Das letzte Jahrzehnt war für Demokratien unerfreulich. Ben Ansell erläutert: „Die dritte Welle demokratischer Umbrüche, die Mitte der 1970er-Jahre begann und in den frühen 1990ern die meisten kommunistischen Regime hinwegspülte, verebbte Anfang des 21. Jahrhunderts oder verkehrte sich sogar ins Gegenteil.“ Autokratische Kräfte von Russland bis China ließen im militärischen Bereich vermehrt ihre Muskeln spielen. Die „Heimstätten“ der Demokratie von Griechenland über Großbritannien bis hin zu den Vereinigten Staaten gerieten durch umstrittene Referenden, Erfolge populistischer Parteien und Angriffe auf die Mainstream-Medien, Behörden und die Wissenschaft ins Trudeln. Die Demokratie mag ein weitverbreitetes Ideal sein, doch sie steht eindeutig unter wachsendem Druck. Manchmal klagen die Bürger über das Chaos und die mangelnde Entschlossenheit, wenn sich Demokratien scheinbar zu keiner Entscheidung durchringen können. Ben Ansell ist Professor für Politikwissenschaften am Nuffield College der Universität Oxford.
Ungleichheit
Glück spielt beim Erfolg eine wichtige Rolle
Letzten Endes füttert jedes Argument für Ungleichheit direkt das Ego eines Menschen. Denn man fühlt sich dabei außergewöhnlich und einzigartig. Jonathan Aldred ergänzt: „Also sind Sie etwas Besonderes, also sind wir alle etwas Besonderes, also ist Ungleichheit eine naturgegebene Tatsache. Oder zumindest manifestiert sich Ihre Einzigartigkeit in Ihrer Begabung und harter Arbeit.“ Diese Tatsachen rechtfertigen, dass man den angestrebten Job bekommen hat oder mehr verdient als andere, offenkundig ähnlich qualifizierte Kollegen. Somit kann man endlich einen maßgeblichen Grund dafür erahnen, warum in den vergangenen Jahren so wenig unternommen wurde, um die Ungleichheit zu reduzieren. Jonathan Aldred ist Direktor of Studies in Ökonomie am Emmanuel College. Außerdem lehrt er als Newton Trust Lecturer am Department of Land Economy der University of Cambridge.
Die Unterklasse steht der neuen Mittelkasse diametral entgegen
Dem am Modell erfolgreicher Selbstverwirklichung orientierten Lebensstil der neuen Mittelklasse diametral entgegen steht in der spätmodernen Gesellschaft die Lebensform der neuen Unterklasse. Andreas Reckwitz erläutert: „Es handelt sich um jene heterogenen Gruppen von Beschäftigten in den einfachen Dienstleistungen, von prekär und Mehrfachbeschäftigten, von Industriearbeitern jenseits der Normalarbeitsverhältnisse, welche in der Tradition der industriellen „blue collar“-Arbeit stehen, sowie von Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern, die jedoch alle eine ähnliche Lebenssituation teilen.“ Wenn vor dem Hintergrund der alten Mittelstandsgesellschaft die akademische Mittelklasse die sozialen und kulturellen „Aufsteiger“ bilden, dann handelt es sich bei der neuen Unterklasse um die Gruppe der „Absteiger“. Die Polarisierung zwischen der neuen Mittel- und Unterklasse betrifft nicht allein eine soziale Ungleichheit von materiellen Ressourcen, sondern auch und gerade einen Gegensatz seitens der „kulturellen Logiken“ der Lebensführung. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.
