Zweimal hat Richard Sennett versucht, die Beziehung zwischen Kunst und Gesellschaft auf soziologischer Ebene zu untersuchen – zunächst 1977 in „Verfall und Ende des öffentlichen Lebens“ und dann, vierzehn Jahre später, in „Civitas. Die Großstadt und die Kultur des Unterschied“. Darstellung und Aufführung decken ein breites Spektrum an Darbietungen ab. Gewöhnlich rät man jungen Autoren, über Dinge zu schreiben, die sie kennen. Das ist ein schlechter Rat. Wer jung ist, sollte seiner Fantasie freien Lauf lassen. Für ältere Autoren ist der Rat dagegen gut. Für sie ist es höchste Zeit, vor sich selbst Rechenschaft über ihr Leben abzulegen. Erinnern kann indessen auch gefährlich sein. Richard Sennett lehrt Soziologie und Geschichte an der London School of Economic und an der New York University.
Gesellschaft
Durch die Linse der Wahrheit blickt die Gesellschaft auf die Wirklichkeit
In seinem Buch „Ruinen der Wahrheit“ erzählt der niederländische Philosoph Rob Wijnberg die Geschichte, die zur gegenwärtigen Krise der Wahrheit geführt hat. Für den Autor geht es bei der Wahrheit nicht nur um den Unterschied zwischen Tatsache und Fiktion, ums Besserwissen und Danebenliegen. Rob Wijnberg betont: „Wahrheit ist viel mehr, nämlich die Linse, durch die eine ganze Gesellschaft auf die Wirklichkeit blickt.“ Wahrheit ist für Kollektive eine Kraft, die eine Welt eröffnet, Differenzen überbrückt oder vertieft und Menschen verbindet oder spaltet. Was die Liebe für den Menschen ist, ist die Wahrheit für die Menschheit. Wie die Liebe beschreibt die Wahrheit eine magnetische Kraft – eine Kraft, die uns anzieht und uns zusammenbringen kann; die Unterschiede überbrücken, Meinungen ändern und für ein tief empfundenes Verbundenheits- und Gemeinschaftsgefühl sorgen kann. Rob Wijnberg ist ein niederländischer Journalist sowie Autor philosophischer und medienkritischer Bücher.
Die Digitalisierung betrifft uns alle
Christian Uhle betont: „Längst wird deutlich: Digitalisierung ist kein Thema allein für Computerfreaks, sondern betrifft uns alle – ob wir wollen oder nicht. Es ist eine Entwicklung, die unser aller Zukunft prägen wird Ein so weitreichender Prozess sollte wohlüberlegt, gemeinsam und demokratisch gestaltet werden.“ Das Buch „Künstliche Intelligenz“ von Christian Uhle möchte Anregungen geben, wie über Digitalisierung und Künstliche Intelligenz nachgedacht werden kann. Darauf folgt aber nicht unmittelbar, was genau zu tun ist – das muss jeder Mensch selbst entscheiden. Aber wenn man das eigene Leben in der Welt, seine Rolle darin und die Entwicklungen in der Gesellschaft besser versteht, kann dies auch bei der Orientierung im Alltag helfen. Der Philosoph Christian Uhle hat als Wissenschaftler zu gesellschaftlichen und technologischen Transformationen geforscht.
Der innere Zusammenhalt stärkt eine Gesellschaft
Empathie für die Natur der Erde kann sich nur in solchen Gesellschaften entwickeln, die in ihrem Inneren einen ausreichenden Zusammenhalt aufweise. Zudem müssen sie etwas besitzen, was Joachim Bauer gesellschaftliche Empathie nennen möchte. Der Stress, dem die Gesellschaften dieser Erde durch die Corona-Pandemie des Jahres 2020 ausgesetzt waren, war eine traumatische Erfahrung. Joachim Bauer betont: „Die Erkenntnis, dass wir verletzliche Wesen sind, sollte uns Demut lehren und könnte uns von so manchem Größenwahn heilen.“ Würde man die Pandemie als eine Art Stress-Test betrachten, dann wurde dieser Test von den betroffenen Ländern sehr unterschiedliche bestanden. Dass sich die armen Länder dieser Erde der Pandemie besonders schutzlos ausgesetzt sahen, ist schlimm, aber nicht überraschend. Prof. Dr. Med. Joachim Bauer ist Neurowissenschaftler, Psychotherapeut und Arzt.
