Lehrer, die laut eigener Auffassung nach „Racial Justice“ – auf Deutsch in etwa: „rassistischer Gerechtigkeit“ – streben, trennen in einer wachsenden Anzahl amerikanischer Schulen Kinder auf Grundlage ihrer Hautfarbe voneinander. Das ist das Resultat eines neuen ideologischen Trends. Yascha Mounk erläutert: „Diese Praxis hat mittlerweile in einigen öffentlichen Schulen Einzug gehalten. So bietet die Highschool in Evanston, einem der nobelsten Vororte Chicagos, separaten Mathematikunterricht für schwarze Schüler an.“ Eine Schule in Wellesley, in Massachusetts, betreibt seit einiger Zeit einen „heilenden Raum für asiatische und asiatisch-amerikanische Schüler. Dabei handelt es sich um einen „Safe Space“, der nicht für Lernende gedacht ist, die sich als Weiß identifizieren. Das amerikanische Gesetz setzt staatlichen Einrichtungen seit der Bürgerrechtsbewegung enge Grenzen, wann und wie sie Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe betreiben dürfen. Yascha Mounk ist Politikwissenschaftler und lehrt an der Johns Hopkins Universität in Baltimore.
Schule
Erziehung und Bildung erleben einen sozialen Wandel
Das Engagement, das Erziehung und Schule in den Familien der akademischen Mittelklasse seit den 1990er Jahren beansprucht, ist immens. Andreas Reckwitz erläutert: „Der alltägliche Umgang mit den Kindern, ihre Förderung und Begleitung ihrer Schullaufbahn erreichen eine ausgeprägte Intensität.“ Erziehung und Schule sind der Ort, an dem sich die beiden wichtigsten Motive der Lebensführung der Akademikerklasse, aufs Engste miteinander verbinden. Nämlich ihr Wunsch nach Selbstentfaltung und das Streben nach sozialem Prestige. In der industriellen Moderne stellte die Schule ein herausragendes gesellschaftliches Feld der formalen Rationalisierung und Standardisierung dar. Die soziale Logik des Allgemeinen und des Gleichen war prägend. Die Massenbildung ist eine „industrielle“ Bildung gewesen und ist es nach wie vor. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.
Bildung sorgt für individuelles Glück
Dass sich Menschen und Gesellschaften durch Bildung verändern lassen, gehört zu den zentralen Mythen moderner Bildungsideologien. Konrad Paul Liessmann erläutert: „Vielen gilt Bildung als jenes Instrumentarium, mit dem nicht nur die Menschen ihr individuelles Glück finden, sondern mit dem man auch die sozialen, politischen und ökonomischen Probleme unserer Zeit lösen kann.“ Wer einen Menschen aus dem Netz rassistischer oder sexistischer Vorurteile befreien und zum Positiven verändern möchte, empfiehlt, ihn zu bilden. Wer eine Gesellschaft gerechter und friedlicher haben möchte, empfiehlt, damit in der Schule zu beginnen. Konrad Paul Liessmann stellt sich die Frage, ob Bildung hält, was man sich hier von ihr verspricht. Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech.
Clemens Fuest analysiert die Exit-Debatte
Die aktuellen Kontaktbeschränkungen in Deutschland verstärken psychische Krankheiten Wie Depressionen. Häusliche Gewalt und andere soziale Probleme nehmen zu. Menschen, die sich in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht sehen, werden oft krank. Clemens Fuest erläutert: „Die Kosten des Shutdowns gehen außerdem weit über den Ausfall von Produktion und Wertschöpfung im engeren Sinne hinaus.“ Durch die Schließung von Schulen und Kindergärten unterbleiben Investitionen in die Bildung. Die in Deutschland ohnehin ausgeprägte Ungleichheit der Bildungschancen verschärft sich. Zu Hause statt in der Schule zu lernen, fällt Kindern aus bildungsfernen Milieus deutlich schwerer als anderen. Darüber hinaus kann ein leistungsfähiges Gesundheitssystem mittelfristig nur auf der Basis einer funktionierenden Wirtschaft bestehen. Aus all diesen Gründen besteht die Aufgabe des Krisenmanagements in der Pandemie nicht darin, entweder der Gesundheit oder der Wirtschaft Priorität einzuräumen. Clemens Fuest ist seit April 2017 Präsident des ifo Instituts.
