Gerald Hüther weiß: „Wir Menschen verfügen über drei Vertrauensressourcen, die uns in schwierigen Situationen helfen, wieder einen kühlen Kopf zu bekommen, also den mit einer um sich greifenden Inkohärenz verbundenen enormen Energieverrauch im Gehirn wieder zu verringern.“ Bildlich vorstellen kann man sie sich als eine dreibeinigen Hocker. Wenn da ein Bein fehlt, fällt er zusammen mit dem, der darauf sitzt, sehr leicht um. Das erste Bein ist das Vertrauen in die eigenen Kompetenzen. Wenn einem Menschen angesichts einer Bedrohung einfällt, dass er ja schon ähnliche Situationen ganz gut meistern konnte, dann macht er das, was ihm auch damals schon geholfen hatte. Und wenn es so funktioniert, verschwindet die Angst. Gerald Hüther ist Neurobiologe und Verfasser zahlreicher Sachbücher und Fachpublikationen.
Freiheit ist ein Hochwert der europäischen Kultur
Neben Demokratie ist sicher Freiheit ein Hochwert der europäischen Kultur und wurde auch erfunden im Kontext mit jener. Denn Demokratie setzt ja Wahlfreiheit voraus. Diese wiederum die Möglichkeit zur freien Wahl. Mithin ist Freiheit die Bedingung der Möglichkeit von Demokratie und Demokratie deren Erfüllung. Silvio Vietta ergänzt: „Es versteht sich, dass damit auch die anderen bisher genannten Werte: Eigenständiges Denken, Wahrheitsliebe, Kritikfähigkeit mit ins Boot gehören.“ Freiheit steht also im Kontext anderer Werte, die sie flankieren, und wiederum ist es Freiheit, die jene Werte erst möglich macht. Denn Freiheit bedeutet ja immer auch eine Entscheidung zwischen guten oder schlechten Alternativen, zwischen Wahrheit und Unwahrheit, damit kritisches, nämlich unterscheidendes Denken. Prof. em. Dr. Silvio Vietta hat an der Universität Hildesheim deutsche und europäische Literatur- und Kulturgeschichte gelehrt.
Ständige Grübelei verursacht Stress
Judith Werner schreibt: „Denken kann wehtun. Vor allem, wenn man das Gefühl hat, in einer Schleife festzustecken und die gleichen Gedanken und Sorgen immer wieder hochkommen. „Rumination“ nennen das die Fachleute. Ein Begriff, der eigentlich aus der Zoologie stammt und den Vorgang des Wiederkäuens bei Kühen beschreibt.“ Wer konstant seinen Gedanken nachhängt – zumal, wenn es sich um Sorgen und Ängste handelt – verbraucht jede Menge Energie. Die fehlt dann an anderer Stelle, vor allem, wenn es darum geht, Entscheidungen zu treffen. „Overthinking“ macht mürbe und ist kein erstrebenswerter Zustand. Der Alltag ist von kleinen und großen Entscheidungen geprägt und wenn man dabei von der eigenen Grübelei ausgebremst wird, ist Stress vorprogrammiert. Kein Wunder also, dass Google beim Suchbegriff Overthinking jede Menge Tipps und Tricks ausspuckt, die Abhilfe schaffen sollen. Dr. Judith Werner ist Publizistin und Philosophin.
Vorurteile behindern die Wahrheitsfindung
Zeugnisungerechtigkeit ist notwendigerweise mit Vorurteilen verbunden. Hin und wieder ist Zeugnisungerechtigkeit jedoch ein ganz normaler Aspekt von Situationen, in denen etwas bezeugt wird. Miranda Fricker erklärt: „Manchmal hat diese Art von Ungerechtigkeit harmlose Auswirkungen und richtet kaum Schaden an, doch manchmal kann sie eine schwerwiegende Schädigung bewirken, vor allem wenn die Ungerechtigkeit anhaltend und systemisch ist.“ Vorurteile behindern die Wahrheitsfindung entweder direkt, indem der Hörer ihretwegen eine bestimmte Wahrheit nicht mitbekommt, oder indirekt, indem sie die Weitergabe von wichtigen Gedanken behindern. Die Tatsache, dass Vorurteile eine Sprecherin daran hindern können, ihr Wissen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, zeigt darüber hinaus, dass Zeugnisungerechtigkeit in einer kollektiven Sprechsituation eine schwerwiegende Form von Unfreiheit darstellt. Miranda Fricker ist Professorin für Philosophie an der New York University, Co-Direktorin des New York Institute für Philosophy und Honorarprofessorin an der University of Sheffield.
