Der Mensch versteht die Welt nur in ihrem Werden

Die Menschen können die Welt als ein Geflecht aus Ereignissen begreifen, aus einfacheren Geschehnissen und komplexeren. Letztere lassen sich auf einfachere zurückführen. Carlo Rovelli nennt Beispiele: „Ein Krieg ist kein Ding, sondern eine Menge aus Ereignissen. Ein Gewitter ist keine Sache, sondern eine Gesamtheit aus Abläufen.“ Und der Mensch? Er ist gewiss kein Ding, sondern ein komplexer Prozess, in den Luft ein- und ausströmt, aber auch Nahrung, Informationen, Licht, Sprache usw. Der Mensch ist ein Knoten unter Knoten in einem sozialen Beziehungsgeflecht. Dieses Netzwerk besteht aus chemischen Prozessen, aus Emotionen, die ein Mensch mit seinesgleichen austauscht. Lange Zeit haben die Menschen die Welt in Begriffen einer Ursubstanz zu begreifen versucht. Seit dem Jahr 2000 ist Carlo Rovelli Professor für Physik an der Universität Marseille.

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Menschen lernen durch Vergessen

Menschen erinnern sich an viele Einzelfälle und verbinden sie. Das Ergebnis ist eine komprimierte, zusammengefasste, verschmolzene Übererinnerung. Zum Beispiel an ein nicht existierendes Objekt wie einen abstrakten oder beispielhaften Baum. In der Regel werden solche Abstraktionen hinter den Kulissen im Rahmen der unbewussten geistigen Routinevorgänge erzeugt … und zwar in der Kindheit. Im 19. Jahrhundert schrieb der Essayist und Maler William Hazlitt: „Objekte, wie sie uns zuerst begegnet sind, besitzen diese Einzigartigkeit und Vollständigkeit des Eindrucks, dass es scheint, als könne nichts sie zerstören oder auslöschen – so fest sind sie ins Gehirn eingeprägt und mit ihm verbunden.“ David Gelernter fügt hinzu: „Wenn sich dann aber Erinnerungen auf Erinnerungen häufen, sind Verfestigung und Kompression natürliche Vorgänge. David Gelernter ist Professor für Computerwissenschaften an der Yale Universität.

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Selbst vergessene Träume haben Einfluss auf das wache Leben

Wenn ein Mensch träumt, hat sein Gedächtnis das Sagen. Immer noch steht es in der Macht des bewussten Geistes, höchst beunruhigende Erinnerungen zurückzuweisen. Dennoch haben manchmal selbst vergessene Träume einen subtilen Einfluss auf das wache Leben. Während nahezu alle Träume vergessen werden, leuchten angenehme und insbesondere sexuelle Träume noch viele Stunden hell nach. David Gelernter ergänzt: „Erfreuliche Träume strahlen aus, ob wir uns an die Details erinnern oder nicht.“ Auch solche „entrückenden“ Träume tauchen nicht oft auf. Aber auch gewöhnliche Träume können das Alltagsleben selbst dann beeinflussen, wenn man sie nahezu vollständig vergessen hat. Zufällig tun oder sagen Menschen etwas, das mit einem fast vergessenen Traum zu tun hat – und dann spürt man eine schwache Reaktion unterhalb der Bewusstseinsebene des Gedächtnisses. David Gelernter ist Professor für Computerwissenschaften an der Yale University.

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Nassim Nicholas Taleb kennt das Risiko und seinen Preis