Beim Einkommen ist die Ungleichheit in Deutschland sehr hoch
Marcel Fratzscher stellt fest: „Deutschland ist zweifellos eines der reichsten Länder der Welt mit der höchsten Produktivität der Beschäftigten und Unternehmen. Die Löhne und Einkommen sind daher im internationalen Vergleich hoch. Aber die Lebenshaltungskosten sind ebenfalls hoch. Und sie sind durch steigende Mieten gerade in den Städten in den vergangenen Jahren für Beschäftigte mit geringen Einkommen nochmals deutlich gestiegen. Ungewöhnlich viele Menschen können also nicht sparen, weil sie ihr komplettes monatliches Einkommen für ihren Lebensunterhalt benötigen. Bei den Markteinkommen, also den monatlichen Einkommen vor Steuern und Abgaben, ist die Ungleichheit in Deutschland im internationalen Vergleich recht hoch. Sie liegt im oberen Drittel aller Industrieländer. Marcel Fratzscher ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Auf dem Höhepunkt eines Landes beginnt schon sein Abstieg
Auf dem Höhepunkt kann ein Land die Erfolge, denen es seinen Aufstieg verdankte, aufrechterhalten. Ray Dalio warnt: „Doch im Lohn des Erfolgs, liegt der Ursprung des Abstiegs begründet. Mit der Zeit wachsen die Verbindlichkeiten und zerstören die sich selbst verstärkenden Rahmenbedingungen, die dem Aufstieg Nahrung gaben.“ Wenn die Menschen in einem Land, das mittlerweile reich und mächtig ist, mehr verdienen, sind sie als Arbeitnehmer teurer und weniger wettbewerbsfähig als Menschen in anderen Ländern, die bereit sind, für weniger Geld zu arbeiten. Gleichzeitig kopieren die Menschen aus anderen Ländern die Methoden und Technologien einer Führungsmacht, was deren Wettbewerbsfähigkeit weiter unterhöhlt. Ebenso gilt: Werden die Menschen in einem führenden Land reicher, arbeiten sie in aller Regel nicht mehr so hart. Ray Dalio ist Gründer von Bridgewater Associates, dem weltgrößten Hedgefonds. Er gehört mit zu den einflussreichsten Menschen der Welt.
Der deutsche Sozialstaat ist „deaktivierend“
Der Sozialstaat in Deutschland ist bei Weitem nicht so leistungsfähig wie in den nordischen Ländern. Marcel Fratzscher weiß: „Hierzulande sind mehr als doppelt so viele Menschen von Einkommensarmut bedroht wie in Skandinavien. Dies gilt vor allem für Kinder und andere Gruppen wie alleinerziehende Eltern – meist Mütter.“ Der Sozialstaat legt in den nordischen Ländern einen hohen Wert auf Chancengleichheit. So ist die Ungleichheit der Markteinkommen dort sehr viel geringer. In Deutschland sind vor allem die Aufstiegschancen für Menschen aus einkommensschwachen und bildungsfernen Familien ungleich geringer. Der deutsche Sozialstaat ist eher „deaktivierend“. Er versucht, die großen Ungleichheiten am Arbeitsmarkt und im Bildungssystem im Nachhinein durch Umverteilung zu ebnen. Marcel Fratzscher ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Der CEO und die Topmanager wollen ihr eigenes Gehalt steigern
Das Zunehmen von Ungleichheit ist zum großen Teil auf Veränderungen an der obersten Spitze der Gesellschaft zurückzuführen. Jonathan Aldred erklärt: „Der Einkommensanteil des obersten Prozent ist erheblich gestiegen, sowohl im Vergleich zu den unteren 99 Prozent als auch im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung.“ Warum ist das so? Das liegt nicht an weltweit wirkenden ökonomischen Kräften oder neuen Technologien. Und die Erklärung der Grenzproduktionstheorie ist entweder falsch oder tautologisch. Der wahre Grund ist ebenso einfach wie erstaunlich. Einfach, weil letztlich das oberste Prozent schlichtweg beschlossen hat, sich selbst viel mehr zu zahlen. Und erstaunlich, weil man diese Leute – zumindest am Anfang – dazu eingeladen hat, das zu tun. Jonathan Aldred ist Direktor of Studies in Ökonomie am Emmanuel College. Außerdem lehrt er als Newton Trust Lecturer am Department of Land Economy der University of Cambridge.
