Menschen sehnen sich nach Gewissheit

In Begrenzungen und Zweifeln sehen sich die meisten Menschen nach Eindeutigkeit. Sie wollen mehr Gewissheit, als ihnen möglich ist. Menschen hoffen auf eine bessere Zukunft und vertrauen ihren Mitmenschen. Sie staunen und erleben Geheimnisse. Sie suchen zu vergessen und zu vergeben. Paul Kirchhof fügt hinzu: „Ein Mensch, der nicht hoffen kann, der nicht nach dem Besseren, auch nach dem Unerreichbaren strebt, fiele in eine Leere, die den Sinn seines Lebens in Frage stellte.“ Hoffnungslosigkeit nähme seiner Freiheit einen wesentlichen Impuls und würde den Aufbruch zu Fortschritt und Erneuerung ersticken. Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg. Als Richter des Bundesverfassungsgerichts hat er an zahlreichen, für die Entwicklung der Rechtskultur der Bundesrepublik Deutschland wesentlichen Entscheidungen mitgewirkt.

Weiterlesen

Das Prinzip der Freiheit darf niemals aufgegeben werden

An dem für sie wesentlichen Prinzip der Freiheit zeigt die Moderne, dass sie kein schlechthin neues Ziel verfolgt, sondern eine anthropologisch Grundintention, eben die Freiheit, zur Blüte, am liebsten sogar zur Vollendung bringen will. Otfried Höffe warnt: „Wer das Prinzip Freiheit aufgibt, setzt also mehr als nur das Projekt der Moderne und Einsichten ihrer großen Denker aufs Spiel.“ Allerdings erweist sich die Freiheit samt Moderne als ein vielschichtiges, inneren Spannungen ausgesetztes, in mancher Hinsicht sogar widersprüchliches Ziel. Otfried Höffe versteht also die Freiheit als ein facettenreiches, intern spannungsgeladenes und von Widersprüchen durchwirktes Phänomen. Viele Vorhaben und Visionen, erneut sowohl der Menschheit im Allgemeinen als auch der Moderne im Besonderen, sind von einem Freiheitsgedanken inspiriert. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

Weiterlesen

Das Selbst wächst in der Auseinandersetzung mit sich und der Welt

Es gibt Menschen, die nur wenig von dem, was sie eigentlich ausmacht, wissen. Dies erlebt man zunächst in der Form eines Mangels. Georg Milzner ergänzt: „Eines Mangels an innerer Vielfalt und eines Mangels an Authentizität. Diese gründet sich nämlich darauf, dass wir uns als Ganzheit wahrzunehmen vermögen.“ Wo immer die Identifikation mit nur einem Teilbereich an die Stelle der Ganzheit tritt – etwa dem beruflichen Erfolg, der Abstammung, den sexuellen Erfolgen, der künstlerischen Begabung, der Sportlichkeit o. Ä. – spricht man in der Psychologie von einer brüchigen Konstruktion. Und sobald ein Teilbereich, auf den sich dieses künstliche Selbst stützt, zusammenbricht, bricht gleich die ganze Person mit ein. Georg Milzner weiß: „Doch ein gelungenes Selbst umfasst mich mit allem, was ich bin.“ Georg Milzner ist Diplompsychologe und arbeitet in eigener Praxis als Psychotherapeut.

Weiterlesen

Ein intaktes Selbst ist keineswegs selbstverständlich

Ein starkes, gesundes Selbst entsteht nicht nebenbei. Ein intaktes Selbst ist vielmehr die Folge eines aufmerksam in Auseinandersetzung und Introspektion gelebten Lebens. Georg Milzner fügt hinzu: „Wie das Ich nur entstehen kann, indem Konflikte ausgehalten, Kompromisse gebildet und Spannungen durchgestanden werden, so kann das Selbst nur durch vertiefte Wahrnehmung, Auseinandersetzung und das Erkunden tieferer Seelenschichten wachsen.“ All dies braucht zweierlei: Aufmerksamkeit und Zeit. Aufmerksamkeit ist, wie viele Menschen sagen, die heikelste humane Ressource der Gegenwart. Sie ist ebenso schwer zu bekommen wie unverzichtbar für ein beglückendes Dasein. Die Aufmerksamkeit, die jeder Mensch für sein seelisches Gedeihen benötigt, ist überdies von besonderer Art. Es handelt sich bei ihr nicht darum, bloß zur Kenntnis genommen zu werden. Georg Milzner ist Diplompsychologe und arbeitet in eigener Praxis als Psychotherapeut.

