Fehltritte von Politikern sind erst mal intern zu klären

Zur Fehlerkultur gehört es allerdings zwingend, die Frage nach den Konsequenzen von Fehltritten von Politikern zu stellen. Auch das ist erst mal intern zu klären. Helene Bubrowski schlägt vor: „Wenn der Fehler an Überlastung liegt, könnte daraus folgen, sich künftig weniger vorzunehmen oder sich Unterstützung zu besorgen.“ Oder ist es doch ein Amt zu viel? Beruht die Fehleinschätzung auf falschen Annahmen, muss man sich fragen, wie man blinde Flecken bekämpfen kann. In der externen Dimension kommt es darauf an, dass sich die Konsequenzen nicht in Worthüllen erschöpfen. Das verstärkt nur die Politikverdrossenheit. Es grassiert ja ohnehin das gefährliche Narrativ, dass für „die da oben“ andere Regeln gelten, dass die Kassiererin im Supermarkt ihren Job viel schneller los ist als jeder Spitzenpolitiker. Helene Bubrowski arbeitet als Politikkorrespondentin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im Berliner Hauptstadtbüro.

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In der Demokratie besteht eine Balance zwischen Freiheit und Gleichheit

Demokratie ist eine Frage des Augenmaßes. Ihre Qualität hängt vom möglichst klugen, aber nie ganz stimmigen Justieren der Machtbalance ab. Roger de Weck fügt hinzu: „Obendrein muss sie laufend auch ihre zwei wichtigsten herkömmlichen Ideale austarieren, die sich reiben: so viel Freiheit wie möglich, damit das Individuum gedeiht; so viel Gleichheit beziehungsweise solidarische Umverteilung wie nötig, damit das Gemeinwesen und seine benachteiligten Mitglieder vorankommen.“ Inzwischen ist dieser Ausgleich noch anspruchsvoller geworden, nämlich seit der epochalen Studie über „Die Grenzen des Wachstums“ die ihre Mitautoren Donella und Dennis Meadows 1972 am St. Galler Symposium vorstellten. Der Umweltgedanke hat sich seither durchgesetzt und das dritte Ideal der Französischen Revolution mit neuem Leben erfüllt: Der „fraternité“ verleiht die grüne Bewegung eine zeitgemäße Bedeutung. Roger de Weck ist ein Schweizer Publizist und Ökonom.

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Der Neoliberalismus bedrohte die liberale Demokratie

Francis Fukuyama schreibt: „Die individuelle Autonomie wurde von den liberalen Rechten auf die Spitze getrieben, die dabei allerdings vor allem die wirtschaftliche Freiheit im Auge hatte. Sie wurde aber auch von den liberalen Linken extrem überhöht, die eine ganz andere Art von Autonomie anstrebt, bei der die individuelle Selbstverwirklichung im Mittelpunkt stand.“ Während der Neoliberalismus die liberale Demokratie bedrohte, indem er übermäßige Ungleichheit und finanzielle Instabilität verursachte, entwickelte sich der linke Liberalismus zu einer modernen Identitätspolitik, die durch einige ihrer Ausprägungen allmählich die Prämissen des Liberalismus selbst unterminierte. Das Konzept der Autonomie beziehungsweise der Selbstbestimmtheit wurde auf eine Weise verabsolutiert, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährdete. Und in ihrem Dienst machten sich progressive Aktivisten daran, sozialen Druck auszuüben und die Macht es Staates auszunutzen, um Stimmen zum Schweigen zu bringen, die ihnen und ihrer Agenda kritisch gegenüberstanden. Francis Fukuyama ist einer der bedeutendsten politischen Theoretiker der Gegenwart.

