Es ist, alles in allem, die Kultur, die dem Menschen die Chancen eröffnet, sich durch eigene Anstrengung von vorgegebenen Konditionen zu emanzipieren. Volker Gerhardt erklärt: „In der Regel ermöglicht man das auf diese Weise Erreichte durch Konventionen, durch sprachliche Variation oder durch das Recht, auf alternative Weise zu leben.“ Die unzähligen neuen Techniken, die der Mensch im Lauf seiner viertausendjährigen Entwicklung auf den Weg gebracht hat, sind auch Gegenstand seiner institutionellen Einordnung geworden. Im Gang der kulturellen Entwicklung ist es dabei immer wieder zu mehr oder weniger tiefgreifenden Einteilung der Menschen nach Ständen, Kasten oder Klassen gekommen. Dominierende Eroberer, Gottkönige und ihre Adlaten haben Menschen unterworfen, ausgebeutet und nicht selten wie bloße Waren behandelt. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.
Emanzipation
Die Emanzipation verändert auch die Männer
Noch zur Zeit der Aufklärung wurden Knechte wie Mägde, aber auch Frauen ganz allgemein als unmündig angesehen. Immanuel Kant bezeichnete 1793 noch die Unmündigkeit der Frauen als natürlich gegeben und nannte sie in einem Atemzug mit der der Kinder. Ulf Poschardt stellt fest: „Mündige Männer freuen sich gut zweihundert Jahre später über die Emanzipation der Frauen.“ Die „emancipatio“ meinte im Lateinischen die Entlassung des Sohnes aus der väterlichen Gewalt oder auch die Freilassung eines Sklaven. Mündigkeit kennt kein Geschlecht. Sie ist eine universalistische Idee von Humanität und Fortschritt. Durch den Prozess der Emanzipation werden nicht nur Frauen andere, auch die Männer verändern sich mit ihnen. Die kulturellen Rollenbilder verschieben sich drastisch und schnell. Seit 2016 ist Ulf Poschardt Chefredakteur der „Welt-Gruppe“ (Die Welt, Welt am Sonntag, Welt TV).
Der Wille ist innig mit „Leib und Seele“ verknüpft
Die für den Menschen spezifische, personale Freiheit besteht in einer Urheberschaft, die selbstanerkannten Gründen folgt. Otfried Höffe erläutert: „Weil Gründe zählen, ist eine Verantwortung im wörtlichen Sinn gegeben. Nämlich die Möglichkeit, Rede und Antwort zu stehen. Und weil es auf Gründe ankommt, spricht die Philosophie von Vernunft, weil auf handlungsleitende Gründe, von praktischer Vernunft.“ Drei Bedingungen werden dabei erfüllt. Bei selbstanerkannten Gründen wird das Tun oder Lassen nicht von außen erzwungen. Es geschieht frei, im Sinne negativer Freiheit. Darüber hinaus, weil beabsichtigt, auch im Sinne positiver Freiheit. Schließlich erfolgt die Absicht aus dem „Inneren“, aus den Gründen, die man sich zu eigen gemacht hat. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.
Die Kunstfreiheit gehört zur Demokratie
Martin Heideggers Ansicht, in der Kunst könne die für das Dasein des Menschen entscheidende Wahrheit geschehen, mag mit „Nein“ beantwortet werden, zumal die Kunst sich selbst zum Problem geworden ist. Für die Frage nach dem Freiheitsrang und Freiheitswerk der Kunst genügt laut Otfried Höffe die weit bescheidenere Annahme, die Kunst sei nicht belanglos geworden. Heutzutage hält man die Kunstfreiheit für ein selbstverständliches Recht, weshalb man gegen deren Nichtanerkennung protestieren muss und Staaten, in denen die Kunst systematisch unterdrückt wird, als Unrechtsstaaten kritisiert. Obwohl es zutrifft, dass die Kunstfreiheit zu den unverzichtbaren Elementen konstitutioneller Demokratien gehört, ist sie aber als Grundrecht relativ jung. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.