Christian Uhle denkt über Künstliche Intelligenz und Digitalisierung nach
Christian Uhle nimmt in seinem neuen Buch „Künstliche Intelligenz und wahres Leben“ fünf Versprechen unter die Lupe, die häufig mit Technologien der Künstlichen Intelligenz (KI) verknüpft werden. Erstens: Endlich mehr Zeit für dich. Zweitens: Du bist nicht allein. Drittens: Dein neuer Freund und Helfer. Viertens: Die Welt ist dir zu Diensten. Fünftens: Sinn statt Hamsterrad. Längst wird deutlich: Digitalisierung ist kein Thema allein für Computerfreaks, sondern betrifft uns alle – ob wir wollen oder nicht. So ein weitreichender Prozess sollte wohlüberlegt, gemeinsam und demokratisch gestaltet werden. In seinem Buch „Künstliche Intelligenz und wahres Leben möchte Christian Uhle Anregungen geben, wie über Digitalisierung und Künstliche Intelligenz nachgedacht werden kann. Der Philosoph Christian Uhle hat als Wissenschaftler zu gesellschaftlichen und technologischen Transformationen geforscht.
Adam Smith propagiert die unsichtbare Hand des Marktes
Adam Smith propagierte in seiner „Theorie der ethischen Gefühle“, dass die Geschicke der Gesellschaft in der unsichtbaren Hand des Marktes liegen sollten statt in der Pranke eines Alleinherrschers. Der Moralphilosoph und Ökonom sah in einem empathischen und demzufolge moralischen Verhalten der Menschen die Grundlage vernünftigen Wirtschaftens und Zusammenlebens. Die Gerechtigkeit sei „der Hauptpfeiler, der das ganze Gebäude stützt. Wird dieser Pfeiler entfernt, muss der gewaltige, der ungeheure Bau der menschlichen Gesellschaft […] in einem Augenblick zusammenstürzen“. Roger de Weck weiß: „Doch viele Liberale des 21. Jahrhunderts ärgern sich mehr über die angebliche Hypermoral als über die tatsächliche „Hypomoral“: die unterentwickelte Moral, die den esprit général der liberalen Demokratie verdirbt. Sie verkennen, dass neurechtes Moral-Bashing nichts anderes ist als ein Generalangriff auf den Liberalismus. Roger de Weck ist ein Schweizer Publizist und Ökonom.
Jeder möchte eine angenehme Wahrheit erzeugen
Die Differenz zwischen innerer und äußerer Rechtmäßigkeit ist ein typisch menschlicher Spannungszustand, der alle Bereiche des Alltags bestimmt. Ille C. Gebeshuber ergänzt: „Wir wollen gut sein und in diesem Zusammenhang für uns und die Mitmenschen eine Wahrheit erzeugen, die für alle angenehm und akzeptabel ist.“ Inwieweit sich Menschen dadurch von der Wirklichkeit entfernen, ist ihnen oft nicht bewusst. Die Psychoanalyse hat in diesem Bereich viele für den Homo sapiens unangenehme Entdeckungen gemacht. Aber das wird oft verdrängt, denn wer lässt sich schon gerne einen Spiegel vorhalten? Auf jeden Fall gilt: Eine Halbwahrheit, die einem das Gefühl gibt, im Recht zu sein, ist viel angenehmer als eine unangenehme Wahrheit, die eigentlich zutrifft. Aber recht zu behalten und das Richtige zu tun, ist nicht immer das Gleiche. Ille C. Gebeshuber ist Professorin für Physik an der Technischen Universität Wien.