Bestsellerautor Nassim Nicholas Taleb zeigt in seinem neuen Buch „Das Risiko und sein Preis“ aus vielen Beispielen aus dem Alltag, wo Fairness, Verantwortungsgefühl, Anstand fehlen und stattdessen billiges Geschwätz, Verantwortungslosigkeit, Egoismus und Blenderei die Oberhand behalten. Es ist auch eine Kombination aus praktischen Erörterungen, philosophischen Geschichten sowie wissenschaftlichen und analytischen Kommentaren zu den Problemen der Zufälligkeit. Und es dreht sich um die Frage wie Menschen unter dem Vorzeichen der Ungewissheit leben, essen, schlafen, diskutieren, kämpfen, Freundschaften schließen, arbeiten, sich amüsieren und Entscheidungen treffen sollen. „Das Risiko und sein Preis“ handelt von vier Themen: a) Ungewissheit und die Zuverlässigkeit von Wissen; b) Symmetrie in zwischenmenschlichen Angelegenheiten: Fairness, Gerechtigkeit, Verantwortung und Gegenseitigkeit; c) Informationsaustausch bei Transaktionen und d) Rationalität in komplexen Systemen und in der Realität. Nassim Nicholas Taleb ist Finanzmathematiker, philosophischer Essayist, Forscher in den Bereichen Risiko und Zufall sowie einer der unkonventionellsten Denker der Gegenwart.

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Fehlende Kontrolle über das eigenen Leben verursacht chronischen Stress

Die Hauptursache von chronischem Stress sind nicht irgendwelche Widrigkeiten, die das Leben nun einmal bereithält. Vielmehr geht er mit dem Erleben einher, den Dingen beziehungsweise der Umgebung gegenüber ausgeliefert zu sein und keine Kontrolle über das eigene Schicksal zu haben. Manfred Spitzer ergänzt: „Es ist hier meist nicht irgendein akutes Ereignis gemeint, sondern das dumpfe Gefühl, das eigene Leben nicht im Griff zu haben und den Umständen ohnmächtig ausgesetzt zu sein. Dieses Gefühl der fehlenden Kontrolle über das eigene Leben ist chronischer Stress.“ Es ist also die Ungewissheit einer Situation, die einen Menschen stresst, nicht deren Widrigkeit. Ein weit verbreitetes Phänomen ist dabei der Stress am Arbeitsplatz. Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer leitet die Psychiatrische Universitätsklinik in Ulm und das Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen.

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Kultur setzt sich in ihrem Zentrum aus Singularitäten zusammen

Die soziale Logik der Singularitäten ist eng mit jener Dimension des Sozialen verknüpft, für die man klassischerweise den Begriff der Kultur vorgesehen hat. Für Andreas Reckwitz lautet dabei der entscheidende Punkt: „Kultur setzt sich in ihrem Zentrum aus Singularitäten zusammen. Jene Einheiten des Sozialen, die als einzigartig anerkannt werden – die singulären Objekte und Subjekte, die singulären Orte, Ereignisse und Kollektive – bilden gemeinsam mit den zugehörigen Praktiken des Beobachtens und Bewertens, des Hervorbringens und Aneignens die Kultursphäre einer Gesellschaft.“ Die Logik des Besonderen gehört zur Kultur wie die Logik des Allgemeinen zur formalen Rationalität. Rationalisierung und Kulturalisierung sind die beiden konträren Formen von Vergesellschaftung. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

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Johann Gottfried Herder prägte die europäische Ideengeschichte

Terry Eagleton ist davon überzeugt, dass der deutsche Philosoph Johann Gottfried Herder ein Autor war, dessen Bedeutung für die Ideengeschichte kaum zu überschätzen ist: „Er war einer der erste historistischen Denker mit einem wachen Sinn für die geschichtliche Bedingtheit von Kulturen, Texten, Ereignissen und Individuen. Man hat diesen Ansatz als eine der großen intellektuellen Umwälzungen des europäischen Denkens bezeichnet.“ Darüber hinaus wurde er als Vater des modernen Nationalismus gepriesen und sogar gerühmt, den Begriff der Kultur als umfassende Lebensweise in das europäische Denken eingeführt zu haben. Und als ob das noch nicht alles eindrucksvoll genug wäre, war Johann Gottfried Herder auch einer der Begründer der modernen Literaturtheorie sowie einer der ersten Denker, der die Bedeutung der Populärkultur für das soziale Leben erkannte. Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.

