Eine äußerst bemerkenswerte Ansammlung von Universalgelehrten im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert fand sich in Deutschland, einer Kulturnation, die seinerzeit noch kein Nationalstaat war. Peter Burke nennt ein Beispiel: „Der Schweizer Albrecht von Haller, Professor für Medizin, Anatomie und Botanik in Göttingen, war auch als Literaturkritiker, Dichter und Romancier aktiv.“ Immanuel Kant könnte ebenfalls mit einbezogen werden, da sich seine Interessen keineswegs auf Philosophie beschränkten. Was man heute als Psychologie und Anthropologie bezeichnet – Disziplinen, zu denen er Beiträge lieferte – bildete zu seiner Zeit zwar noch einen Teil der Philosophie, doch Kant schrieb zudem über Kosmologie und physische Geographie. Sechzehn Jahre lehrte Peter Burke an der School of European Studies der University of Sussex. Im Jahr 1978 wechselte er als Professor für Kulturgeschichte nach Cambridge ans Emmanuel College.
Johann Gottfried Herder
Der Mensch ist mehr als sein Schein
Søren Kierkegaard wirft sich im Namen der Leidenschaft in die Arme der Religion. Friedrich Nietzsche wendet sich im Namen des Willens zur Macht gerade von ihr ab. Beide sehen sich aber gezwungen die Vernunft zu relativieren und sie etwas Größerem, Stärkerem und Mächtigerem unterzuordnen. Auch das zeichnet sich für Ger Groot seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts bereits ab: „Im Spieltrieb sucht Friedrich Schiller nicht länger nach einer Annäherung an die Wirklichkeit, sondern sieht darin eine Hinwendung zum Schein.“ Der Kunst des noch nicht Wirklichen wird dabei eine höhere Wahrheit zugeschrieben als dem Reellen. Die Rationalität kann nicht länger als Prüfung gelten. Ger Groot lehrt Kulturphilosophie und philosophische Anthropologie an der Erasmus-Universität Rotterdam. Außerdem ist er Professor für Philosophie und Literatur an der Radboud Universität Nijmegen.
Cicero prägt den Begriff der „Humanität“
Nicht erst Johann Gottfried Herder hat den Begriff der „Humanität“ zu einem Zentralbegriff der menschlichen Bildung und des Weltverständnisses gemacht. Erasmus geht ihm voran und lässt keinen Zweifel daran, dass er in Cicero den historischen Urheber und geistigen Vater anerkennt. Volker Gerhardt fügt hinzu: „Dass Cicero bereits in der Vielfalt des Begriffsgebrauchs den Anfang macht, blieb stets unbestritten. Fraglich war eine Weile, ob nicht der Stoiker Panaitios, auf den Cicero selbst verweist, den Anfang macht.“ Zweifel gab und gibt es noch, ob Cicero wirklich schon dem weiten Impuls der Menschlichkeit verpflichtet war. Oder ob er nicht eher nur der römischen Adelsethik ein neues Etikett gegeben hat. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.
Jean Paul mischte Ironie mit Gefühl und Humor
Neben den drei großen literarischen Lagern – Klassik, Romantik und Jakobinismus – gab es einige Autoren, die sich bewusst abseits hielten, sich keiner Gruppierung anschlossen und ihren eigenen unverwechselbaren Weg gingen. Aufgrund ihrer Sonderstellung führten sie, jeder auf seine Weise, ein problematisches Außenseiterleben. Bis heute hat die Forschung große Schwierigkeiten, ihre Rolle in der Kunstepoche angemessen zu bestimmen. Johann Paul Friedrich Richter (1763 – 1825), der sich als Schriftsteller Jean Paul nannte, gelang es schon zu seinen Lebzeiten, einen gleichberechtigten und anerkannten Platz neben den klassischen und romantischen Autoren zu behaupten und zu einer Autorität im literarischen Leben zu werden. Die Voraussetzungen dafür waren allerdings alles andere als günstig. Als Sohn eines armen Lehrers und Organisten lernt er die Armut früh kennen und litt sehr unter der Strenge des Vaters.
Es gibt keine einheitlichen Nationen
Romantische Nationalisten wie Johann Gottfried Herder begriffen Nationen als einheitlich, selbsterschaffend und selbstbestimmt. In dieser Hinsicht kann man meinen, sie ähnelten Kunstwerken. Terry Eagleton stellt fest: „Es lässt sich kaum überschätzen, wie viel Unheil diese Lehre in die moderne Welt gebracht hat. Zunächst einmal gibt es keine einheitlichen Nationen. Die meisten Gesellschaften sind ethnisch vielfältig, und alle sind sozial gespalten.“ Nationen sind politische Konstrukte, keine Naturerscheinungen. Bürger einer Region oder eines Landes, die von einer fremden Macht unterdrückt werden, haben das Recht auf Selbstbestimmung; aber es spricht einiges für die These, dass sie einen solchen Anspruch haben, weil sie Menschen sind, und nicht, weil sie ein Volk sind. Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.
Kulturen müssen von außen befruchtet werden
In der Tat wäre es absurd zu verlangen oder lediglich zu behaupten, dass Kulturen ihren Wandel stets aus sich selbst heraus vollbringen müssten. Thea Dorn schreibt: „Auch für Kulturen gilt: Inzest ist der sicherste Weg in die Degeneration. Befruchtung von außen muss sein.“ Aber sämtliche Wandlungen der deutschen Kultur, selbst diejenigen, die durch Fremdherrschaft wie der Römer oder Besatzung wie durch die Franzosen oder Amerikaner bewirkt wurden, konnten sich nur vollziehen, weil sie in Deutschland irgendwann auf fruchtbaren Boden gefallen sind. Selbst im Falle der „Reeducation“, die von vielen Deutschen nach 1945 zunächst als beleidigende Schmach empfunden wurde – und von heutigen Rechtsauslegern noch immer als solche empfunden wirde, gilt Gleiches. Thea Dorn studierte Philosophie und Theaterwissenschaften. Sie schrieb eine Reihe preisgekrönter Romane, Theaterstücke und Essays.