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Die Politik im 21. Jahrhundert braucht einen neuen Kompass

Zukunftsfähige Politik des 21. Jahrhunderts muss sich sehr grundsätzlich von der des vergangenen Jahrhunderts unterscheiden, nicht nur weil die Krisen heftiger und häufiger werden. Petra Pinzler ergänzt: „Auch können die Fortschrittskonzepte der Vergangenheit nicht mehr einfach so in die Zukunft fortgeschrieben werden. Erfolgreiche Regierungspolitik braucht also einen neuen Kompass.“ Regierungswechsel markieren immer eine Zäsur für neuen Wandel. Nötig wäre er, der Wandel. Die Zukunft Deutschlands braucht eine andere Art der politischen Zusammenarbeit. Man kann das, was wir gerade erleben, mit dem Wort „Epochenwechsel“ beschreiben. Man kann es die „Geschichtlichkeit des Augenblicks“ nennen oder „Polykrisenzeiten“. All das klingt groß, aber genau darum geht es: Um gewaltige Veränderungen und daraus abgeleitet die Frage, wie die Politik auf die neue Wirklichkeit reagier oder reagieren sollte. Petra Pinzler arbeitet als Hauptstadtkorrespondentin der Wochenzeitung „Die Zeit“. Sie schreibt zudem Bücher über Wirtschaft, Umwelt und Klimaschutz.

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In Deutschland setzen sich zahlreiche Initiativen für die Demokratie ein

In Deutschland gibt es eine vielfältige Zivilgesellschaft und im Vergleich zu einigen Nachbarländern zahlreiche Initiativen, die sich für die Demokratie einsetzen, darunter auch viele migrantische Selbstorganisationen. Arne Semsrott kritisiert: „Sie werden bisher nur nicht ausreichend gefördert. Seit vielen Jahren vernachlässigt die Bundesregierung die demokratische Infrastruktur hierzulande.“ Wer in einer mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus tätig ist, in einer Opferberatungsstelle arbeitet oder sich für ein Frauenhaus engagiert, kennt es: Jedes Jahr Ende Dezember ist auf einmal kein Geld mehr da für die Demokratie. Manche Menschen nehmen die Respektlosigkeit der Bundesregierung für ihr Engagement einfach nur achselzuckend hin. Sie hatten über die Jahre gelernt, dass sie sich nicht auf den Staat verlassen können. Es ist manchmal eine absurde Situation: Da gibt es Menschen, die genau das umsetzen, was Politiker in ihren Sonntagsreden fordern. Arne Semsrott ist Politikwissenschaftler und Aktivist.

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Es herrscht ein offensichtliches Ungleichheitsparadox

Ungleichheit mag unbeliebt sein, doch konnte dies offensichtlich nicht verhindern, dass die Einkommen und Vermögen in der gesamten industrialisierten Welt immer weiter auseinanderklaffen. Ben Ansell stellt fest: „Wir leben in einem Zeitalter eines offensichtlichen Ungleichheitsparadoxon: Die globale Ungleichheit ist zurückgegangen, da Milliarden Menschen in China und Indien aus der Armut befreit wurden; in den wohlhabenden Ländern wächst die Ungleichheit seit den 1980er- Jahren dramatisch.“ Die Schließung von Fabriken und stagnierende Löhne in den reichen Ländern führten zu Reaktionen sowohl gegen wohlhabende urbane Regionen als auch gegen den Handel mit ärmeren Ländern. Die politischen Auswirkungen dieser Abwehrreaktion waren gravierend und stellten die bisherige Rechs-links-Politik in Amerika und in Europa auf den Kopf. Ben Ansell ist Professor für Politikwissenschaften am Nuffield College der Universität Oxford.

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Den Liberalismus prägt die voluntaristische Vorstellung von Freiheit

Abgesehen von der Prämie der amerikanischen Macht hatte das Versprechen der Vorherrschaft in den Nachkriegsjahren noch eine tiefere Quelle – in der Philosophie des Öffentlichen im zeitgenössischen Liberalismus. Michael J. Sandel erklärt: „Dieser Liberalismus machte den Vorrang des Rechts vor dem Guten geltend; der Staat sollte gegenüber konkurrierenden Vorstellungen des Lebens neutral sein.“ Damit würde er die Menschen als freie und unabhängige Persönlichkeiten respektieren, die in der Lage seien, ihre eigenen Ziele zu wählen. Die voluntaristische Vorstellung von Freiheit, die diesen Liberalismus beflügelt, bietet eine befreiende Vision, das Versprechen einer Handlungsmacht, die scheinbar auch unter den Bedingungen konzentrierter Macht zu verwirklichen war. Michael J. Sandel ist ein politischer Philosoph. Er studierte in Oxford und lehrt seit 1980 in Harvard. Er zählt zu den weltweit populärsten Moralphilosophen.