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Vertrauen vermindert das Gefühl der Machtlosigkeit

Soziale Kompetenzen stellen eine wichtige innere Ressource für die Bewältigung von Unsicherheit dar. Menschen mit hohen sozialen Kompetenzen können leicht Beziehungen zu anderen Menschen anknüpfen, aufrechterhalten und befriedigend gestalten und haben kein Problem damit, andere Menschen um Hilfe oder Unterstützung zu bitten, wenn es die Lage erfordert. Auch andere Eigenschaften einer Persönlichkeit helfen dabei, sich angesichts unsicherer Ereignisse und Anforderungen zu behaupten. Ernst-Dieter Lantermann nennt als Beispiele das Bedürfnis nach kognitiver Geschlossenheit und die Vorliebe für erregende Ungewissheit. Eine weitere bedeutsame Ressource für einen gelingenden Umgang mit unsicheren Anforderungen stellen unterschiedliche Dimensionen von Vertrauen dar. Vertrauen mindert das Gefühl von Machtlosigkeit und Unkontrollierbarkeit in unübersichtlichen, ungewissen und unsicheren Situationen. Ernst-Dieter Lantermann war von 1979 bis 2013 Professor für Persönlichkeits- und Sozialpsychologie an der Universität Kassel.

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Furchtbare Bilder können einen Menschen schwer belasten

Viele Menschen unterschätzen die belastende und Angst auslösende Wirkung von Bildern. Davor kann Georg Pieper nur ausdrücklich warnen: „Wenn wir Bilder von einem schrecklichen Ereignis sehen, tragen wir sie noch lange als Ballast im Kopf mit uns herum.“ Sie wirken wie eine Bremse, weil sie immer wieder vor dem inneren Auge auftauchen und Alarm auslösen: „Vorsicht, Lebensgefahr!“ Bei schwer zu ertragenden Bildern empfiehlt Georg Pieper deshalb: „Wegschauen beziehungsweise ausschalten oder wegklicken.“ Wie stark furchtbare Bilder einen Menschen belasten können, kennt Georg Pieper von Lokführern. Ihnen passiert es immer wieder, dass sich jemand in Selbstmordabsicht auf die Gleise begibt. In der Regel kommt der Zug nicht mehr rechtzeitig zum Stehen, wie er bei hohem Tempo einen sehr langen Bremsweg hat. Dr. Georg Pieper arbeitet als Traumapsychologe und ist Experte für Krisenintervention.

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Das Gefühl der Unsicherheit ist in Deutschland massiv gestiegen

Einen erheblichen Anteil am massiv gestiegenen Gefühl der Unsicherheit in Deutschland hat der Umgang vieler Menschen mit den Medien, insbesondere mit digitalen Informationskanälen. Die Flut an negativen Nachrichten und belastenden Bilder, der man beinahe täglich ausgesetzt ist, hat eine verheerende Wirkung auf die menschliche Psyche. Georg Pieper weiß: „Diesen angstschürenden Effekt machen sich sowohl islamistische Terroristen als auch Rechtspopulisten gezielt zunutze. Bei ihren Aktionen – bei den einen sind es Anschläge, bei den anderen Provokationen – planen sie stets die anschließende Medienberichterstattung mit ein.“ Indem viele Menschen die Schlagzeilen, Berichte und Bilder wie gebannt aufsaugen, spielen sie ihr perfides Spiel mit und verleihen ihnen eine weitaus größere Wichtigkeit und zugleich Macht über das eigene Denken und Handeln, als sie normalerweise hätten. Dr. Georg Pieper arbeitet als Traumapsychologe und ist Experte für Krisenintervention.

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Francis Fukuyama verkündet 1989 das Ende der Geschichte

Noch ehe die Berliner Mauer gefallen war, publizierte der amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama im Sommer 1989 in der Zeitschrift „The National Interest“ einen Aufsatz, der mit einer spektakulären These aufwartet: Die Geschichte ist an ihr Ende gelangt – wiewohl es weiterhin politische Ereignisse geben wird. Stefan Weidner zitiert Francis Fukuyama: „Die durch den absehbaren Zusammenbruch des Ostblocks symbolisierte weltanschauliche Klärung, gleichzusetzen mit dem Triumpf des Westens, der westlichen Idee, bedeutete den Endpunkt der ideologischen Evolution des Menschen und die Universalisierung der liberalen Demokratie des Westens als der endgültigen Gestalt menschlicher Regierung.“ Freilich vollzieht sich das Ende der Geschichte nur in der Vorstellung: „Der Sieg des Liberalismus hat sich vorrangig auf dem Gebiet der Ideen und des Bewusstseins ereignet. In der materillen Welt ist er noch unvollständig.“ Stefan Weidner studierte Islamwissenschaften, Philosophie und Germanistik in Göttingen, Damaskus, Berkeley und Bonn.

