Die Emanzipation verändert auch die Männer

Noch zur Zeit der Aufklärung wurden Knechte wie Mägde, aber auch Frauen ganz allgemein als unmündig angesehen. Immanuel Kant bezeichnete 1793 noch die Unmündigkeit der Frauen als natürlich gegeben und nannte sie in einem Atemzug mit der der Kinder. Ulf Poschardt stellt fest: „Mündige Männer freuen sich gut zweihundert Jahre später über die Emanzipation der Frauen.“ Die „emancipatio“ meinte im Lateinischen die Entlassung des Sohnes aus der väterlichen Gewalt oder auch die Freilassung eines Sklaven. Mündigkeit kennt kein Geschlecht. Sie ist eine universalistische Idee von Humanität und Fortschritt. Durch den Prozess der Emanzipation werden nicht nur Frauen andere, auch die Männer verändern sich mit ihnen. Die kulturellen Rollenbilder verschieben sich drastisch und schnell. Seit 2016 ist Ulf Poschardt Chefredakteur der „Welt-Gruppe“ (Die Welt, Welt am Sonntag, Welt TV).

Seit den 90er Jahren sind Männer häufig Clowns

Das Patriarchat hat Männer durch Privilegiertheit entmündigt. Der Feminismus als angemeldeter Herrschaftsanspruch der Frauen hat den Männern im Zweifel die Chance auf einen Neustart ermöglicht. Seit Anfang der Neunzigerjahre sind Männer häufiger Clowns oder, genauer gesagt, Pausenclowns. Strategisch war die Rolle des Clowns ein Befreiungsschlag. Die Antithese zu einer falsch gewordenen Mündigkeit, die durch eine patriarchale Welt alternativlos schien, gab Luft und Raum für neue Rollenbilder.

Der Clown war Joker: eine Leerstelle als Inkubator. Nach Jahrhunderten zwanghafter Verantwortung in patriarchaler Mündigkeit kamen neue Phänomenologien: Haarverwuschler. Pfeifen. Nieten. Ulf Poschardt betont: „Der Fortschritt hat gesiegt, also die Frau. Damit müssen mündige Männer jetzt klarkommen. Das müssen sie feiern. Und sich ihre Nischen und Nebenrollen suchen.“ Nur mehr notdürftig verschalt das Mackertum die Ratlosigkeit der Männer und hält ihr zappeliges Selbstbild zusammen. In Werbespots tragen Männer Vollbart, haben Gesichtstattoos und aufgepumpte Oberarme.

Die wirklich coolen Figuren sind Frauen

Ulf Poschardt weiß: „Doch hinter dieser Marines-Fassade stecken Kuscheltiere.“ Natürlich reicht die Kulturgeschichte des Mannes als Pausenclown weit zurück. Mehr noch: War doch die Verklärung des Jägers und Sammlers zum starken Geschlecht immer überschattet von einem universellen Zweifel. Möglicherweise war sie nur eine Kompensation für krasse Monopole wie Schwangerschaft und Geburt. In den vergangenen zwanzig Jahren aber haben sich die kulturellen Spiegelungen des Mannes drastisch verändert.

Den vermeintlich harten Kerl gibt es fast nur noch als Karikatur, als totale Witzfigur, als Groteske, als Freak. Gespielt werden sie dann von Vin Diesel, The Rock oder Jason Statham. Diese Gorillas lassen ihre Ahnen Sly Stallone, Bruce Willis und Arnold Schwarzenegger wie Balletttänzer aussehen. Die wirklich coolen, harten, schlauen Figuren sind Frauen. Schon länger. Die Mündigkeit hat das Geschlecht gewechselt – zumindest in der Popkultur. Dort flüchten sich die kulturell relativierten Männer in einen entspannenden Unernst. Frauenrollen dagegen fordern fast im sprichwörtlichen Sinne militant Mündigkeit an und nehmen sie an. Quelle: „Mündig“ von Ulf Poschardt

Von Hans Klumbies