Weiterlesen

Rolf Dobelli vergleicht den Hedonismus mit der Eudämonie

Im 5. Jahrhundert vor Christus vertrat eine Minderheit der Philosophen, die sogenannten Hedonisten, die Meinung, dass ein gutes Leben aus dem Konsum möglichst vieler unmittelbarer Genüsse bestehe. Rolf Dobelli erklärt: „Das Wort hedonistisch stammt aus dem altgriechischen „hedoné“, was Freude, Vergnügen, Lust, Genuss, sinnliche Begierde bezeichnet.“ Die meisten Philosophen vertraten allerdings den Standpunkt, dass unmittelbare Genüsse nieder, dekadent, ja tierisch seien. Was ein gutes Leben ausmache, seine vor allem die sogenannten höheren Freuden. Das Streben nach diesen höheren Freuden nannten sie „Eudämonie“. Viele Philosophen kamen zu dem Schluss, die Eudämonie sei vor allem ein Gefäß für guten Tugenden. Nur ein ehrenhaftes Leben sei ein gutes Leben. Der Bestsellerautor Rolf Dobelli ist durch seine Sachbücher „Die Kunst des klaren Denkens“ und „Die Kunst des klugen Handelns“ weltweit bekannt geworden.

Weiterlesen

Das Kulturelle ist gleichzeitig vielfältig und einzigartig

Wer die konzeptionelle Unterscheidung zwischen Abstand und Differenz einmal getroffen hat, versteht, weshalb es keine kulturelle Identität geben kann. Es führt in eine Sackgasse, wenn man im Hinblick auf die Verschiedenheit der Kulturen die Perspektive der Differenz einnimmt. Denn als Voraussetzung der kulturellen Unterschiede müsste man laut François Jullien logischerweise eine anfängliche Identität annehmen – eine gemeinsame, einheitliche, ursprüngliche Gattung – aus der heraus sich die Diversität der Kulturen entfaltet hat. François Jullien fügt hinzu: „Hat man sich erst einmal auf die Logik der Differenz eingelassen, muss man, das ist gewissermaßen die Vorbedingung, auch der Mythologie des ursprünglichen Einen und des Monismus Opfer bringen.“ Es ist schließlich leicht zu erkennen, dass das Kulturelle, auf welcher Ebene auch immer man es betrachtet, sich dadurch auszeichnet, dass es gleichzeitig vielfältig und einzigartig ist. François Jullien, geboren 1951 in Embrun, ist ein französischer Philosoph und Sinologe.

Weiterlesen

Menschen wollen in Harmonie mit sich und ihren Überzeugungen leben

Der gesunde Hausverstand lehrt, dass Menschen gemäß ihren Einstellungen handeln. Gläubige gehen sonntags häufiger in die Kirche. Befürworter einer Aidsprävention verwenden mehr Präservative. Mit der Arbeit Unzufriedene wechseln ihren Job. Grün-Wähler sind keine Vielflieger. Johannes Steyrer stellt klar: „All das hat seine Richtigkeit, aber nur in einem bescheidenen Ausmaß. Der Zusammenhang zwischen Einstellung und Verhalten ist, das ist in vielen Studien gezeigt worden, unbedeutender als vermutet.“ Wann beeinflussen Einstellungen das menschliche Verhalten? So viel ist gewiss, auf die Situation kommt es an. Eines der wichtigsten Konzepte der Sozialpsychologie, nämlich die „Theorie der kognitiven Dissonanz“, hat der Amerikaner Leon Festinger (1919 – 1989) entwickelt. Seither wird ihre Grundannahme in unzähligen Studien bestätigt: Menschen woll in Harmonie mit sich und ihren Überzeugungen leben. Johannes Steyrer ist seit 1997 Professor für Organizational Behavior an der Wirtschaftsuniversität Wien.