In Deutschland gibt es keine Chancengerechtigkeit
Das deutsche Bildungssystem funktioniert nicht, wie es sollte. Für die Frage, wie viel Geld einer nach Hause bringt, spielt der Berufsabschluss eine zentrale Rolle. Wer ein Uni-Diplom hat, verdient in Deutschland im Durchschnitt 70 Prozent mehr als ein Realschüler, der eine Lehre macht. Alexander Hagelüken fügt hinzu: „Jedes Jahr, das ein mittelalter Arbeitnehmer vor seinem Job länger mit seiner Bildung verbringt, zahlt sich für ihn aus: Mit einem zehn Prozent höheren Einkommen.“ Das macht schnell den Unterschied zwischen einem mäßig bezahlten Job und einem Platz in der Mittelschicht. Wenn sich der Verdient so stark nach dem Abschluss richtet, ist natürlich entscheidend, wovon es abhängt, welchen Abschluss einer macht. Alexander Hagelüken ist als Leitender Redakteur der Süddeutschen Zeitung für Wirtschaftspolitik zuständig.
Der Individualismus hat alle gleich gemacht
Das Zeitalter des ersten Individualismus erstreckte sich von 1800 bis in die 1960er Jahre. Es handelt sich dabei um jenen paradoxen Individualismus, der alle gleich gemacht hat. Isolde Charim erklärt: „Damals bedeutete Individualismus Abstraktion von Herkunft, Abstraktion von sozialer Stellung, Abstraktion von partikularen Bestimmungen. So entstand das >Individuum des Universellen<, wie Pierre Rosanvallon es nennt – die Grundlage des demokratischen Subjekts als Wähler, als juristisches Subjekt.“ Jenes Subjekt, das sich über die Abstraktion, über das Absehen von seinen konkreten Bestimmungen vergesellschaftete. Individualismus bedeutete also nicht Vereinzelung, sondern Eintritt als abstrakt Gleicher, als Citoyen in die Gesellschaft. Es war dies aber auch die Grundlage des nationalen Typus, der dem Einzelnen eine Gestalt angeboten hat. Das war eine allgemeine Gestalt jenseits seiner ganz individuellen, partikularen Bestimmung. Die Philosophin Isolde Charim arbeitet als freie Publizistin und ständige Kolumnistin der „taz“ und der „Wiener Zeitung“.
Die Schule ist eine „autoritäre“ Institution
Für Herbert Renz-Polster stellt sich die Frage, ob das Bildungssystem vielleicht selbst dafür sorgt, dass sich autoritäre Haltungen bei Schülern verfestigen. Wenn dies auch unbeabsichtigt geschieht. Denn in einem gewissen Sinne ist die Schule eine „autoritäre“ Institution. In dem Sinne nämlich, dass sie die Schüler einer von ihnen selbst kaum hinterfragten Ordnung unterwirft. Herbert Renz Polster kritisiert: „Bis heute verbringen Schüler den größten Teil ihrer Kindheit damit, Fragen zu beantworten, die sie selbst nicht gestellt haben.“ Je besser sie diese Fragen beantworten und je reibungsloser sie diese beantworten, desto besser fällt ihre Benotung durch ihre pädagogischen „Führer“ aus. Die Lehrpläne, die Bildungsinhalte, die Methoden – die alle waren schon längst da, bevor das Kind auch nur die Schule betreten hat. Der Kinderarzt Dr. Herbert Renz-Polster hat die deutsche Erziehungsdebatte in den letzten Jahren wie kaum ein anderer geprägt.
