Die Eliten wollen die ihnen zugestandenen Privilegien erhalten

Wer sich genauer mit dem Phänomen der körperlichen und geistigen Identität, also der Gleichheit der Menschen beschäftigt, bemerkt hier eine der Hauptprobleme unserer Gesellschaft. Ille C. Gebeshuber erklärt: „Die etablierte Elite ist stets bestrebt, die ihr zugestandenen Privilegien für sich und ihre direkten Nachkommen zu erhalten. Dazu ist es notwendig, den freien Wettbewerb in der Gesellschaft massiv einzuschränken.“ Die Mitglieder der Elite werden gesellschaftliche und kulturelle Unterschiede schaffen, die sich mit der Zeit zu Zugangskriterien entwickeln. Diese Unterschiede sind in unserer modernen Gesellschaft zwar immer noch extrem stark ausgeprägt, aber sie sind weniger sichtbar als anno dazumal, weil Objektivierung und Leistung eine hohen Stellenwert genießen. In der digitalen Zukunft werden diese Unterschiede für Außenstehende noch weniger sichtbar sein. Ille C. Gebeshuber ist Professorin für Physik an der Technischen Universität Wien.

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Der politische Gehalt der Freiheit verändert sich ständig

Der politische Gehalt dessen, was Freiheit sein soll, hat sich im Lauf der Zeiten immer wieder verändert. Hans-Jürgen Papier blickt zurück: „Im klassischen Griechenland war die Demokratie Sache der Freien, Besitzenden und Gebildeten. Das schloss die große Mehrheit der Menschen aus. In den feudalen Gesellschaften des Mittelalters herrschten starke Hierarchien und eine unverrückbare Ordnung von Abhängigkeiten. Der Grad an Freiheit des einzelnen Menschen hing vom Grad seiner Macht ab.“ Einer überwiegenden Mehrheit unfreier Bauern stand eine sehr viel kleinere Gruppe von Freien, Lehnsherren und Lehnsleuten gegenüber. Die Lehnsleute wiederum waren ihren Lehnsherren als Vasallen verpflichtet, Dients und Gehorsam zu leisten. Da die Kirche nicht mehr wie im Römischen Reich Staatskirche war, gab es nebeneinander weltliche und kirchliche Herrscher und Hierarchien. Prof. em. Dr. Dres. h.c. Hans-Jürgen Papier war von 2002 bis 2014 Präsident des Bundesverfassungsgerichts.

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Eliten sehen sich als Avantgarde des Fortschritts

Im Kommunistischen Manifest von Karl Marx und Friedrich Engels heißt es: „Die herrschenden Ideen einer Zeit waren stets nur die Ideen der herrschenden Klassen.“ Jede Zeit hat ihre eigenen Eliten. Alexander Grau stellt fest: „Und ein wesentliches Signum von Eliten in modernen Massengesellschaften ist, dass sie eben nicht die Wenigen sind.“ Denn sie sind eine gegenüber Eliten vergangener Jahrhunderte vergleichsweise große Gruppe. In westlichen Industriegesellschaften handelt es sich dabei um zwanzig bis dreißig Prozent der Bevölkerung. Diese Menschen sind eng verbunden mit einem ganzen Bündel von gemeinsamen Werten. Deren gemeinsamer Nenner ist es, dass sich diese spätmodernen Eliten der europäischen Geschichte als dezidiert progressiv begreifen. Sie sehen sich nicht als Hüter des Ewigen, sondern als Speerspitze des Fortschritts. Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist.

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Das Prinzip der Freiheit darf niemals aufgegeben werden

An dem für sie wesentlichen Prinzip der Freiheit zeigt die Moderne, dass sie kein schlechthin neues Ziel verfolgt, sondern eine anthropologisch Grundintention, eben die Freiheit, zur Blüte, am liebsten sogar zur Vollendung bringen will. Otfried Höffe warnt: „Wer das Prinzip Freiheit aufgibt, setzt also mehr als nur das Projekt der Moderne und Einsichten ihrer großen Denker aufs Spiel.“ Allerdings erweist sich die Freiheit samt Moderne als ein vielschichtiges, inneren Spannungen ausgesetztes, in mancher Hinsicht sogar widersprüchliches Ziel. Otfried Höffe versteht also die Freiheit als ein facettenreiches, intern spannungsgeladenes und von Widersprüchen durchwirktes Phänomen. Viele Vorhaben und Visionen, erneut sowohl der Menschheit im Allgemeinen als auch der Moderne im Besonderen, sind von einem Freiheitsgedanken inspiriert. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