Die öffentliche Sicherheit ist für alle da
Menschen wollen einfach, dass die Straßen sicher sind und sie sich frei auf ihnen bewegen können. Ned O ´ Gorman erklärt: „Öffentliche Sicherheit ist ein gutes Beispiel für ein Gemeingut, weil sie durch Kooperation verwirklicht werden kann und für alle da ist.“ Natürlich basieren sie auf einer Infrastruktur anderer Gemeingüter: gute Gehwege, ausreichende Straßenbeleuchtung, Ampeln, saubere Luft, nicht zu viel Lärm, freundliche Menschen, angemessene, aber nicht übertriebene Polizeipräsenz und die Freiheit von Rassismus oder anderen Formen der Belästigung. In Städten mit diesen Eigenschaften kann Politik die Kunst sein, durch die Bündnisse zum Erreichen dieser Ziele geformt wurden. In Städten, die diese Eigenschaften nicht haben, ist Politik die Kunst, durch die sie erreicht werden könnten. Ned O ´ Gorman ist Professor für Kommunikationswissenschaften an der University of Illinois.
Das Nachdenken über die Zukunft steigert das Wohlbefinden
Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass die Zukunft keine ferne Zeit ist, sondern das, was die Menschen heute über sie denken, fühlen und tun. Florence Gaub ergänzt: „Studien belegen, wie viel der Mensch über die Zukunft nachdenkt – viel –, wie weit er in die Zukunft reist – nicht sehr weit – und dass dies sein Wohlbefinden steigert.“ Es gibt sogar Studien, die zeigen, dass eine Zukunft umso wahrscheinlicher wird, je mehr man sie sich vorstellt. Das ist nicht nur Pop-Psychologie: Sobald das Gehirn auf ein Ziel fixiert ist, filtert es alles andere auf dem Weg dorthin heraus. Aber am wichtigsten ist vielleicht, dass das Gehirn keinen Unterschied zwischen der täglichen Zukunft und der des Planeten macht. Dr. Florence Gaub ist Politikwissenschaftlerin, Militärstrategin und Zukunftsforscherin. Sie leitet als Direktorin den Forschungsbereich NATO Defense College in Rom.
Konrad Paul Liessmann entwickelt eine Philosophie der Krise
Konrad Paul Liessmann beschreibt in seinem neuen Buch „Was nun?“ die Omnipräsenz der Krise, die zu einem Merkmal unseres Lebens geworden ist, die uns jedoch vor ein großes Problem stellt: Die Krise ist die Unterbrechung des Alltags, nicht dessen Fortsetzung mit anderen Mitteln. Konrad Paul Liessmann stellt fest: „Eine Krise ist eine plötzlicher Veränderung, ein dramatischer Einschnitt, das Ende einer gewohnten Lebensform, ein Wendepunkt in einem Prozess, ohne dass klar würde, was nun kommen wird.“ Sie ist zudem eine Phase, in der sich die Dinge scheiden. Dass es in jeder Krise zentral um ein Urteil geht, ist bisher vielleicht unterschätzt worden. Damit ist die juristischen Sphäre des Krisenbegriffs berührt. In jeder Krise geht es auch um Recht und Unrecht, Schuld und Unschuld. Konrad Paul Liessmann ist Professor emeritus für Philosophie an der Universität Wien, Essayist, Literaturkritiker und Kulturpublizist.
Eigeninteresse ist für alle die wichtigste Motivation
Ray Dalio schreibt: „Eigeninteresse ist zwar für die meisten Menschen, Organisationen und Regierungen die wichtigste Motivation, doch dabei kommt es in erster Linie darauf an, welches Eigeninteresse hier die größte Rolle spielt – das des Einzelnen, der Familie, des Stammes – also der Gruppe –, der Regionen, des Landes, des Imperiums, der Menschen, aller Lebewesen oder des Universums?“ Das wichtigste Eigeninteresse eines Menschen ist dasjenige, welches er nach Kräften schützt und woran er sein Verhalten ausrichtet. Sind beispielsweise Menschen bereit, für ihr Land zu sterben, so dürfte dieses Land vermutlich besser geschützt sein, als wenn das Eigeninteresse des Einzelnen wichtiger genommen wird, denn dann würden diese Einzelnen für ihr Land kaum ihr Lebens aufs Spiel setzen. Ray Dalio ist Gründer von Bridgewater Associates, dem weltgrößten Hedgefonds. Er gehört mit zu den einflussreichsten Menschen der Welt.
