Der Konsument befindet sich in einem Zustand latenter Gereiztheit

Preise selbst zur Ware zu machen ist weit mehr als nur ein Anschlag auf die Leistungsgesellschaft. Es ist eine tägliche Prägung und evidente Lebenswirklichkeit, gegen die Moralphilosophen nur hilflos anschreiben können. Richard David Precht stellt fest: „Die Vorteilsgesellschaft statt der Leistungsgesellschaft verhöhnt zentrale Werte des Bürgertums, wie Treue, Fairness und Verlässlichkeit.“ Und da Menschen, wie die Wirtschaftspsychologie eindrucksvoll beweist, lieber die Bösen als die Dummen sind, spielen nahezu alle mit. Die Seelen der Menschen finden sich dabei zumeist in einem Zustand zumindest latenter Gereiztheit, übersättigt und angestachelt zugleich. Und genau das ist das Telos der Ökonomie. Nicht der zufriedene Konsument ist ihr Ziel, sondern der immer wieder neu unzufriedene. Der Philosoph, Publizist und Autor Richard David Precht einer der profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum.

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Permanent ringt das Gute mit dem Eigennützigen

Das Leben konfrontiert Menschen ständig mit moralisch schwierigen Entscheidungen. In seinem Buch „Warum es so schwer ist, ein guter Mensch zu sein“ geht Armin Falk der Frage nach, ob Menschen dazu bereit sind, auf einen persönlichen Vorteil zu verzichten, wenn sie damit für andere etwas Gutes tun können. Armin Falk schreibt: „Permanent ringt das Gute mit dem Eigennützigen in uns. Und es geschieht eben ziemlich oft, dass wir uns für unseren eigenen Vorteil und gegen das Gemeinwohl entscheiden, obwohl wir doch eigentlich davon überzeugt sind, dass wir im Grunde anständige Typen sind.“ Und obwohl jeder Mensch doch gerne in einer besseren Welt leben möchte. Armin Falk leitet das Institut für Verhaltensökonomik und Ungleichheit (briq). Außerdem ist er Direktor des Labors für Experimentelle Wirtschaftsforschung, sowie Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bonn.

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Unterschiedliche Aufgaben verlangen differenzierte Rollen

Interaktionen können gelingen oder misslingen, im Beruf ebenso wie im Privaten. Kleine Fehler oder Unachtsamkeiten können große emotionale Konsequenzen nach sich ziehen oder zu peinlichen Momenten führen. Jens Weidner schreibt: „Wir alle müssen sehr unterschiedliche Rollen im Leben beherrschen, denn „Wir spielen alle Theater“, wie schon der berühmte amerikanische Interaktionist Erving Goffman in seinem gleichnamigen Buch zur Selbstdarstellung im Alltag postulierte.“ Er meinte damit aber kein Theaterstück, sondern die Flexibilität, unterschiedlichen Rollenerwartungen gleichzeitig gerecht zu werden. Er beschäftigte sich mit den Fallstricken der Asymmetrie der Kommunikation, die man umgehen sollte. So kann der Versuch des Chefs, durch Selbstironie einen Konflikt zu entschärfen, beim Gegenüber als unerträgliche Selbstgefälligkeit ankommen oder als gelungener Humor. Nur weiß man das erst hinterher. Jens Weidner ist Professor für Erziehungswissenschaften und Kriminologie.

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Gerald Hüther bewundert die Plastizität des Gehirns

Es gibt für Gerald Hüther wohl keine wissenschaftliche Entdeckung, deren Bedeutung für das menschliche Leben und das Zusammenleben so lange und so sehr unterschätzt worden ist, wie die nun schon vor einem halben Jahrhundert nachgewiesene Plastizität des menschlichen Gehirns. Gerald Hüther erläutert: „Sie bildet die Grundlage unserer enormen und bis ins hohe Alter fortbestehenden Lernfähigkeit. Diesem neuroplastischen Potential verdanken wir alles, was wir Menschen bisher geschaffen haben.“ Auch das, was einzelne Völker oder Staaten anderen Menschen und der Vielzahl anderer Lebewesen auf diesem Planeten angetan haben. Die Lernfähigkeit der Menschen und die aus ihr gespeiste Entdeckerfreude und Gestaltungslust bilden die Grundlage für das, was aus der Menschheit geworden ist. Dabei war die Herausbildung lernfähiger Gehirne im Verlauf der stammesgeschichtlichen Entwicklung der Tiere kein Zufall. Gerald Hüther zählt zu den bekanntesten Hirnforschern in Deutschland.