Reiche Gesellschaften konnten sich spezialisierte Denker leisten
Von Anbeginn der Gesellschaft gab es eine Welt und viele Menschen. Eine Welt, in der die Menschen einer Vielzahl von Ereignissen ausgesetzt waren. Von diesen waren viele unerklärlich, manche gar Wunder. Ille C. Gebeshuber ergänzt: „Die Menschen suchten die rätselhaften Ereignisse und Abläufe zu erklären und stellten eine höhere Macht in den Mittelpunkt – Gott. Seine Taten und Absichten spiegelten sich vermeintlich in den Mysterien des Lebens wider.“ Doch mit der Zeit nahm der Reichtum der Menschheit zu. Daher konnte sie sich spezialisierte Denker, die Wissen ansammelten, leisten. Ausgehend von diesem Wissen erkannte man, dass die Natur sehr präzisen Gesetzen gehorchte. Das Unlogische, das Wundersame war mit einem Mal logisch. Man wusste von der Natur und stellte von nun an diese in den Mittelpunk. Ille C. Gebeshuber ist Professorin für Physik an der Technischen Universität Wien.
Eine vulnerable Gesellschaft ruft nach einem schützenden Staat
Annahmen von Vulnerabilität wirken sich daraus aus, wie von gesellschaftlicher Seite mit Risiken umgegangen wird. Von zentraler Bedeutung für eine vulnerable Gesellschaft ist daher auch die Wahrnehmung von Risiken und die Frage, wie diese verarbeitet werden. Dabei möchte Frauke Rostalski dafür argumentieren, dass wachsende Zuschreibungen von Verletzlichkeit dazu führen, dass die eigenverantwortliche Risikobewältigung mehr und mehr in den Hintergrund rückt. Begreifen sich Menschen zunehmend als vulnerabel, liegt es nahe, dass sie im Umgang mit Risiken nach externer, vor allem staatlicher Unterstützung verlangen. In den Worten der Philosophin Svenja Flaßpöhler: „Je empfindsamer der Mensch für Gewalt, Leid, Tod wird, desto größer das Begehren, diese Gefahren verlässlich zu bannen. Je sensibler eine Gesellschaft, desto lauter der Ruf nach einem schützenden Staat.“ Frauke Rostalski ist Professorin für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsphilosophie, Wirtschaftsrecht, Medizinstrafrecht und Rechtsvergleichung an der Universität zu Köln.
Reaktionäre stemmen sich gegen das Mehrdeutige
„Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich“: Reaktionäre haben klare Kategorien. Ihre zweigeteilte Welt ist konfliktuell – Elite versus Volk, Nation versus Fremde, wir versus die anderen. Roger de Weck weiß: „Sie stemmen sich gegen das Mehrdeutige, das eine lebendige Gesellschaft prägt.“ In der Transformation von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik stimmen viele einst eindeutige Kategorien nicht mehr. Ihre alte Klarheit ist nicht auf der Höhe der neuen Unübersichtlichkeit. Beispielsweise gerät die Arbeitsgesellschaft in immer größere Verlegenheit, den Begriff der Arbeit überhaupt zu erfassen. Der bewegliche Laptop hat die Einteilung in Büroarbeit und Heimarbeit gesprengt. Im Netz verwischt die Zweiteilung in Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Und die unbezahlte Arbeit, zum Beispiel die Care-Arbeit, die in der Volkswirtschaftslehre nicht als Arbeit vorgesehen war, wurde endlich als maßgebend entdeckt. Roger de Weck ist ein Schweizer Publizist und Ökonom.