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Die Menschen verdanken ihre Existenz dem Zufall

Jonathan Losos liefert in seinem neuen Buch „Glücksfall Mensch“ vollkommen neue Antworten auf die großen Frage nach der Entstehung und Entwicklung des Lebens. Die Evolution ist seiner Auffassung nach nicht langsam, sie läuft zuweilen in Windeseile ab – und sie wiederholt sich. Der Naturwissenschaftler erklärt, warum die Menschen ihre Existenz dem Zufall verdanken und man die Evolution dennoch vorhersagen kann. Jonathan Losos ist der prominenteste Vertreter der Experimentellen Evolutionsforschung, die er an Eidechsen, Schildkröten, Schlangen und Krokodilen betreibt. Die Experimentelle Evolutionsforschung bildet derzeit die Speerspitze der Evolutionsbiologie, und sie erlaubt, Theorien über Evolution in freier Natur, in Echtzeit zu überprüfen. In seinem Buch „Glücksfall Mensch“ geht es vor allem darum, in welchem Umfang sich das Leben wiederholt und in welchem Ausmaß verschiedene Arten ähnliche Anpassungen als Reaktion auf sich gleichende Umweltbedingungen entwickeln. Jonathan B. Losos ist Professor für Evolutionäre Biologie in Harvard.

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Die Kontrollierbarkeit von Ereignissen ist oft eine Illusion

Illusionen der Kontrolle sind scheinbar gut für das Wohlbefinden eines Menschen. Viele Studien zeigen, dass die sogenannten Überzeugungen der Selbstwirksamkeit – also die Überzeugung, in einer schwierigen Situation das tun zu können, was nötig ist – stark beeinflussen, wie man sich in einer Situation verhält. Interessant ist, dass Menschen außerordentlich raffiniert darin sein können, sich ihre Illusionen der Kontrolle auch dann zu erhalten, wenn einige Beweise gegen sie sprechen. Selbsttäuschungen, mit deren Hilfe sich Menschen von nicht mehr haltbaren Kontrollillusionen verabschieden, kommen durchaus häufig vor. Nach dem Motto: Wenn man etwas nicht haben kann, will man es plötzlich auch gar nicht mehr. Illusionen der Kontrolle sind in der Sprache der Psychologie adaptiv. Judith Glück ist seit 2007 Professorin für Entwicklungspsychologie an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

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Der Mensch braucht sieben bis neun Stunden Schlaf

Julia Shaw betrachtet den Schlaf ganz allgemein als lästige Notwendigkeit. Wenn sie könnte, würde sie ihre nächtlichen Auszeiten gänzlich überspringen. Noch frustrierender ist für sie, dass sich die Wissenschaftler noch nicht einmal ganz sicher sind, warum die Menschen den Schlaf überhaupt brauchen. Allerdings weiß man inzwischen, wieviel Schlaf man benötigt, nämlich sieben bis neun Stunden. Julia Shaw ergänzt: „Wir wissen, wie er sich anfühlt, aufgeteilt in Phasen fast ohne jedes Bewusstsein und solche mit lebhafter Halluzination.“ Die Forscher wissen auch, unter welchen Umständen er sich am wahrscheinlichsten einstellt: bei völliger Stille und kühler Dunkelheit. Die Biopsychologen Gordon Feld und Susanne Diekelmann von der Universität Tübingen erklären: „Träumen ist ein Zustand aktiver Informationsverarbeitung, der für das ordnungsgemäße Funktionieren von Lernen und Gedächtnis unerlässlich ist.“ Die Rechtspsychologin Julia Shaw lehrt und forscht an der London South Bank University.