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Ausgeglichene Beziehungen fördern die Zufriedenheit

Ungerechte Beziehungen können entstehen, wenn ein Partner mehr gibt, als er bekommt, oder wenn ein Partner eine machtvollere Position hat als der andere. Der Mangel an Ausgeglichenheit in der Ehe kann jeden der beiden Partner dazu bringen, nach einer ausgewogeneren Beziehung Ausschau zu halten. Shirley P. Glass erklärt: „Es ist eine gängige Annahme, dass ein Mensch, der eine Affäre hat, zuhause möglicherweise „nicht genug bekommt“. In Wirklichkeit ist es jedoch so, dass er oder sie möglicherweise nicht genug gibt.“ Entgegen dem Volksglauben sind Menschen in Beziehungen, in denen sie „übermäßige Vorteile genießen“, nicht so zufrieden wie in Beziehungen, in denen mehr Gerechtigkeit herrscht. Dr. phil. Shirley P. Glass war niedergelassene Psychologin und Familientherapeutin. Sie starb im Jahr 2003 im Alter von 67 Jahren an einer Krebserkrankung.

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Nassim Nicholas Taleb kennt das Risiko und seinen Preis

Bestsellerautor Nassim Nicholas Taleb zeigt in seinem neuen Buch „Das Risiko und sein Preis“ aus vielen Beispielen aus dem Alltag, wo Fairness, Verantwortungsgefühl, Anstand fehlen und stattdessen billiges Geschwätz, Verantwortungslosigkeit, Egoismus und Blenderei die Oberhand behalten. Es ist auch eine Kombination aus praktischen Erörterungen, philosophischen Geschichten sowie wissenschaftlichen und analytischen Kommentaren zu den Problemen der Zufälligkeit. Und es dreht sich um die Frage wie Menschen unter dem Vorzeichen der Ungewissheit leben, essen, schlafen, diskutieren, kämpfen, Freundschaften schließen, arbeiten, sich amüsieren und Entscheidungen treffen sollen. „Das Risiko und sein Preis“ handelt von vier Themen: a) Ungewissheit und die Zuverlässigkeit von Wissen; b) Symmetrie in zwischenmenschlichen Angelegenheiten: Fairness, Gerechtigkeit, Verantwortung und Gegenseitigkeit; c) Informationsaustausch bei Transaktionen und d) Rationalität in komplexen Systemen und in der Realität. Nassim Nicholas Taleb ist Finanzmathematiker, philosophischer Essayist, Forscher in den Bereichen Risiko und Zufall sowie einer der unkonventionellsten Denker der Gegenwart.

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Bakterien waren die ersten Lebensformen auf der Erde

Antonio Damasio betrachtet das Leben der Bakterien, um sich klar zu machen, wo und wie das Leben einzelner Zellen in die lange Geschichte passt, die zur Menschheit führt. Der Mensch ist nicht in der Lage, Bakterien mit bloßem Auge zu sehen. Wenn man sie allerdings mit dem Mikroskop betrachtet, erfährt man, welche erstaunlichen Dinge sie zuwege bringen. Antonio Damasio erklärt: „Dass Bakterien die ersten Lebensformen waren und uns auch heute noch begleiten, steht außer Zweifel. Aber die Behauptung, es gebe sie heut nur deshalb, weil sie tapfere Überlebende waren, wäre eine gewaltige Untertreibung.“ Vielmehr sind sie die am häufigsten vorkommenden und verschiedenartigsten Bewohner der Erde. Antonio Damasio ist Professor für Neurowissenschaften, Neurologie und Psychologie an der University of Southern California und Direktor des dortigen Brain and Creative Institute.