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Eine geopolitische Mittellage hat einen großen Nachteil

Herfried Münkler erklärt: „Im Verlauf des 16. und 17. Jahrhunderts bildete sich für die Deutschen eine geopolitische Lage in der Mitte des Kontinents heraus, mit der sie sich nicht leichttaten.“ Denn die geopolitische Mittellage hat einen großen Nachteil. Denn die aus der Mitte heraus zur Hegemonie über einen Großraum strebende Macht hat es auf mindestens zwei Seiten mit Konkurrenten zu tun, die diesen Aufstieg verhindern wollen. Eine der geopolitischen Beobachtungen besagt darum, dass Aufstiege aus einer Mittellage selten gelingen und, wenn sie doch einmal gelungen sind, stets prekär und bedroht bleiben. Deswegen, so die daraus abgeleitete geopolitische Direktive, ist es ratsam, sich in eine periphere Position zu manövrieren, wenn man als raumbeherrschenden Akteur agieren will. Herfried Münkler ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität. Viele seiner Bücher gelten als Standardwerke, etwa „Imperien“ oder „Die Deutschen und ihre Mythen“.

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An Europas Grenzen erodiert die Rechtsstaatlichkeit

Die anhaltende Gewalt an Europas Grenzen beschädigt die liberale Demokratie auch durch die Erosion der Rechtsstaatlichkeit. Judith Kohlenberger stellt fest: „Kollektiv werden wir daran gewöhnt, dass Rechtsbrüche nicht geahndet werden, Unrecht sanktionslos bleibt. Seit Jahren verstoßen zahlreiche Mitgliedsstaaten der Europäischen Union offen gegen Völker- und EU-Recht ohne nennenswerten Konsequenzen.“ In Ungarn ist das Asylrecht de facto ausgesetzt, Schutz beantragen kann man nur mehr über eine Absichtserklärung in den Botschaften Kiews und Belgrads. Für alle nach Ungarn kommenden Schutzsuchenden, die nicht schon vorher von stacheldrahtumwickelten und mit Drohnen und Wärmesensoren überwachten Grenzzaun abgehalten wurde, bedeutet das: völkerrechtswidrige, meist gewaltsame Zurückweisung nach Osten oder dublinwidriges Weiterschicken in den Westen. Judith Kohlenberger ist Kulturwissenschaftlerin und Migrationsforscherin am Institut für Sozialpolitik der WU Wien und dem Österreichischen Institut für Internationale Politik (oiip).

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Die Europäische Union steht vor akuten Herausforderungen

Robert Menasse betont: „Konfrontiert mit all diesen Krisen – jede für sich eine große Herausforderung, sie alle zusammen eine dramatische Bedrohung – reichte es nicht mehr den Status quo zu verwalten, sich im mühsamen Ausgleich sogenannter nationaler Interessen zu erschöpfen und die Europapolitik zu nennen.“ Die Europäische Union (EU) muss sich jetzt bewegen, sich weiterentwickeln, die Möglichkeiten von Gemeinschaftspolitik ausbauen, um diese Krisen zu managen, mit denen kein einziger Mitgliedstaat bei Wahrung seiner nationalen Souveränität allein fertigwerden könnte. Diese Krisen zeigen das Rohe, das Halbfertige, das buchstäblich beschränkte des europäischen Projekts, mit dem die Mitgliedsstaaten die längste Zeit geglaubt hatten, weiter leben zu können. Aber diese Krisen, eine nach der anderen, führten immer wieder aufs Neue vor, dass das nicht funktioniert. Seit 1988 lebt der Romancier und kulturkritische Essayist Robert Menasse hauptsächlich in Wien.