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Die Weisheit der Vielen trifft nur manchmal zu

„Einstimmig“ klingt beruhigend. Wenn eine Jury einstimmig zu einer Entscheidung gekommen ist, nimmt man an, dass der Fall klar war. Und wenn Einstimmigkeit keine Option ist, würden die meisten Menschen die Mehrheit jederzeit der Minderheit vorziehen. Tali Sharon ergänzt: „Eine Lösung, die von der Mehrheit favorisiert wird, klingt sofort besser als eine, die von der Minderheit bevorzugt wird.“ Viele Menschen glauben, dass sie bessere Entscheidungen fällen, wenn sie auf die Weisheit der vielen achten und sich deren Credo zu eigen machen. Eine allgemein akzeptierte Meinung lautet: Je mehr Köpfe an einer Entscheidung beteiligt sind, desto besser – und zwar egal, ob es sich um die Entscheidung für eine Geschäftsstrategie oder die Speisenfolge eines Abendessens handelt. Tali Sharot wurde an der New York University in Psychologie und Neurowissenschaften promoviert und ist Professorin am Institut für experimentelle Psychologie der University of London.

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Weise Menschen übernehmen die Verantwortung für ihre Fehler

Das Nachdenken über Erfahrungen fällt den meisten Menschen vor allem dann schwer, wenn ihr Handeln nicht zu einem erfreulichen Ergebnis geführt hat, sondern negative Folgen hatte. Judith Glück ergänzt: „Aus vielen Studien und jeder Menge Alltagserfahrung wissen wir, dass die meisten Menschen eher dazu neigen, ihre eigene Verantwortung für das, was nicht so gut gelaufen ist, möglichst weit wegzuschieben.“ Das Wegschieben der eigenen Schuld im Kleinen wie im Großen ist so häufig und allgegenwärtig, dass es einem völlig den Wind aus den Segeln nehmen kann, wenn sich jemand für sein Fehlverhalten einfach nur entschuldigt. Weise Menschen können das, sie haben die Größe, ihre eigenen Handlungen kritisch zu hinterfragen, die Verantwortung für Fehler zu übernehmen und aus ihnen zu lernen. Judith Glück ist seit 2007 Professorin für Entwicklungspsychologie an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

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Weise Menschen sind Meister im kritischen Reflektieren

Weise Menschen denken nach. Sie tun das gerne und mehr als andere Leute, und vor allem denken sie oft etwas weiter. Viele Menschen neigen allerdings dazu, einfachen Erklärungen komplizierter Sachverhalte Glauben zu schenken. Judith Glück nennt ein Beispiel: „Wenn ein Politiker verspricht, ein Problem, an dem bisher alle gescheitert sind, einfach durch gesunden Menschenverstand zu lösen, zieht das hoffnungsvolle Wähler und Wählerinnen an, weise Menschen macht es eher skeptisch.“ Sie wissen, dass die Hintergründe eines solchen Problems komplex sind, dass es viele Beteiligte mit unterschiedlichen Perspektiven und Bedürfnissen gibt und dass bei einer allzu einfachen Lösung manche – oft die Schwächeren – auf der Strecke bleiben. Weise Menschen, versuchen Lösungen zu finden, die die unterschiedlichen Gesichtspunkte und Interessen ausbalancieren, so dass insgesamt der bestmögliche Kompromiss gefunden wird. Judith Glück ist seit 2007 Professorin für Entwicklungspsychologie an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

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Jede Erinnerung ist mit Emotionen verknüpft

Jede bewusste Erinnerung ist mit Emotionen verbunden. Ist ein Mensch traurig, hat er unangenehme Erinnerungen, ist er glücklich, angenehme. Christian Schüle erläutert: „Empfindungen von Trauer oder Freude sind emotionale Wertungen. Je stärker die Emotion bei einem Ereignis im Spiel ist, desto deutlicher und besser ist die Erinnerung an dasselbe.“ Im menschlichen Gehirn gibt es einen autonomen Bereich, in dem explizite Erinnerungen an emotionale Erlebnisse verknüpft werden und auf implizite emotionale Erinnerungen treffen. Es handelt sich dabei um das Arbeitsgedächtnis mit dem von ihm erzeugten unmittelbaren bewussten Erlebnis. Wenn Erinnern Wiedererleben und Wiedererleben nichts anders als neuronales Wiederkennen ist, dann ist Erinnerung auch Erkenntnis. Christian Schüle ist freier Autor und Publizist. Seit dem Sommersemester 2015 lehrt er Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin.