Johann Gottfried Herder prägte die europäische Ideengeschichte
Terry Eagleton ist davon überzeugt, dass der deutsche Philosoph Johann Gottfried Herder ein Autor war, dessen Bedeutung für die Ideengeschichte kaum zu überschätzen ist: „Er war einer der erste historistischen Denker mit einem wachen Sinn für die geschichtliche Bedingtheit von Kulturen, Texten, Ereignissen und Individuen. Man hat diesen Ansatz als eine der großen intellektuellen Umwälzungen des europäischen Denkens bezeichnet.“ Darüber hinaus wurde er als Vater des modernen Nationalismus gepriesen und sogar gerühmt, den Begriff der Kultur als umfassende Lebensweise in das europäische Denken eingeführt zu haben. Und als ob das noch nicht alles eindrucksvoll genug wäre, war Johann Gottfried Herder auch einer der Begründer der modernen Literaturtheorie sowie einer der ersten Denker, der die Bedeutung der Populärkultur für das soziale Leben erkannte. Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.
Die Themen Heimat und Leitkultur darf man nicht den Rechten überlassen
Thea Dorn plädiert in ihrem neuen Buch „deutsch, nicht dumpf“ dafür, die Themen Heimat, Leitkultur und Nation nicht den Rechten zu überlassen. Und sie klärt ihre Leser darüber auf, ob sie ihr Land lieben und es sogar Heimat nennen dürfen. Die Autorin wendet sich den politischen Schicksalsfragen Deutschlands zu und will wissen, ob die Rede von Heimat und Verwurzelung oder gar Patriotismus ein rückwärtsgewandtes, engstirniges Denken befördert, das über kurz oder lang zu neuem Chauvinismus, Rassismus und Nationalismus führen wird. Oder ist es nicht eher so, dass das Beharren auf den eigenen kulturellen, historisch gewachsenen Besonderheiten in Zeiten von Migration, Globalisierung und Technokratisierung nicht Grundbedingung dafür ist, jene weltoffene Liberalität und Zivilität zu wahren, zu der das heutige Deutschland inzwischen längst gefunden hat. Thea Dorn studierte Philosophie und Theaterwissenschaften. Sie schrieb eine Reihe preisgekrönter Romane, Theaterstücke und Essays.
Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller wurden Freunde
Die Ablehnung der Französischen Revolution war die gemeinsame Basis, auf der sich die Annäherung zwischen Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller in den 1790er Jahren vollziehen konnte; sie führte schließlich zu dem viel beschworenen „Freundschaftsbund“, der das Bild nachfolgender Generationen von der Klassik geprägt hat. Bereits im Jahr 1787 war Friedrich Schiller – angezogen von dem kulturellen Zentrum und in der Hoffnung auf materielle Sicherheit – nach unruhigen Wanderjahren nach Weimar gekommen, ohne dass sich die beiden Schriftsteller in den ersten Jahren näher kamen. Der langsame Annäherungsprozess, der nicht widerspruchsfrei verlief, führte zu einer engen und intensiven Zusammenarbeit auf verschiedenen Gebieten. Es kam zu einem regen Austausch der literarischen und philosophischen Arbeiten, wobei insbesondere Friedrich Schiller durch seine produktive Kritik Johann Wolfgang von Goethe in seiner Arbeit an den „Lehrjahren“ entscheidend förderte.
Kultur kann als eine Art soziales Unbewusstes verstanden werden
Seit so etwas wie Kultur existiert, hat sie das Zusammenleben der Menschen geprägt. In seinem neuen Buch „Kultur“ plädiert Terry Eagleton leidenschaftlich für die Rückbesinnung auf kulturelle Werte und liefert zugleich eine Anleitung, wie man seine persönlichen Beziehungen vertieft und dadurch zugleich die Zivilgesellschaft stärkt. Da der Begriff „Kultur“ sehr facettenreich ist, nähert sich Terry Eagleton seinem Gegenstand wohlweislich aus verschiedenen Perspektiven. Nachdem er sich mit der Bedeutung des Wortes „Kultur“ auseinandergesetzt hat, beschreibt er anschließend den entscheidenden Unterschied zwischen der Idee der Kultur und dem Begriff der Zivilisation. Danach befasst er sich mit der postmodernen Doktrin des Kulturalismus und unterzieht dabei die Begriffe Diversität, Pluralität, Hybridität und Inklusivität einer Kritik. Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.
Ina Schmidt stellt den Philosophen René Descartes vor
Hinter dem Satz „Cogito ergo sum“ (Ich denke, also bin ich) von René Descartes steht die ziemlich fundamentale Überzeugung, dass zwar fast alles auf dieser Welt vom Kontext der jeweiligen Situation, der Zeit in der man lebt, von anderen Menschen und Kulturen abhängt. Doch ein Mensch kann am Ende aller Bedingtheiten seiner selbst als ein denkendes Wesen sicher sein und ist deshalb imstande die Welt zu erklären. Ein Mensch kann also nicht nur suchen, sondern auch finden – beziehungsweise erkennen, so René Descartes. Auf diese Weise begann der moderne Vormarsch des Individuums. Ina Schmidt gründete 2005 die „denkraeume“, eine Initiative, in der sie in Vorträgen, Workshops und Seminaren philosophische Themen und Begriffe für die heutige Lebenswelt verständlich macht.