Lehrer sind heute auch Sozialarbeiter
Der öffentliche Stellenwert, den man dem wahrscheinlich wichtigsten Zukunftsberuf in der Gesellschaft gibt, ist bedauerlich. Andras Salcher kann die Gefühle vieler engagierter Lehrer gut nachvollziehen, wenn Politiker und Interessenvertreter Kampagnen zur Aufwertung des Lehrerberufs fordern. Der „Mut zum aufrechten Gang“ ist verdammt schwer in einem Umfeld, das einem jede Freude an der Aufgabe nimmt. Lehrer sind heute auch – an manchen Schulen sogar primär – Sozialarbeiter. Zudem ist die Schule ein System, das hohe Krankenstandraten durch Burn-out und Frühpensionierungen durch die ständig steigenden psychischen Belastungen produziert. Die wenigen Aufstiegsmöglichkeiten hängen in Österreich stark vom richtigen Parteibuch und nicht von hervorragender Leistung ab. Vor allem die Freude an der Arbeit mit Kindern wird durch eine bürokratische fremdbestimmte Kultur verhindert. Dr. Andreas Salcher ist Unternehmensberater, Bestseller-Autor und kritischer Vordenker in Bildungsthemen.
Gute Lehrer werden oft als Störfaktor betrachtet
Was sind die Eigenschaften eines guten Lehrers? Andreas Salcher antwortet: „Wohl sich möglichst um das individuelle Talent jedes Schülers zu kümmern. Sich auch in der Freizeit ständig fortzubilden. Eltern zur Verfügung zu stehen, sich mit anderen Kollegen über Verbesserungen an der Schule auszutauschen und dann dem Direktor Vorschläge zu machen.“ Solche Lehrer, vor allem am Beginn ihrer Schullaufbahn, gibt es zahlreich und sie sind bei Schülern und Eltern schnell beliebt. Wie reagiert das österreichische Schulsystem auf solche Musterlehrer? Sie werden von weniger leistungsbereiten Direktoren eher als Störfaktor betrachtet, der Unruhe ins System bringt. Andere Lehrer empfinden sie als unkollegial und isoliert sie. Manch erfahrener Kollege unter vier Augen den wohlmeinenden Tipp, dass sie sich nicht selbst ausbeuten sollen. Dr. Andreas Salcher ist Unternehmensberater, Bestseller-Autor und kritischer Vordenker in Bildungsthemen.
Der IQ ist für beruflichen Erfolg eine wichtige Voraussetzung
Der Intelligenzquotient (IQ) ist in hohem Maß genetisch vorgegeben und nicht wesentlich veränderbar. Andreas Salcher ergänzt: „Und der IQ ist zumindest in unserer Leistungsgesellschaft für beruflichen Erfolg eine wichtige Voraussetzung, allerdings mit abnehmendem Grenznutzen.“ Ein IQ von 120 reicht zum Beispiel völlig aus, um in Organisationen Karriere zu machen oder ein Unternehmen erfolgreich zu führen. Ein IQ von 160 macht dabei keinen entscheidenden Unterschied – außer man will unbedingt einen Nobelpreis. Mit einem unterdurchschnittlichen IQ, also deutlich unter 100, wird man dagegen höchstwahrscheinlich sowohl in der Schule als auch im Beruf keinen nachhaltigen Erfolg haben. Für den Karriereforscher und Professor an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) Johannes Steyrer zeigen Langzeitstudien, dass der IQ signifikant mit Schulleistungen korreliert. Dr. Andreas Salcher ist Unternehmensberater, Bestseller-Autor und kritischer Vordenker in Bildungsthemen.
Die Anzahl der Privatschulen nimmt rasant zu
Der Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman hat einmal gesagt, dass jenes Land die beste Zukunft haben werde, das als erstes das Schulsystem aus den Händen des Staates befreit. Andreas Salcher ergänzt: „Aber auch ohne die Hauptverantwortung des Staates für das Schulsystem prinzipiell in Frage zu stellen, kann man bemerken, dass es der Politik bisher überall auf der Welt gelungen ist, ihr Monopol auf die Schulen mit zählen und Klauen erfolgreich zu verteidigen.“ Und die Konsequenzen von Monopolen sind immer die gleichen: schlechte Qualität zu hohen Kosten. Im Schulsystem reagieren Menschen so wie in allen Märkten, die ihre Bedürfnisse – in diesem Fall eine ausgezeichnete Ausbildung ihrer Kinder – nicht erfüllen können. Dr. Andreas Salcher ist Unternehmensberater, Bestseller-Autor und kritischer Vordenker in Bildungsthemen.