Die Eliten wollen die ihnen zugestandenen Privilegien erhalten
Wer sich genauer mit dem Phänomen der körperlichen und geistigen Identität, also der Gleichheit der Menschen beschäftigt, bemerkt hier eine der Hauptprobleme unserer Gesellschaft. Ille C. Gebeshuber erklärt: „Die etablierte Elite ist stets bestrebt, die ihr zugestandenen Privilegien für sich und ihre direkten Nachkommen zu erhalten. Dazu ist es notwendig, den freien Wettbewerb in der Gesellschaft massiv einzuschränken.“ Die Mitglieder der Elite werden gesellschaftliche und kulturelle Unterschiede schaffen, die sich mit der Zeit zu Zugangskriterien entwickeln. Diese Unterschiede sind in unserer modernen Gesellschaft zwar immer noch extrem stark ausgeprägt, aber sie sind weniger sichtbar als anno dazumal, weil Objektivierung und Leistung eine hohen Stellenwert genießen. In der digitalen Zukunft werden diese Unterschiede für Außenstehende noch weniger sichtbar sein. Ille C. Gebeshuber ist Professorin für Physik an der Technischen Universität Wien.
Konflikte sind nicht problematisch
Jan-Werner Müller weiß: „Gleichheit, ob nun im sozialen Sinne oder im Sinne gleicher politischer Grundrechte, bedeutet nicht Unterschiedslosigkeit oder Homogenität.“ Das Gegenteil von Gleichheit ist nicht Vielfalt – die mit politischer Gleichheit vollkommen verträglich sein kann –, sondern Ungleichheit. Zudem verlangen weder politische noch soziale Gleichheit, dass Menschen immer einer Meinung wären. Eines der am weitesten verbreiteten Missverständnisse bezüglich demokratischer Politik der Gegenwart besagt, Spaltung und Konflikt wären an sich problematisch oder sogar gefährlich. Denn die Bürger haben ganz unterschiedliche Vorstellungen über ein gutes Leben für sich selbst und auch über das Gemeinwohl. Diese Unterschiede lassen sich nicht allein auf Irrationalität, mangelnde Information oder ein Fehlen der rechten politischen Bildung zurückführen. Jan-Werner Müller ist Roger Williams Straus Professor für Sozialwissenschaften an der Princeton University.
Freiwillige Einsamkeit ist schwer zu finden
Der Rückzug in die Einsamkeit dient meistens nur einer vorübergehenden Entlastung von der Gesellschaft und ist im Übrigen seinerseits gesellschaftlich organisiert und moralisch aufgeladen. Markus Gabriel erläutert: „Man denke nur an all die komplexen Erwartungen an einen Urlaub, in den man sich zurückzieht, um die Seele frei von sozialen Belastungen baumeln zu lassen.“ Immer wird irgendjemand andere stören, indem er in der Sauna spricht, die Tür knallt oder Handtücher wegräumt. Das stört die Erwartung, dass ein Urlaub perfekt sein muss. Es hilft auch nichts, sich in ein buddhistisches Kloster zurückzuziehen, um dort zu schweigen. Denn dort ist das Schweigen wiederum ritualisiert und von sozialen Regeln bestimmt. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.
Der Konsument befindet sich in einem Zustand latenter Gereiztheit
Preise selbst zur Ware zu machen ist weit mehr als nur ein Anschlag auf die Leistungsgesellschaft. Es ist eine tägliche Prägung und evidente Lebenswirklichkeit, gegen die Moralphilosophen nur hilflos anschreiben können. Richard David Precht stellt fest: „Die Vorteilsgesellschaft statt der Leistungsgesellschaft verhöhnt zentrale Werte des Bürgertums, wie Treue, Fairness und Verlässlichkeit.“ Und da Menschen, wie die Wirtschaftspsychologie eindrucksvoll beweist, lieber die Bösen als die Dummen sind, spielen nahezu alle mit. Die Seelen der Menschen finden sich dabei zumeist in einem Zustand zumindest latenter Gereiztheit, übersättigt und angestachelt zugleich. Und genau das ist das Telos der Ökonomie. Nicht der zufriedene Konsument ist ihr Ziel, sondern der immer wieder neu unzufriedene. Der Philosoph, Publizist und Autor Richard David Precht einer der profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum.
