauer betont: „Jeder einzelne Mensch kann der Natur – und damit zugleich seiner eigenen psychischen und körperlichen Gesundheit – wertvolle Dienste erweisen: die Ernährung umstellen, das Mobilitätsverhalten ändern und Müll vermeiden.“ Die Dringlichkeit der Ernährungsumstellung ergibt sich aus der rasend voranschreitenden Vernichtung der großen Wälder dieser Erde. Diese hat ihren Hauptgrund in der Erschließung landwirtschaftlicher Flächen zum Zwecke der Fleischproduktion. Was jeder einzelne Mensch hier, jetzt und sofort tun kann und tun sollte, ist der hedonische – also der nicht in Leidenspose, sondern aus Überzeugung und Liebe zur Natur vorgenommene – komplette Verzicht auf Fleisch. Ein weiterer guter Dienst an der Umwelt besteht darin, soweit als möglich Flugreisen zu reduzieren und vom Kraftfahrzeug auf öffentliche Verkehrsmittel und das Fahrrad umzusteigen. Prof. Dr. Med. Joachim Bauer ist Neurowissenschaftler, Psychotherapeut und Arzt.
Das ökologische System verändert sich ständig
Die gängige Vorstellung vom Gleichgewicht in der Natur würde bestens mit dem mesotrophen Zustand übereinstimmen. Josef H. Reichholf erklärt: „Produktion und Nutzung wären dann ausgeglichen. Und dies auf hohem Niveau, das eine optimale Nutzung von Ressourcen zulässt. Von allem wäre genug im Kreislauf, aber von nichts zu viel.“ Nirgendwo blieben unverwertete Überschüsse zurück. Fast zu schön, um wahr zu sein. Diese Befürchtung ist vollauf berechtigt. Denn tatsächlich ist der mesotrophe Zustand nicht stabil. Er ist ein Durchgangszustand, in dem das Gewässer – oder das ökologische System, ganz allgemein ausgedrückt – nicht von selbst verweilt, sondern sich rasch entweder in die eine oder in die andere Richtung weiter verändert. Josef H. Reichholf lehrte an der Technischen Universität München 30 Jahre lang Gewässerökologie und Naturschutz.
Der Mensch sollte mit der Natur nachhaltig umgehen
Katia Henriette Backhaus erklärt: „Nachhaltigkeit definiert sich über das Verhältnis von Mensch und Natur, das aus drei Perspektiven betrachtet werden kann.“ Die politische Perspektive fragt danach, wie man die Bedürfnisbefriedigung der Menschen zu ihrem Wohl und zum Wohl der Gemeinschaft organisieren kann. Dazu gehört auch der Gedanke an die nachhaltige Stabilisierung der politischen Ordnung. Die ökonomische Perspektive auf das Verhältnis von Mensch und Natur hingegen entspringt der Forderung nach dem „nachhaltigen Erhalt“ und der Sicherung eines nachhaltigen Ertrags. Natur betrachtet man dabei zunächst als Ressourcenlager, das als schützenswert gilt. Der Versuch, Ökologie und Ökonomie zusammenzudenken, prägt die Begriffshistorie der nachhaltigen Entwicklung. Katia Henriette Backhaus hat an der Universität Frankfurt am Main promoviert. Sie lebt in Bremen und arbeitet als Journalistin.
