Die Pflicht des Vergebens gilt nicht für das Böse

Die Philosophin Hannah Arendt vertritt die Meinung, verstimmte Verbrechen von der Möglichkeit des Verzeihens auszuschließen: „Zweifellos bildet die Einsicht >Denn sie wissen nicht, was sie tun< den eigentlichen Grund dafür, dass Menschen einander vergeben sollen; aber gerade darum gilt auch diese Pflicht des Vergebens nicht für das Böse, von dem der Mensch im Vorhinein weiß, und sie bezieht sich keineswegs auf den Verbrecher.“ Während für den französischen Philosophen Jacques Derrida nur das Unverzeihbare Gegenstand des Verzeihens ist, zieht Hannah Arendt genau den entgegengesetzten Schluss: Das Unverzeihliche mag rufen, so viel es will – verziehen wird es nicht. Svenja Flaßpöhler ergänzt: „Damit bleibt Arendts Begriff des Verzeihens innerhalb der Grenzen der Rationalität: Was jenseits der Grenzen liegt, ist nicht mehr verzeihbar.“ Svenja Flaßpöhler ist promovierte Philosophin und stellvertretende Chefredakteurin des „Philosophie Magazin“.

Weiterlesen

Adolf Hitler ist für immer mit der Vorstellung des Bösen verbunden

Wer über das Böse nachdenkt, kommt nicht selten irgendwann auf Adolf Hitler zu sprechen. Julia Shaw erläutert: „Das verwundert nicht bei einer Person, die u. a. für Massenmord, Zerstörung, Krieg, Folter und Volksverhetzung die Verantwortung trug.“ Die Geschichte und die Welt er werden für immer durch die Erinnerung an ihn beschmutzt sein. Wegen der Vielfalt und des Ausmaßes der Verwüstung, für die Adolf Hitler direkt und auch indirekt verantwortlich war, sind etliche Bücher über seine Beweggründe, seine Persönlichkeit und sein Handeln geschrieben worden. Die Menschen wollen schon lange wissen, warum und wie aus ihm der Mann wurde, den man aus den Geschichtsbüchern kennt. Statt die Einzelheiten seines Handelns zu analysieren, richtet Julia Shaw ihr Augenmerk auf folgende Frage: „Wenn Sie in der Zeit zurückgehen könnten, würden Sie Hitler als Baby töten?“ Julia Shaw forscht am University College London im Bereich der Rechtspsychologie, Erinnerung und Künstlicher Intelligenz.

Weiterlesen

Das Böse ist das Fremde und radikal Andere

Das Böse. Dunkel, geheimnisvoll, furchteinflößend. Als das Unfassbare schlechthin, das menschliches Vertrauen in die Welt erschüttert, reizt es zu Dämonisierungen – und auch zu Projektionen. Das Böse ist das Fremde. Das radikal Andere. Ob Heimtücke, Falschheit oder Hinterlist, ob Missbrauch, Amoklauf oder Terrorismus: Den gesunden Menschenverstand übersteigend verursacht die böse Tat Abscheu, Angst und ein tiefes Schutzbedürfnis. Svenja Flaßpöhler fügt hinzu: „Das Böse muss bekämpft werden. Überwacht, weggesperrt, ausgeschlossen – gar ausgerottet.“ Aber könnte es nicht sein, dass das Böse gar nicht von außen kommt, verschlagen und verführerisch in Häuser und Herzen drängt – sondern vielmehr uranfänglich in uns selbst lebt? Tatsächlich zeigt sich ja gerade im Schlaf, wie ungeheuerlich die Phantasien eines Menschen sein können. Dr. Svenja Flaßpöhler ist Stellvertretende Chefredakteurin des Philosophie Magazins.

Weiterlesen

Das Dritte Reich war eine Gewaltherrschaft ohne Beispiel

Der neue Band „Das Dritte Reich“ von Ulrich Herbert, das in der Reihe „Wissen“ des C. H. Beck Verlag erschienen ist, bietet eine knappe Gesamtdarstellung des Dritten Reiches auf dem neuesten Forschungsstand. Nach einer Analyse der Faktoren, die den Aufstieg des Nationalismus und die Etablierung der Diktatur ermöglicht haben, ist der größere Teil des Buches den Jahren von 1939 bis 1945 gewidmet, in denen sich die deutsche Geschichte in eine europäische und welthistorische ausweitet. Der Band informiert über den Krieg Adolf Hitlers in der Sowjetunion, die deutsche Besatzungsherrschaft in Europa und die Ermordung der europäischen Juden. Am 30. Januar 1933 wird in Deutschland Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Ulrich Herbert ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg im Breisgau und einer der bekanntesten deutschen Zeithistoriker.