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Eine gute Handlung fördert das Gemeinwohl

Die Idee des Gemeinwohls ist aus einer philosophischen Bewegung des 18. Jahrhunderts, dem Utilitarismus, hervorgegangen. Francis Hutcheson, Jeremy Bentham und später John Stuart Mill setzten damals auf Messungen und Quantifizierung, um zu bestimmen, ob eine Handlungsweise gut ist. Dacher Keltner kennt ihr Ergebnis: „Eine Handlung ist in dem Maße gut, in dem sie das Gemeinwohl fördert, also das, was man heute als kollektives Wohlergehen eines sozialen Netzwerks bezeichnen würde, oder auch das Vertrauen in eine Gesellschaft oder ihre Stärke.“ Francis Hutcheson hat es so formuliert: „Diejenige Handlung ist die beste, die das größte Glück der größten Anzahl zeitigt, die schlechteste ist die, welche in gleicher Weise Unglück verursacht.“ Dacher Keltner ist Professor für Psychologie an der University of California in Berkeley und Fakultätsdirektor des UC Berkeley Greater Good Science Center.

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Der Homo oeconomicus entspricht nicht der Realität

Forscher, die sich der Ökonomie widmeten, gingen 200 Jahre von derselben Fehlannahme aus. Sie beriefen sich auf ein Denken, das den Menschen als Homo oeconomicus ansah. Johannes Steyrer erläutert: „Der Mensch folge, so die Mutmaßung, kompromisslos dem Credo „Minimaler Aufwand, maximaler Ertrag“ und versuche stets das Bestmögliche für sich herauszuholen.“ Alle Menschen seien geborene Opportunisten, rational agierend, bei der Durchsetzung ihrer Ziele ab und zu skrupellos, jedenfalls aber auf den bestmöglichen Deal für einen selbst aus. Begründet hat dieses Menschenbild Adam Smith (1723 -1790). Er gilt als Urvater der Ökonomie. Der Gedankengang seines Hauptwerks lässt sich wie folgt zusammenfassen: „Für die Produktivität eines Landes ist die Arbeitsteilung ausschlaggebend. Die hat wiederum ihre tiefere Ursache in den menschlichen Neigungen zum Handeln und Tauschen.“ Johannes Steyrer ist seit 1997 Professor für Organizational Behavior an der Wirtschaftsuniversität Wien.

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Der Kapitalismus führte zu einer Heiligsprechung des Konsums

Das Erstaunliche an der derzeitigen Lage ist: Selbst in einer ungewöhnlich langen wirtschaftlichen Wachstumsphase, wie sie Deutschland gerade erlebt und von der viele profitieren, ist der Unmut so groß, dass ihn etwas die neue Große Koalition mit milliardenschweren Wohltaten zuschütten muss. Und noch so viele Subventionen sorgen nicht dafür, dass die Kritik am Kapitalismus abebbt. Der Ausgleich zwischen Reich und Arm scheint nicht mehr zu funktionieren, jedenfalls nicht gut genug, um Aufruhr im System zu vermeiden. Dabei steht der Kapitalismus nicht bloß technisch-ökonomisch infrage, sondern vor allem philosophisch. Denn der Kapitalismus ist eben auch eine Frage der Werte. Intrinsische Motive und solidarische Effekte verpuffen allzu oft, sobald Geld ins Spiel kommt. Dieses Wirtschaftssystem ist voll von widersprüchlichen Effekten. Einer der stärksten ist die Grundüberzeugung, dass das Streben des Einzelnen nach dem eigenen Vorteil am Ende zu einem besseren Leben für alle führt.