Weiterlesen

Für François Jullien gibt keine kulturelle Identität

In einer globalisierten Welt fürchten sich viele Menschen vor dem Verlust ihrer kulturellen Identität. Doch gibt es überhaupt so etwas wie eine kulturelle Identität? In seinem neuen Buch „Es gibt keine kulturelle Identität“ zeigt François Jullien, dass der Glaube daran eine Illusion ist. Denn das Wesen einer Kultur ist die ständige Veränderung. Der Autor plädiert dafür, die Vielfalt der Bräuche, Traditionen und Sprachen als Ressourcen zu begreifen, die prinzipiell allen Menschen zur Verfügung stehen. Anders als die Werte, sind die Ressourcen einer Kultur nicht exklusiv – sie preisen sich nicht an und man predigt sie nicht. François Jullien ergänzt: „Man bringt sie vielmehr zur Geltung oder nicht, man aktiviert sie oder lässt sie verkommen; ob dies geschieht, liegt in der Verantwortung jedes Einzelnen.“ François Jullien, geboren 1951 in Embrun, ist ein französischer Philosoph und Sinologe.

Weiterlesen

Die Momente des Innehaltens sind die intensivsten des Liebesspiels

Der amerikanische Philosoph Robert Nozick (1938 – 2002), ein Kollege Thomas Nagels, widerspricht dem Klischee des prüden Amerikaners mit den Worten des Kenners, indem er sinnfällig die Erregung beschreibt, die nur das Zwischenmenschliche bieten kann: „Manchmal konzentrieren wir uns beim Liebesakt auf die winzigsten Bewegungen, das zarteste Streifen eines Haars, das langsame Wandern der Fingerspitzen oder der Nägel oder der Zunge über die Haut, die geringste Veränderung oder das Einhalten an einem Punkt.“ Die Momente des Innehaltens sind für ihn die intensivsten des Liebesspiels. Ludger Pfeil ergänzt: „Das Warten auf das, was als Nächstes geschieht, schärft die Wahrnehmung aufs äußerste. Das gegenseitige Wissen um die Spannung und die Fokussierung auf die Empfindungen des anderen erhöhen den Reiz weiter.“ Der Philosoph Dr. Ludger Pfeil machte nach seinem Studium Karriere in der Wirtschaft als Projektleiter und Führungskraft und ist als Managementberater tätig.

Weiterlesen

Die Frage „Will ich zu viel – oder zu wenig?“ wirft viele Rätsel auf

Das Titelthema des neuen Philosophie Magazins 05/2017 beschäftigt sich mit der Frage: „Will ich zu viel – oder zu wenig?“ Eigentlich beruht die gesamte Lebensweise der modernen Staaten des Westens auf dem Imperativ des immer Mehrwollens. Sowohl im privaten Bereich als auch im Beruf führt dieser Wille oft zu einer dauerhaften Selbstüberforderung. Die Lust am Leben wird so eher gemindert anstatt gesteigert. Aus beglückender Fülle werden Leere und Angst. Scheinbar ist also klar: Wer weniger will, wird seltener enttäuscht, ist also entspannter und lebt so möglicherweise zufriedener. Das Wollen selbst sei die Wurzel allen Unglücks – das behaupten zumindest Denker von der Stoa bis zu Arthur Schopenhauer. Doch ganz so einfach ist es nicht. Ist es nicht gerade die Suche nach mehr Intensität, die dem eigenen Leben erst Spannung und Sinn gibt?