Unterdrückung passt nicht mehr in diese Welt
Die Menschheit lebt heute in einer globalisierten und digitalisierten Welt, die immer weiter zusammenrückt. In diese Welt passen die unterdrückenden Systeme nicht nur nicht mehr, sondern die Unterdrückten wehren sich ach stärker dagegen. Hadija Haruna-Oelker fügt hinzu: „Diese Menschen tun das im Foucaultschen Sinn und lassen sich nicht mehr zu Gefangenen unserer Geschicke machen.“ Menschenfeindliche Strukturen sind jedoch hartnäckig und das negative Bild einer Differenz spielt bereits im frühen Kindesalter eine Rolle. Es ist eine große und Generationenaufgabe, diese Situation zu verändern. Deshalb ist es Hadija Haruna-Oelker im Zusammenhang mit der Sozialisation und Prägung wichtig, über Kinder als die zukünftige Generation zu sprechen. Hadija Haruna-Oelker lebt als Autorin, Redakteurin und Moderatorin in Frankfurt am Main. Hauptsächlich arbeitet sie für den Hessischen Rundfunkt.
In Deutschland herrscht eine geringe Chancengleichheit
Die Ungleichheit bei den Markteinkommen in Europa zählt hierzulande zu den höchsten und ist fast so hoch wie in den USA. Das reflektiert eine geringe Chancengleichheit und damit auch eine niedrige soziale Mobilität. Marcel Fratzscher weiß: „Das liegt darin begründet, dass das Einkommen der Spitzenverdiener überwiegend aus Unternehmensbesitz resultiert. Fast 80 Prozent dieser Unternehmen befinden sich in der Hand von Familien.“ Diese können ihren Besitz dank großzügiger Ausnahmeregelungen der Erbschaftssteuer fast steuerfrei an die nächste Generation weitergeben. Zum anderen sind die zu geringe Qualität und die fehlende Inklusion innerhalb des Bildungssystems eine Ursache dafür. In Deutschland hängen die Bildungs- und Berufschancen nur sehr begrenzt von den Talenten und Fähigkeiten der jungen Menschen, sondern viel mehr von Einkommen und Bildungsgrad ihrer Eltern ab. Marcel Fratzscher ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Die Kluft zwischen arm und reich steigt
Extreme Ungleichheit ist kein Naturgesetz. Sie ist die Folge einer Politik, die Profite vor Menschen stellt. Um Ungleichheit zu reduzieren, müssen Regierungen für eine faire Besteuerung sorgen. Zudem müssen sie in öffentliche soziale Dienste investieren und die Benachteiligung von Frauen beseitigen. Klaus Peter Hufer weiß: „Die Kluft zwischen Arm und Reich steigt nicht nur weltweit, sondern auch innerhalb der reichen Länder des Westens und des Nordens.“ Im Jahr 2018 verfügten 26 Personen über ebenso viel Vermögen wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. Das sind 3,8 Milliarden Menschen. Der britische Wirtschaftswissenschaftler Paul Collier stellt fest: „Der Kapitalismus löst sein wichtigstes Versprechen – einen ständig steigenden Lebensstandard für alle – immer weniger ein. Einige profitieren weiterhin, aber andere wurden abgehängt.“ Klaus-Peter Hufer promovierte 1984 in Politikwissenschaften, 2001 folgte die Habilitation in Erziehungswissenschaften. Danach lehrte er als außerplanmäßiger Professor an der Uni Duisburg-Essen.
Jeder Mensch ist von anderen abhängig
Die Sozialphilosophie beschäftigt sich mit lebendigen und haltbaren Bindungen. Diese müssen mit Blick darauf gedacht werden, dass die der Verteidigung würdigen „Selbste“ im politischen Raum gesellschaftlich ungleiche Artikulationsbedingungen haben. Judith Butler erklärt: „Die Beschreibung der sozialen Bindungen, ohne die das Leben gefährdet ist, ist auf der Ebene einer Sozialontologie angesiedelt. Diese ist eher als ein gesellschaftliches Imaginäres denn als eine Metaphysik des Sozialen zu begreifen.“ Anders gesagt lässt sich ganz allgemein davon ausgehen, dass Leben durch soziale Interdependenz gekennzeichnet ist. Gewalt stellt einen Angriff auf diese Interdependenz dar, einen Angriff auf Personen, ja, aber noch grundlegender einen Angriff auf „Bindungen“. Obgleich Interdependenz Differenzierungen von Unabhängigkeit und Abhängigkeit begründet, impliziert sie auch soziale Gleichheit. Judith Butler ist Maxine Elliot Professor für Komparatistik und kritische Theorie an der University of California, Berkeley.
