Die Kunstfreiheit gehört zur Demokratie

Martin Heideggers Ansicht, in der Kunst könne die für das Dasein des Menschen entscheidende Wahrheit geschehen, mag mit „Nein“ beantwortet werden, zumal die Kunst sich selbst zum Problem geworden ist. Für die Frage nach dem Freiheitsrang und Freiheitswerk der Kunst genügt laut Otfried Höffe die weit bescheidenere Annahme, die Kunst sei nicht belanglos geworden. Heutzutage hält man die Kunstfreiheit für ein selbstverständliches Recht, weshalb man gegen deren Nichtanerkennung protestieren muss und Staaten, in denen die Kunst systematisch unterdrückt wird, als Unrechtsstaaten kritisiert. Obwohl es zutrifft, dass die Kunstfreiheit zu den unverzichtbaren Elementen konstitutioneller Demokratien gehört, ist sie aber als Grundrecht relativ jung. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

Demokratien fördern Kultur und Kunst

Otfried Höffe erklärt: „Die Geschichte der Kunstfreiheit in der Moderne beginnt mit dem Schutz gegen staatliche und kirchliche Zensur. Den historischen Grund bilden die bekannten Emanzipationsprozesse, insbesondere die Loslösung aus kirchlichen Bindungen und absolutistischer Bevormundung.“ Nachdem der Absolutismus die Kunst in den Kreis der Staatszwecke aufnimmt, befreit sich die Kunst auch wegen der bei Immanuel Kant gewonnenen ästhetischen Autonomie von höfischen und ständischen Bindungen.

Viele Künstler müssen allerdings dafür mit sozialer Unsicherheit und Verarmung bezahlen. Dem steuern später Demokratien durch eine Art von Ausfallbürgschaft entgegen: Sie übernehmen die früher von Fürsten, der Kirche und reichen Mäzenen geleistete Aufgabe der Förderung von Kultur und Kunst. Dabei tritt der sozialstaatliche Gedanke, Künstlern eine gewisse Existenzgrundlage zu bieten, hinzu: Die negative Freiheit, der Befreiung von Bevormundung, wird durch eine positive Freiheit ergänzt. Die Ergänzung wird allerdings wegen der trotz sprudelnden Steuereinnahmen klammen Haushalte immer bescheidener.

Die Kunstfreiheit findet nur bei gleichrangigen Rechtsgütern eine Schranke

Ein Teil der ausgefallenen staatlichen Unterstützung wird durch nichtstaatliche Mäzene, teils Privatleute, teils Unternehmen, ausgeglichen, womit sich an die Kunst allerdings neue Erwartungen richten. Im deutschen Sprachraum findet man die Kunstfreiheit als Verfassungsrecht ein erstes Mal in der „bürgerlichen“ Paulskirchenverfassung von 1849. Als Vorläufer einer veritablen Kunstfreiheit taucht dort nämlich die künstlerische Meinungsfreiheit auf. Zum Bestandteil einer geltenden Verfassung aber wir die Kunstfreiheit erstmals im Artikel 142 der Weimarer Reichsverfassung.

Daran schließt sich das Grundgesetz an, das im Artikel 5 (3) Kunst und Wissenschaft für frei erklärt, ohne sie durch einen Gesetzesvorbehalt einzuschränken. Als Abwehrrecht gegen den Staat schützt die verfassungsrechtliche Kunstfreiheit als erstes den Künstler, dann aber auch sein Kunstwerk und dessen ästhetische Präsentation. Der Staat hat wegen des vorbehaltlosen Abwehrrechts der Kunstfreiheit daher nicht das Recht, einen verbindlichen Kunstbegriff autoritativ zu etablieren. Die Kunstfreiheit findet also nur bei gleichrangigen Rechtsgütern eine Schranke. Quelle: „Kritik der Freiheit“ von Otfried Höffe

Von Hans Klumbies