Hannah Arendt ist die politische Instanz der Gegenwart
Das Titelthema des neuen Philosophie Magazin 01/2026 ist der Philosophin Hannah Arendt gewidmet, deren Todestag sich am 4. Dezember zum 50. Mal jährt. Svenja Flaßpöhler schreibt im Editorial: „Arendt Denken war immer riskant, und zwar gerade weil sie konsequent eigener Handlungsmacht festhielt.“ Dabei verlor sie nie die Zuversicht. Stattdessen schuf sie eine Philosophie des Handelns und forderte von Bürgern Mut, geistige Autonomie und die Fähigkeit politischer Urteilskraft. Dadurch ist Hannah Arendt die politische Instanz unserer Gegenwart. Das liegt sicher daran, das sie Themen behandelt, die liberale Gesellschaften umtreiben: Frei sein, Rechte haben, handeln können, der Diktatur widerstehen. Hannah Arendts Ideal des politisch engagierten Lebens liest sich wie ein Vorschlag zur Belebung kriselnder Institutionen von Parteien, Staat und Öffentlichkeit. Ihr Bruch im dem Monotheismus der Wahrheit macht ernst mit dem pluralistischen Anspruch von Demokratien.
Johann Wolfgang von Goethe lädt Friedrich Schiller nach Weimar ein
Wenige Wochen nach einem Treffen lud Johann Wolfgang von Goethe Friedrich Schiller für vierzehn Tage nach Weimar ein. „Kommen Sie mich besuchen“, schrieb Goethe Anfang September, Hof war auf einem anderen Schloss und niemand würde sie stören. Andrea Wulf ergänzt: „Sie könnten sich unterhalten und ihre Diskussion fortsetzen, und Goethe wollte Schiller seine Sammlungen von Büchern, Kunst und naturkundlichen Gegenständen zeigen.“ Friedrich Schiller freute sich, warnte den älteren Dichter jedoch, dass er ein schwieriger Gast sei – fast schon ein Invalide, der an chronischen Brustschmerzen und Magenkrämpfen sowie Schlaflosigkeit leide. Als Autorin wurde Andrea Wulf mit einer Vielzahl von Preisen ausgezeichnet, vor allem für ihren Weltbestseller „Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur“ 2016, der in 27 Sprachen übersetzt wurde.
Fossile Energien sorgen für hohe Ernteerträge
Die vorindustrielle Landwirtschaft, die mit menschlicher und tierischer Arbeit und mit einfachen Werkzeugen aus Holz und Eisen auskam, hatte die Sonne als ihre einzige Energiequelle. Vaclav Smil weiß: „Auch heute, wie zu allen Zeiten, wäre ohne die von der Sonne gespeiste Photosynthese keine Getreideernte möglich, aber die hohen Erträge, die heute unter minimalem Arbeitseinsatz und daher zu beispiellos niedrigen Kosten erzeugen werden, wären ohne direkte und indirekte Injizierung fossiler Energien schlicht nicht denkbar.“ Manche dieser anthropogenen Energiezufuhren sind elektrischer Natur, wobei der Strom durch Verbrennung von Kohle oder Erdgas erzeugt wird oder aus erneuerbaren Energien stammen kann. Der Löwenanteil entfällt jedoch auf flüssige und gasförmige Kohlenwasserstoffe, die in Form von Treibstoffen und Rohstoffen einfließen. Vaclav Smil ist Professor Emeritus für Umweltwissenschaften an der University of Manitoba. Er hat unter anderem das Grundlagenwerk „Energy and Civilization“ geschrieben.