Alle Kinder haben eine Vielzahl von Talenten
Wenige Kinder werden als Genies geboren. Aber alle Kinder haben eine Vielzahl von Talenten. Wenn man ein Neugeborenes betrachtet, sieht man kein dummes oder kluges Baby. Kinder lernen nach dem Prinzip Trial-and-Error: Ausprobieren – Fehler machen. Andreas Salcher weiß: „Das funktioniert großartig, wenn man bedenkt, was Kinder alles von ihrer Geburt bis zu ihrem sechsten Lebensjahr lernen: Krabbeln, Brabbeln, Sprechen, Singen, Tanzen, Sandburgen bauen, Drachen steigen lassen, Fahrrad fahren und vieles mehr.“ Daher kann es nur die Aufgabe einer entwickelten Gesellschaft sein, jedem Kind die maximale Chance auf die Entfaltung seiner Talente zu geben. Das Denkmodell, auf dem das gesamte österreichische Schulsystem aufgebaut ist, basiert aber auf der industriellen Massenproduktion. Dr. Andreas Salcher ist Unternehmensberater, Bestseller-Autor und kritischer Vordenker in Bildungsthemen.
Es gibt keine Freiheit inklusive Sicherheit
Das Blöde an der Freiheit ist, dass sie anstrengend ist. Viele Menschen haben gelernt, das Anstrengende zu vermeiden. Und noch blöder ist, dass an der Freiheit nichts sicher ist. Anja Förster und Peter Kreuz fügen hinzu: „Das sind verdammt schlechte Nachrichten für diejenigen, die glauben, sie könnten Freiheit inklusive Sicherheit im Paket bestellen.“ In Deutschland hat es Tradition und erscheint vielen Menschen völlig normal, ihre Freiheit zurückzuweisen. Für sie ist es völlig in Ordnung, das eigene Schicksal daran zu knüpfen, dass ein anderer etwas tut oder lässt. Viele sind das einfach so gewöhnt, im Kindergarten und in der Schule aufgerufen zu werden – oder ansonsten ihre Klappe zu halten und stillzusitzen. Anja Förster und Peter Kreuz nehmen als Managementvordenker in Deutschland eine Schlüsselrolle ein.
Alle Menschen sind frei und mit gleichen Rechten geboren
Nach Jahrtausenden der religiösen Dogmatik und des Aberglaubens entwickelten mutige Philosophen ein neues Menschenbild. Alle Menschen sind frei und mit gleichen Rechten geboren, alle sind gleich vor dem Gesetz, und die einzigen Kriterien für Wissen sind Fakten und Rationalität. Philipp Blom ergänzt: „Auf dieser Grundlage können Menschen in Frieden miteinander leben und Fortschritt schaffen, der das Leben aller verbessert. Die Erlangung und Verteidigung der Freiheit ist oberstes Ziel von Individuen und Gesellschaften.“ Dieses neue Denken, dass man als „Aufklärung“ bezeichnete, wurde anfangs bekämpft und unterdrückt, konnte sich aber im Laufe von zwei Jahrhunderten durchsetzen. Nach den Philosophen und der Französischen Revolution kamen die Arbeiterbewegung, die Abschaffung der Sklaverei und danach die Dekolonisierung, die Civil-Rights-Aktivisten in den USA, Feministinnen, die Entkriminalisierung der Homosexualität, die Achtung von Minderheiten als Gradmesser der Zivilisiertheit. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.