Weiterlesen

Massenmörder ist heutzutage eine Karriere geworden

„Sinnlose“ Massenmorde gehören zu den großen Gesten in den Konsumgesellschaften des 21. Jahrhunderts. Wolfgang Schmidbauer stellt fest: „Sie werden zunehmen und uns bedrohen, bis wir ein wirksames Gegenmittel finden.“ Die meisten gewissenhaften Selbstbeobachter werden zugeben, dass ihnen Mordimpulse nicht gänzlich fremd sind. Massenmörder ist heutzutage eine Karriere geworden. Die meisten Täter schaffen sich durch die Tat aus der physischen Welt, hoffen aber auf unsterblichen Ruhm. Diese Formen des Massenmords sind wie eine Seuche. Sie breitet sich aus. Wenn wir eine Kurve der Zahlen von Tätern und Opfern zeichnen könnten, sie würde steil ansteigen. Wo die Suche nach den Wurzeln der Tat etwas tiefer graben kann, entdeckt sie den Zusammenprall von Krisen des Selbstwertgefühls mit dem als erlösend und ruhmreich imaginierten Endpunkt des Massenmordes.

Weiterlesen

Die Nationalsozialisten verabscheuten die Demokratie

Die nationalsozialistische Herrschaft in Deutschland seit dem Jahr 1933, die sich im Zweiten Weltkrieg auch über weite Teile Europas ausdehnte, der Massenmord an sechs Millionen Juden, steht für einen Tiefpunkt in der Geschichte der Menschheit und bildet zugleich den extremsten Gegensatz zur Staatsform der Demokratie. Die Diktatur des Nationalsozialismus ist aber laut Paul Nolte weder als Schicksal noch als historischer Unfall über Deutschland gekommen. Adolf Hitlers Machtübernahme wurde in Deutschland von einer breiten Zustimmung der Bevölkerung getragen und von vielen Menschen als eine angemessene Antwort auf die langgehegten Zweifel an der Zukunftsfähigkeit der Demokratie gesehen. Paul Nolte schreibt: „Ohne die Loyalität und Mitarbeit von Teilen der Bevölkerung ist eine Diktatur nicht vorstellbar, schon gar nicht eine moderne des 20. Jahrhunderts.“ Paul Nolte ist Professor für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte an der Freien Universität Berlin.

Weiterlesen

Paul Nolte beschreibt die scheinbaren Vorzüge der Diktatur

Selbst in Großbritannien und Amerika kamen in der Zwischenkriegszeit neue Zweifel an der Demokratie auf, doch diese Zweifel griffen im kontinentalen Europa viel weiter und grundsätzlicher um sich und mündeten häufiger, über Skepsis hinaus, in Gegnerschaft gegen die Demokratie oder jedenfalls Gleichgültigkeit gegenüber ihrer möglichen Zerstörung. Die Aussicht auf eine Diktatur erschien in den 1920er Jahren des vergangenen Jahrhunderts nicht so schrecklich wie in der Gegenwart. Erst aus der konkreten Erfahrung des Nationalsozialismus, der für Verfolgung und Massenmord verantwortlich war, teils auch aus den parallelen Gegebenheiten im Stalinismus der Sowjetunion, entstand laut Paul Nolte jenes Bild der Diktatur als alles umgreifender und kontrollierender, totaler Herrschaft, die sich auf Willkür und die Entfesslung von Gewalt stützt. Paul Nolte ist Professor für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte an der Freien Universität Berlin.

Weiterlesen

Der älteste Feind des Menschen ist der Fremde

Für Alexander Mitscherlich ist es undenkbar, dass zwischen der menschlichen Aggressivität und den Kriegen in aller Welt kein kausaler Zusammenhang besteht. Als Beispiel nennt er die menschenverachtende Naziherrschaft im Dritten Reich, die der Verfolgung ihrer inneren Feinde den erklärten Eroberungskrieg gegen äußere Feindstaaten folgen ließ. Krieg ist für Alexander Mitscherlich eine eindeutige Form der kollektiven Aggression. Sobald sich allerdings eine historische Distanz zu einem Krieg herstellt, wird es für die Menschen in den allermeisten Fällen doch sehr fraglich, ob das erklärte Kriegsziel das Sterben des Einzelnen zu rechtfertigen vermochte.

Weiterlesen

Milliarden von Menschen leben in bitterster Armut

Dass täglich etwa 50.000 Menschen an armutsbedingten Krankheiten sterben, bezeichnet der Philosoph Thomas Pogge als Massenmord. 300 Millionen Armutstote habe es seit dem Ende des Kalten Krieges gegeben. Die Bürger der reichen Länder seien an diesem Verbrechen mitschuldig. Thomas Pogge lehrt in Yale als Leitner-Stiftungsprofessor Philosophie und internationale Angelegenheiten. Der 1953 geborene Deutsche lebt seit fast dreißig Jahren in den USA. Zu seinen Vordenkern zählt er Immanuel Kant, der einer der Ersten war, der Recht und Gerechtigkeit kosmopolitisch verstanden hat. Von Immanuel Kant stammt der Ausspruch, dass eine Rechtsverletzung an einem Platz der Erde, an allen Plätzen der Welt gefühlt wird.

Weiterlesen