Der Wille ist innig mit „Leib und Seele“ verknüpft

Die für den Menschen spezifische, personale Freiheit besteht in einer Urheberschaft, die selbstanerkannten Gründen folgt. Otfried Höffe erläutert: „Weil Gründe zählen, ist eine Verantwortung im wörtlichen Sinn gegeben. Nämlich die Möglichkeit, Rede und Antwort zu stehen. Und weil es auf Gründe ankommt, spricht die Philosophie von Vernunft, weil auf handlungsleitende Gründe, von praktischer Vernunft.“ Drei Bedingungen werden dabei erfüllt. Bei selbstanerkannten Gründen wird das Tun oder Lassen nicht von außen erzwungen. Es geschieht frei, im Sinne negativer Freiheit. Darüber hinaus, weil beabsichtigt, auch im Sinne positiver Freiheit. Schließlich erfolgt die Absicht aus dem „Inneren“, aus den Gründen, die man sich zu eigen gemacht hat. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

Eine Stellungnahme muss keine Entscheidung sein

Zusammen bilden diese Bedingungen eine reflexive Anerkennung: Man distanziert sich von einem fremdgesteuerten Handeln und folgt Gründen, die man aber nicht schlicht besitzt. Sondern man nimmt zu ihnen zunehmend oder ablehnend Stellung. Man führt also eine gezielte, selektive Zustimmung durch. Ob Einverständnis oder Ablehnung – die Stellungnahme muss keine Entscheidung sein; auf eine Art von notarieller Beglaubigung kommt es nicht an. Die Gründe müssen auch nicht reiflich überlegt sein, sie können bloß intuitiv befolgt werden.

Otfried Höffe erklärt: „Das, was zählt, ist eine handlungswirksame Stellungnahme, wie sie in den Absichten gegenwärtig ist, die man hegt, oder in den handlungsorientierten Überlegungen, die man anstellt, weiterhin in den Handlungen, die man vollzieht.“ Nicht zuletzt zeigt sie sich in den begleitenden und nachfolgenden moralischen Gefühlen wie einem guten oder schlechten Gewissen, wie Entschuldigungen, Genugtuung oder Reue. Durch dieses entscheidende Moment, die praktizierte, gelebte Zustimmung, werden die dem Akteur eventuell äußeren Bedingungen in eigene, praktisch-reflexive Gründe umgewandelt.

Es gibt keine Letztinstanz Handlungen

Diese Transformation oder Metamorphose bezeichnet Otfried Höffe als einen Akt der Befreiung; freilich liegt keine soziale, sondern eine personale Emanzipation vor. Gemäß diesem Verständnis personaler Freiheit spielen fraglos die Umstände der inneren Welt, sowohl die Physiologie des Gehirns als auch die Psychologie von Lust und Unlust, eine Rolle, ebenso die Umstände der äußeren natürlichen und sozialen Welt. Weder einer von ihnen noch sie alle zusammen haben jedoch den Rang einer Letztinstanz, die souverän bestimmt, dass und wie eine Person handelt.

Entscheidend ist, dass jemand Gründen folgt, die er sich zu eigen macht und die genau deshalb ihm zuzurechnen sind. Das Handeln erfolgt aus dem eigenen Willen, womit Willensfreiheit, allerdings erst ihre bescheidene Gestalt, gegeben ist. Der persönliche Wille hängt selbstverständlich auch immer mit dem entsprechenden Individuum zusammen, mit seinen Erlebnissen und Erfahrungen, mit seinen Begabungen, Interessen und dem Charakter, schließlich seiner Lebensgeschichte. Der Wille ist so innig mit „Leib und Seele“ einer Person verknüpft, dass diese, wie es im Sprichwort heißt, „nicht aus ihrer Haut“ heraus kann. Quelle: „Kritik der Freiheit“ von Otfried Höffe