Die Welt ist zu kompliziert geworden
Viele Menschen hoffen insgemein, der Weg in eine bessere Welt sei möglich. Doch selbst Übermorgen werden die Politiker der Welt auch keine Lösung für die Probleme der Welt finden. Ille C. Gebeshuber stellt fest: „Selbst der einfache Ansatz, dass der erste Schritt in eine bessere Welt darin besteht, dass alle die Regeln und Gesetze unserer Gesellschaft einhalten, erscheint undurchführbar.“ Die Bürger sehen, dass die Ankündigungen großer Schritte, die man nie ausführt, viel einfacher ist als das Gehen kleiner Schritte, die sofort Geld und Aufwand kosten. Zu kompliziert ist die Welt geworden und zu groß sind die Eigeninteressen einzelner. Aber man weiß einige Dinge. Zum einen weiß man, dass der Weg der globalen Gesellschaft nicht mehr lange so weitergehen kann. Ille C. Gebeshuber ist Professorin für Physik an der Technischen Universität Wien.
Im natürlichen Zustand gibt es nur Stärke und Schwäche
Im natürlichen Zustand gibt es weder Freiheit noch Unfreiheit, sondern nur Stärke und Schwäche. Und die Beherrschung der Schwachen durch die Starken. Christoph Menke erklärt: „Die Hervorbringung der Freiheit beginnt damit, dass dieser Zustand aufhört natürlich zu sein – oder natürlich zu scheinen – und die Abwesenheit der Freiheit als Unfreiheit erfahren wird.“ Nämlich als Negation der Freiheit, als Knechtschaft. Das macht diesen Zustand zu einem nichtnatürlichen; zu einem Zustand, in dem nicht frei zu sein heißt, der Freiheit beraubt zu sein. Mit dieser Erfahrung befinden sich die Menschen zum ersten Mal – in der Gesellschaft. Die erste wahrhafte Erfahrung eines nichtnatürlichen Verhältnisses, ist die Erfahrung der Unfreiheit. Christoph Menke ist Professor für Philosophie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main.
Die Kluft zwischen arm und reich steigt
Extreme Ungleichheit ist kein Naturgesetz. Sie ist die Folge einer Politik, die Profite vor Menschen stellt. Um Ungleichheit zu reduzieren, müssen Regierungen für eine faire Besteuerung sorgen. Zudem müssen sie in öffentliche soziale Dienste investieren und die Benachteiligung von Frauen beseitigen. Klaus Peter Hufer weiß: „Die Kluft zwischen Arm und Reich steigt nicht nur weltweit, sondern auch innerhalb der reichen Länder des Westens und des Nordens.“ Im Jahr 2018 verfügten 26 Personen über ebenso viel Vermögen wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. Das sind 3,8 Milliarden Menschen. Der britische Wirtschaftswissenschaftler Paul Collier stellt fest: „Der Kapitalismus löst sein wichtigstes Versprechen – einen ständig steigenden Lebensstandard für alle – immer weniger ein. Einige profitieren weiterhin, aber andere wurden abgehängt.“ Klaus-Peter Hufer promovierte 1984 in Politikwissenschaften, 2001 folgte die Habilitation in Erziehungswissenschaften. Danach lehrte er als außerplanmäßiger Professor an der Uni Duisburg-Essen.
Die absolute Wahrheit gibt es nicht
Absolute Wahrheit mag ein möglicher Gedanke sein, doch er erreicht und berührt die Menschen nicht. Eben weil er in ihrer immer endlichen Perspektive – in ihrem individuellen Leben – keine sie persönlich betreffende Rolle spielt und spielen kann. 1+1=2 lässt sie vollkommen kalt. Peter Trawny ergänzt: „Selbst, wenn ein Leben ohne Rechnen denkbar ist, habe ich keine persönliche Beziehung zu ihm.“ Sind die Menschenrechte eine solche absolute Wahrheit, da sie für jeden Menschen als solchen gelten, so ist doch bis heute offenbar, wie unbedeutend sie sind. Wenn es Menschenrechte gibt, dann müssen diese mit einer Welt zusammenhängen, in der die Menschen wirklich und wahrhaftig leben. Sie müssen also Mitglieder einer Gemeinschaft sein, die für diese Menschen einzutreten in der Lage ist. Peter Trawny gründete 2012 das Matin-Heidegger-Institut an der Bergischen Universität in Wuppertal, dessen Leitung er seitdem innehat.