Das Prinzip der Freiheit darf niemals aufgegeben werden
An dem für sie wesentlichen Prinzip der Freiheit zeigt die Moderne, dass sie kein schlechthin neues Ziel verfolgt, sondern eine anthropologisch Grundintention, eben die Freiheit, zur Blüte, am liebsten sogar zur Vollendung bringen will. Otfried Höffe warnt: „Wer das Prinzip Freiheit aufgibt, setzt also mehr als nur das Projekt der Moderne und Einsichten ihrer großen Denker aufs Spiel.“ Allerdings erweist sich die Freiheit samt Moderne als ein vielschichtiges, inneren Spannungen ausgesetztes, in mancher Hinsicht sogar widersprüchliches Ziel. Otfried Höffe versteht also die Freiheit als ein facettenreiches, intern spannungsgeladenes und von Widersprüchen durchwirktes Phänomen. Viele Vorhaben und Visionen, erneut sowohl der Menschheit im Allgemeinen als auch der Moderne im Besonderen, sind von einem Freiheitsgedanken inspiriert. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.
Soziale Kräfte untergraben die sexuelle Emanzipation
In der zeitgenössischen Sexualität kommt nicht etwa eine von der amoralischen Populärkultur freigesetzte rohe heidnische Energie zum Ausdruck. Sondern sie ist vielmehr der Träger einer Reihe von sozialen Kräften, die genau jene Werte untergraben, die den Kampf für die sexuelle Emanzipation einmal beflügelt haben. Eva Illouz erläutert: „Die Sexualität ist zu einem Feld für psychologische Humantechniken, Technologien und den Konsumentenmarkt geworden, die eines gemeinsam haben: Sie organisieren und übersetzen das Begehren und die zwischenmenschlichen Beziehungen in eine schiere Angelegenheit der individuellen Wahl.“ Die – sexuelle, konsumbezogene und emotionale – Wahl ist das Leitmotiv, an dem sich das Selbst und der Wille im liberalen Gemeinweisen orientieren. Eva Illouz ist Professorin für Soziologie an der Hebräischen Universität von Jerusalem sowie Studiendirektorin am Centre européen de sociologie et de science politique de la Sorbonne.
Die Menschenwürde ist durch das Grundgesetz gesichert
Die Menschenwürde ist heute in Deutschland im juristischen Sinn ein sogenanntes Leistungsrecht und durch eine sogenannte Ewigkeitsgarantie in Artikel 79 des Grundgesetzes gesichert: Jeder Mensch hat einen Anspruch auf Achtung, „unabhängig von seinen Eigenschaften, seinem körperlichen oder geistigen Zustand, seinen Leistungen oder sozialen Status“. Gerald Hüther ergänzt: „Artikel 1 des Grundgesetzes schützt somit vor Erniedrigung, Brandmarkung, Verfolgung, Ächtung und ähnlichen Handlungen durch Dritte oder den Staat selbst.“ In vielen Grundsatzurteilen haben die Richter des Verfassungsgerichts immer wieder betont, dass der Mensch sich „in Freiheit selbst bestimmen und entfalten“ dürfe, „aber nicht als isoliertes und selbstherrliches, sondern als gemeinschaftsbezogenes Individuum“. Die Vorstellung von der Würde des Menschen wurde so zum Wegweiser durchs Leben, zur Erinnerung und Stütze. Gerald Hüther zählt zu den bekanntesten Hirnforschern in Deutschland.
Johann Gottfried Herder prägte die europäische Ideengeschichte
Terry Eagleton ist davon überzeugt, dass der deutsche Philosoph Johann Gottfried Herder ein Autor war, dessen Bedeutung für die Ideengeschichte kaum zu überschätzen ist: „Er war einer der erste historistischen Denker mit einem wachen Sinn für die geschichtliche Bedingtheit von Kulturen, Texten, Ereignissen und Individuen. Man hat diesen Ansatz als eine der großen intellektuellen Umwälzungen des europäischen Denkens bezeichnet.“ Darüber hinaus wurde er als Vater des modernen Nationalismus gepriesen und sogar gerühmt, den Begriff der Kultur als umfassende Lebensweise in das europäische Denken eingeführt zu haben. Und als ob das noch nicht alles eindrucksvoll genug wäre, war Johann Gottfried Herder auch einer der Begründer der modernen Literaturtheorie sowie einer der ersten Denker, der die Bedeutung der Populärkultur für das soziale Leben erkannte. Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.
Persönliche Freiheit entsteht aus eigenem Antrieb und eigener Überlegung
Überlegungen zur personalen Freiheit, die nur Vorteile in Betracht ziehen, bleiben einseitig, sogar naiv. Denn auch die personale Freiheit gibt es nicht ohne negative Kehrseiten. Otfried Höffe erläutert: „Ein freier Mensch ist nicht, wer nur in gewissen Augenblicken bewusst und freiwillig handelt, sondern wer beide Momente, Freiwilligkeit und Bewusstheit, in seiner gesamten Lebensführung realisiert. Frei ist also jemand, dem es gelingt, aus eigenem Antrieb und eigener Überlegung zu leben.“ Durch die gesellschaftliche und politische Entwicklung wird ihm dieses Gelingen teils erleichtert, aber auch erschwert. Der Grund liegt nicht außerhalb der gesellschaftlichen und politischen Entwicklung, er kommt von innen. Verantwortlich sind nämlich die rechtliche und die soziale Freiheit. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.