Marktmacht führt zu mehr Ungleichheit
Es ist leicht zu verstehen, wie Marktstärke zu mehr Ungleichheit führt. Joseph Stiglitz ergänzt: „Aber sie ist auch für das niedrige Wirtschaftswachstum und die schlechte ökonomische Leistungsbilanz mitverantwortlich. Monopolmacht verzerrt die Marktmechanismen – sie verringert die gesamtwirtschaftliche Effizienz.“ Die Preisaufschläge zu beseitigen, die auf den mangelnden Wettbewerb zurückzuführen sind, würde die Produktion der US-Volkswirtschaft um etwa 40 Prozent erhöhen. Die Errichtung von Eintrittsschranken ist ein integraler Bestandteil von Marktmacht. Dagegen ist eine dynamische Wirtschaft mit funktionierendem Wettbewerb durch den fortwährenden Markteintritt von Unternehmen gekennzeichnet. Dabei ist der Anteil neuer Firmen üblicherweise hoch. Doch der Prozentsatz junger Unternehmen in der amerikanischen Wirtschaft ist wesentlich niedriger als in vielen anderen Ländern. Joseph Stiglitz war Professor für Volkswirtschaft in Yale, Princeton, Oxford und Stanford. Er wurde 2001 mit dem Nobelpreis für Wirtschaft ausgezeichnet.
Die Welt ist voller Ungleichheiten
Ist es unfair, dass einige Menschen reich geboren werden und andere arm? Und falls es unfair ist, sollte man etwas dagegen tun? Thomas Nagel betont: „Die Welt ist voller Ungleichheiten – innerhalb eines Landes und im Verhältnis der Länder untereinander.“ Einige Kinder wachsen in einem komfortablen und wohlhabenden Zuhause auf. Sie bekommen eine gute Ernährung und eine ausgezeichnete Ausbildung. Andere Kinder leben in Armut, haben nicht genug zu essen. Und sie haben zu keinem Zeitpunkt Zugang zu einer nennenswerten Ausbildung oder medizinischen Versorgung. Dies ist offenbar Glückssache. Menschen sind für die soziale und ökonomische Klasse sowie für das Land, in dass sie hineingeboren werden, nicht verantwortlich. Der amerikanische Philosoph Thomas Nagel lehrt derzeit unter anderem an der University of California, Berkeley und an der Princeton University.
Freie Märkte fördern Ungleichheiten
Nur eine naive Verteidigung des freien Marktes verlässt sich vollständig auf dessen selbstheilende Kräfte. In Wahrheit pflegen in dem sich selbst überlassenen Markt außer Ungleichheit vor allem Oligopole, Monopole und Kartelle zu entstehen. Dadurch wird der Wettbewerb geschwächt und das Gegenteil des freien Marktes erreicht wird. Die Verbesserung der Produkte lässt nach, stattdessen steigen für die Konsumenten die Preise und für die Unternehmen die Gewinne. Derartige Verzerrungen des Wettbewerbs sind laut Otfried Höffe paradoxerweise von der ökonomischen Rationalität her gegeben. Denn unter der Voraussetzung der entsprechenden Macht erzielt man entweder mit gleichen Mitteln einen größeren Profit oder erreicht denselben Profit mit geringerem Einsatz. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.