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Die Marktwirtschaft führt nicht automatisch zur Demokratie

Wahr ist, dass es Kapitalismus in Reinform nirgends gibt – und es wahrscheinlich nie gegeben hat. Spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg ist er Teil eines größeren Deals geworden, der da lautet: Der Kapitalismus muss „liefern“, wie es der Soziologe Wolfgang Streeck genannt hat. Und zwar: Vollbeschäftigung, soziale Sicherheit, wachsenden Wohlstand, mehr Freiheit, Aufstiegschancen für jeden. Auf den Punkt gebracht: Nicht alle profitieren gleich, aber alle profitieren irgendwie. Hans-Werner Sinn, der bekannteste Ökonom der Deutschen, sagt: „Die Suche nach einem völlig anderen Wirtschaftssystem ist Kokolores. Aber daraus folgt nicht, dass ich den Status quo verteidigen möchte.“ Er sieht, dass Finanzkapitalismus völlig außer Kontrolle geraten ist. Hans-Werner Sinn hält es für reines Wunschdenken, dass eine Marktwirtschaft automatisch zur Demokratie führt. Und auch ein Hans-Werner Sinn zweifelt daran, dass Wirtschaftswachstum die Menschen wirklich glücklicher macht.

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Das Unbehagen am Kapitalismus ist weit verbreitet

Das unbestreitbar Neue am modernen Kapitalismus, wie er seit knapp zwei Jahrhunderten die westliche Wirtschaft formt, ist seine Dynamik. Sie entsteht, weil Unternehmen ihre Gewinne nicht anhäufen, sondern gleich wieder investieren, vorzugsweise in neue Technik, die dazu führt, dass noch mehr und noch billiger produziert und noch mehr Geld verdient wird. Und so weiter. Auf diese Weise wuchs das Vermögen, vermehrte sich die Masse der Konsumgüter, wuchs die Wirtschaft in einem bisher nie gekannten Maße. Allerdings kam es dadurch auch zu einer völlig neuen Ballung ökonomischer Macht. Heute benutzen den Begriff „Kapitalismus“ fast nur noch seine Kritiker. Vor allem bündelt der Begriff das Unbehagen am aktuellen Wirtschaftssystem. An der Tendenz, allem einen Preis zu geben. An dem Trend, für den wirtschaftlichen Vorteil jede Moral beiseite zu stellen.

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Persönliche Freiheit entsteht aus eigenem Antrieb und eigener Überlegung

Überlegungen zur personalen Freiheit, die nur Vorteile in Betracht ziehen, bleiben einseitig, sogar naiv. Denn auch die personale Freiheit gibt es nicht ohne negative Kehrseiten. Otfried Höffe erläutert: „Ein freier Mensch ist nicht, wer nur in gewissen Augenblicken bewusst und freiwillig handelt, sondern wer beide Momente, Freiwilligkeit und Bewusstheit, in seiner gesamten Lebensführung realisiert. Frei ist also jemand, dem es gelingt, aus eigenem Antrieb und eigener Überlegung zu leben.“ Durch die gesellschaftliche und politische Entwicklung wird ihm dieses Gelingen teils erleichtert, aber auch erschwert. Der Grund liegt nicht außerhalb der gesellschaftlichen und politischen Entwicklung, er kommt von innen. Verantwortlich sind nämlich die rechtliche und die soziale Freiheit. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

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Die Streitkultur ist die Suche nach einer gemeinsamen Wahrheit

Für Carlos Fraenkel ist die Philosophie nicht eine Anleiterin oder Trösterin, sondern eine Diskussionstechnik. Viele Menschen sind in moralischen, religiösen und philosophischen Fragen weit voneinander entfernt. Diese Differenzen, obschon frustrierend, können etwas Positives sein, wenn es gelingt, sie zum Ausgangspunkt einer produktiven Streitkultur zu machen. Carlos Fraenkel erklärt: „Die gemeinsame Suche nach der Wahrheit, denn genau das verstehe ich unter Streitkultur, bietet uns die Möglichkeit, die Überzeugungen und Wertvorstellungen zu prüfen, mit denen wir aufgewachsen sind und die wir meist für selbstverständlich halten.“ Das ist besser, als wenn man anderen die eigene Meinung aufzwingt oder sich in einer gleichgültigen Multikulti-Gesellschaft gemütlich einrichtet – so als wären die Unterschiede völlig unerheblich. Carlos Fraenkel ist James McGill Professor für Philosophie und Judaistik an der McGill University in Montreal.