Das Bewusstsein ist nach wie vor ein Rätsel
Zunächst einmal erscheint es offensichtlich, dass Innen- und Außensicht nicht unabhängig voneinander existieren. Fabian Scheidler weiß zum Beispiel, dass bestimmte Empfindungs-, Wahrnehmungs- und Denkvermögen verschwinden oder erheblich beeinträchtigt sind, wenn man entsprechende Teile des Nervensystems beschädigt oder zerstört. Wenn bei einem Menschen die Nerven der Hand durchtrennt sind, kann er zwar noch Phantomschmerz empfinden, aber nicht mehr die Wärme und das Gewicht einer anderen Hand auf der seinen spüren. Verletzungen bestimmter Hirnregionen wirken sich auf die Wahrnehmungs-, Sprach- und Bewegungsfähigkeiten der Betroffenen aus. Bildgebende Verfahren haben diese Erkenntnisse in den vergangenen Jahrzehnten erheblich präzisiert. Sie haben gezeigt, dass bestimmte lokalisierbare Hirnregionen für spezialisierte Funktionen unverzichtbar sind. Angeregt von diesen Untersuchungen haben viele Biologen geglaubt, es ließe sich ein anatomisch umgrenztes Substrat des Bewusstseins finden. Der Publizist Fabian Scheidler schreibt seit vielen Jahren über globale Gerechtigkeit.
Die Anhebung des Renteneintrittsalters ist brandgefährlich
Das Dilemma der alternden Gesellschaft stellt die Politik vor große Probleme. Nouriel Roubini erklärt: „Keine Lösung trifft auf allgemeine Zustimmung, und niemand kann garantieren, dass selbst drakonische Maßnahmen die Balance wieder ausgleichen. Die Interessen prallen unweigerlich aufeinander.“ Jeder Plan zur Senkung der impliziten Kosten stößt irgendeine einflussreiche Interessengruppe vor den Kopf. Es liegt auf der Hand, dass man den Rentnern nicht einfach das Altersruhegeld nehmen kann, das man ihnen zugesagt hat. Mit dem Widerstand der Rentnerverbände kann man rechnen. Auch die Anhebung des Renteneintrittsalters ist brandgefährlich. Letzteres wäre gleich in mehrfacher Hinsicht unfair. Daten zeigen, dass Angestellte eine höhere Lebenserwartung haben als Arbeiter, die im Durchschnitt vor dem zwanzigsten Lebensjahr ihr Berufsleben aufnehmen und eine Lebenserwartung von knapp über 70 Jahren haben. Nouriel Roubini ist einer der gefragtesten Wirtschaftsexperten der Gegenwart. Er leitet Roubini Global Economics, ein Unternehmen für Kapitalmarkt- und Wirtschaftsanalysen.
Der Astronomie gelang eines der ersten Big Data-Projekte
Astronomie ist die Wissenschaft, die ihre Forscher jahrhundertelang zur Nachtarbeit zwang. Gerd Gigerenzer fügt hinzu: „Und sie ist die erste Wissenschaft, die eines der ersten Big Data-Projekte durchführte. „Carte du Ciel“ – Himmelskarte –, ein 1887 in Paris begonnenes Projekt, bildete zwei Millionen Sterne mithilfe von 20.000 Fotoplatten des Nachhimmels ab, dokumentiert in Hunderten von Bänden veröffentlichter Daten.“ Dieses Unterfangen verdiente wahrhaftig den modernen Begriff „Big Science“, hat es doch die begrenzten materiellen und zeitlichen Ressourcen, die den Observatoren sowie Generationen von Forschern zur Verfügung standen, fast restlos verschlungen. Diese enorme Anstrengung war nur durch internationale Zusammenarbeit und der Nutzung der Sternwarten von Helsinki über das Kap der guten Hoffnung bis Sydney möglich. Gerd Gigerenzer ist ein weltweit renommierter Psychologe. Das Gottlieb Duttweiler Institut hat Gigerenzer als einen der hundert einflussreichsten Denker der Welt bezeichnet.