Der Mensch gilt als „Bürger zweier Welten“
Warum macht das Nachdenken über den Menschen es immer wieder nötig, das Offensichtliche seiner Zugehörigkeit zur Natur hervorzuheben? Volker Gerhardt stellt fest: „Vermutlich ist es die im Nachdenken eingenommene reflexive Distanz. Sie lässt es als selbstverständlich ansehen, dass sich das Denken prinzipiell von der Natur unterscheidet.“ Sowohl in ihrer physischen Materialität wie auch in ihrer kausalen Determination steht die Natur der freien Spiritualität des Intellekts in auffälliger Opposition gegenüber. Die Welt scheint spätestens mit dem Auftritt des menschlichen Denkens in zwei Sphären auseinanderzufallen. So hat man sich daran gewöhnt, den Menschen teils als göttlich oder geistig, teils als natürlich anzusehen. Er gilt als „Bürger zweier Welten“. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Das Internet gilt als Klimakiller
Wenn das Internet ein Land wäre, gehörte es zu den Top Ten der Energieverbraucher, in einer Liga mit Staaten wie den USA, China, Indien, Russland, Japan oder Deutschland. Dirk Steffens und Fritz Habekuss wissen: „Und während in vielen Wirtschaftsbereichen langsam – zu langsam! – der Energiebedarf zu sinken beginnt, wächst der Energiehunger der digitalen Welt um neun Prozent pro Jahr.“ Allein die Streamingdienste sind für etwa 300 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr verantwortlich. Das entspricht immerhin fast einem Drittel der Emissionen des globalen Luftverkehrs. So gesehen sind Katzenvideos fast so klimaschädlich wie Flugreisen. In ihrem Buch „Über Leben“ erzählen der Moderator der Dokumentationsreihe „Terra X“ Dirk Steffens und Fritz Habekuss, der als Redakteur bei der „ZEIT“ arbeitet, von der Vielfalt der Natur und der Schönheit der Erde.
Naturverbundenheit wirkt sich positiv auf die Gesundheit aus
Mehr und mehr erkennt man, dass wichtige Zusammenhänge zwischen dem menschlichen Nervensystem, der Immunfunktion und der Stimmung gibt. Lucy F. Jones ergänzt: „Neueste Fortschritte auf dem Gebiet der Genetik zeigen, dass mit Depressionen assoziierte Gene auch Verbindungen zum Nerven- und Immunsystem haben.“ Naturverbundenheit wirkt sich positiv auf die Immunfunktion des menschlichen Körpers aus, sei es durch eine Entspannung des Nervensystems oder das Verfliegen von Ängsten und Sorgen. Sie verschafft den Menschen durch Phytonzide – die von Bäumen und Pflanzen ausgestoßenen Chemikalien, die das Immunsystem ebenfalls in Schwung bringen können – eine Atempause von verschmutzter Luft. Studien haben gezeigt, dass schon der Blick auf eine natürliche Landschaft zu einem Anstieg entzündungshemmender Zytokine führen kann. Lucy F. Jones ist Journalistin und schreibt regelmäßig zu wissenschaftlichen Themen, Gesundheit, Umwelt und Natur für die BBC, The Guardian und The Sunday Times.
Die Kirche begreift die Geburt als Wunder
Es gibt kaum Literatur zum Thema Geburt. Und wenn es welche gibt, drängt man sie an den Rand „erhabener“ Wissensbestände. Emanuele Coccia stellt fest: „Dafür sind bildliche Zeugnisse im Überfluss vorhanden und haben über die Jahrhunderte die Reflexionen rund um dieses Phänomen genährt.“ Tatsächlich zählt die Nativität zu den häufigsten Motiven der europäischen Malerei. Allerdings ist der Blick der Maler durch das theologische Prisma verzerrt. Die Geburt, die sie schildern, ist kein gewöhnliches, sondern ein einmaliges, nicht darstellbares und widernatürliches Ereignis. Die christliche Theologie hat dazu beigetragen, die Geburt zu etwas Undenkbarem zu machen. Denn sie ließ sie aus jeglichem naturalistischen Rahmen heraustreten, wusste sie gegen die Natur auszuspielen und begriff sie als Wunder. Emanuele Coccia ist Professor für Philosophiegeschichte an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris.