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In den reichen Gesellschaften wird die Arbeit knapper

Wirtschaftswachstum, das auf Ausbeutung beruht – dieses Geschäftsmodell ist längst an seine Grenzen gelangt. Der Planet Erde, auf dessen äußerster Kruste die Menschheit ihre Existenz beschreitet, scheint nicht mehr willens zu sein, die Kapriolen der Menschen zu ertragen. Phillip Blom schreibt: „Smartphones und Internet haben Informationen, Gerüchte und Propaganda globalisiert, riesige Menschenströme sind auf der Flucht vor dem Tod und auf der Suche nach einem Leben.“ In den reichen Gesellschaften selbst wird die Arbeit knapper. Das wird nur deswegen noch nicht deutlicher sichtbar, weil noch genug Geld da ist, es zu verbergen. Arbeitslose werden umdeklariert oder nicht gezählt, aber ihre Zahl wächst stetig, und wer einen neuen Job findet, das der Arbeitsplatz morgen schon wieder verschwunden sein kann. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

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Im frühen 21. Jahrhundert war die Zukunft ausgesperrt

Was würde sich ein Historiker, der im 22. Jahrhundert fragen, wenn er über das frühe 21. Jahrhundert forscht? Er würde wahrscheinlich zwei Dinge nicht verstehen. Philipp Blom spekuliert: „Einerseits würde er sehen, dass die beginnende Erderwärmung längst wissenschaftlich erfasst war und beobachtet wurde, dass die damaligen Gesellschaften aber nur sehr langsam und zögerlich auf diese enorme Transformation reagieren.“ Anderseits würde er sehen, dass die Digitalisierung bereits angefangen hatte, tief in wirtschaftliche Zusammenhänge, soziale Strukturen und politische Machtgefüge einzugreifen und sie neu zu formen, aber dass auch diese Entwicklung nur kleinteilige und häufig rein symbolische Reaktionen nach sich zog. In den damaligen Gesellschaften, so könnte er schließen, drehte sich aus schwer erklärlichen Gründen alles um die Verwaltung von Erwartungshaltungen und um die Verteidigung von Privilegien. Die Zukunft war im Grunde ausgesperrt worden. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

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Alle Menschen sind Opfer eines Macht-Paradoxes

Es ist der Gemeinsinn und nicht die Ellenbogen, die den Menschen Macht verleihen. Doch sobald sie die Macht haben und ihren Verführungen erliegen, geht ihnen die soziale Kompetenz schnell wieder verloren. Der renommierte amerikanische Psychologe Dacher Keltner sagt, dass alle Menschen Opfer dieses Macht-Paradoxes sind. In seinem neuen Buch „Das Macht-Paradox“ zeigt er, wie die Verhältnisse der Macht jeden Winkel des sozialen Lebens bestimmen. Nur wer sich dies vor Augen führt, kann das Macht-Paradox auflösen. Damit die „Guten“ nicht nur an die Macht kommen, sondern empathisch bleiben und sie behalten. In seinem Buch geht es Dacher Keltern um einen Zusammenhang des sozialen Lebens, der das alltägliche Miteinander ausmacht und bestimmt, worauf das Leben letzten Endes hinausläuft. Dacher Keltner ist Professor für Psychologie an der University of California in Berkeley und Fakultätsdirektor des UC Berkeley Greater Good Science Center.