So lebten Knaben und Jünglinge in der Antike
Knaben und Jünglinge wuchsen in der Antike in einem gleichgeschlechtlichen Umfeld auf. In der klassischen Zeit durchliefen sie als Bürgersöhne ab dem siebten Lebensjahr ein körperlich-sportliches Training und erhielten in Athen ab dem 18. Lebensjahr eine militärische Ausbildung. Franz X. Eder ergänzt: „Ab dem 5. Jahrhundert v. Chr. wurden private Schulen errichtet, in denen neben Gymnastik und Sport auch Lesen und Schreiben sowie Poetik, Tanz und Literatur auf dem Lehrplan standen.“ Nach dem 20. Lebensjahr nahmen die Männer am Leben der Polis teil und arbeiteten sich in Berufsfelder, etwa in öffentliche Ämter, ein. Höhere Bildung in Philosophie, Medizin, Literatur und Rhetorik konnte man in größeren Städten wie Alexandria, Athen, Ephesos und Pergamon erwerben. Franz X. Eder ist Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien.
Die ersten Universitäten entstanden in Bologna und Paris
Die Universität in Europa hatte ihre Anfänge um das Jahr 1200 in Bologna und in Paris, das als „Stadt der Weisheit“ gerühmt wurde und bald alle anderen Denkorte Frankreichs, zeitweilig ganz Europas, überragte. Sie stellte die klerikalen Schulen in den Schatten, verdrängte sie aber nicht. Gelegentlich mag eine bereits existierende Rechts- oder Theologenschule den Anknüpfungspunkt geboten haben. Bernd Roeck erklärt: „So erwuchs die Universität von Bologna aus einer lokalen Juristenschule. Ihr Aufstieg wurde durch eine Mischung von Standortvorteilen, etwa der Lage an einer wichtigen Passstraße über den Apennin, und Zufällen wie der Präsenz kluger Köpfe begünstigt. Entscheidend waren die Rahmenbedingungen.“ Bernd Roeck ist seit 1999 Professor für Neuere Geschichte an der Universität Zürich und einer der besten Kenner der europäischen Renaissance.
Die Natur und die Kultur prägen einen Menschen
Die Frage, was einen Menschen prägt, Natur oder Kultur, stellt sich auch heute noch als ein ideologisches Schlachtfeld dar. Viele humanistisch orientierte Konzepte gehen davon aus, dass durch optimale individuelle Förderung und viel Übung genetische Unterschiede sehr in den Hintergrund treten. Steven Pinker, Experimentalpsychologe an der Harvard-Universität, nimmt die Gegenposition ein. Andreas Salcher erläutert: „Die Geisteshaltung, dass die soziale Formbarkeit des Menschen beliebig möglich sei, ist für Pinker ideologisches Wunschdenken, das keiner seriösen empirischen Studie standhält und die menschliche Natur leugnet.“ Die Zwillingsforschung zeigt, dass eineiige Zwillinge, die nicht bei den leiblichen Eltern, sondern getrennt bei Adoptiveltern aufwachsen, sich in unterschiedlichen messbaren Kategorien im Lauf der Jahre nicht unterscheiden, der Einfluss der Erziehung tendenziell also im Vergleich zur biologischen Veranlagung überschätzt wird. Dr. Andreas Salcher ist Unternehmensberater, Bestseller-Autor und kritischer Vordenker in Bildungsthemen.
Ein Mensch ohne Besitz ist wenig wert
Der beste Wegbereiter eines Burn-out ist das Ego eines Menschen. Ein solches Ego lebt nach dem Motto: Mehr haben wollen, besser sein als andere, immer mehr Dinge auf einmal tun können, Gewinner sein, sich anstrengen für Anerkennung, stärker sein. Klaus Biedermann stellt fest: „Solche Dinge werden uns von Kindesbeinen an ständig eingetrichtert und sind in einer Konsumgesellschaft Grundvoraussetzung für deren Funktionieren. Wir bekommen vorgelebt, gezeigt und gesagt, dass ein Mensch, der nichts besitzt oder nichts leistet, wenig wert ist.“ Mehr noch: Man darf sich sogar über ihn lustig machen. Irgendwann übernehmen Besitz und Leistungsstreben die Herrschaft über das gesamte Leben eines Menschen, obwohl ihm rational durchaus klar ist, dass er nackt kam und mit leeren Taschen wieder gehen wird. Dr. phil. Klaus Biedermann leitet seit mehr als 30 Jahren Selbsterfahrungskurse und Burn-In-Seminare in seiner Sommerakademie auf der Insel Korfu.