Nachhaltigkeit ist ein umfassendes Konzept
Das neue Denken über die Nachhaltigkeit ist unzureichend. Katia Henriette Bachhaus erläutert: „Darüber nachzudenken, wie die Welt und ihre Menschen nachhaltiger werden könnten, ist zu wenig für das, was Nachhaltigkeit verlangt. Denn das Konzept der Nachhaltigkeit ist so sehr ein theoretisches wie ein praktisches. Und nachhaltige Praxis reicht von politischer Gesetzgebung bis in den individuellen Alltag hinein.“ Die Bedeutung der praktischen Seite der Nachhaltigkeit wird jedoch von politiktheoretischen und umweltethischen Ansätzen zuweilen vernachlässigt. Manche Autoren sprechen von einer regelrechten Lücke zwischen der Theorie ökologischer Werte und einer ökologischen Handlungstheorie. Doch das praktische Veränderungen aus theoretischer Überzeugung geschehen, ist eine zu große Hoffnung. Katia Henriette Backhaus hat an der Universität Frankfurt am Main promoviert. Sie lebt in Bremen und arbeitet als Journalistin.
Insekten sind systemrelevant für Ökosysteme
In Deutschland ist die Biomasse von Fluginsekten innerhalb von drei Jahrzehnten um bis zu 75 Prozent zurückgegangen. Dirk Steffens und Fritz Habekuss wissen: „In der Folge des Insektenschwunds sterben auch die Vögel, weil viele sich von Insekten ernähren. Beispiel Nordamerika: Dort sind seit 1970 etwa drei Milliarden Vögel verschwunden. Den Verlust von einzelnen Vogel- oder Säugetierarten können Ökosysteme oft einigermaßen ausgleichen, doch Insekten sind systemrelevant.“ Das Problem ist bereits sehr real. In einigen Regionen Chinas müssen Landarbeiter Obstbäume mittlerweile per Hand bestäuben – was aber nicht nur am Insektensterben liegt. In ihrem Buch „Über Leben“ erzählen der Moderator der Dokumentationsreihe „Terra X“ Dirk Steffens und Fritz Habekuss, der als Redakteur bei der „ZEIT“ arbeitet, von der Vielfalt der Natur und der Schönheit der Erde.
Ohne Freiheit ist Verantwortung nicht möglich
Ina Schmidt schreibt: „Freiheit ist sowohl eine Voraussetzung für verantwortliches Handeln als auch immer wieder ein Hindernis, klare verallgemeinerbare Regelungen im Sinne des vermeintlich Guten durchzusetzen.“ Immer wieder ist es der Verweis auf das hohe Gut der Freiheit, die so mancher ethischen Debatte oder moralischen Vorstellung den Riegel vorschiebt und andererseits die Diskussion darum überhaupt erst eröffnet. Das als gut Anerkannte gebietet möglicherweise eine bestimmte Handlungsweise. Dennoch hat jeder in vielen moralischen Fragen die Freiheit, sich auch anders zu entscheiden. Es geht bei jeder Form von Verantwortung nicht nur um den Schutz, sondern auch um den Gebrauch der eigenen Freiheit. Ina Schmidt ist Philosophin und Publizistin. Sie promovierte 2004 und gründete 2005 die „denkraeume“. Seitdem bietet sie Seminare, Vorträge und Gespräche zur Philosophie als eine Form der Lebenspraxis an.
Kinder können den Eltern sehr gut tun
Zwei jüngere Freundinnen von Karl-Markus Gauß haben jetzt, ehe es zu spät für sie geworden wäre, doch noch Kinder bekommen. Er freut sich für sie, nicht weil er glaubt, dass es die Berufung der Frau wäre, Mutter zu werden. Vielmehr weil Karl-Markus Gauß erfahren hat, wie gut einem Kinder tun können. Ihn haben die seinen von der schweren Krankheit des Zynismus, der ihn an Leib und Seele zu zersetzten drohte, geheilt. So haben sie ihn vor dem selbst verschuldeten Untergang gerettet. Wer Kinder hat, kann sich nicht gemütlich in seinem Weltverdruss einrichten. Ebenso wenig darf er als Kollaborateur des Missglückenden darauf setzen, dass die Dinge ihn schon in der schlechten Meinung, die er von ihnen hat, bestätigen werden. Karl-Markus Gauß lebt als Autor und Herausgeber der Zeitschrift „Literatur und Kritik“ in Salzburg. Seine Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt und oftmals ausgezeichnet.