Weiterlesen

Viele Affären werden durch Intuition aufgedeckt

Betrogene Partner unterscheiden sich sehr stark in dem Bewusstsein, dass es Untreue in ihrer Beziehung gibt. Manche Betrogenen sind, wenn keine Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, vollkommen ahnungslos. Manche übersehen subtile Hinweise, einige verdrängen offensichtliche Hinweise und wieder andere sind vollkommen damit beschäftigt, typische Anzeichen aufzuspüren. Shirley P. Glass erklärt: „Viele Affären werden dadurch entdeckt, dass die Intuition einem sagt, dass etwas nicht stimmt und dass viele Kleinigkeiten einfach nicht zusammen passen.“ Manche Menschen haben definitive Gründe für ihre Entscheidung, ihren Partner nicht zu konfrontieren oder weiter nachzuforschen. Sie fürchten vielleicht, dass ihre Ehe beendet wäre, wenn die Affäre ans Tageslicht käme. Dr. phil. Shirley P. Glass war niedergelassene Psychologin und Familientherapeutin. Sie starb im Jahr 2003 im Alter von 67 Jahren an einer Krebserkrankung.

Weiterlesen

Das Begehren ist eine Quelle unaufhörlichen Leides

Gerade in der Liebe und in der Paarbeziehung ist etwas erlebbar, das die moderne Konsumgesellschaft standhaft leugnet. Ulrich Schnabel erklärt: „Die Erfahrung, dass Leben eben keine Frage der Glücksmaximierung ist, sondern dass unsere Existenz unausweichlich durch Aporien gekennzeichnet ist, durch Widersprüche und Begrenzungen, die sich nicht auflösen, sondern allenfalls aushalten oder transzendieren lassen.“ Eine dieser Aporien (die Unmöglichkeit, in einer bestimmten Situation die richtige Entscheidung zu treffen) ist etwa das sexuelle Begehren, zu dem gut ein Satz passt, der der heiligen Teresa von Avila zugeschrieben wird: „Es werden mehr Tränen über erhörte Gebete vergossen als über nicht erhörte.“ Tatsächlich haftet dem sexuellen Begehren von seiner Natur her stets etwas Widersprüchliches, Unauflösbares an. Ulrich Schnabel ist Wissenschaftsredakteur der Wochenzeitung „Zeit“ und Autor mehrerer erfolgreicher Sachbücher.

Weiterlesen

Familien werden mit 200 Milliarden pro Jahr gefördert

Die Lebenshaltungskosten für ein Kind werden durch staatliche Hilfen wie Kindergeld nur zum kleineren Teil ausgeglichen. Zudem mindern Kinder das Einkommen einer Familie, wenn sie einen Elternteil, immer noch meist die Mutter, von der Erwerbstätigkeit oder vom beruflichen Aufstieg fernhalten. Die traditionelle Hausfrauenehe ist zum Auslaufmodell geworden. Immer mehr Frauen absolvieren eine aufwändige Ausbildung und wollen das Erlernte auch anwenden. Knapp 30 Prozent der Akademikerinnen sind angeblich kinderlos. Wolfgang Kaden fügt hinzu: „Viele Frauen, vor allem höher gebildete, bekommen heute ihr erstes Kind erst jenseits der dreißig, wenn sie bereits Berufserfahrung gesammelt haben – und belassen es bei diesem einen.“ Nicht nur in Deutschland ist das so, in den meisten Industriegesellschaften trifft dies ebenfalls zu. Wolfgang Kaden zählt zu den renommiertesten Wirtschaftsjournalisten Deutschlands.

Weiterlesen

Im 18. Jahrhundert beginnt die moderne Zeit

Das 18. Jahrhundert ist von den Zeitgenossen und später von Historikern als eine Epochenwende und als Beginn der modernen Zeit empfunden worden. Das Deutsche Reich war seit dem Dreißigjährigen Krieg in eine Vielzahl von kleinen und kleinsten Territorien zersplittert und war in seiner Form weit von einem modernen Staat entfernt. Neben über dreihundert souveränen Territorien gab es eine Fülle von halbautonomen Gebieten und Städten, die eine kaum zu entwirrende Parzellierung des Reichsgebietes bewirkt hatten. Die Reichsgewalt des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation lag zwar bis zum Jahr 1806 beim deutschen Kaiser, sie war aber auf ganz wenige Rechte beschränkt und hatte eine mehr symbolische Bedeutung. Die wichtigen politischen Entscheidungen lagen bei den Territorialstaaten, die ihre Gesetzgebung, Gerichtsbarkeit, Landesverteidigung, Polizeigewalt und so weiter unabhängig von der Reichsgewalt ausübten.

