Es ist, alles in allem, die Kultur, die dem Menschen die Chancen eröffnet, sich durch eigene Anstrengung von vorgegebenen Konditionen zu emanzipieren. Volker Gerhardt erklärt: „In der Regel ermöglicht man das auf diese Weise Erreichte durch Konventionen, durch sprachliche Variation oder durch das Recht, auf alternative Weise zu leben.“ Die unzähligen neuen Techniken, die der Mensch im Lauf seiner viertausendjährigen Entwicklung auf den Weg gebracht hat, sind auch Gegenstand seiner institutionellen Einordnung geworden. Im Gang der kulturellen Entwicklung ist es dabei immer wieder zu mehr oder weniger tiefgreifenden Einteilung der Menschen nach Ständen, Kasten oder Klassen gekommen. Dominierende Eroberer, Gottkönige und ihre Adlaten haben Menschen unterworfen, ausgebeutet und nicht selten wie bloße Waren behandelt. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.
Las Casas brachte die Menschenrechte auf den Weg
In der Mehrheit hielten die maßgeblichen philosophischen Denker daran fest, dass es, trotz aller Unterschiede, nur eine Menschheit gibt. Zwar dachte man, zunehmend auch in der Moderne, über angeblich essenzielle kulturelle Unterschiede nach. Dabei hat man manche Vorbehalte und Vorurteile geäußert, aus denen Eigendünkel und Unkenntnis sprechen. Volker Gerhardt betont: „Die Einheit der Menschheit ist jedoch, zumindest in der alteuropäischen Tradition, nie ernsthaft in Zweifel gezogen worden.
Homer, Solon, Aischylos und Platon können als exemplarische Anwälte der Einheit des Menschengeschlechts gelten. Fast alle großen Philosophen sind ihnen darin gefolgt. Dabei mag die Überzeugung, dass die Menschen ursprünglich von Gott oder den Göttern geschaffen worden sind, eine Rolle gespielt haben. Das christliche Naturrecht hat daraus im Anschluss an Thomas von Aquin ein nicht auf Christen beschränktes Prinzip politischen Handelns gemacht. Es stand Pate, als im 16. Jahrhundert der Dominikanermönch Las Casas die Idee der Menschenrechte auf den Weg brachte.
Der Übermensch ist der Sinn der Erde
Phantasievolle Autoren haben aus dem Gedanken der Evolution die Idee ihrer Weiterführung über den Menschen hinaus gemacht. Der „Übermensch“ Friedrich Nietzsches hat diese Idee rasch populär gemacht. Volker Gerhardt stellt fest: „Es kann nicht in Zweifel stehen, dass Nietzsche Tiefes und überaus Geistvolles sagen will, wenn der den Übermenschen als den Sinn der Erde bezeichnet.“ Es ist auch offensichtlich, dass er an einen Prozess subtiler Selbstüberwindung des „freien Geistes“, also der höchsten Erscheinungsform des Menschen denkt.
Es gibt auch eine evolutionäre Assoziation, wenn Zarathustra fragt: „Was ist der Affe für den Menschen?“ – und die Antwort gibt: „Ein Gelächter oder eine schmerzliche Scham. Und ebendas soll der Mensch für den Übermenschen sein: ein Gelächter oder eine schmerzliche Scham.“ Einem Leser kann der philosophische Ernst in dem Bemühen über den Menschen hinauszudenken, nicht entgehen. Volker Gerhardt erläutert: „Es lässt sich auch das moralische Gewissen erahnen, wenn hier gleich zweimal von Scham die Rede ist.“ Quelle: „Humanität“ von Volker Gerhardt
Von Hans Klumbies