Soziale Differenzen führen leicht zu Herrschaft
Eine grundlegende Äußerungsform der Vereinigungsfreiheit ist das Recht zu heiraten, wen man möchte. Danielle Allen erklärt: „Wenn in Zuneigung zueinander verbundene Menschen sich zu Ehepartnern zusammenfinden, bilden sie Bausteine zu kulturell homogenen Einheiten.“ Unabhängig davon, wie Heiratsmärkte genau beschaffen waren, haben sie normalerweise unterscheidbare ethnische Gemeinschaften hervorgebracht. Und es besteht aller Grund zu der Annahme, dass Vereinigungsfreiheit dieses Muster eher verstärkt als untergräbt. Denn einander ähnliche Menschen neigen dazu, sich zueinander zu gesellen. Diese Tatsache zählt zu den Grundbausteinen der menschlichen Sozialorganisation. Wo es soziale Differenzen gibt, kann es leicht auch zu Herrschaft kommen. Die Politikwissenschaftlerin und Altphilologin Danielle Allen lehrt als Professorin an der Harvard University. Zugleich ist sie Direktorin des Edmond J. Safra Center for Ethics in Harvard.
Die Welt leidet an sich selbst
Das Leiden an der Welt ist vor allem ein Leiden an sich selbst. Armin Nassehi sieht im Krisenerleben der Moderne vor allem eine Überforderung der Gesellschaft mit sich selbst. Es geht hier also nicht nur um die Überforderung von handelnden Personen, von Individuen, von Menschen in einer bestehenden Gesellschaft. Es geht auch und vor allem um eine Überforderung gesellschaftlicher Handlungs-, Reaktions- und Gestaltungsmöglichkeiten. Diese haben insbesondere etwas damit zu tun, dass die Strukturen und die Form der Gesellschaft sich selbst überfordern. Die Gesellschaft nutzt ihre Eigenkomplexität zur Lösung von Problemen. Und sie stößt gleichzeitig an die Grenzen ihrer eigenen Verarbeitungskapazität. Das meint Überforderung mit sich selbst. Armin Nassehi ist Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Soziologie und Gesellschaftstheorie an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Danielle Allen fordert eine vernetzte Gesellschaft
Laut Danielle Allen benötigt man politische Rahmenbedingungen, die dazu beitragen, dass man eine „vernetzte Gesellschaft“ erreicht. Nur so kann das Ideal „sozialer Verbundenheit“ entstehen. In diesem Rahmen gibt es kulturelle Gewohnheiten, die zum individuellen Wohlergehen beitragen. Zudem bringen sie die soziale Verbundenheit aktiv zur Geltung. Sozialkapital-Forscher unterscheiden drei Arten von sozialen Beziehungen: Bonding, Bridging und Linking. Danielle Allen erklärt: „Bindungen sind jene engen Beziehungen, die Verwandt, Freunde und sozial ähnliche Personen zusammenhalten.“ Brücken werden in jenen loseren Beziehungen gebaut, die Menschen über demografische Spaltungen hinweg miteinander verbinden. Und Verbindungen sind schließlich die vertikalen Beziehungen zwischen Menschen auf unterschiedlichen Stufen einer Statushierarchie. Danielle Allen ist James Bryant Conant University Professor an der Harvard University. Zudem ist sie Direktorin des Edmond J. Safra Center for Ethics in Harvard.
Die Kultur ist eine Form der Natur
Die Geschichte, die Gesellschaft und die Kultur des Menschen steuert wesentliche Einsichten in das bei, was man die Natur des Menschen nennt. Man braucht nur die Evolution des Menschen ins Auge zu fassen, um zu sehen, dass er selbst nur als integraler Teil der Natur zu verstehen ist. Volker Gerhard erläutert: „So setzt die Geschichte der Menschheit die Naturgeschichte des sich entfaltenden Lebens ein einer durchaus spezifischen Weise fort. Mit Blick auf die vergleichsweise rasche Entwicklung des homo faber und des homo sapiens kann man von einer bemerkenswerten Beschleunigung eines Evolutionsvorgangs sprechen.“ Selbst wenn er in biologischer Hinsicht mit Effekten der Verlangsamung verbunden ist. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.
Eine gerechte Gesellschaft sehnt sich nach Erlösung
Heinz Bude stellt fest: „Für die gerechte Gesellschaft gibt es kein Bild mehr, an dem man sich mit Aristoteles oder Thomas von Aquin orientieren könnte.“ Dabei handelt es sich um eine komplexe Gefügeordnung von Gruppen mit jeweils bestimmten Aufgaben oder eine einsichtige Stufenordnung der Welt. Diese ist auf eine Idee von Erlösung ausgerichtet. Das Befinden über Gerechtigkeit folgt einem Verfahren, für das man ideale Bedingungen einer unparteilichen Beurteilung festlegt. Unter einem moralischen Gesichtspunkt kann man dann genau diejenigen Normen als gültig auszeichnen, die alle wollen könnten. Das könnten beispielsweise Bestimmungen über die Symmetrie von Einkommen sein. Aber auch Regelungen über Determinanten gefährdeter Lebenslagen oder über Ausgleichszahlungen für genau definierte Risikogruppen. Seit dem Jahr 2000 ist Heinz Bude Inhaber des Lehrstuhls für Makrosoziologie an der Universität Kassel.
Der Liberalismus muss sich reflexiv regenerieren
Im Zeitalter der Philosophen, der Aufklärung, geboren, hält der neuzeitliche Liberalismus ein weiteres Element für unverzichtbar. Zum Erfahrungsbezug, zu dem legitimatorischen Individualismus und dem freien Spiel der Kräfte innerhalb von Verfassung und Recht tritt eine handlungsrelevante Selbstkritik, sichtbar im Willen, sich angesichts neuer Herausforderungen zu verändern. Otfried Höffe stellt klar: „Ohne dieses Element, eine reflexive Regeneration ist der Liberalismus nicht zukunftsfähig; vor allem verdient er ohne es nicht, als aufgeklärt zu gelten.“ So hat sich der in Europa dominante Liberalismus längst um politische Mitwirkungsrechte und um freiheits- und demokratiefunktionale Sozialrechte erweitert. Otfried Höffe fordert die Grundelemente des Liberalismus in einer interkulturell verständlichen Sprache zu legitimieren. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.
In einem Staat entscheidet die Kommunikation
Das deutsche Volk ist, wie jedes andere Volk, vor allem eine Lebensgemeinschaft, eine Kommunikationsgemeinschaft und eine Haftungsgemeinschaft. Die Kinder von Türken und anderen Ausländer sind im Allgmeinen keine deutschen Staatsbürger. Selbst dann, wenn sie seit Jahrzehnten in Deutschland leben. Aber sie gehören zweifellos zur Kommunikationsgemeinschaft der Deutschen, weil sie mit ihnen und in Deutschland leben. Herkunft, Sprache oder auch die gemeinsame Geschichte gehören nicht mehr unbedingt zu den Kennzeichen der jeweiligen Gemeinschaft im Staat. Michael Wolffsohn ergänzt: „Doch dieser Staat bleibt trotz aller internationalen Verflechtungen der entscheidende Bezugspunkt der Kommunikation.“ Wenn etwas Erfreuliches passiert, stößt sich niemand an der gemeinsamen Haftungsgemeinschaft. Prof. Dr. Michael Wolffsohn war von 1981 bis 2012 Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München.