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Politik ist für alle da

Hannah Arendt war der Meinung, Politik sei für alle, nicht für „jeden, der gewisse Voraussetzungen erfüllt“. Zudem hielt sie die menschliche Natur für zu kompliziert und variabel, als dass sie zur stabilen Grundlage der Politik geeignet sei. Ned O’ Gorman ergänzt: „Sie fürchtete, die Theorien über die menschliche Natur könnten dazu führen, dass wir andere zu dem machen wollen, wofür wir die Menschen von vornherein halten.“ Möglicherweise würde man dann versuchen aus den Menschen nichts anderes zu machen als bessere Hunde. Hält man dagegen die Natur des Menschen für gut und nobel, könnte man versuchen, die Menschen zu Heiligen zu machen. Und wenn man die menschliche Natur für besitzergreifend hält, wird man versuchen, alle zu Käufern und Verkäufern zu machen. Ned O’ Gorman ist Professor für Kommunikationswissenschaften an der University of Illinois.

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Demagogen werfen dem Establishment Volksferne vor

Liberale Demokratien müssen sich auf neue Aufgaben einstellen. Polarisierung? Roger de Weck stellt fest: „Angesagt und vonnöten ist das diametrale Gegenteil, um den Anforderungen des 21. Jahrhunderts gewachsen zu sein. Polarisierende und radikalisierende Politik taugt zum Machtgewinn, sonst zu gar nichts.“ Demagogen werfen dem Establishment Volksferne vor. Doch verrät ihre Faktenferne bis hin zu Faktenfreiheit, dass ausgerechnet die vorgeblich rechte „Realpolitik“ meilenweit von der Realität entfernt ist. Auf postfaktische Weise lässt sich die Gesellschaft radikalisieren, aber kein Ziel erreichen. Und das Reiseziel der Politik heißt jetzt in jeder Hinsicht: Einbezug. Die Ökologie ist ins Gefüge der demokratischen Institutionen einzubeziehen. Das Prinzip der Nachhaltigkeit ist in den republikanischen Dreiklang Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit einzuweben. Roger de Weck ist ein Schweizer Publizist und Ökonom.

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Die Welt ist unwahrscheinlich reich und zugleich bedrückend arm

Unfreiheit kann auch daraus erwachsen, dass man andere Kulturen und Lebensweisen nicht kennt und versteht. Die Welt ist unwahrscheinlich reich und zugleich bedrückend arm. Amartya Sen stellt fest: „Der Überfluss, in dem wir heute leben, ist beispiellos, und das Ausmaß an Ressourcen, Wissen und Technik, die uns heute zu Gebote steht und das wir für selbstverständlich halten, hätten unsere Ahnen sich nicht ausmalen können.“ Gleichzeitig ist die Welt voller entsetzlicher Armut und bedrückender Entbehrung. Es ist skandalös, wie viele Kinder unzureichend ernährt und gekleidet sind, misshandelt werden, des Lesens und Schreibens unkundig und unnötigerweise krank sind. Millionen sterben jede Woche an Krankheiten, die gänzlich abgeschafft sein oder doch wenigstens daran gehindert werden könnten, massenhaft zu töten. Amartya Sen ist Professor für Philosophie und Ökonomie an der Harvard Universität. Im Jahr 1998 erhielt er den Nobelpreis für Ökonomie.

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Veränderungen der politischen Welt weisen bestimmte Muster auf

In der Retrospektive werden die Veränderungen des 5. und 6. Jahrhunderts als ein Wandel der politischen Welt Westeuropas beschrieben, der von einer unipolaren zu einer multipolaren Ordnung führte. Herfried Münkler ergänzt: „Diese multipolare Ordnung veränderte sich schneller als zuvor das unipolare System, wies dabei jedoch strukturbildende Dynamiken und Muster auf und kann insofern durchaus als politische Ordnung beschrieben werden.“ Die politischen Großräume kontrollierenden Reiche befanden sich entweder an den Schnittstellen der Wirtschaftskreisläufe, von deren Überlappungen sie profitierten, wie etwa das Osmanische Reich, oder sie lagen, wie Spanien, Frankreich und England, am geographischen Rand der von ihnen in Gang gesetzten Wirtschaftskreisläufe. Herfried Münkler ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität. Viele seiner Bücher gelten als Standardwerke, etwa „Imperien“ oder „Die Deutschen und ihre Mythen“.