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Die Aufklärung drängt den Adel schrittweise in die Defensive

Das 17. Jahrhundert war in vielen europäischen Ländern eine Epoche der Rearistokratisierung der Gesellschaft und Kultur. Im Zeitalter des Barock vermochte der Adel seine kulturelle Hegemonie wiederherstellen. Die große Bedeutung der Höfe als kulturelle Zentren leistete dazu ebenso einen Beitrag wie der Umstand, dass die Aristokratie ihr eigenes Bildungsprogramm entwickelte. Dabei lag die Betonung auf den modernen Sprachen und zum Teil auch der Mathematik. Aber auch die körperlichen Fertigkeiten wie Reiten, Fechten und Tanzen wurden trainiert. Der vielseitig gebildete Aristokrat, der die Kunst der Konversation vollendet beherrschte und dem ästhetische Probleme ebenso vertraut waren wie literarische Fragen, wurde, ähnlich wie der Gentleman in England, das sie Selbstinszenierung der adligen Eliten in weiten Teilen Europas prägte. Politisch war das 17. Jahrhundert in Frankreich ebenso wie in Mittel- und Nordeuropa durch die Stärkung der monarchischen Herrschaft gekennzeichnet, die den Einfluss der adligen ständischen Vertretungen zurückdrängte.

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Die Französische Revolution bedrohte die Existenz des Adels

Als im Jahr 1789 das Ancien Régime zusammenbrach, gab es in Frankreich durchaus einige Adlige, die versuchten sich an die Spitze der revolutionären Bewegung zu stellen. Dazu zählten beispielsweise der liberale Monarchist Marquis de Lafayette, Graf Mirabeau und der Herzog von Orleans. Auch der englische Politiker Charles James Fox besaß trotz seiner Verwurzelung in der englischen Oberschicht gewisse Sympathien für die Französische Revolution. Offen unterstützten die Revolution außerhalb Frankreichs nur relativ wenig Adlige, die auch eher Außenseiter blieben, wie der deutsche Freiherr von Knigge. Insgesamt wurde vor allem in Frankreich schnell deutlich, dass die Revolution nicht nur die Privilegien des Adels bedrohte, sondern seine gesamte Existenz. Die Gegnerschaft zur Revolution schuf eine neue Solidarität unter Adelsgruppierungen, die sich vorher eher distanziert gegenübergestanden hatten.

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Die Linken haben eine Affinität zu bürgerlichen Werten entwickelt

In den Großstädten geht ein neuer Trend um. Viele Menschen wollen total normal sein. Laut Cornelia Koppetsch gibt es heutzutage eine Sehnsucht nach konservativen Werten, die auch die urbane Boheme ergriffen hat: „Dieselben Milieus, die einmal mit alternativen Lebensentwürfen experimentiert haben, konzentrieren sich heute auf Absicherung, Statuserhalt und Angleichung an die vorgegebenen Strukturen.“ Heute zeigt man wieder, was man hat. Inzwischen ist es nicht mehr anstößig, Vermögen und Besitz auszustellen. Die Eliten treten ganz im Gegenteil wieder sichtbar auf, man bekennt sich zu ihnen. Umso schärfer wird die Abgrenzung nach unter gezogen. Neu ist auch, dass Gruppen, die sich bisher als „links“ verstanden, eine Affinität zu bürgerlichen Werten entwickelt haben. Cornelia Koppetsch ist Professorin für Soziologie an der TU Darmstadt.

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Yuval Noah Harari erklärt das indische Kastenwesen

Alle Gesellschaften basieren auf erfundenen Hierarchien, wobei diese recht unterschiedlich aussehen können. Die indische Gesellschaft teilte zum Beispiel die Bevölkerung nach Kasten ein, die ottomanische unterschied sie nach Religionen und die amerikanische nach der Hautfarbe. Yuval Noah Harari begründet dies wie folgt: „In den meisten Fällen war der Grund eine willkürliche historische Verwerfung, die im Lauf der Generationen zu einem Graben wurde, weil bestimmte Gruppen ein Interesse daran hatten.“ Das indische Kastensystem wurde erfunden, als vor rund 3.000 Jahren arische Stämme nach Nordindien vordrangen und die einheimische Bevölkerung unterjochten. Die Eroberer errichteten eine hierarchische Gesellschaftsordnung, in der sie als Priester und Krieger die obersten Ränge einnahmen, während die Einheimischen als Diener und Sklaven schuften mussten. Yuval Noah Harari ist Professor für Geschichte an der Hebrew University of Jerusalem.