Michael J. Sandel kennt die meritokratische Ethik
In diesen Tagen sehen viele Menschen Erfolg in einer Weise, wie die Puritaner Erlösung betrachteten. Nämlich nicht als etwas, das von Glück oder Gnade abhängig ist, sondern als etwas, das man sich durch eigene Anstrengung und Mühe verdient. Michael J. Sandel weiß: „Das ist der Kern der meritokratischen Ethik. Sie rühmt die Freiheit – die Fähigkeit, mein Schicksal vermöge harter Arbeit zu steuern – und die Verdienste.“ Wenn man selbst dafür verantwortlich ist, dass man sich einen hübschen Anteil weltlicher Güter angehäuft hat, dann muss man sich das verdient haben. Erfolg ist ein Zeichen der Tugend. Der Wohlstand steht einem zu. Diese Denkungsart gibt denjenigen Kraft, die an Meritokratie glauben. Michael J. Sandel ist ein politischer Philosoph, der seit 1980 in Harvard lehrt. Er zählt zu den weltweit populärsten Moralphilosophen.
Die Anzahl der absolut Armen ist gesunken
Es wird alles besser und schlechter zugleich. So fasst Heinz Bude die Entwicklung der globalen Ungleichheit in den letzten dreißig Jahren zusammen. Zuerst das Positive: Die Anzahl der absolut Armen ist seit 1993 von zwei Milliarden auf eine Milliarde Menschen im Jahr 2012 gesunken. Das sind Menschen, die weniger als 1,90 Dollar pro Tag zur Verfügung haben. Ähnliches kann man für die Entwicklung der Kindersterblichkeit, der Lebenserwartung oder der Bildungsbeteiligung von Mädchen in bisher als unterentwickelt angesehenen Gesellschaften feststellen. Heinz Bude fügt hinzu: „Die sofortigen Einwände im Blick auf Zentralafrika und Südasien liegen auf der Hand. Man darf in der Tat große regionale Unterschiede im globalen Trend nicht unterschlagen.“ Seit dem Jahr 2000 ist Heinz Bude Inhaber des Lehrstuhls für Makrosoziologie an der Universität Kassel.
Ökonomie und Politik sind eng verzahnt
Politik und Ökonomie sind eng miteinander verflochten. Joseph Stiglitz erklärt: „Aus unseren wirtschaftlichen Ungleichheiten werden politischen Ungleichheiten, die ihrerseits zu Regeln führen, die Erstere noch weiter verschlimmern.“ In ähnlicher Weise wirken auch wirtschaftliche Fehlentscheidungen auf das politische System zurück. Die wirklich Raffgierigen und Kurzsichtigen unter den Superreichen haben folgendes erkannt. Nämlich dass Globalisierung und die Förderung der Finanzmarktinteressen von der großen Mehrheit der Menschen keine Unterstützung erfährt. Basierend darauf ziehen sie eine zutiefst beunruhigende Schlussfolgerung: „Wenn wir der Demokratie ihren Lauf lassen und an ein Mindestmaß an Vernunft bei den Wählern glauben, dann werden sie sich für einen anderen Kurs entscheiden.“ Joseph Stiglitz war Professor für Volkswirtschaft in Yale, Princeton, Oxford und Stanford. Er wurde 2001 mit dem Nobelpreis für Wirtschaft ausgezeichnet.
Reichtum darf kein Selbstzweck sein
Mit den „Grundsätzen der politischen Ökonomie“ (1848) schreibt John Stuart Mill das für den englischen Sprachraum wichtigste wirtschaftstheoretische Werk des 19. Jahrhunderts. Der Autor wendet sich in seinem Buch gegen utopische Sozialisten. Diese wollen den Staat an die Stelle des freien Wettbewerbs setzen. Otfried Höffe erklärt: „Weil die einzelnen Menschen eigennützig handelten und zugleich ihre Interessen selbst am besten beurteilen könnten, bringe die staatliche Nichteinmischung eine doppelte Optimierung zustande. Nämlich die für den Utilitaristen Mill wichtige effizienteste Staatstätigkeit und in liberaler Perspektive den stärksten Anreiz zur Entwicklung des einzelnen.“ Die „ökonomische“ Ansicht vom Vorrang der Wirtschaft lehnt John Stuart Mill jedoch ab. Der Primat liege allein bei der Politik. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.
Gewinner glauben ihren Erfolg verdient zu haben
In einer Gesellschaft der Ungleichheit wollen diejenigen, die ganz oben landen, daran glauben, dass ihr Erfolg moralisch gerechtfertigt ist. Michael J. Sandel erläutert: „In einer meritokratischen Gesellschaft heißt das, die Gewinner müssen glauben, dass sie ihren Erfolg aufgrund des eigenen Talents und harter Arbeit verdient haben.“ Diejenigen, die beispielsweise mit glänzenden und legitimen Referenzen an einer Universität zugelassen werden, sind auf ihre Leistung stolz. Sie vertreten die Ansicht, sie seien aus eigener Kraft reingekommen. Doch das ist für Michael J. Sandel in gewisser Weise irreführend. Es trifft zwar zu, dass ihre Zulassung Hingabe und harte Arbeit widerspiegelt. Doch man kann nicht wirklich sagen, das sei allein ihr eigenes Werk. Michael J. Sandel ist ein politischer Philosoph, der seit 1980 in Harvard lehrt. Er zählt zu den weltweit populärsten Moralphilosophen.
In einer idealen Demokratie sind alle gleich
In der öffentlichen Debatte machen sich Bedenken in Bezug auf Ungleichheit oder Gleichheit zumeist an einer Reihe sozialer und ökonomischer Fragen fest. In einer idealen Demokratie besteht die Bevölkerung aus freien und gleichen Bürgern. Deren Gleichheit muss zuallererst als eine Frage sowohl von politischer Gleichheit in Bezug auf die private Autonomie konstituierenden Rechte verstanden werden. Denn diese beiden Rechtsinstitute sind noch in weiteren Hinsichten gleichursprünglich. Danielle Allen stellt fest: „Das Vereinigungsrecht ist nämlich nicht bloß ein auf private Autonomie bezogenes Recht, das zu den heiligen Rechten der Moderne gehört. Im Gegenteil: Seine ersten historischen Auftritte zeigen, dass es untrennbar mit Bemühungen verknüpft ist, die Rechte öffentlicher Autonomie zu gewährleisten.“ Die Politikwissenschaftlerin und Altphilologin Danielle Allen lehrt als Professorin an der Harvard University. Zugleich ist sie Direktorin des Edmond J. Safra Center for Ethics in Harvard.
Die Demokratie ist in Gefahr
Die Demokratie durchlebt gefährliche Zeiten. Die Gefahr erkennt man in zunehmender Fremdenfeindlichkeit und wachsender öffentlicher Unterstützung für autokratische Gestalten. Diese testen die Grenzen demokratischer Normen aus. Das ist an sich schon beunruhigend. Michael J. Sandel warnt: „Ebenso alarmierend ist jedoch die Tatsache, dass Parteien und Politiker der Mitte kaum verstehen, welche Unzufriedenheit die Politik in aller Welt in Aufruhr versetzt.“ Manche prangern das Anschwellen des Populismus als wenig mehr denn eine rassistische, fremdenfeindliche Reaktion auf Immigranten und Multikulturalismus an. Ander betrachten ihn vorwiegend in ökonomischen Begriffen. Nämlich als Protest gegen den Verlust von Arbeitsplätzen, den der globale Handel und neue Technologien mit sich bringen. Michael J. Sandel ist ein politischer Philosoph, der seit 1980 in Harvard lehrt. Er zählt zu den weltweit populärsten Moralphilosophen.
John Rawls repräsentiert den neuen Liberalismus
Für den neueren Liberalismus dürfte John Rawls mit seiner „Theory of Justice“ (1971) der herausragende Repräsentant sein. An der unangefochtenen Spitze seiner berühmten Prinzipien der Gerechtigkeit steht eine Variante von Immanuel Kants einschlägigem Prinzip. Otfried Höffe erklärt: „Danach hat jeder das gleiche Recht auf das umfangreichste Gesamtsystem gleicher Grundfreiheiten, das mit demselben Recht aller anderen verträglich ist.“ Dieses Prinzip spricht sich sowohl für die liberalen Freiheitsrechte als auch die demokratischen Mitwirkungsrechte aus. In einem zweiten Prinzip wird es um ein hohes Maß an Sozialstaatlichkeit erweitert. Denn es erlaubt zwar wirtschaftliche und soziale Ungleichheiten, aber ist nur unter den Bedingungen fairer Chancengleichheit. Um Gerechtigkeit zu garantieren, muss eine zweiten Bedingung hinzukommen. Die entsprechende Wirtschafts- und Sozialordnung soll auch den Schlechtestgestellten zugutekommen. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.
In Deutschland gibt es keine Chancengerechtigkeit
Das deutsche Bildungssystem funktioniert nicht, wie es sollte. Für die Frage, wie viel Geld einer nach Hause bringt, spielt der Berufsabschluss eine zentrale Rolle. Wer ein Uni-Diplom hat, verdient in Deutschland im Durchschnitt 70 Prozent mehr als ein Realschüler, der eine Lehre macht. Alexander Hagelüken fügt hinzu: „Jedes Jahr, das ein mittelalter Arbeitnehmer vor seinem Job länger mit seiner Bildung verbringt, zahlt sich für ihn aus: Mit einem zehn Prozent höheren Einkommen.“ Das macht schnell den Unterschied zwischen einem mäßig bezahlten Job und einem Platz in der Mittelschicht. Wenn sich der Verdient so stark nach dem Abschluss richtet, ist natürlich entscheidend, wovon es abhängt, welchen Abschluss einer macht. Alexander Hagelüken ist als Leitender Redakteur der Süddeutschen Zeitung für Wirtschaftspolitik zuständig.
Die Leistungsgesellschaft ist ein Tyrann
In seinem neuen Buch „Vom Ende des Gemeinwohls“ vertritt Michael J. Sandel die These, dass die Demokratien auf dem Prüfstand stehen und dass sich aktuell eine populistische Revolte ereignet. Als Beispiele nennt der Autor die Wahl Donald Trumps, den Brexit und den Erfolg der AfD. Das sind die wütenden Antworten auf die wachsende Ungleichheit in der Gesellschaft. Michael J. Sandel fordert die großen politischen Parteien auf, sich zu verändern und die Bürger ernst zu nehmen. Deren Protest richtet sich nicht nur gegen Einwanderung, Outsourcing und sinkende Löhne. Sie wehren sich gegen die Tyrannei der Leistungsgesellschaft, und diese Klage ist laut Michael J. Sandel berechtigt. Michael J. Sandel ist ein politischer Philosoph, der seit 1980 in Harvard lehrt. Er zählt zu den weltweit populärsten Moralphilosophen.
Francis Fukuyama stellt die Ideen Jean-Jacques Rousseaus vor
Der Genfer Philosoph Jean-Jacques Rousseau hatte zwei separate Rezepte dafür, die Menschheit aus der Katastrophe der Ungleichheit und Gewalt herauszuführen. Das erste Wird in seinem „Gesellschaftsvertrag“ umrissen und bietet eine politische Lösung an. Durch sie sollten die Bürger infolge der Entstehung eines „Gemeinwillens“, der sie in republikanischer Tugend vereint, zur natürlichen Gleichheit zurückkehren. Sie kooperieren miteinander in einer politischen Union, die jedoch keine Unstimmigkeit und keinen Pluralismus duldet. Francis Fukuyama stellt fest: „Diese Lösung ist zu Recht als proto-totalitär bemängelt worden, da sie die Meinungsvielfalt unterdrückt und eine strenge Uniformität des Denkens erfordert.“ Das zweite Rezept ist nicht politischer, sondern individueller Art. Francis Fukuyama ist einer der bedeutendsten politischen Theoretiker der Gegenwart. Sein Bestseller „Das Ende der Geschichte“ machte ihn international bekannt.