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Es gibt Abwehrrechte des Einzelnen gegenüber dem Staat

Das Grundgesetz betrachtet den einzelnen Menschen gleichzeitig als frei und gemeinschaftsgebunden. Daneben sind zwei Funktionen de in der Verfassung festgeschriebenen Grundrechte nicht voneinander zu trennen. Hans-Jürgen Papier erklärt: „Zunächst sind sie Abwehrrechte des Einzelnen gegen den Staat. Als solche sichern sie, dass der Staat den Bürgern einen Freiheitsraum einräumt und diesen achtet.“ Gleichzeitig sind die Grundrechte aber auch Quelle staatlicher Aufgaben, nämlich der sogenannten staatlichen Schutzpflichten. Der Staat muss aktiv dafür Sorge tragen, dass die grundrechtlichen Freiheiten des Einzelnen nicht beeinträchtigt werden, weder durch Dritte noch durch Gefahrenlagen, wie sie Naturkatastrophen, Angriffe oder Epidemien darstellen. Anspruch und Zweck des modernen Staates bestehen also darin, beides miteinander zu verbinden. Prof. em. Dr. Dres. h.c. Hans-Jürgen Papier war von 2002 bis 2014 Präsident des Bundesverfassungsgerichts.

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Adam Smith propagiert die unsichtbare Hand des Marktes

Adam Smith propagierte in seiner „Theorie der ethischen Gefühle“, dass die Geschicke der Gesellschaft in der unsichtbaren Hand des Marktes liegen sollten statt in der Pranke eines Alleinherrschers. Der Moralphilosoph und Ökonom sah in einem empathischen und demzufolge moralischen Verhalten der Menschen die Grundlage vernünftigen Wirtschaftens und Zusammenlebens. Die Gerechtigkeit sei „der Hauptpfeiler, der das ganze Gebäude stützt. Wird dieser Pfeiler entfernt, muss der gewaltige, der ungeheure Bau der menschlichen Gesellschaft […] in einem Augenblick zusammenstürzen“. Roger de Weck weiß: „Doch viele Liberale des 21. Jahrhunderts ärgern sich mehr über die angebliche Hypermoral als über die tatsächliche „Hypomoral“: die unterentwickelte Moral, die den esprit général der liberalen Demokratie verdirbt. Sie verkennen, dass neurechtes Moral-Bashing nichts anderes ist als ein Generalangriff auf den Liberalismus. Roger de Weck ist ein Schweizer Publizist und Ökonom.

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Niccolò Machiavelli erringt europäischen Ruhm

Es gibt ein glanzvolles Beispiel für den auf das Politische bezogen kalten Realismus, der sich der Vereinzelung verdankt. Niccolò Machiavelli (1469 – 1527) ist zu klug, um Moral und Religion zu ihrem Nennwert zu nehmen. Er war ein umfassend gebildeter Geist, der zwischen 1498 und 1512 hohe Ämter in Florenz bekleidet. Rüdiger Safranski fügt hinzu: „Das war zu der Zeit, als die Herrschaft der Medici unterbrochen war. Mit der Rückkehr der Medici fiel er in Ungnade und wurde der Mitwirkung an einer Verschwörung gegen sie beschuldigt.“ Er kam für mehrere Monate in Haft. Dort folterte man ihn und ließ ihn schließlich wieder frei. Rüdiger Safranski arbeitet seit 1986 als freier Autor. Sein Werk wurde in 26 Sprachen übersetzt und mit vielen Preisen ausgezeichnet.

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Der Neoliberalismus misst das Wohlergehen am Konsum

Francis Fukuyama betont: „Als Standard für das wirtschaftliche Wohlergehen ist das Konsumentenwohl auch deshalb problematisch, weil es die nichtmateriellen Aspekte des Wohlergehens nicht zu erfassen vermag.“ Die großen Internetplattformen mögen heute den Konsumenten freie Dienstleistungen anbieten, erhalten aber dabei auch Zugang zu privaten Nutzerdaten. Und dies geschieht in einem Ausmaß, das vielen Verbrauchern gar nicht bewusst sein dürfte und das sie vielleicht auch nicht gutheißen würden. Dieser politischen Frage liegt ein tieferes philosophisches Problem zugrunde: Sind Menschen einfach nur konsumierende Tiere, deren Wohlergehen daran gemessen wird, wieviel sie konsumieren können, oder sind sie produzierende Tiere, deren Glück von ihrer Fähigkeit abhängt, die Natur zu gestalten und sich kreativ zu betätigen? Francis Fukuyama ist einer der bedeutendsten politischen Theoretiker der Gegenwart.