In Europa sind zwanzig Prozent der Tierarten vom Aussterben bedroht
Wir Menschen greifen nicht nur in die Geosphäre ein, indem wir einen signifikanten Anstieg der Temperatur der Atmosphäre und der Oberfläche des Meeres herbeiführen. Matthias Glaubrecht fügt hinzu: „Vielmehr beeinflussen wir längst auch in vielfältiger Weise die Biosphäre und sind selbst zu einem Evolutionsfaktor des Lebens auf unserem Planten geworden. Bedingt dadurch nehmen die Vielfalt und Vielzahl der Lebewesen auf der Erde in dramatischer Weise ab, und zwar stärker noch, als bisher ohnehin schon vermutet wurde.“ Demnach sind im Durchschnitt mehr als zwei Drittel aller untersuchten Tierbestände in den vergangenen Jahrzehnten verloren gegangen. Der Weltbiodiversitätsrat (IPBES) warnt davor, dass in wenigen Jahrzehnten eine Million von schätzungsweise acht oder neun Millionen auf der Erde existierenden Tier- und Pflanzenarten ausstirbt. Der Evolutionsbiologe und Biosystematiker Matthias Glaubrecht ist Professor für Biodiversität der Tiere an der Universität Hamburg.
Das sinnlose Sterben ist heutzutage weit verbreitet
Wir leben in einer Zeit zahlloser Gräueltaten und sinnlosen Sterbens, weshalb eine der großen ethischen und politischen Fragen heute lautet: Mit welchen Repräsentationsformen lässt sich diese Gewalt fassen? Judith Butler erklärt: „Für manche sind globale und regionale Behörden gehalten, verletzliche Gruppen zu identifizieren und zu schützen. Ich bin nicht gegen die zunehmende Feststellung von Gefährdungslagen in sogenannten Vulnerability Papers, die einer großen Zahl von Migranten Grenzübertritte ermöglichen, aber ich frage mich, ob man mit diesem Diskurs- und Machtinstrument wirklich zum Kern des Problems vorstößt.“ Die Kritik, nach der die Diskussion über „gefährdete Gruppen“ paternalistische Macht nur reproduziert und Behörden mit ihren eigenen Interessen und Einschränkungen Entscheidungsbefugnisse überträgt, ist inzwischen weithin bekannt. Judith Butler ist Maxine Elliot Professor für Komparatistik und kritische Theorie an der University of California, Berkeley.
Soziale Klassenunterschiede formen unser ganzes Leben
Hallo Sauer zeigt in seinem neuen Buch „Klasse“, was Klassenunterschiede sind, wie sie funktionieren und warum sie so schwer loszuwerden sind. Daneben erklärt er, wie man die „Logik sozialer Signale“ entschlüsseln kann, von denen jeder Mensch umgeben ist. Dabei wird klar: Soziale Klassenunterschiede und Statushierarchien haben einen viel fundamentaleren Einfluss auf unser Denken, unser Handeln und unsere gesamte Gesellschaft, als wir glauben. Hanno Sauer betont: „Sie durchdringen unsere Kultur und unsere Werte und formen unser ganzes Leben. Wenn wir unsere Gesellschaft verbessern wollen, müssen wir verstehen, wie sie funktioniert.“ Klasse ist eine sozial konstruierte Knappheit. Durch diese Knappheit entsteht eine Rangfolge – ein Oben und Unten. Die Position einer Person auf dieser Rangfolge entscheidet darüber, wie viel Prestige, Macht und Ressourcen sie erhält. Hanno Sauer ist Professor für Philosophie an der Universität Utrecht.
Der Begriff Generation Z beschreibt für 90 % der Deutschen etwas Negatives
Rüdiger Maas schreibt: „In den Talkshows und Leitmedien kann das Narrativ über die verlorene Jugend so gut bedient werden, weil wir einen Begriff für sie gefunden haben: „Gen Z“. Der Begriff beschreibt für 90 Prozent der Deutschen etwas Negatives.“ Man muss also gar nicht „schlechte Gen Z“ sagen, da schlecht bereits in der Bezeichnung Gen Z angelegt ist. Hat man einen negativen Begriff, mit alle etwas Negatives verbinden, wird es leichter mit negativen Zuschreibungen, und sie werden weniger hinterfragt. Denn Menschen verhalten sich entsprechend den Bedeutungen, die sie für sie haben: Ein Kind, das von einer kratzbürstigen Katze eine mitbekommen hat, verbindet mit der Katze „Gefahr“, während ein anderes Kind, das Katzen gerne streichelt, die Katze als ungefährlich einstuft. Rüdiger Maas studierte in Deutschland und Japan Psychologie. Er ist Gründer eines Instituts für Generationenforschung. Zuletzt erschien sein Bestseller „Generation lebensunfähig“.