Weiterlesen

Das psychische Immunsystem vermindert Stress

Das psychische Immunsystem erzeugt ein Sicherheitsnetz, das ein Individuum vor den Auswirkungen von chronischem Stress schützt. Zudem stärkt es Menschen, damit sie plötzliche Schicksalsschläge besser bewältigen können. Während das biologische Immunsystem einen Menschen am Leben hält, indem es ihn vor Krankheiten schützt, vermindert das psychische Immunsystem den erlebten Stress und hilft dabei, einer Depression vorzubeugen. Walter Mischel erklärt: „Das psychische Immunsystem findet Mittel und Wege, damit wir unsere guten Ergebnisse als Verdienst anrechnen und uns für schlechte nicht hassen.“ Das psychische Immunsystem hält die innere Überzeugung aufrecht, gut, klug und geschätzt zu sein. Sofern Menschen nicht an einer schweren Depression oder einer anderen psychischen Störung leiden, sind sie imstande, von sich selbst zu glauben, dass sie mehr positive und weniger negative Eigenschaften als die meisten ihrer Zeitgenossen haben. Walter Mischel gehört zu den wichtigsten und einflussreichsten Psychologen der Gegenwart.

Weiterlesen

Die Vernunft ist die Basis der Philosophie der Neuzeit

Die Epoche der philosophischen Neuzeit umfasst einen Zeitraum der etwa bei der Geburt René Descartes, der 1596 geboren wurde, beginnt und bis zum Tod von Georg Wilhelm Friedrich Hegel, im Jahr 1831, dauerte. Die Philosophieepoche der neuen, der bürgerlichen Zeit dauerte also etwas mehr als 200 Jahren. Die Periode gehörte zu den produktivsten und spannendsten Episoden der Philosophiegeschichte. Kennzeichnend ist für diese Epoche, trotz ihrer Vielfalt und Gegensätzlichkeiten, eine gemeinsame Grundüberzeugung, die jeden Philosophen leitet, egal welchem Thema er sich gerade widmet und über welche Fragen er gerade nachdenkt. Die Basis der Überlegungen, die allen Philosophen der Neuzeit gemeinsam ist, ist das Prinzip der Vernunft.

Weiterlesen

Ulrich Herbert beleuchtet die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg

In der europäischen Außenpolitik hatte sich seit der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert ein Paradigmenwechsel ergebe. Durch den Bau der Flotte und der Propagierung der deutschen Weltpolitik hatte sich das Deutsche Reich in einen Gegensatz zu der einzigen tatsächlichen Weltmacht der Zeit, Großbritannien, gesetzt, ohne ein starkes Bündnis aus seiner Seite zu haben. Ulrich Herbert ergänzt: „Dieser Gegensatz dominierte in den folgenden Jahren die Entwicklung in Europa.“ In Reaktion auf die Herausforderung Deutschlands legte Großbritannien seine Konflikte mit Russland und Frankreich bei und baute die Verbindungen zu beiden Mächten in weniger als fünf Jahren zu einem so festen, wenngleich informellen Bündnis aus, dass Deutschland dadurch in jene Isolation geriet, die es zuvor selbst mit in Gang gebracht hatte und nun als Einkreisung wahrnahm. Ulrich Herbert zählt zu den renommiertesten Zeithistorikern der Gegenwart. Er lehrt als Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.