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Am meisten bedrohen politische Phantasten Europa

Was der Europäischen Union (EU) heute schmerzhaft fehlt, ist Phantasie. Sogar die historische, nämlich die Phantasie der Gründungsgeneration zu begreifen. Robert Menasse warnt: „Und was Europa am meisten bedroht, sind die politischen Phantasten. Das sind jene, die ihren Wählern Heil versprechen durch die Renationalisierung ihrer Staaten und die das schäbige Spiel spielen, mit Vetos im Europäischen Rat die Entwicklung der EU zu blockieren, um dann ihren Wählern sagen zu können: Ihr seht, die EU funktioniert nicht, wir müssen eine nationale Lösung finden.“ Man kann die aktuelle Situation in einem Satz zusammenfassen: Die EU entwickelt sich fort. Das ist eine gute und eine schlechte Nachricht zugleich. Die Gute ist, dass die Krisen zu heftig sind, die Herausforderungen der Zukunft zu groß, als dass die Union in einer bloßen Balance ihrer Widersprüche verharren könnte. Seit 1988 lebt der Romancier und kulturkritische Essayist Robert Menasse hauptsächlich in Wien.

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Meinungen grenzen sich von Schmähungen oder Tatsachen ab

Hans-Jürgen Papier definiert, was „Meinungen“ aus verfassungsrechtlicher Sicht überhaupt sind. Er zeigt auf, wie sie sich von Schmähungen oder Tatsachen abgrenzen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind Meinungen Werturteile, die „durch die subjektive Einstellung des sich Äußernden zum Gegenstand der Äußerung gekennzeichnet sind“. Sie lassen sich weder als wahr noch als unwahr qualifizieren. Es sind immer Stellungnahmen, es geht um Elemente des Dafürhaltens, des Meinens im Rahmen einer geistigen Auseinandersetzung. Für den grundrechtlichen Schutz kommt es dabei nicht auf den konkreten Inhalt der Meinungsäußerung an. Es spielt für den verfassungsrechtlichen Schutz also weder eine Rolle, ob eine Meinungsäußerung begründet oder grundlos erscheint, noch, ob sie von anderen für nützlich oder für schädlich, für wertvoll oder für wertlos gehalten wird. Prof. em. Dr. Dres. h.c. Hans-Jürgen Papier war von 2002 bis 2014 Präsident des Bundesverfassungsgerichts.

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Kleine Fehler von Politikern können sich zu Skandalen entwickeln

Patzer und kleine Fehler von Politikern können eine solche Eigendynamik entwickelt, dass sie in der öffentlichen Wahrnehmung zu schweren Fehlern oder sogar Skandalen werden. Helene Bubrowski weiß: „Es geht nicht fair zu bei der Frage, was ein Fehler ist oder werden kann.“ Die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel hat auf die Schnelle mal brutto und netto verwechselt, und schon freute sich die SPD über die „maßlos überforderte Kanzlerin“. Politiker schlafen oft zu wenig, sind immer unter Zeitdruck. Da passiert ständig etwas, von dem die Pressesprecher hoffen, dass es niemand mitbekommen hat. Und wenn doch, dass die Sache schnell wieder versandet. Manchmal sind es einfach Zufälle: Wenn die Öffentlichkeit gerade über Steuerschlupflöcher diskutiert, können kleinste Unregelmäßigkeiten in Spesenabrechnungen plötzlich eine Wucht entfalten. Helene Bubrowski arbeitet als Politikkorrespondentin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im Berliner Hauptstadtbüro.