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Die Menschen sind von Natur aus polygam

Von den Harems orientalischer Fürsten bis zum Mätressenhof des sächsischen Kurfürsten August des Starken, von den Mormonen bis zu den Massai – es gibt kaum eine Kultur, in der die männliche Vielehe nicht stillschweigend toleriert wird. In den meisten islamisch geprägten Ländern ist sie noch heute ein allgemein anerkanntes Beziehungsmodell. Daher zieht Thomas Junker folgende Schlussfolgerung: „Dass die Einehe in den westlichen Industriestaaten als das Übliche und das einzig Normale angesehen wird, ist also keineswegs selbstverständlich: Nur fünfzehn Prozent aller heutigen Kulturen fordern diese Art von Beziehung! Im Vergleich dazu wird in 85 Prozent der Kulturen irgendeine Form der Vielehe praktiziert.“ Nimmt man nur diese Zahlen als Anhaltspunkt, dann könnte man vermuten, dass Menschen von Natur aus polygam und gerade nicht monogam sind. Thomas Junker ist Professor für Biologiegeschichte an der Universität Tübingen.

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Unverbindlicher Sex scheint kein Vorrecht der Männer zu sein

Die evolutionspsychologische These, dass Männer beim Flirten und beim Sex forscher agieren als Frauen, wurde von den Massenmedien dankbar aufgegriffen. Als dann noch eine beeindruckende Zahl von Studien erschien, die in dieselbe Richtung wiesen, verwandelte sich die Vermutung in Gewissheit. Thomas Junker ergänzt: „Dass das traditionelle Klischee vom sexsüchtigen Mann und der keuschen Frau nun auch wissenschaftlich belegt schien, wurde teils wohlwollend, teils kritisch kommentiert.“ Die Popularität dieser Idee ist natürlich kein Beweis dafür, dass sie richtig ist. Sie muss deshalb aber auch nicht falsch sein. Vielleicht trägt der Hinweis, dass es in der Evolutionspsychologie in den letzten Jahren zu einem Umdenken gekommen ist, zur Beruhigung der Gemüter bei. Thomas Junker ist Professor für Biologiegeschichte an der Universität Tübingen.

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Hans-Peter Nolting erklärt den Unterschied zwischen Abwehr und Vergeltung

Von Schulkindern bis zur großen Politik werden Akte der Vergeltung immer wieder damit begründet, man wehre sich nur gegen das üble Verhalten der anderen Seite. Zwischen den Begriffen Vergeltung und Abwehr gibt es Überschneidungen, aber ebenso wichtige Unterschiede. Hans-Peter Nolting erklärt: „Die echte Abwehr beziehungsweise Verteidigung will eine Bedrohung oder Belästigung beenden.“ Ganz anders verhält es sich aber zum Beispiel bei einer nachträglichen Tracht Prügel. Sie ist ein Racheakt, und Rache ist ein Akt der Bestrafung. Die reine Vergeltung will weder einen Vorteil erlangen noch einen Nachteil abwenden, sondern sie möchte den Übeltäter leiden sehen. Denn dies verschafft die eigentliche Befriedigung – die Genugtuung. Dr. Hans-Peter Nolting beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Themenkreis Aggression und Gewalt, viele Jahre davon als Dozent für Psychologie an der Universität Göttingen.