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Yuval Noah Harari erforscht die Hierachie der Geschlechter

Im Laufe der Menschheitsgeschichte haben Gesellschaften die unterschiedlichsten Hierarchien erfunden. Die Rasse spielte in den Vereinigten Staaten von Amerika eine bedeutende Rolle, die für die Muslime des Mittalters so gut wie keine Bedeutung hatte. Die Kaste war im Indien des Mittelalters eine Angelegenheit von Leben und Tod, während sie in Europa nahezu unbekannt ist. Dennoch gibt es eine Gemeinsamkeit. Yuval Noah Harari erläutert: „Eine Hierarchie hat dagegen in allen bekannten Gesellschaften eine zentrale Rolle gespielt: die Hierarchie der Geschlechter. In jeder Gesellschaft gibt es Männer und Frauen, und in jeder, aber auch in jeder Gesellschaft werden Männer gegenüber Frauen bevorzugt.“ In vielen Gesellschaften gehörten Frauen einfach zum Besitz der Männer, sei es ihrer Väter, Brüder oder Gatten.  Yuval Noah Harari ist Professor für Geschichte an der Hebrew University of Jerusalem.

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Michael J. Sandel erkennt einen Trend zur schnellen Sonderspur

Niemand steht gerne in einer Warteschlange. Wer dafür bezahlt, darf sich möglicherweise vordrängeln. Mit einen hohen Trinkgeld kann man zum Beispiel in einem Edelrestaurant einen Sitzplatz ergattern, obwohl eigentlich scheinbar alle reserviert waren. Michael J. Sandel schreibt: „Solche Trinkgelder sind quase Bestechungsgelder und werden diskret gehandhabt.“ Der Verkauf von solchen Sonderrechten ist seiner Meinung nach in den vergangenen Jahren zu einer vertraulichen Praxis geworden. Lange Warteschlangen bilden sich auch oft vor den Sicherheitskontrollen auf Flughäfen und machen die Warterei zur Qual. Wer allerdings Flugtickets für die erste Klasse oder die Business Class besitzt, hat Vorrang und darf an den Wartenden vorbei zur Überprüfung schreiten. Michael J. Sandel ist politischer Philosoph, der in Oxford studiert hat und seit 1980 in Harvard lehrt. Seine Vorlesungen über Gerechtigkeit machten ihn zu einem bekanntesten Moralphilosophen der Gegenwart.

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Paul Kirchhof fordert einen Subventionsabbau in allen Bereichen

Das Stabilitätsgesetz vom 8. Juni 1967 verpflichtet die Bundesregierung jährlich einen Bericht über die Entwicklung der Finanzhilfen des Bundes und der Steuervergünstigungen, also einen Subventionsbericht, zu veröffentlichen. Paul Kirchhof erklärt: „Dieser unterrichtet über die Fortschritte bei einem Subventionsabbau sowie über die Aufteilung der Förderung auf die einzelnen Wirtschaftsbereiche.“ Eine Subventionsabbauliste ist beigefügt. Paul Kirchhof beklagt, dass bis heute kein substantieller Subventionsabbau gelungen ist. Der Umfang verharrte lange Jahre auf hohem Niveau. Mit der Hälfte der Subventionen wurde die gewerbliche Wirtschaft, mit einem Viertel das Wohnungswesen gefördert. Paul Kirchhof ist einer der führenden Finanzexperten und bekanntesten deutschen Autoren. Er ist Professor für Öffentliches Recht sowie Direktor des Instituts für Finanz- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg und war zwölf Jahre Richter des Bundesverfassungsgerichts.

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Andreas Wirsching erklärt das westeuropäische Parteiensystem

In der Geschichte der europäischen Demokratie gehört es laut Andreas Wirsching zu den wichtigsten Funktionen von Parteien, das Massenpublikum in den demokratischen Prozess der Willensbildung zu integrieren. Andreas Wirsching schreibt: „Parteien bilden die entscheidenden Schnittstellen zwischen Politik und Gesellschaft und erfüllen eine zentrale Aufgabe, indem sie gesellschaftliche Anliegen aufnehmen, transportieren und auf die politische Tagesordnung setzen.“ In Westeuropa pendelten sich seiner Meinung nach überraschend schnell nach 1945 entsprechende politische Parteienverhältnisse ein, zum Teil sicherlich auch in Anknüpfung an die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. Tatsächlich restaurierte sich ein Parteiensystem der Eliten des alten Europas, die noch im 19. Jahrhundert sozialisiert worden waren. Andreas Wirsching ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.