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Die AfD ist im Kern eine rechtsextreme und verfassungsfeindliche Partei

Kommt die Alternative für Deutschland (AfD) an die Regierung – sei es in einer Kommune, in einem Bundesland oder im Bund –, werden Parteimitglieder versuchen, ihre Gewaltfantasien in staatliche Gewalt zu verwandeln. Arne Semsrott betont: „Die AfD ist im Kern eine rechtsextreme, eine menschenfeindliche, eine verfassungsfeindliche Partei. Bausteine ihrer Ideologie basieren auf der Annahme, dass mache Menschen mehr wert sind als andere.“ Ihre Vorstellungen sind durchzogen von Rassismus, von Queer- und Frauenfeindlichkeit, von Ableismus und Klassismus. Die AfD ist dominiert von Menschen, die autoritäre und national-völkische Ideen verwirklichen wollen. Viele Parteimitglieder fordern die Abschaffung wichtiger Grundsätze der Demokratie und die Deportation von großen Bevölkerungsgruppen. Zentrale Figuren in den Reihen der Partei wollen ihre Gegner „ausschwitzen“, andere entwerfen Pläne für Putsche und Hinrichtungen. Arne Semsrott ist Politikwissenschaftler und Aktivist.

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Die Krise der Demokratie muss man nicht als deren Niedergang deuten

Für Roger de Weck spricht vieles dafür, dass sich Aufklärung und Demokratie gemeinsam ganz gut behaupten, statt zusammen zuschanden zu werden: „Aufklärung ist Suche, und die Demokratie ist offensichtlich in eine intensive Suchphase eingetreten.“ Demgegenüber sind reaktionäre Autoritäre unwillig und ziemlich unfähig, rechtzeitig Veränderungen in der Gesellschaft aufzugreifen, auf die Einstellungen der jungen Jahrgänge einzugehen. Das schafft die Demokratie auch nicht immer gut, aber viel besser, und die von gestandenen Politikern geschmähten Aktivisten und Anhänger von Fridays for Future sind ein Katalysator ihrer Erneuerung. Sie bereichern, beleben und bestärken die liberale Demokratie. Ihre derzeitige Krise muss nicht als Niedergang gedeutet werden, sich lässt sich als Übergang begreifen: Gegen tausend Widerstände, die an ihre Substanz gehen, wechselt die Demokratie in einen vielversprechenden Modus. Roger de Weck ist ein Schweizer Publizist und Ökonom.

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Der Kapitalismus hat das Leben unendlich viel besser gemacht

Der Demokratie wird unter anderem Zukunftsunfähigkeit vorgeworfen, aufgrund ihrer Wahlzyklen könne sie nicht über fünf Jahre hinausdenken, so heißt es. Florence Gaub ergänzt: „Auch das kapitalistische Wachstumsversprechen, das andere Hauptmerkmal unserer alten Zukunft, steht in der Kritik. In weltweiten Umfragen stimmten 52 Prozent der Menschen der Aussage zu, dass „der Kapitalismus mehr schadet als nützt“, unter anderem, weil er als Hauptverursacher des Klimawandels angesehen wir und das Versprechen von Wohlstand für alle nicht ganz eingelöst hat.“ Diese Unzufriedenheit mit der Demokratie als auch mit dem Kapitalismus mag ein bisschen ungerecht sein, denn beide haben vieles erreicht und das Leben unendlich viel besser gemacht als das unserer Vorfahren. Dr. Florence Gaub ist Politikwissenschaftlerin, Militärstrategin und Zukunftsforscherin. Sie leitet als Direktorin den Forschungsbereich NATO Defense College in Rom.

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Es gibt drei wichtige Elemente des Populismus

Wird Europa gerade von einer Welle des Populismus überrollt? Bevor man auf diese Frage antwortet, muss man sich über die Bedeutung dieses Begriffs verständigen. Alain Finkielkraut erläutert: „Die drei wichtigen Elemente des Populismus im klassischen Verständnis sind der Antielitarismus, der Antiintellektualismus und die Ablehnung von Andersartigkeit gleich welcher Art.“ Der Fisch stinkt vom Kopf her, sagte Pierre Poujade, einer der Großväter des Populismus, der „die von hier“ gegen „die von anderswo“ und gleichzeitig die Kleinen gegen die Großen verteidigte. Diese Sichtweise und dieser Sprachgebrauch haben noch ihre Anhänger. Aber die Gegenwart unterscheidet sich von den Fünfzigerjahren des vorigen Jahrhunderts durch den „Durchbruch des Kulturpopulismus“, um eine sehr erhellende Formulierung von dem französischen Politikwissenschaftler Dominique Reynié aufzugreifen. Alain Finkielkraut gilt als einer der einflussreichsten französischen Intellektuellen.

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