Weiterlesen

Das schlechte Gewissen ist die Angst vor dem Liebesverlust

Wenn sich eine Gesellschaft verändert, unterliegt auch die Gefühlskultur einem Wandel. Ulrich Greiner erklärt: „Zwar ist das Schamgefühl generell ein Merkmal menschlicher Zivilisation, doch seine Empfindlichkeit und die Anlässe seiner Erregung bleiben abhängig vom jeweiligen historischen und sozialen Umfeld.“ Die Wissenschaft hat versucht, diese Felder begrifflich zu fassen und sie einer „Schamkultur“ oder einer „Schuldkultur“ … Weiterlesen

Das limbische System steuert die Triebe und Emotionen

Walter Mischel und sein Team wissen heute inzwischen, dass die Art und Weise, wie Kinder äußere Belohnungen mental repräsentieren, vorhersagbar die Länge ihrer Wartezeit verändern. Andere Studien belegen auch, dass die Kinder es mit zunehmendem Alter besser schaffen, Belohnungen aufzuschieben; ebenso nimmt das Spektrum von Strategien zu, die sie dafür anwenden. Neunjährige Kinder können in unglaublich kreativer Weise ihre Fantasie dazu nutzen, sich abzulenken und die Zeit zu vertreiben, wenn sie in Situationen wie dem Marshmallow-Test die Belohnung aufschieben müssen. Bis zum Alter von zwölf Jahren scheinen die meisten Kinder allerdings nicht zu erkennen, dass kühle Gedanken nützlicher sind als erregende, heiße Gedanken. Die heiße emotionale Region im Gehirn ist das sogenannte limbische System. Walter Mischel gehört zu den wichtigsten und einflussreichsten Psychologen der Gegenwart.

Weiterlesen

Die Philosophie muss gesellschaftliche Probleme aufgreifen

Wie der französische Philosoph Michel Foucault, der von 1926 bis 1984 lebte, in seinem Text „Die Ordnung des Diskurses“ erklärt, folgt jeder wissenschaftliche und damit auch philosophische Diskurs bestimmten Ordnungen, die festlegen was jeweils gesagt werden kann. Das betrifft sowohl das Innere der Diskurse als auch ihr Verhältnis nach außen, also die Art und Weise, in der sie auf ihren historischen, politischen und gesellschaftlichen Kontext Bezug nehmen und in ihm wirken. Ebenso ist die Position für das Philosophieren nicht gleichgültig, wie sie beispielsweise von der feministischen Standortphilosophie vertreten wird. Wilhelm Berger nennt als Beispiel die Philosophin Sandra Harding, die aus einer Theorie der sozialen Saturiertheit eine Kritik des Objektivitätsanspruchs patriarchaler Wissenschaft entwickelt. Professor Wilhelm Berger lehrt am Institut für Technik- und Wissenschaftsforschung an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

Weiterlesen

Der erste philosophische Satz stammt von Thales von Milet

Der erste Satz, der in der Geschichte des Abendlandes als philosophisch gilt, handelt vom Anfang. Thales von Milet soll um 584 vor Christus gesagt haben: „Anfang und Ziel von Allem ist das Wasser.“ Später fügt der griechische Philosoph dazu: „Und alle Dinge bewegen sich und seien im Fluss, weil sie mit der Natur des ersten Urhebers ihres Werdens übereinstimmen.“ Diese Sätze sind laut Wilhelm Berger von höchster Radikalität. Denn auf der einen Seite vollziehen sie einen radikalen Bruch mit dem Mythos, denn die als wirklich Geschehen erzählten Anfänge werden zu einem einzigen, unpersönlichen Prinzip – der Anfang tritt in dieser Hinsicht in eine absolute Distanz zu den konkreten Menschen. Professor Wilhelm Berger lehrt am Institut für Technik- und Wissenschaftsforschung an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