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Die Machtfülle der Presse muss im Zaum gehalten werden

Durch die digitale Revolution haben heute Milliarden Menschen die Möglichkeit, Ansichten zu veröffentlichen und in diesem Sinne direkt zu allen Menschen zu sprechen, die mit dem World Wide Web verbunden sind. Timothy Garton Ash schränkt allerdings ein: „Stellt man jedoch die Frage, wessen Stimmen und Ansichten tatsächlich Gehör finden, erkennt man, wie weit wir immer noch vom Ideal einer voll repräsentierten Vielfalt entfernt sind.“ Der Fachausdruck für die Vielfalt in der Medienbrache lautet „Medienpluralismus“. Eine für die Europäische Union erstellte Studie postuliert fünf Dimensionen von Medienpluralismus: Besitz und Kontrolle; Medientypen und –genres; politische Standpunkte; kulturelle Ausdrucksformen; und lokale und regionale Interessen. Timothy Garton Ash ist Professor für Europäische Studien an der Universität Oxford und Senior Fellow an der Hoover Institution der Stanford University.

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Selbstregualtion sichert die eigene Handlungsfähigkeit

Nach Stevan Hobfoll, einem der führenden Stressforscher stellen Ressourcen sämtliche äußeren und inneren Bedingungen dar, die zur Erreichung von persönlich wichtigen Zielen eingesetzt werden können. Ernst-Dieter Lantermann erklärt: „Mit inneren Ressourcen sind Persönlichkeitsmerkmale, Kompetenzen und Fähigkeiten gemeint, mit äußeren Ressourcen zum Beispiel günstige finanzielle Verhältnisse, eine gesicherte Berufsposition, Gesundheit, die Eingebundenheit in ein soziales Netz und eine gute Bildung.“ Eine Reihe von Ressourcen hat sich in der Forschung immer wieder als besonders hilfreich für die Bewältigung unsicherer und belastender Anforderungen erwiesen. Zu den inneren Ressourcen zählen dabei verschiedene Kompetenzen zur Selbstregulation. Menschen mit hohen Kompetenzen zur Selbstregulation lassen sich von ihren Gefühlen nicht so leicht überwältigen, lähmen oder beeinträchtigen. Ernst-Dieter Lantermann war von 1979 bis 2013 Professor für Persönlichkeits- und Sozialpsychologie an der Universität Kassel.

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Erinnerungen können eingebaute Fehler enthalten

Wenn ein Mensch eine Zeitreise durch seine Erinnerung macht, stellt er vielleicht fest dass einige Ereignisse besonders hervorstechen. Überlegt er, welche Merkmale diese Erinnerungen gemeinsam haben, dann fällt ihm auf, dass es die lebendigsten, emotionalsten, wichtigsten, schönsten oder vielleicht unerwartete Ereignisse seines Lebens sind. Und zwar scheinen sie sich in bestimmten Phasen seines Lebens zu verdichten. Julia Shaw erklärt: „Dieses Phänomen nennt man Reminiszenzeffekt oder auch Erinnerungshügel, und es hilft vielleicht zu verstehen, warum wir von „der guten alten Zeit“ sprechen.“ Die meisten Erinnerungen eines Menschen stammen aus der Zeit zwischen zehn und 30 Jahren. Zudem berichten die meisten Menschen von so gut wie keinen Erinnerungen aus der Zeit unter fünf Jahren. Die Rechtspsychologin Julia Shaw lehrt und forscht an der London South Bank University.