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Tony Judt moniert die Verwahrlosung der Öffentlichkeit

In den letzten dreißig Jahren hat der private Reichtum laut Tony Judt in den Industrienationen deutlich zugenommen. In Amerika, Großbritannien und einigen anderen Ländern haben Finanzgeschäfte die Industrie oder den Dienstleistungssektor als Quelle von Privatvermögen verdrängt und zu einer verzerrten Wertschätzung ökonomischen Handels geführt. Reiche hat es seiner Meinung nach schon immer gegeben, aber heute ist ihr Vermögen größer als zu irgendeiner anderen Zeit. Es fällt Tony Judt leicht, diese privaten Privilegien zu verstehen und zu beschreiben. Schwerer ist es für ihn, die öffentliche Verwahrlosung zu beschreiben, in die viele Staaten versunken sind. Er zitiert Adam Smith, der gesagt hat: „Keine Gesellschaft kann gedeihen und glücklich sein, in der der weitaus größte Teil ihrer Mitglieder arm und elend sind.“

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Ralf Dahrendorf erklärt den Ausbruch von Revolutionen

Ralf Dahrendorf fasst Revolutionen als bittersüße Momente der Geschichte auf. Denn die Hoffnung flackert nur kurz auf, alsbald wird sie in Enttäuschung und neuen Missständen enden. Das gilt seiner Meinung nach für die großen Revolutionen wie 1789 in Frankreich und 1917 in Russland, aber auch für kleinere politische Umwälzungen. Vor dem Ausbruch der Revolutionen liegen fast immer Jahre der Unterdrückung, der Arroganz der Macht und der böswilligen Missachtung der menschlichen Bedürfnisse. Ralf Dahrendorf schreibt: „Ein erstarrtes altes Regime hängt an seine Privilegien, und wenn es sich zu erneuern versucht, glaubt niemand ihm mehr, und es kann daher seine verspäteten Pläne nicht durchsetzen.“

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In Deutschland radikalisiert sich die Mittelschicht

Die Mittelschicht in Deutschland grenzt sich immer mehr nach unten ab und wird empfänglicher für populistische Parolen rechter Parteien. Das einst liberale Bürgertum droht zu verrohen und hat vor allem die Muslime als Feindbild entdeckt. Das sind die alarmierenden Ergebnisse der umfangreichsten und ältesten Umfrage in Deutschland, der „Deutschen Zustände“, die von Bielefeldern Soziologen unter der Leitung Wilhelm Heitmeyer seit neun Jahren erhoben wird. Die neuesten Daten der aktuellen Befragung zeigen, dass die Islamfeindlichkeit in Deutschland stark zugenommen hat. Besonders deutlich war der Anstieg bei den 20 Prozent der Reichen. Wilhelm Heitmeyer sagte auf einer Pressekonferenz in Berlin: „Es gibt in Deutschland eine zunehmend rohe Bürgerlichkeit.“

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Der politische Begriff des Konservatismus

Der Konservatismus galt vor noch gar nicht so langer Zeit in Deutschland als Schimpfwort. Selbst rechte Politiker wehrten sich zuweilen als konservativ bezeichnet zu werden. Mit dem Konservativismus verbanden die Deutschen das Erstarrte und Autoritäre, das Korrupte und ewig Gestrige. Alle diese Behauptungen tragen sicher einen Kern von Wahrheit in sich. Doch eigentlich möchte der Konservatismus nur das Bewährte vor einem zweifelhaften Fortschritt bewahren. Der Konservatismus hat also zwei Gesichter – er kann sowohl etwas Schlechtes wie Vorurteile oder Privilegien schützen als auch etwa gutes wie Rechtsstaatlichkeit und Freiheit verteidigen.

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