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Der Kapitalismus durchdringt alle Gesellschaftsbereiche

Innerhalb der Wirtschaft spielt die Finanzwirtschaft eine sehr bedeutende Rolle. Stürzt sie in Krisen, etwa in die gravierenden Finanzkrisen der letzten Jahre, so sind viele betroffen: von privaten Anlegern über institutionelle Anleger wie Staatsfonds und Pensionskassen bis zu ganzen Volkswirtschaften. Otfried Höffe definiert den Finanzkapitalismus wie folgt: „Eine erste Gestalt, der (Finanz-) Kapitalismus, ist eine Wirtschaftsform, in der es auf Geld im Großmaßstab, das Kapital, ankommt und dieses Geld nicht länger lediglich ein Tauschmittel, sondern vor allem eine Handelsware ist.“ In der zweiten Gestalt, beim Kapitalismus als allgemeiner Wirtschafsform, lässt man gegenwärtiges Geld in Investitionen arbeiten, um zukünftig einen höheren Ertrag zu erhalten. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

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Kollektive Emotionen bestimmten die Sozialgeschichte der Menschheit

Der evolutionäre Vorteil, der mit der Zugehörigkeit zu einer Gruppe einhergeht, ist offensichtlich. Mitglied einer Gemeinschaft zu sein, verleiht dem Einzelnen viel mehr Sicherheit bei Bedrohungen durch Feinde und anderen Gefahren und verbessert den Zugang zu lebenswichtigen Ressourcen. Eyal Winter ergänzt: „Der Mechanismus, der Gruppenzusammenhalt erzeugt und aufrechterhält, ist im Grunde ein emotionaler Mechanismus, der kollektive Gefühle entstehen lässt.“ Wissenschaftliche, technologische und künstlerische Entwicklungen gehen in erster Linie auf kognitive und emotionale Fähigkeiten eines Einzelnen zurück. Die Sozialgeschichte der Menschheit wurde aber hauptsächlich durch kollektive Emotionen bestimmt. Kriege und Staatsverträge sowie Revolutionen und politische oder wirtschaftliche Umwälzungen werden größtenteils durch solche Emotionen angetrieben. Eyal Winter ist Professor für Ökonomie und Leiter des Zentrums für Rationalität an der Hebräischen Universität von Jerusalem.

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Frank Trentmann erforscht den Kult ums Neue

Auf die Frage, warum die meisten Menschen so viel mehr konsumieren, als sie benötigen, antwortet Frank Trentmann: „Konsum ist heute ein wesentliches Merkmal unseres Lebens. Unsere Identität wird zum großen Teil davon bestimmt, was und wie wir konsumieren. Wir drücken uns über Dinge aus, die wir kaufen.“ Dass es solche Massen von Dingen sein müssen, … Weiterlesen

Macht steckt in allen Handlungen des Alltags

Die Sozialpsychologen haben des Entstehen von Macht häufig auf der Basis des Paradigmas der „führerlosen Gruppendiskussion“ untersucht: Man bringt eine Gruppe Fremder zusammen und bittet sie, ein Problem gemeinsam zu lösen. Es werden dabei keine Rollen zugewiesen, es gibt also auch weder Führer noch Anweisungen noch Hilfestellungen. Dacher Keltner erklärt: „Während der Entscheidungsfindung erlangen einige der Teilnehmer sehr schnell Macht. Einige Teilnehmer bilden rasch Verhaltensmuster heraus, die Einfluss signalisieren und auch so interpretiert werden.“ Das Gleiche gilt auch für die Interaktion von Kindern. Wie Untersuchungen der „führerlosen Gruppendiskussionen“ zeigen, taucht die Macht immer sehr schnell auf. Die Menschen gewinnen sie als das Ergebnis oft unscheinbarer, alltäglicher Verhaltensweisen. Dacher Keltner ist Professor für Psychologie an der University of California in Berkeley und Fakultätsdirektor des UC Berkeley Greater Good Science Center.