Weiterlesen

Wilhelm Berger erzählt vom Glück und Unglück des Anfangens

Wer zu Philosophieren beginnt, ist laut Wilhelm Berger in einen Anfang geraten. Zwar mag ein reines, gewissermaßen unschuldiges Interesse am Allgemeinen zum Philosophieren führen, aber in der Regel ist ein Bruch schon der Ausgangspunkt. Der slowenische Philosoph Slavoj Žižek sagt: „Philosophieren ist von Anfang an nicht der Diskurs dessen, der sich zu Hause weiß.“ Der marokkanische Philosoph Alain Badiou konkretisiert diese Äußerung: „Die Philosophie ist nicht einfach Nachdenken über irgendetwas. Die Philosophie ist und kann nur sein, weil es paradoxale Beziehungen gibt, Entscheidungen, Distanzen und Ereignisse.“ Somit sucht das Philosophieren Antworten und wird sie ständig verfehlen. Erst wer diese Spannung annimmt, wird jenes „Gefühl von Befreiung und Freude, das man beim Philosophieren erleben kann“, tatsächlich empfinden, von dem der amerikanische Philosoph Jay Rosenberg schreibt. Professor Wilhelm Berger lehrt am Institut für Technik- und Wissenschaftsforschung an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

Weiterlesen

Einzelinteressen und Gemeinwohl müssen einen Ausgleich finden

Was die meisten Menschen unter der sogenannten westlicher Demokratie verstehen ist laut Ernst Fraenkel weitgehend durch eine Angleichung englischen und französischen Staatsdenkens und staatlicher Institutionen der beiden Länder zustande gekommen. Das Bekenntnis zu einer solchen Form von Demokratie erfordert gleichermaßen die Anerkennung der Befugnisse der Bürger, ihre Interessen frei und ungehindert vertreten zu können, wie die Achtung der Rechte der Gesamtheit, den Vorrang des Gemeinwohls gegenüber allen Interessengruppen durchzusetzen. Ernst Fraenkel schreibt: „Die Aufdeckung der dialektischen Spannung zwischen Interessenpräsentation und volonté générale, das niemals endende Bemühen, mittels freier und offener Auseinandersetzungen einen Ausgleich zwischen diesen beiden Prinzipien herzustellen, bildet eines der kennzeichnenden Merkmale der westlichen Demokratie.“

Weiterlesen

Sexualtität hat etwas mit Entspannung und Hingabe zu tun

Sex kann sehr unterschiedlich ausfallen und ihn zu haben macht auch nicht automatisch glücklich. Gerade, wenn Beziehungen sehr lange halten, verändert sich die Sexualität. Das anfängliche erotische Knistern verliert sich im Alltag. Aus Verliebtheit wird Technik und sexuelle Routine. Auf diesem Weg geht allzu oft die partnerschaftliche Nähe verloren – und damit die Liebe. Daher ist es kein Wunder, wenn in Österreich 40 Prozent der Ehen geschieden werden, in der Hauptstadt Wien geht sogar jede zweite Ehe in die Brüche. Allzu oft ersetzen enttäuschte Partner die fehlende Nähe durch Seitensprünge, ausgefallene Sextechniken oder durch Pornos. Die Leere bleibt dennoch bestehen. Die Paar-Expertin Eva-Maria Zurhorst erklärt: „Sex soll nicht einfach nur Spannungen abbauen – es geht darum, Energie und Gefühle auszutauschen.“

Weiterlesen

Die Kriminalromane von Wolf Haas verkaufen sich millionenfach

Wolf Haas zählt zu den Menschen, die sich vornehmen, alt zu werden und sich langsam von der Welt ganz gemütlich zu verabschieden. Begraben möchte er unbedingt in einem Einzelgrab sein und lieber in einem Sarg als in einer Urne. Dabei fällt ihm eine Geschichte von Josef Hader ein, der in den Filmen den Simon Brenner spielt: „Er sagt, er fürchtet sich nicht davor, tot zu sein, nur davor, dass es da unten so kalt ist. Ihn steht’s, dass die nicht tiefer graben, wo es schon wieder warm wird.“ Auf seinem Grabstein wünscht sich Wolf Haas folgenden Spruch, den Alfred Hitchcock einmal vorgeschlagen hat: „Das passiert mit kleinen Jungs, wenn sie böse sind.“ Wolf Haas zählt zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Autoren von Kriminalromanen. Seine Bücher um den Ermittler Simon Brenner verkaufen sich millionenfach. Vier sind verfilmt worden.

Weiterlesen