Sex hat als Machtmittel weitgehend ausgedient
Die patriarchale Autorität dominiert die Sexualität. In einer patriarchalischen Gesellschaft wird die Erotik als schlecht, unmoralisch und verwerflich gebrandmarkt, und die Frau gleich mit dazu, weil sie die Begierden aus dem Mann herauskitzelt. Paul Verhaeghe weiß: „Mit dieser Rollenverteilung wies das Patriarchat der Frau unbeabsichtigt eine ordentliche Portion Macht zu, von der „femme fatale“ bis zum „Schatz, heute nicht, ich habe Kopfschmerzen“. Und diese Macht wiederum erklärt die männliche Aggression gegen die Frau.“ Sex kann auch als Waffe eingesetzt werden, auch wenn dies mittlerweile aus der Mode gekommen ist, weil sie die moderne Haltung zur Sexualität dank Emanzipation und Pille völlig verändert hat. In der Menschheitsgeschichte jedoch kann eine Frau erst seit einem halben Jahrhundert unbekümmert Sex genießen und somit auch unmissverständlich danach verlangen. Paul Verhaeghe lehrt als klinischer Psychologe und Psychoanalytiker an der Universität Gent.
Paul Verhaeghe ruft das Zeitalter der Frau aus
Die Geschichte des Patriarchats ist eine Chronik der Unterdrückung der Frau, sowohl sexuell als auch intellektuell, politisch und ökonomisch.“ Paul Verhaeghe sagt: „Es besteht eine direkte Linie von den Hexenverbrennungen im Mittelalter zu den Hysterikerinnen des 19. Jahrhunderts.“ Bis vor Kurzem rekrutierten die psychiatrischen Anstalten ihre Patienten hauptsächlich aus zwei Bevölkerungsgruppen: den unteren Schichten und den Frauen – nicht zufällig beides Gruppen am unteren Ende der Gesellschaftspyramide. Die erfolgreiche Emanzipation der Frau ist einer Kombination verschiedener Faktoren zu verdanken: dem Mut einzelner Frauen als Vorkämpferinnen, dem Fortschritt der Wissenschaft bei der Entdeckung von Verhütungsmitteln, dem Zerfall der Vaterreligionen, einem allgemein zugänglichen Bildungssystem und damit besseren Chancen am Arbeitsmarkt. Paul Verhaeghe lehrt als klinischer Psychologe und Psychoanalytiker an der Universität Gent.
Die Freiheit von Naturzwängen ist heute weniger denn je gegeben
Zwei Dinge erwartete einer der Pioniere der neuzeitlichen Philosophie, René Descartes, von der von ihm mitbegründeten Naturforschung, und beide Dinge sind für die Freiheit relevant: ein müheloses Genießen der Früchte der Erde und eine Befreiung von unendlich vielen Krankheiten, sowohl des Körpers als auch der Seele. Otfried Höffe ergänzt: „Auch heute, bald 400 Jahre später, zeichnet sich selbst im wohlhabenden Westen weder ein müheloses Genießen noch eine Befreiung von unendliche vielen Krankheiten ab.“ Trotzdem kann man die glänzenden Erfolge einer noch immer wachsenden Naturforschung schwerlich bestreiten, weder für den Bereich der Arbeitserleichterung durch die Kunst der Ingenieure samt den neuen Informationstechniken noch für den Bereich von Gesundheit und verlängerter Lebenserwartung mit Hilfe von Medizin, Medizintechnik und Pharmazie. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.
Für Außenstehende wirkt Polyamorie erst einmal bizarr
Die Scheidungsraten tendieren in den modernen Gesellschaften des Westens fast überall gegen 50 Prozent. Einer der Hauptgründe für das Aus einer Ehe ist die Untreue. Während das für viele ein unverzeihlicher Bruch des Vertrauens ist, sehen immer mehr Menschen im „Zweigleisig-Fahren“ allerdings keinen Grund zur Trennung. Im Gegenteil, sie lösen sich von der Vorstellung der romantischen Zweierbeziehung und machen „Untreue“ zur Normalität. Die Definition von Beziehung ist dabei sehr unterschiedlich. Die einen öffnen sich für die Sexualität mit Dritten, die anderen wenden sich der Polyamorie zu. Letzteres bezeichnet ein Beziehungskonzept, in dem mehrere Beziehungen parallel geführt werden können. Vor nicht allzu langer Zeit sahen Beziehungen noch ganz anders aus. Meist war die Frau vom Mann stark abhängig – sowohl wirtschaftlich als auch gesellschaftlich.
Die Epoche der Gegenwart heißt Anthropozän
Die Geschichte der Entwürfe eines Neuen Menschen ist eine Geschichte der Selbstermächtigungen. In ihrem Kern geht es um das Projekt einer Überschreitung von menschlichen Grenzen: seien es die seiner Bewegung im Raum, die Limitiertheit seiner Lebenszeit oder die Einschränkungen seiner Wahrnehmungs- und Denkfähigkeiten. Eva Horn erklärt: „Die Imperative dieses Steigerungsprogramms reichen vom Gebot eines „Ausgangs des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“ über die Anthropotechniken der Fremd- und Selbstdisziplinierung und die biopolitischen Träume einer forcierten Evolution bis zu den Versprechen einer technischen Auf- und Umrüstung des menschlichen Körpers und Geistes.“ Was sie hinter sich lassen, ist eine doppelte Natur: einerseits eine Natur des Menschen, die zur anthropologischen Grundausstattung erklärt wird, welche es zu überwinden oder zu erweitern gilt. Eva Horn ist Professorin für Neuere Deutsche Literatur und Kulturtheorie an der Universität Wien.
Im 18. Jahrhundert beginnt die moderne Zeit
Das 18. Jahrhundert ist von den Zeitgenossen und später von Historikern als eine Epochenwende und als Beginn der modernen Zeit empfunden worden. Das Deutsche Reich war seit dem Dreißigjährigen Krieg in eine Vielzahl von kleinen und kleinsten Territorien zersplittert und war in seiner Form weit von einem modernen Staat entfernt. Neben über dreihundert souveränen Territorien gab es eine Fülle von halbautonomen Gebieten und Städten, die eine kaum zu entwirrende Parzellierung des Reichsgebietes bewirkt hatten. Die Reichsgewalt des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation lag zwar bis zum Jahr 1806 beim deutschen Kaiser, sie war aber auf ganz wenige Rechte beschränkt und hatte eine mehr symbolische Bedeutung. Die wichtigen politischen Entscheidungen lagen bei den Territorialstaaten, die ihre Gesetzgebung, Gerichtsbarkeit, Landesverteidigung, Polizeigewalt und so weiter unabhängig von der Reichsgewalt ausübten.
Die Aufklärung will die Moral reformieren
Wie auf anderen Gebieten, so versteht sich die Aufklärung auch auf dem der Moral als eine Bewegung der Reform. Unzufrieden mit der herrschenden Moralität sowohl der Individuen als auch der gesellschaftlichen Institutionen sucht sie nach Möglichkeiten der praktischen Verwirklichung eines neuen Typs von Moral. Dieser sollte naturgemäßer, vernünftiger und nützlicher sein als der überkommene. Zu diesem Zweck werden soziale, ökonomische und politische Reformprogramme ausgearbeitet, vor allem eine Vielfalt von Erziehungskonzepten, in denen die Festigung und Verbesserung der Tugend zu den zentralen Zielen gehört. Aus demselben Grund werden neue Formen bürgerlicher Gesellschaft wie das Kaffeehaus, neue Formen der Organisation wie Freimaurerlogen und patriotischen Gesellschaften sowie neue Formen der Publikation wie Zeitschriften und Enzyklopädien genutzt und entwickelt. Besonderes Augenmerk gilt der medialen Verbreitung ihrer Ideen.
Schon Aristoteles kannte die Effizienz der Arbeitsteilung
Effizienz durch Arbeitsteilung ist natürlich keine Erfindung aus den Zeiten des großen Nationalökonomen Adam Smith, der von 1723 bis 1790 lebte. Schon der geniale griechische Philosoph Aristoteles erwähnt sie. Rupert M. Scheule ergänzt: „Die Neuerung der letzten beiden Jahrhunderte war aber, dass das Prinzip der Arbeitsteilung gewissermaßen zivilisationsprägend wurde.“ Die ersten Gesellschaftsbereiche, wie etwa die Wissenschaft, begannen bereits im Hochmittelalter ein Eigenleben zu führen, nach ihren besonderen Gesetzen und eigenen Zielen. Danach setzte sich diese sogenannte funktionale Differenzierung flächendeckend im Abendland durch. Die Folgen waren gewaltig. So setzt es natürlich erhebliche Spezialisierungsgewinne frei, wenn sich beispielsweise die Wirtschaft nur um die Wirtschaft kümmern darf. Rupert M. Scheule ist Professor für Moraltheologie und Christliche Sozialwissenschaft an der Theologischen Fakultät Fulda.
Europa und die USA dominieren seit 1820 die Welt
Die atlantische Epoche begann am 12. Oktober 1492 mit der Landung von Christoph Kolumbus auf den Bahamas. Thomas Seifert erläutert: „Europas Imperien fanden mit Amerika ein riesiges Hinterland, das sie unterwerfen und ausplündern konnten.“ Am 4. Juli 1776 erklärten die Kolonien des Empire in Neuengland ihre Unabhängigkeit, und damit trat die atlantische Epoche in einen neue Phase ein. Nun begann die industrielle Revolution, und die Vereinigten Staaten von Amerika entstanden als unabhängiger Staat. Diese beiden atlantischen Mächte, die Nationalstaaten Europas und später die USA, würden bald den gesamten Erdball dominieren. Der Erfolg Westeuropas gründete sich auf den „drei R“: Renaissance, Reformation und industrielle Revolution. Thomas Seifert ist stellvertretender Chefredakteur und Leiter der Außenpolitik bei der Wiener Zeitung.
Große Denker philosophieren über die vergangenen 100 Jahre
Die Sonderausgabe des Philosophie Magazins „1914 – 2014. Das Jahrhundert im Spiegel seiner großen Denker“ umfasst eine einzigartige Sammlung von Artikeln, die Philosophen in den vergangenen hundert Jahren zu den wichtigsten Ereignissen ihrer Epoche veröffentlicht haben. Das Heft ist in vier große Zeitblöcke gegliedert, wobei der erstem vom Jahr 1914 bis zum Jahr 1932 reicht. In ihm schreibt zum Beispiel Ernst Bloch über den Aufstieg Adolf Hitlers, Karl Kraus über den Zynismus des Alltags, Walter Benjamin über die Macht der Technik und Albert Einstein gemeinsam mit Sigmund Freund über den bedrohten Frieden. Der Pazifist Albert Einstein fragt in einem Brief, ob Sigmund Freud eine Möglichkeit kenne, die psychischen Entwicklungen der Menschen so zu leiten, dass sie den Psychosen des Hasses und der Vernichtung gegenüber widerstandfähiger würden. Die Sonderausgabe des Philosophie Magazins ist seit 5. Dezember im Handel und kostet 9,90 Euro.
Ralf Dahrendorf erklärt die Entstehung der Bürgerrechte
Die Bürgerrechte haben ihren Ursprung laut Ralf Dahrendorf in drei Quellen: Erstens in der Burg, zweitens in der aus den ländlichen Feudalstrukturen herausgenommenen mittelalterlichen Stadt und drittens im antiken Stadtstaat. Seiner Meinung nach führten sie am Ende mit innerer Notwendigkeit zur universellen, der Weltbürgergesellschaft. Ihre moderne Ausprägung haben die Bürgerrechte allerdings erst im Nationalstaat gewonnen. Ralf Dahrendorf schreibt: „Es ist kein Zufall, dass Länder, in denen moderne Bürgerrechte sich erst später durchgesetzt haben, meist auch verspätete Nationen waren, während die ersten Nationen zugleich Vorreiter der Bürgerrechte waren.“ Denn der moderne Nationalstaat besitzt im Kern die Form, in dem das nicht-feudale und anti-feudale Bürgertum seinen legitimen Platz finden konnte.
Die Wendung des Menschen zu sich selbst verleiht ihm Sinn
Wenn der Mensch an der Existenz Gottes zu zweifeln beginnt, wenn die Weltvernunft ihm verblasst, ihm selbst die Natur bei aller äußeren Annäherung ihm innerlich fremd bleibt und in seinem Leben eine innere Leere zurücklässt, bleibt ihm laut Rudolf Eucken nur noch ein einziger Weg übrig, um seinem Dasein einen Sinn und Wert zu verleihen: die Wendung des Menschen zu sich selbst, die Durchbildung seines eigenen Kreises zur Betätigung aller Kraft und zu möglichst großem Glück. Das eröffnet dem Menschen eine neue Art von Leben und Sein. Denn von jetzt an wird er ganz und gar in das sichtbare Dasein gestellt, jetzt kann er unbeschränkt die hier vorhandenen Kräfte entfalten und ungehemmt alle Wege gehen. Der deutsche Philosoph Rudolf Eucken, der von 1846 bis 1926 lebte, wurde im Jahr 1908 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.
Die geistesgeschichtlichen Quellen des Anarchismus
Für den Politologen Peter Lösche sind die Ursprünge und Vorläufer des Anarchismus ebenso zahlreich wie die sozialen, geistesgeschichtlichen und politischen Bedingungen, unter denen der Anarchismus entstanden ist. Geistesgeschichtlich wird der Anarchismus laut Peter Lösche aus zwei Quellen gespeist, die selbst miteinander verbunden sind. Er schreibt: „Zunächst ist er ein Produkt der Aufklärung: Unter Anlehnung an naturrechtliche Vorstellungen ermöglicht der Rationalismus überhaupt erst ein Gesellschaftskonzept, das die in der Gegenwart vorhandene menschliche Entfremdung für real aufhebbar hält.“ In der Abwendung vom Reich Gottes und des Feudalismus wird die Einzigartigkeit des Individuums entdeckt. Der Liberalismus und der Anarchismus haben an dieser Stelle die gleiche Wurzel. Der Anarchismus allerdings treibt den Individualismus bis zu seiner letzten Konsequenz. Die zweite geistesgeschichtlich Quelle des Anarchismus sieht Peter Lösche, ähnlich dem Marxismus in seinen Ursprüngen, in der Hegel-Kritik.
Der Anarchismus will eine herrschaftsfreie Gesellschaft
Der Politologe Peter Lösche grenzt den Anarchismus von anderen sozialen und politischen Bewegungen ab, indem er ihn anhand von vier immanenten Kriterien beschreibt. Erstens sind die Anarchisten dadurch charakterisiert, dass sie jede Form von menschlicher Organisation ablehnen, mit deren Hilfe politischer, ideologischer, gesellschaftlicher oder ökonomischer Zwang ausgeübt werden könnte. Vielmehr streben sie die freiwillige Assoziation der emanzipierten, mündigen Bürger an. Laut Peter Lösche ist der Anarchist konsequent gegen Institutionen eingestellt, lehnt die Bürokratie und die Parlamente ab, mit Parteien, Verbänden und der Kirche will er auch nichts zu tun haben. Doch selbst das genügt den Anarchisten noch nicht. Peter Lösche erklärt: „Anarchisten wenden den Antiinstitutionalismus auch auf ihre eigene Bewegung an; sie lehnen festgefügte Organisationen, in denen sich die Gefahr der Hierarchisierung realisieren könnte, ab.“
Jürgen Habermas glaubt an eine allgemeine Vernunft
Jürgen Habermas zählt zu den Philosophen der Postmoderne, die versuchen, die Grundkonzepte der modernen Philosophie, die sie als einengend empfinden, neu zu begründen. Jürgen Habermas und seine Mitstreiter vertreten dabei die Idee einer allgemeinen Vernunft und die Vorstellung, dass der Mensch für sich allein verantwortlich ist. Die Geschichte wird als eine Perspektive aufgefasst, die möglicherweise den Gegensatz von individuellen Bedürfnissen und gesellschaftlichen Zwängen beseitigen kann. Jürgen Habermas ist mit Immanuel Kant einer Meinung, dass die Aufklärung in der Praxis die Voraussetzungen der wissenschaftlichen Wahrheitsfindung herbeiführen muss.
Für die traditionelle Familie gibt es keine Alternative
Die Familie ist ein Hort der Liebe, der Verlässlichkeit und der Loyalität. Fast 75 Prozent der Kinder wachsen in Deutschland in ganz normalen Familien auf, auch wenn die ständigen Nachrichten über Scheidungen und Alleinerziehende die Vermutung aufkommen lassen, dass die Familie zerfällt. Das auffälligste Merkmal der Familie bleibt die Solidarität, wodurch sich auch junge Menschen von ihr angezogen fühlen. 78 Prozent der Bevölkerung erklärten im „Monitor Familienleben 2010“ des Allenbachs Instituts: „Meine Familie ist mir sehr wichtig.“ Von den Müttern stimmten der Aussage 93 Prozent zu, von den Vätern waren es nur drei Prozent weniger.