Seneca war ein großer Freund der Worte
Obgleich Seneca wusste, dass es bei der Art der Lebensbewältigung durch Philosophie auf Denken, Erkenntnis und begriffliches Erfassen der Wirklichkeit ankommt, warnte er davor, sich im Gestrüpp der Begriffe und formal-logischen Ableitungen zu verlieren. Albert Kitzler erläutert: „Nach Seneca deuten die Begriffe nur auf die Sachen hin, die es zu verstehen gilt. Ob wir Angst von Furcht unterscheiden, was wir dem einen oder anderem zuordnen, ob wir eine möglichst exakte, lexikalische Definition finden, das sei nur von relativem Wert.“ Wichtiger sei es die Sache selbst zu begreifen und zu lernen, mit ihr umzugehen. Seneca hielt sich mehr an die Erscheinungen, die Phänomene, denen die Worte sich anschmiegen sollten und die er immer wieder mit unterschiedlichen Worten und Bildern möglichst umfassend und genau um- und beschreiben wollte. Der Philosoph und Jurist Dr. Albert Kitzler ist Gründer und Leiter von „MASS UND MITTE“ – Schule für antike Lebensweisheit.
Heutzutage dreht sich alles um Erlebnisse und Ablenkung
Die meisten Konsumenten kommen kaum noch zu sich, weil andere längst da sind, um sie abzufüllen. Händler der Aufmerksamkeit beballern sie mit gezielter Werbung, schießen ihre Gehirne sturmreif. Die Menschen kaufen und werfen weg. Sie ordnen ein und sortieren aus. Sie leben in einer Zeit, in der sich alles um Erlebnisse und Ablenkung dreht, die mit Werbung betäubt und mit Daten wuchert. Gerald Hüther ergänzt: „Und immer wieder der bange Blick auf den Bildschirm, ob es blinkt. Oder brummt. Denn wir leben in einer aufgeregten Zeit. Das Smartphone macht, dass wir keine Sekunde mehr nichts zu tun haben. Wer mit wem was hat.“ Wenn man will, bekommt man so ziemlich alles mit. Gerald Hüther zählt zu den bekanntesten Hirnforschern in Deutschland.
Das Leben ist ein lebenslanger Lernprozess
In seinem Buch „Leben lernen – ein Leben lang“ erläutert Albert Kitzler, um was es im Leben geht, nämlich es nachhaltig und sinnvoll so zu gestalten, dass man es jeden Tag neu lieben und genießen kann. Der Autor gibt zu, dass dies nicht einfach ist, da nur wenige Menschen diese Kunst beherrschen. Denn die Lebensfreude der meisten Menschen ist getrübt von Sorgen, inneren Konflikten, Ängsten, Unruhe, Rastlosigkeit, Enttäuschungen, Sinnzweifeln und unerfüllten Sehnsüchten. Gerade um solchen Belastungen abzubauen, ist eine Weiterbildung in philosophischer Lebensbewältigung äußerst hilfreich, denn sie sorgt für Freude und neue Energie. Denn Glück und Unglück liegen in der eigenen Seele – das war die einhellige Überzeugung der großen Denker in der Antike. Und daran hat sich bis heute nichts geändert. Der Philosoph und Jurist Dr. Albert Kitzler ist Gründer und Leiter von „MASS UND MITTE“ – Schule für antike Lebensweisheit.