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Die Lustaggression hat einen aktiv suchenden Charakter

Es gibt aggressive Handlungen, durch die ein Mensch nichts gewinnt, nichts abwendet und niemanden für eine Tat bestraft. Hans-Peter Nolting erklärt: „Es kommt vor, dass Menschen von sich aus Gelegenheit suchen, andere zu verprügeln, andere zu schikanieren oder gar grausam zu quälen. Es muss ihnen in irgendeiner Weise Spaß machen, sonst würden sie es nicht tun.“ Insofern kann man hier von „Lustaggression“ sprechen. Lustaggression gibt es in unterschiedlichen Varianten. Die extremste Ausprägung ist der Sadismus. Zu der Variante, die man als Kampflust bezeichnen kann, gehört folgendes Beispiel: Fußball-Hooligans freuen sich auf das Wochenende, an dem sie sich eine Schlacht mit gegnerischen „Fans“ liefern können – wobei in diesem Fall die Freude auf beiden Seiten besteht. Dr. Hans-Peter Nolting beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Themenkreis Aggression und Gewalt, viele Jahre davon als Dozent für Psychologie an der Universität Göttingen.

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Der Tod jedes Glücks ist der Vergleich

Das Vorbild definiert einen Sollwert, dem andere Menschen nacheifern. Dazu ist ein Vergleich nötig: Man ist offensichtlich nicht so, wie man sein sollte. Etwas fehlt im Vergleich zum Vorbild. Das Anerkennen des Vorbildlichen ist also eine vergleichende Handlung. Das es Reinhard K. Sprenger vor allem um die Bedingungen geglückten Lebens geht, bietet er diesen Gedanken an: „Der Tod jedes Glücks ist der Vergleich.“ Er weiß zwar, dass das eine gewagte These ist, die aber dennoch einen Moment des Nachdenkens wert ist. Denn ist gibt das interessante Phänomen, dass einerseits die Individualisierung der wohl bedeutendste gesellschaftliche Gegenwartstrend ist. Andererseits gestalten viele Menschen ihren Lebensentwurf über den Vergleich mit anderen. Reinhard K. Sprenger ist promovierter Philosoph und gilt als einer der profiliertesten Managementberater und Führungsexperte Deutschlands.

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Die Autorität steht seit der Aufklärung unter Beschuss

Viele Menschen, die mit den aktuellen gesellschaftlichen Veränderungen nicht einverstanden sind, machen das Schwinden der Autorität dafür verantwortlich. Konservative Stimmen klagen über den Untergang des Abendlandes, und manche suchen die Schuld bei den Ausländern. Damit meinen sie Muslime – ironischerweise Angehörige einer Glaubensgemeinschaft, die wesentlich mehr konservative Normen und Werte verkörpert, als die heutige westliche Gesellschaft, die deren Schwinden beklagt. Mit diesen Stimmen kann sich Paul Verhaeghe nicht identifizieren; zugleich jedoch ist auch ihm klar, dass der Westen mit Autorität ein Problem hat. Das aktuelle Wehklagen könnte den Eindruck erwecken, Autorität sei erst vor Kurzem zum Problem geworden. Aber weit gefehlt: Sie steht bereits seit der Epoche der Aufklärung unter Beschuss. Paul Verhaeghe lehrt als klinischer Psychologe und Psychoanalytiker an der Universität Gent.

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Politik ist der Kampf um Macht

Ein soziales Bedürfnis mit großer Nähe zur Problematik der Aggression ist das Streben nach Macht. In gewissem Ausmaß Einfluss ausüben und eigene Absichten durchsetzen zu wollen ist keineswegs unsozial, sondern sogar notwendig für die Selbstentfaltung und Selbstbehauptung; die Alternative wäre völlige Unterwerfung. Hans-Peter Nolting fügt hinzu: „Wenn das Machtstreben jedoch ein angemessenes Maß überschreitet und mit aggressiven und gewalttätigen Mitteln umgesetzt wird, haben zwangsläufig andere Menschen darunter zu leiden.“ Das Streben nach Macht dient also dazu andere Menschen beeinflussen und kontrollieren zu können. Es ist das eigentliche Ziel, unabhängig von den anderen Vorteilen, die aus der Macht eventuell erwachsen. Dr. Hans-Peter Nolting beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Themenkreis Aggression und Gewalt, viele Jahre davon als Dozent für Psychologie an der Universität Göttingen.

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