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Markus Gabriel befasst sich mit der Erklärung von Handlungen

Jeder kennt von sich selbst und seinen Begegnungen mit anderen Menschen den Eindruck, dass man sich manchmal nicht sicher ist, was wirklich die Motive des eigenen Handelns sind. Deswegen suchen Menschen nach Handlungserklärungen, also nach Erklärungen, die sie verstehen lassen, warum jemand etwas Bestimmtes tut. Markus Gabriel erklärt: „Dabei können wir entweder Wohlwollen oder Hintergedanken vermuten.“ Ersteres verbirgt sich hinter den freundlichen Listen: Man unterstellt jemandem Freiheit, was eine wohlwollende Deutung eines allem Anschein nach erfreulichen Ereignisses ist. Fiese Listen ersetzen den Anschein des Wohlwollens entweder durch Hintergedanken oder durch Erklärungen, die es erlauben, eine Person von den Zumutungen der Freiheit zu entlasten. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne und ist dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Gedanken sind in Wahrnehmungen oder Ideen verankert

„Denken“ wird nur selten als Fachterminus oder philosophischer Begriff benutzt. Intuitiv hat er laut David Gelernter aber eine klare Bedeutung: „Wir meinen damit die bewusste, absichtliche Handhabung mentaler Zustände, mit der wir, von den gegebenen Rohmaterialien ausgehend, ein Ziel erreichen wollen. Das Musterbeispiel ist die Vernunft.“ Man geht von bestimmten Voraussetzungen aus und hat ein Ziel. Darauf begibt man sich auf einen logischen Weg, der einen von den Voraussetzungen zum Ziel führt; es ist ein mentaler Weg, ein Gedankenweg. Damit dieser Gedankengang in eine Handlung umgesetzt wird, ist unter Umständen eine weitere Runde des vernünftigen Denkens notwendig. Das it mentale Manipulation, mentales Tun, die Anwendung des Geistes auf die Realität. David Gelernter ist Professor für Computerwissenschaften an der Yale University.

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Der Mensch kann von illusionären Erinnerungen getäuscht werden

In einem bahnbrechenden Aufsatz aus dem Jahr 1975 prägten John Flavell und Henry Wellman von der Minnesota University „Metagedächtnis“ (metamemory), um auf eine wichtige Fähigkeit hinzuweisen, mit der alle Menschen ausgestattet sind und die bei der Selbstkorrektur des Gedächtnisses eine entscheidende Rolle spielt. Julia Shaw erklärt: „Unter Metagedächtnis versteht man, dass das Individuum wahrnimmt und weiß, dass es ein Gedächtnis hat. Dazu gehört auch unser Wissen um unsere Erinnerungsfähigkeit und ein Verständnis für Strategien, die unser Gedächtnis verbessern können. Und es umfasst unsere Fähigkeit, zu überwachen, woran wir uns korrekt erinnern können, und unsere Erinnerungen zu analysieren, um ihre Plausibilität zu bestätigen.“ Wenn man sich also selbst auf die Schliche kommt und merkt, dass eine der persönlichen Erinnerungen falsch ist, dann nutzt man sein Metagedächtnis. Die Rechtspsychologin Julia Shaw lehrt und forscht an der London South Bank University.

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Das Kurzzeitgedächtnis kann Informationen 30 Sekunden behalten

Frühe Erinnerungen an die Kindheit sind physiologisch gesehen sehr anfällig für Verzerrungen. Wenn Wissenschaftler über die Reifung des Gedächtnisses sprechen, also über die Veränderung des Gedächtnisses im Laufe des Älterwerdens, sprechen sie typischerweise getrennt über die Veränderungen im Kurzzeitgedächtnis und im Langzeitgedächtnis. Julia Shaw erklärt: „Das Kurzzeitgedächtnis ist ein System im Gehirn, das kleine Informationsmengen für kurze Zeit behalten kann. Sehr kurze Zeit – nur ungefähr 30 Sekunden.“ Wenn man sich beispielsweise eine Telefonnummer merken will und sie im Stillen so lange vor sich hersagt, bis man sie wählt – sie also in der sogenannten phonologischen Schleife speichert – dann benutzt man sein Kurzzeitgedächtnis. Dieses System kann nicht viel Gedächtnisinhalt aufnehmen. Die Rechtspsychologin Julia Shaw lehrt und forscht an der London South Bank University.

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