Das Rauschen des Informationsflusses wird immer lauter
Rebekka Reinhard schreibt: „Wir leben im Informationszeitalter, mitten im reißenden Fluss der Aktualitäten, die alle Aufmerksamkeit für sich beanspruchen: das Rauschen der Nachrichten, das Rauschen der Bilder, das Rauschen der Meinungen, das Rauschen der Widersprüche.“ Seit der Griff zum Handy, E-Mails, soziale Medien, WhatsApp und Podcasts so alltäglich wurden, seit sich öffentlich und privat, subjektiv und objektiv nicht mehr so leicht trennen lassen, wird das Rauschen des Informationsflusses immer noch lauter und schneller. Das große Rauschen ist der wichtigste Verbündet des Dauerdenkens. Es schiebt sich wie eine Barriere vor das wirkliche Leben und kann einen Menschen derart in den Bann schlagen, dass ihm die Haltung wegdriftet. Rebekka Reinhard ist Chefredakteurin des Magazins „human“ über Mensch und KI. Unter anderem ist sie bekannt durch den Podcast „Was sagen Sie dazu?“ der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft wbg.
Die Erderwärmung lässt sich nicht an nationalen Grenzen aufhalten
Der russische Angriff auf die Ukraine hat dazu geführt, dass endlich über eine gemeinsame europäische Sicherheitsarchitektur diskutiert wird. Immerhin diskutiert. Die Idee, Robert Menasse möchte sagen: die Einsicht in die Notwendigkeit, gibt es seit den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, al der französiche Ministerpräsident René Pleven vorschlug, eine europäische Armee und ein europäisches Verteidigungsministerium zu schaffen. Robert Menasse ergänzt: „Seither gab es für diesen Plan regelmäßig Umbenennungen, aber keinen signifikanten Fortschritt in der Umsetzung, der Plan wurde höchsten von einem Regal in der Abstellkammer in ein anderes Regal gelegt.“ Und die Nato-Beitritte von EU-Mitgliedsstaaten schienen auch jede weitere Diskussion obsolet zu machen. Es ist nüchtern betrachtet, schwer zu verstehen, dass sich europäische Staaten lieber unter US-Oberbefehl begeben, als ein souveränes europäisches Sicherheits- und Verteidigungssystem aufzubauen. Seit 1988 lebt der Romancier und kulturkritische Essayist Robert Menasse hauptsächlich in Wien.
Opfermerkmale machen eine Person zur Zielscheibe von Diskriminierung
Zum Opfer wird man kraft eines Merkmals, das zu tragen man nicht vermeiden kann und das eine Person zur Zielscheibe von Benachteiligung macht oder dazu führt, in den Sog systemisch-diskriminierender Prozesse hineingezogen zu werden. Alexander Somek erklärt: „Zu dem, was mit diesen Merkmalen bezeichnet wird, gehören unter anderem das Geschlecht, die Rasse, die sexuelle Orientierung oder auch das religiösen Bekenntnis.“ Merkmale dieser Art machen eine Person passiv diskriminierungsfähig. Vermöge der Intersektionalität erhöht sich diese Fähigkeit. Wer mehrere Merkmale in sich vereint, trägt ein höheres Diskriminierungsrisiko als andere. Wenn eine Frau nicht aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert wird, weil der soziale Kontext, in dem sie sich bewegt, zufällig nicht sexistisch ist, dann lässt sie sich noch immer aufgrund ihrer Rasse oder ihres sexuellen Orientierung diskriminieren. Alexander Somek ist seit 2015 Professor für Rechtsphilosophie und juristische Methodenlehre an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien.