Alexandria war der bedeutendste Wissenschaftsstandort des Altertums
Unter Ptolemaios I. Soter, „dem Retter“ (305 – 283/82 v. Chr.), einem von Alexanders Erben, wurde die Stadt Alexandria, berühmt durch ihren Leuchtturm, zum bedeutendsten Wissenschaftsstandort des Altertums. Bernd Roeck erläutert: „Ihre Bibliothek soll zusammen mit den im Heiligtum des Serapis gelagerten Werken über eine halbe Million Schriften umfasst haben.“ Nicht einmal China dürft damals über einen vergleichbar großen Wissensspeicher verfügt haben. Alexandrias „Museion“, nach Cicero eine „Werkstatt aller Künste“, war, was man heute ein interdisziplinäres Forschungszentrum nennen würde. Die ägyptischen Könige ernannten seine Mitglieder, bezahlten sie und gewährten ihnen Privilegien, etwa Steuerfreiheit. Gewöhnlich ermöglichten die Herrscher den Gelehrten dort freies Forschen und Diskutieren. Bernd Roeck ist seit 1999 Professor für Neuere Geschichte an der Universität Zürich und einer der besten Kenner der europäischen Renaissance.
Emotionale Intelligenz wird die treibende Kraft des 21. Jahrhunderts sein
Emotionales Lernen ist nicht auf die Zeit der Kindheit beschränkt, sondern dauert ein Leben lang und gilt ebenso für Partnerbeziehungen. Immer noch gibt es die Idealvorstellung, dass zwei Menschen, die sich lieben, sich auch in ihren Gefühlen immer verstehen. In der Partnerschaft ist es allerdings so, dass man in einem fortwährenden Prozess lernen muss, den Partner besser zu begreifen. Klaus Biedermann stellt klar: „Egal wie befriedigend Ihre Beziehung zu Ihren Eltern war, bekommen Sie Probleme, wenn Sie nicht erkennen, mit wem Sie jetzt zusammen sind.“ Wenn man sich dieser Person gegenüber automatisch so verhält, wie man es gewohnt ist, läuft man Gefahr, die Qualität der Beziehung einzubüßen. Hier ist wirklich emotionale Intelligenz gefordert. Dr. phil. Klaus Biedermann leitet seit mehr als 30 Jahren Selbsterfahrungskurse und Burn-In-Seminare in seiner Sommerakademie auf der Insel Korfu.
Der kulturelle Kapitalismus ersetzt den industriellen
In der Gesellschaft der Gegenwart wird nicht mehr das Allgemeine, sondern das Besondere erwartet. Andreas Reckwitz erläutert: „Nicht an das Standardisierte und Regulierte heften sich die Hoffnungen, das Interesse und die Anstrengungen von Institutionen und Individuen, sondern an das Einzigartige, das Singuläre.“ Diese Entwicklung hat die gesamte spätmoderne Ökonomie erfasst. Sowohl für materielle Güter wie für Dienstleistungen gilt, dass an die Stelle der Massenproduktion uniformer Waren jene Ereignisse und Dinge treten, die nicht für alle gleich oder identisch sind, sondern einzigartig, das heißt singulär sein wollen. Die spätmoderne Ökologie ist mehr und mehr an singulären Dingen, Diensten und Ereignissen ausgerichtet, und die Güter, die sie produziert, sind zunehmend solche, die nicht mehr rein funktional, sondern auch oder allein kulturell konnotiert sind und affektive Anziehungskraft ausüben. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.
Der Wettbewerb ist bei der Bildung verloren gegangen
Bildungsinitiativen und Bildungsreformkonzepte aller Art scheinen gegenwärtig ungeachtet allfälliger ideologischer Differenzen in einem einig zu sein: Im Zentrum aller Bildungsanstrengung muss das Kind stehen, seine Talente sollen zum Blühen gebracht werden, für alle sollen die gleichen Chancen gelten, und niemand darf zurückbleiben. Konrad Paul Liessmann fügt hinzu: „Individualisierung und Inklusion sind deshalb die zentralen Schlagworte, die mittlerweile den Charakter von Glaubenswahrheiten angenommen haben, die keinen Widerspruch mehr erlauben.“ Das es einmal Aufgabe von Schulen gewesen ist, eine – im Idealfall an den kognitiven Leistungen des Einzelnen orientierte – soziale Selektion vorzunehmen, kann nur als Relikt einer finsteren Epoche gewertet werden. Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech.