Der Weg zur Freiheit führt über Gleichheit und Gerechtigkeit

Joseph Stiglitz skizziert in seinem neuen Buch „Der Weg zur Freiheit“ eine Ökonomie für eine gerechte Gesellschaft. Er schreibt: „Wir befinden uns mitten in einem globalen Krieg, in dem es darum geht, Freiheit zu schützen und zu bewahren.“ Joseph Stiglitz ist fest davon überzeugt, dass Demokratien und freie Gesellschaften die Bedürfnisse ihrer Bürger sehr viel effektiver befriedigen als autoritäre Systeme. Allerdings versagen die freien Gesellschaften auf mehreren Schlüsselgebieten, insbesondere in der Wirtschaftspolitik. Laut Joseph Stiglitz gibt es vier Freiten: erstens, die Freiheit zu arbeiten, zweitens, die Freiheit, die Früchte seiner Arbeit zu genießen, drittens, die Freiheit, Eigentum zu besitzen und darüber zu verfügen, und viertens, die Freiheit, an einem freien Markt teilzunehmen. Joseph Stiglitz war Professor für Volkswirtschaft in Yale, Princeton, Oxford und Stanford. Heute lehrt er an Columbia University in New York und ist ein weltweit geschätzter Experte zu Fragen von Ökonomie, Politik und Gesellschaft.

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In der Demokratie besteht eine Balance zwischen Freiheit und Gleichheit

Demokratie ist eine Frage des Augenmaßes. Ihre Qualität hängt vom möglichst klugen, aber nie ganz stimmigen Justieren der Machtbalance ab. Roger de Weck fügt hinzu: „Obendrein muss sie laufend auch ihre zwei wichtigsten herkömmlichen Ideale austarieren, die sich reiben: so viel Freiheit wie möglich, damit das Individuum gedeiht; so viel Gleichheit beziehungsweise solidarische Umverteilung wie nötig, damit das Gemeinwesen und seine benachteiligten Mitglieder vorankommen.“ Inzwischen ist dieser Ausgleich noch anspruchsvoller geworden, nämlich seit der epochalen Studie über „Die Grenzen des Wachstums“ die ihre Mitautoren Donella und Dennis Meadows 1972 am St. Galler Symposium vorstellten. Der Umweltgedanke hat sich seither durchgesetzt und das dritte Ideal der Französischen Revolution mit neuem Leben erfüllt: Der „fraternité“ verleiht die grüne Bewegung eine zeitgemäße Bedeutung. Roger de Weck ist ein Schweizer Publizist und Ökonom.

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Die Philosophie des 18. Jahrhunderts ergründet die Empathie

Im Jahr 2017 berichteten im sozialen Netzwerk Twitter von Erfahrungen sexualisierter Gewalt. Svenja Flaßpöhler berichtet: „Frauen wie Männer auf der ganzen Welt fühlten mit den Opfern, solidarisierten sich im Netz und empörten sich über die Täter.“ Die empathische Kraft von Millionen von Menschen rund um den Globus führte zur Entmachtung und Verhaftung von Tätern. Man klagte Verdächtige öffentlich an und verschärfte das Sexualstrafrecht in Deutschland. Geschützt ist eine Frau jetzt auch dann, wenn sie zur Äußerung ihres Willens – etwa durch Drogen – gar nicht in der Lage ist. Doch was genau ist das für ein Gefühl: die Empathie? Wie kommt es, dass Menschen überhaupt mit fremden Schicksalen mitfühlen können? Die Philosophie des 18. Jahrhunderts war tief geprägt von diesen Fragen. Svenja Flaßpöhler ist promovierte Philosophin und Chefredakteurin des „Philosophie Magazins“.

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Demagogen werfen dem Establishment Volksferne vor

Liberale Demokratien müssen sich auf neue Aufgaben einstellen. Polarisierung? Roger de Weck stellt fest: „Angesagt und vonnöten ist das diametrale Gegenteil, um den Anforderungen des 21. Jahrhunderts gewachsen zu sein. Polarisierende und radikalisierende Politik taugt zum Machtgewinn, sonst zu gar nichts.“ Demagogen werfen dem Establishment Volksferne vor. Doch verrät ihre Faktenferne bis hin zu Faktenfreiheit, dass ausgerechnet die vorgeblich rechte „Realpolitik“ meilenweit von der Realität entfernt ist. Auf postfaktische Weise lässt sich die Gesellschaft radikalisieren, aber kein Ziel erreichen. Und das Reiseziel der Politik heißt jetzt in jeder Hinsicht: Einbezug. Die Ökologie ist ins Gefüge der demokratischen Institutionen einzubeziehen. Das Prinzip der Nachhaltigkeit ist in den republikanischen Dreiklang Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit einzuweben. Roger de Weck ist ein Schweizer Publizist und Ökonom.

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Die Demokratie steht eindeutig unter wachsendem Druck

Das letzte Jahrzehnt war für Demokratien unerfreulich. Ben Ansell erläutert: „Die dritte Welle demokratischer Umbrüche, die Mitte der 1970er-Jahre begann und in den frühen 1990ern die meisten kommunistischen Regime hinwegspülte, verebbte Anfang des 21. Jahrhunderts oder verkehrte sich sogar ins Gegenteil.“ Autokratische Kräfte von Russland bis China ließen im militärischen Bereich vermehrt ihre Muskeln spielen. Die „Heimstätten“ der Demokratie von Griechenland über Großbritannien bis hin zu den Vereinigten Staaten gerieten durch umstrittene Referenden, Erfolge populistischer Parteien und Angriffe auf die Mainstream-Medien, Behörden und die Wissenschaft ins Trudeln. Die Demokratie mag ein weitverbreitetes Ideal sein, doch sie steht eindeutig unter wachsendem Druck. Manchmal klagen die Bürger über das Chaos und die mangelnde Entschlossenheit, wenn sich Demokratien scheinbar zu keiner Entscheidung durchringen können. Ben Ansell ist Professor für Politikwissenschaften am Nuffield College der Universität Oxford.

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Personen zu vertrauen ist riskant

Indem ein Mensch mit Geld etwas bezahlt, verwandelt er alle anderen in Zuschauer des Geldzaubers. Anders gesagt: Alle anderen Menschen versinken im Akt dieser Zahlung in eine wohltuende Neutralität. Norbert Bolz erklärt: „Denn für Verkäufer, Käufer und Zuschauer der wirtschaftlichen Transaktionen gilt, dass sie den jeweils anderen nicht mehr als „Individuum“ behandeln müssen. Das erleichtert das soziale Leben.“ Personen zu vertrauen ist zu riskant. In der modernen Welt kann man sich glücklicherweise Personenvertrauen durch Systemvertrauen ersparen. Doch das System ist undurchschaubar und unkontrollierbar. Deshalb ist das Angebot der modernen Wirtschaft unwiderstehlich, Systemvertrauen durch Geldvertrauen zu ersetzen. Geldvertrauen erspart einem Menschen das Vertrauen in andere Personen und in Informationen, die zum Verständnis des Systems nötig wäre. Univ.-Prof. Dr. Norbert Bolz lehrte bis zu seiner Emeritierung als Professor für Medienwissenschaft an der Technischen Universität Berlin.

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Erfolgreiche Politik funktioniert nur ohne Egoismus

In seinem neuen Buch „Warum Politik so oft versagt“ erklärt Ben Ansell auf welche Weise Institutionen und Normen dafür sorgen, ob Politik erfolgreich ist oder ob sie scheitert. Politik ist ein heikler Begriff. Manche Menschen verbinden damit abstoßende, korrupte Machenschaften von Politikern. Für andere beschwört er Chancen herauf, was niemand allein bewerkstelligen kann. Vielleicht stimmt ja beides. Ben Ansell erläutert: „Politik bedeutet zunächst einmal die Art, wie wir kollektive Entscheidungen treffen. Die Art, wie wir in einer unsicheren Welt gegenseitige Verpflichtungen eingehen. Und Politik ist für die Lösung unserer Dilemmata von Klimawandel bis Bürgerkrieg, von globaler Armut bis zur Corona-Pandemie von wesentlicher Bedeutung.“ Doch Politik ist ein zweischneidiges Schwert: Sie verspricht nicht nur, die Probleme der Menschen zu lösen, sie schafft auch neue. Ben Ansell ist Professor für Politikwissenschaften am Nuffield College der Universität Oxford.

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Konflikte sind nicht problematisch

Jan-Werner Müller weiß: „Gleichheit, ob nun im sozialen Sinne oder im Sinne gleicher politischer Grundrechte, bedeutet nicht Unterschiedslosigkeit oder Homogenität.“ Das Gegenteil von Gleichheit ist nicht Vielfalt – die mit politischer Gleichheit vollkommen verträglich sein kann –, sondern Ungleichheit. Zudem verlangen weder politische noch soziale Gleichheit, dass Menschen immer einer Meinung wären. Eines der am weitesten verbreiteten Missverständnisse bezüglich demokratischer Politik der Gegenwart besagt, Spaltung und Konflikt wären an sich problematisch oder sogar gefährlich. Denn die Bürger haben ganz unterschiedliche Vorstellungen über ein gutes Leben für sich selbst und auch über das Gemeinwohl. Diese Unterschiede lassen sich nicht allein auf Irrationalität, mangelnde Information oder ein Fehlen der rechten politischen Bildung zurückführen. Jan-Werner Müller ist Roger Williams Straus Professor für Sozialwissenschaften an der Princeton University.

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Die Demokratie ist der einzige Weg zur Gerechtigkeit

Politische Gleichheit darf man nicht opfern. Danielle Allen betont: „Meiner Meinung nach ist die Demokratie der Weg zur Gerechtigkeit, und zwar der einzige.“ Es mag zwar sein, dass mildtätige Autokraten für materiellen Wohlstand in der Bevölkerung sorgen, aber sie werden qua Definition niemals die Grundlage für volles menschliches Wohlergehen schaffen. Und deshalb niemals vollumfängliche Gerechtigkeit erreichen. Dennoch gibt es zum Trotz immer Menschen, die einen anderen Weg wählen und auf Demokratie verzichten. Das nimmt Danielle Allen als unvermeidliche Gegebenheit des Lebens hin. Richtig verstandene Gerechtigkeit beruht auf politischer Gleichheit und den ihr zugrunde liegenden Institutionen. Danielle Allen ist James Bryant Conant University Professor an der Harvard University. Zudem ist sie Direktorin des Edmond J. Safra Center for Ethics in Harvard.

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Die klassische Antike „erfindet“ das Individuum

Selbstverständlich gab es auch schon vor der Renaissance die Entdeckung und Wertschätzung des Einzelnen. Larry Siedentop etwa verlegt die „Erfindung des Individuums“ in die klassische Antike Griechenlands. Rüdiger Safranski ergänzt: „Bereits dort beobachtete er, dass Individuen ganz besonders geschätzt werden: Es gibt sie nicht einfach, es soll sie geben. Es finden sich nicht nur einfach Unterschiede zwischen ihnen, sondern es ist gut, dass es Unterschiede gibt.“ Und es ist noch besser, wenn es möglichst viele davon gibt. Es handelt sich dabei um die entfaltete Vielfalt als Ziel, viele Einzelne, die in ihrer jeweiligen Einzelheit sichtbar bleiben. Über lange historische Wegstrecken und in vielen Kulturräumen war und ist das gesellschaftliche Zusammenleben so organisiert, dass die Individualität in der Regel in den kollektiven Verbänden verschwindet. Rüdiger Safranski arbeitet seit 1986 als freier Autor. Sein Werk wurde in 26 Sprachen übersetzt und mit vielen Preisen ausgezeichnet.

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Viele Menschen sind von der Demokratie enttäuscht

Millionen von Menschen in aller Welt sind offenkundig unzufrieden mit ihren Demokratien. Sie wenden sich jedoch keineswegs von der Grundidee der Demokratie ab. Jan-Werner Müller weiß: „Zu den Menschen, die von der Demokratie enttäuscht sind, sie aber nicht aufgeben wollen, gehören auch viele Millennials, die man immer gern im Verdacht hat, das mit der Demokratie nicht ganz so wichtig zu nehmen.“ Das ist erst mal ein Grund zur Hoffnung. Und es ist ein deutlicher Unterschied zum 20. Jahrhundert. In der Weimarer Republik hatten beispielsweise viele Bürger das Gefühl, Institutionen wie Parlamente seien an sich diskreditiert und undemokratische Systeme böten eine Alternative für Deutschland. Leider gibt es aber auch heute eine unangenehme Wahrheit. Jan-Werner Müller ist Roger Williams Straus Professor für Sozialwissenschaften an der Princeton University.

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Freiheit und Gleichheit gehören zu den Grundrechten

Immanuel Kants kleine Schrift „Zum ewigen Frieden“ hat spätestens mit der durch sie angeregten Gründung des Völkerbunds 1919 einen weltpolitischen Rang erhalten. In ihr werden im ersten Definitionsartikel, der die Staaten auf eine republikanische Verfassung verpflichtet, drei Prinzipien genannt. Diese seien unbedingt zu beachten. Volker Gerhardt stellt fest: „Zwei der Prinzipien, nämlich die Freiheit und die Gleichheit der Bürger, sind uns aus den Grundrechtskatalogen bekannt.“ Aber das zwischen ihnen stehende dritte Prinzip der Abhängigkeit aller Bürger „von einer einzigen gemeinsamen Gesetzgebung“ ist erklärungsbedürftig. Denn in einer offenen Welt, in der man seinen Wohnort selbst bestimmen kann, wirkt die Bindung an die Gesetzgebung eines einzigen Staates befremdlich. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

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Soziale Verbundenheit könnte ein Idealzustand sein

Das Assimilationsideal strebt nach sozialem Zusammenhalt, opfert aber dafür das Bedürfnis des Einzelnen, mit seiner Herkunftsgemeinschaft in Verbindung zu bleiben. Das Multikulturalismusideal wertet diese Verbindung zu diesen Herkunftsgemeinschaften auf Kosten sowohl eines vernünftigen Identitätsverständnisses als auch der wertvollen Fluidität sozialer Bindungen auf. Danielle Allen stellt fest: „Das Ideal sozialer Verbundenheit und einer vernetzten Gesellschaft wart dagegen die Autonomie.“ Eine Assoziationsökologie, die das Bauen von Brücken maximiert, sollte egalitäre Effekte mit sich bringen. Zudem sollte sie die Wahrscheinlichkeit minimieren, dass soziale Differenz sich mit Herrschaft verknüpft. Damit hat Danielle Allen ein soziales Prinzip der Organisation formuliert. Danielle Allen ist James Bryant Conant University Professor an der Harvard University. Zudem ist sie Direktorin des Edmond J. Safra Center for Ethics in Harvard.

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Jeder Mensch ist von anderen abhängig

Die Sozialphilosophie beschäftigt sich mit lebendigen und haltbaren Bindungen. Diese müssen mit Blick darauf gedacht werden, dass die der Verteidigung würdigen „Selbste“ im politischen Raum gesellschaftlich ungleiche Artikulationsbedingungen haben. Judith Butler erklärt: „Die Beschreibung der sozialen Bindungen, ohne die das Leben gefährdet ist, ist auf der Ebene einer Sozialontologie angesiedelt. Diese ist eher als ein gesellschaftliches Imaginäres denn als eine Metaphysik des Sozialen zu begreifen.“ Anders gesagt lässt sich ganz allgemein davon ausgehen, dass Leben durch soziale Interdependenz gekennzeichnet ist. Gewalt stellt einen Angriff auf diese Interdependenz dar, einen Angriff auf Personen, ja, aber noch grundlegender einen Angriff auf „Bindungen“. Obgleich Interdependenz Differenzierungen von Unabhängigkeit und Abhängigkeit begründet, impliziert sie auch soziale Gleichheit. Judith Butler ist Maxine Elliot Professor für Komparatistik und kritische Theorie an der University of California, Berkeley.

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In der Demokratie gilt politische Gleichheit

Autoritäre Rechtspopulisten geben zu verstehen, dass nicht alle Bürger Teil des wahren Volkes seien. Vielmehr gehörten manche gar nicht wirklich dazu oder wären bestenfalls Bürger zweiter Klasse. Hier wird ein demokratisches Grundprinzip verletzt. Jan-Werner Müller erklärt: „In einer Demokratie müssen die Bürger die Erfahrung von politischer Gleichheit machen.“ Manchen Menschen gilt die Demokratie als etwas Gutes, weil sie Wohlstand und Frieden sichert. Deshalb könnte man sie ja aufgeben, falls ein anderes System Wohlstand und Stabilität noch effektiver bietet. Zum Beispiel eine Idealversion des autoritären China. Also eines Systems, dessen Versprechen von Wohlstand und gesellschaftlicher Harmonie wirklich eingelöst wären. Viele Menschen wollen jedoch nicht in einer Gesellschaft leben, in der manche als den anderen grundsätzlich überlegen gelten. Jan-Werner Müller ist Roger Williams Straus Professor für Sozialwissenschaften an der Princeton University.

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Soziale Differenzen führen leicht zu Herrschaft

Eine grundlegende Äußerungsform der Vereinigungsfreiheit ist das Recht zu heiraten, wen man möchte. Danielle Allen erklärt: „Wenn in Zuneigung zueinander verbundene Menschen sich zu Ehepartnern zusammenfinden, bilden sie Bausteine zu kulturell homogenen Einheiten.“ Unabhängig davon, wie Heiratsmärkte genau beschaffen waren, haben sie normalerweise unterscheidbare ethnische Gemeinschaften hervorgebracht. Und es besteht aller Grund zu der Annahme, dass Vereinigungsfreiheit dieses Muster eher verstärkt als untergräbt. Denn einander ähnliche Menschen neigen dazu, sich zueinander zu gesellen. Diese Tatsache zählt zu den Grundbausteinen der menschlichen Sozialorganisation. Wo es soziale Differenzen gibt, kann es leicht auch zu Herrschaft kommen. Die Politikwissenschaftlerin und Altphilologin Danielle Allen lehrt als Professorin an der Harvard University. Zugleich ist sie Direktorin des Edmond J. Safra Center for Ethics in Harvard.

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Abhängigkeit beinhaltet Verletzlichkeit

Gleichheit ist ein Merkmal sozialer Beziehungen und ihre Artikulation basiert auf der zunehmend anerkannten Interdependenz. Die menschlichen Grenzen kann man als relationale und soziale Einschränkungen betrachten. Für Judith Butler ist „Verletzlichkeit“ kein subjektiver Zustand, sondern ein Merkmal des geteilten oder interdependenten Lebens. Menschen sind niemals einfach nur verletzbar. Sondern sie sind immer verletzbar durch eine bestimmte Situation, eine Person oder eine soziale Struktur. Menschen sind angreifbar durch jene Umwelt- und Gesellschaftsstrukturen, die ihr Leben erst ermöglichen. Und wo diese versagen, scheitern auch die Menschen. Judith Butler weiß: „Abhängigkeit impliziert Verletzbarkeit. Wenn die sozialen Strukturen, von denen man abhängt, versagen, gerät man in eine prekäre Lage.“ Judith Butler ist Maxine Elliot Professor für Komparatistik und kritische Theorie an der University of California, Berkeley.

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Die Revolution hat ihre Gegner

Anfangs war der Gedanke der „Brüderlichkeit“ in der Französischen Revolution frei von jeder Aggressivität. Der Revolutionär will den neuen, den besseren Menschen schaffen, der sich die Ziele der Revolution zu eigen macht. Deshalb arbeitet er in einer gemeinsamen Brüderlichkeit auf den Umsturz mit den Methoden der Revolution hin. Paul Kirchhof weiß: „Doch diese Revolution hat ihre Gegner: den König und sein Gefolge, die Aristokraten, das Feudalsystem, den hohen Klerus, schließlich alle Andersdenkenden.“ Dadurch wird die „Brüderlichkeit“ zu einem ausgrenzenden Begriff: „Jeder Franzose ist heute euer Bruder, bis er sich offen als Verräter am Vaterland erweist. Da die Aristokraten kein „Vaterland“ hätten, seien sie von vornherein vom Kreis der Brüder ausgenommen. Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg.

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Autonomie beruht auf Grundfreiheiten

Der Schutz politischer Freiheit verlangt nicht bloß die Gewährung des Rechts zu wählen, ein Amt zu bekleiden oder als Geschworener zu fungieren. Dazu gehören auch Vereinigungsfreiheit und freie Meinungsäußerung, die politische Partizipation erst möglich machen. Danielle Allen erklärt: „Letztere Rechte bilden natürlich auch eine wertvolle Grundlage für die Äußerungen von privater und nicht bloß von öffentlicher Autonomie.“ Die Dynamik des Sozialen und Ökonomischen darf dabei die gleichen Grundfreiheiten, einschließlich der politischen Freiheiten, nicht untergraben. In Bezug auf diesen Punkt setzt sich Danielle Allen ganz entschieden von John Rawls ab. Dieser behauptet immerhin, dass die Grundfreiheiten, auf denen private Autonomie beruht, niemals dem materiellen Wohlstand geopfert werden dürfe. Die Politikwissenschaftlerin und Altphilologin Danielle Allen lehrt als Professorin an der Harvard University. Zugleich ist sie Direktorin des Edmond J. Safra Center for Ethics in Harvard.

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Freiheit bewahrt den Staat vor Überforderung

Der freiheitliche Staat überlässt den Menschen die Gestaltung ihres Lebens. Insoweit darf der Staat nicht handeln, ist aber auch von Aufgaben entlastet. Paul Kirchhof ergänzt: „Freiheit bewahrt den Staat vor Überforderung, enthält ein Konzept sachgerechter Aufgabenteilung zwischen Gesellschaft und Staat. Der Staat nimmt sich um der Freiheit willen in seinen Machtbefugnissen zurück.“ Er ist ohne Macht, ohnmächtig, wo Freiheit wirkt. Immer mehr Menschen suchen jedoch statt der selbstbestimmten und selbstverantwortlichen Freiheit eine sicherheitsbedachte, den Staat beanspruchende Freiheit. Daher organisiert, regelt und finanziert der Staat die Voraussetzungen individueller Freiheitswahrnehmung. Er formt die Freiheitsfähigkeit durch Ausbildung, Bildung und Kulturangebote und setzt damit den Rahmen der Freiheit. Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg.

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Die Nationalstaaten beuten die Natur aus

Die Werbung vieler Unternehmen feiert eine globalisierte Welt. Aber die Idee von der größeren Reichweite ihrer Geschäftsbeziehungen umfasst nur einen Aspekt der Globalisierung. Judith Butler weiß: „Nationalstaatliche Souveränität mag im Schwinden begriffen sein, aber neue Nationalismen halten an diesem Rahmen fest.“ Die Regierungen der Vereinigten Staaten sind nur schwer von der realen Bedrohung der lebensfähigen Welt durch den Klimawandel zu überzeugen. Das liegt daran, dass ihre Rechte zur Erweiterung von Produktion und Märkten weiterhin im Rahmen des Nationalstaates konzentriert bleiben. Dies trägt zur Ausbeutung der Natur und der Vormachtstellung des Profits bei. Sie rechnen vielleicht gar nicht mit der Möglichkeit, dass ihr Handeln Auswirkungen auf alle Regionen der Welt hat. Judith Butler ist Maxine Elliot Professor für Komparatistik und kritische Theorie an der University of California, Berkeley.

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Der demographische Wandel prägt die USA

Die USA erleben derzeit einen umfassenden demographischen Wandel. Dieser wird mit Sicherheit frühere Denkansätze in Bezug auf Fragen der Identität, der Gemeinschaft und der sozialen Beziehungen auf den Kopf stellen. Wenn die US-amerikanischen Bürger heute die falschen Entscheidungen treffen, könnte es sein, dass der binäre Gegensatz schwarz / nichtschwarz sich von Neuem behauptet und Rassenprivilegien genauso massiv sind wie eh und je. Danielle Allen ergänzt: „Etwas Ähnliches ließe sich über Europa sagen. So wie es sich gerade mit einer Mischung aus niedrigen Geburtsraten in der einheimischen Bevölkerung, Flüchtlingskrise, binneneuropäischer Migration und der Frage von Europas Zukunft herumschlägt.“ Die Politikwissenschaftlerin und Altphilologin Danielle Allen lehrt als Professorin an der Harvard University. Zugleich ist sie Direktorin des Edmond J. Safra Center for Ethics in Harvard.

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Martha Nussbaum fordert Gerechtigkeit

Um die Frage, was für ein gutes Leben wichtig ist, geht es Martha Nussbaum und Amartya Sen, die den „capabilities“-Ansatz maßgeblich entwickelt haben. Katia Henriette Backhaus erklärt: „Nussbaum versteht ihre Variante als Teil des politischen Liberalismus. Es gibt jedoch grundlegende Unterschiede zur Debatte um „greening liberalism“. Soziale Gerechtigkeit, Gleichheit und die Lebensqualität stehen im Kern von Martha Nussbaums Überlegungen, die sich darum drehen, was eine Person fähig ist, zu tun und zu sein. Davon ausgehend bildet sie ihre Gerechtigkeitstheorie. Eine Kombination interner Fähigkeiten und externer Möglichkeiten macht den umfassenden Charakter dieses Ansatzes aus. Dieser fordert von Gesellschaft und Staat, diese beiden Aspekte menschlicher „capabilities“ zu gewährleisten. Katia Henriette Backhaus hat an der Universität Frankfurt am Main im Bereich der politischen Theorie promoviert. Sie lebt in Bremen und arbeitet als Journalistin.

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Politische Gleichheit erfordert Gegenseitigkeit

Eine Komponente von politischer Gleichheit betrifft egalitäre Praktiken der Gegenseitigkeit. Danielle Allen erläutert: „Für gerechte menschliche Beziehungen ist die Art von Gleichheit erforderlich, die sich in Gegenseitigkeitsprinzipien äußert.“ Solche Prinzipien bilden die Grundlage für Interaktionen. Durch diese erlangen sowohl Freude als auch Mitbürger in ihren Beziehungen zueinander gleiche Handlungsmacht. Folgendes gilt sowohl für die Freundschaft als auch für die Politik. Alle Beteiligten möchten über einen Handlungsspielraum verfügen, der keine Einschränkungen durch andere erfährt. Das Erlangen von Freiheit beruht auf einer egalitären Verpflichtung zur ständigen Neujustierung, mit deren Hilfe Beeinträchtigungen behoben werden können. Die Verfahren zur Problemlösung eines freien Volkes stützen sich auf diese Art von egalitärer Grundlage, auf Gewohnheiten der Gegenseitigkeit. Die Politikwissenschaftlerin und Altphilologin Danielle Allen lehrt als Professorin an der Harvard University. Zugleich ist sie Direktorin des Edmond J. Safra Center for Ethics in Harvard.

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Demokratien leben von kollektivem Lernen

Ein weiteres Merkmal politischer Gleichheit ist, was Danielle Allen als epistemischen Egalitarismus bezeichnet. Wie alle politischen Systeme sind Demokratien auf erfolgreiche, kollektive Praktiken des Lernens und des Wissensmanagement angewiesen. Nur so können die richtigen Entscheidungen getroffen werden. Im Unterschied zu anderen Regierungsformen sind ihnen Verfahren zugänglich, welche die kollektive Entscheidungsfindung stärken. Denn sie können auf die Wissensressourcen der gesamten Bürgerschaft zurückgreifen. Daniele Allen stellt fest: „Menschen sind Schwämme, die Informationen über ihre Umwelt aufnehmen. Manche Schwämme sind besser als andere, aber saugfähig sind wir alle.“ Alle Menschen sind insofern gleich geschaffen, dass sie alle zum Aufsaugen bestimmt sind. Die Politikwissenschaftlerin und Altphilologin Danielle Allen lehrt als Professorin an der Harvard University. Zugleich ist sie Direktorin des Edmond J. Safra Center for Ethics in Harvard.

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