Der Krieg ist unvorhergesehen nach Europa zurückgekehrt
Herfried Münkler schreibt: „Nur an die unvorhergesehene Rückkehr des Krieges nach Europa, und zwar des großen Krieges zwischen Staaten, können und wollen sich die meisten Deutschen nicht gewöhnen: die einen, weil sie nicht wollen, dass ein das Völkerrecht missachtender Krieg erfolgreich ist; die anderen, weil der zwischenstaatliche Krieg die Gefahr einer weiteren, womöglich nuklearen Eskalation in sich trägt und bei seiner Fortdauer eine räumliche Ausweitung zu befürchten ist.“ Einige von ihnen fordern, den Krieg möglichst umgehend durch Verhandlungen zu beenden, andere wollen dies sogar durch die Einstellung der deutschen Waffen- und Munitionslieferungen an die Ukraine erzwingen, wobei sie darauf setzen, dass die Ukraine innerhalb kürzester Zeit kapitulieren müsse. Herfried Münkler ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität. Viele seiner Bücher gelten als Standardwerke, etwa „Imperien“ oder „Die Deutschen und ihre Mythen“.
Niemand darf Furcht vor dem Leben haben
William James schreibt: „Haben sie keine Furcht vor dem Leben. Glauben Sie daran, dass das Leben wert ist, gelebt zu werden. Und Ihr Glaube wird dazu beitragen, die Tatsache herbeizuführen.“ Der amerikanische Schriftsteller John Steinbeck macht darauf aufmerksam, dass Gesundheit nicht nur intrinsisch, also in sich selbst, gut ist. Barbara Schmitz ergänzt: „Sie gilt vielmehr als „Ermöglichungsgut“. Also als ein Gut, das einen instrumentellen Wert hat, um andere Ziele zu erreichen.“ Ist Gesundheit daher, wie es ein gängiges Sprichwort fasst, zwar „nicht alles, aber ohne sie ist doch alles nichts“? Der besondere Wert von Gesundheit wird einem Menschen erst dann schmerzlich bewusst, wenn sie fehlt. Barbara Schmitz ist habilitierte Philosophin. Sie lehrte und forschte an den Universitäten in Basel, Oxford, Freiburg i. Br., Tromsø und Princeton. Sie lebt als Privatdozentin, Lehrbeauftragte und Gymnasiallehrerin in Basel.
Ernährungsvorschriften werden selbst zu Religionen
Anfang des Jahres 2020 bestätigte ein britisches Gericht, dass der Veganismus ein religiöser oder philosophischer Glaube sei. Konrad Paul Liessmann stellt fest: „Einmal davon abgesehen, dass sich die meisten philosophischen Denkrichtungen dagegen verwehren würden, einer religiösen Haltung gleichgesetzt zu werden, kann man diese Entscheidung als Erhärtung eines lange gehegten Verdachts auffassen.“ Während klassische Religionen auch Ernährungsvorschriften kennen, werden heute Ernährungsvorschriften selbst zu Religionen. Was aber ist damit gewonnen? Was will man erreichen, wenn man Verrichtungen des alltäglichen Lebens mit einer Aura des Heiligen umgibt? Die Antwort scheint klar: Es geht darum, den Sonderstatus, den religiösen Gefühle und Einstellungen gerade in säkularen Gesellschaften genießen, für seine eigenen Ansichten und Vorlieben zu erlangen. Konrad Paul Liessmann ist Professor emeritus für Philosophie an der Universität Wien, Essayist, Literaturkritiker und Kulturpublizist.
Die soziale Fähigkeiten gehören zu den wichtigsten eines Menschen
Ein offenes Herz ist die Voraussetzung dafür, dass man ein erfüllter, freundlicher und weiser Mensch ist, aber es reicht nicht aus. Wir brauchen soziale Fähigkeiten. Oft genug wird die Bedeutung von „Beziehungen“, „Freundschaft“ oder „Verbundenheit“ betont, doch diese Begriffe sind zu abstrakt. David Brooks weiß: „Um beispielsweise eine Freundschaft oder eine Gemeinschaft aufzubauen, muss man eine ganze Reihe kleiner, konkreter sozialer Handlungen beherrschen: Meinungsverschiedenheiten austragen, ohne eine Beziehung zu vergiften, in angemessenem Rahmen Verletzlichkeit zeigen, gut zuhören, ein Gespräch taktvoll beenden, Verzeihung erbitten und anbieten, andere enttäuschen, ohne sie dabei zu verletzen, anderen in ihrem Leid bestehen, Treffen veranstalten, bei denen sich alle angenommen fühlen, und Dinge aus der Sicht anderer Menschen betrachten können.“ Der US-amerikanische Erfolgsautor David Brooks ist Kolumnist bei der „New York Times“ sowie Kommentator bei „PBS Newshour“.