Menschen sehnen sich nach Gewissheit

In Begrenzungen und Zweifeln sehen sich die meisten Menschen nach Eindeutigkeit. Sie wollen mehr Gewissheit, als ihnen möglich ist. Menschen hoffen auf eine bessere Zukunft und vertrauen ihren Mitmenschen. Sie staunen und erleben Geheimnisse. Sie suchen zu vergessen und zu vergeben. Paul Kirchhof fügt hinzu: „Ein Mensch, der nicht hoffen kann, der nicht nach dem Besseren, auch nach dem Unerreichbaren strebt, fiele in eine Leere, die den Sinn seines Lebens in Frage stellte.“ Hoffnungslosigkeit nähme seiner Freiheit einen wesentlichen Impuls und würde den Aufbruch zu Fortschritt und Erneuerung ersticken. Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg. Als Richter des Bundesverfassungsgerichts hat er an zahlreichen, für die Entwicklung der Rechtskultur der Bundesrepublik Deutschland wesentlichen Entscheidungen mitgewirkt.

Weiterlesen

Die Aufklärung suchte nach Gewissheiten

Die europäische Aufklärung ist ganz durchtränkt vom Geiste der Kritik. Vor allem die aufklärerische Bibelkritik hat das kritische Denken damals sogar in die Religion getragen. Denn sie arbeitete die historischen und subjektiven Bedingungen der Entstehung von Bibeltexten heraus. Dadurch wurde der Anspruch einer direkten Gottesbotschaft durch diese Forschungen zur Historizität der Bibel stark relativiert. Silvio Vietta erläutert: „Die Aufklärung verfolgte dann auf der Grundlage der Erkenntnisse neuzeitlicher Naturwissenschaften über den Kosmos und auch Menschen das Ziel, endlich klar zwischen falschen und richtigen Urteilen über die Welt zu unterscheidenden. Sie suchte in Bezug auf die Wahrheit nach „Gewissheit“. Der Vorreiter dieser Denkbewegung war René Descartes. Prof. em. Dr. Silvio Vietta hat an der Universität Hildesheim deutsche und europäische Literatur- und Kulturgeschichte gelehrt.

Weiterlesen

Rationalität ist keine absolute Größe

Der destruktive Umgang mit Konflikt resultiert aus der insgeheimen Übereinkunft, dass es nur eine einzige Rationalität gibt. Nämlich die eigene. Reinhard K. Sprenger stellt fest: „Wenn ich nur einen Grund nennen müsste, warum Konflikte eskalieren, dann genau deshalb. Darum: Anerkennen Sie, dass Rationalität keine absolute Größe ist. Dass es mehrerlei Vernunft gibt.“ Es gibt auch scheinbar unvernünftige Ordnungen, die allerdings erfahrungsgesättigt sind und deshalb Geltung beanspruchen dürfen. Man sollte jedoch die Spielräume nutzen, die jede noch so rigide Dogmatik zulässt. Wie der Volksmund sagt: „Etwas geht immer.“ Es gibt beispielsweise Felder, auf denen sich ökologische und wirtschaftliche Logik nicht widersprechen. Wichtig ist zudem, dass man einen soliden Selbstzweifel an der Einzigrichtigkeit seiner Erkenntnisfähigkeit nie verlieren sollte. Reinhard K. Sprenger zählt zu den profiliertesten Managementberatern und wichtigsten Vordenkern der Wirtschaft in Deutschland.

Weiterlesen

Das Vertrauen ist selbst in einer Krise

Vertrauen reagiert nicht auf eine Krise, indem es in Misstrauen kippt. Denn ist selbst Teil einer Krise. Martin Hartmann nennt ein Beispiel: „Wie umfassend die Zweifel an alten Gewissheiten geworden sind, können auch die Diskussionen zum Klimawandel zeigen.“ Natürlich gibt es eine ganze Menge Evidenzen, die nahelegen, dass menschliche Einflüsse das Erdklima erwärmen. Wirkliche Gewissheit gibt es aber, so behaupten manche, nicht. Das ist die Chance der Leugner und natürlich auch der Verschwörungstheoretiker. Beide leben weniger vom kalkulierbaren Risiko als von der prinzipiellen Ungewissheit, von der sie sich ernähren. Man kann Verschwörungstheorien bekanntlich nicht widerlegen, und zwar nicht nur, weil sie meist von paranoiden Charakteren getragen werden. Diese haben keinerlei Interessen an einer Belehrung. Martin Hartmann ist Professor für Praktische Philosophie an der Universität Luzern.

Weiterlesen

John Rawls repräsentiert den neuen Liberalismus

Für den neueren Liberalismus dürfte John Rawls mit seiner „Theory of Justice“ (1971) der herausragende Repräsentant sein. An der unangefochtenen Spitze seiner berühmten Prinzipien der Gerechtigkeit steht eine Variante von Immanuel Kants einschlägigem Prinzip. Otfried Höffe erklärt: „Danach hat jeder das gleiche Recht auf das umfangreichste Gesamtsystem gleicher Grundfreiheiten, das mit demselben Recht aller anderen verträglich ist.“ Dieses Prinzip spricht sich sowohl für die liberalen Freiheitsrechte als auch die demokratischen Mitwirkungsrechte aus. In einem zweiten Prinzip wird es um ein hohes Maß an Sozialstaatlichkeit erweitert. Denn es erlaubt zwar wirtschaftliche und soziale Ungleichheiten, aber ist nur unter den Bedingungen fairer Chancengleichheit. Um Gerechtigkeit zu garantieren, muss eine zweiten Bedingung hinzukommen. Die entsprechende Wirtschafts- und Sozialordnung soll auch den Schlechtestgestellten zugutekommen. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

Weiterlesen

Die Erde bewegt sich um die Sonne

Selbst die weisesten Propheten können ihren Blick nicht über den Möglichkeitshorizont ihrer Zeit hinaus richten. Jedoch verändert sich dieser Horizont mit jeder kleinen Veränderung, wenn der menschliche Geist nach außen blickt. Entweder um dabei die Natur zu beobachten oder sich nach innen wendend, seine eigenen Gegebenheiten in Frage zu stellen. Maria Popova schreibt: „Durch das Geflecht dieser Gewissheiten, gestrafft von Natur und Kultur, sieben wir die Welt. Doch ab und zu – ob durch Zufall oder bewusste Anstrengung – lockert sich der Draht, und durch die Maschen schlüpft die Keimzelle einer Revolution.“ Johannes Kepler begeisterte sich erstmals als Student in Tübingen für das heliozentrische Modell. Das war ein halbes Jahrhundert nachdem, nachdem Nikolaus Kopernikus seine Theorie veröffentlicht hatte. Die Bulgarin Maria Popova ist eine in den USA wohnhafte Autorin, Intellektuelle und Kritikerin. Sie ist bekannt als Gründerin der Online-Plattform Brain Pickings.

Weiterlesen

Ein selbstbestimmtes Leben erträgt Ungewissheit

Ernst-Dieter Lantermann schreibt: „Angesichts der geballten Unsicherheiten gerät bei vielen Menschen die Balance zwischen ihren Bedürfnissen nach Sicherheit und Wagnis gründlich aus dem Gleichgewicht. Eine Balance, in der mal die Lust auf Neues und Risiko, dann wieder das Verlangen nach Sicherheit und Verlässlichkeit das Handeln leitet.“ Der Wunsch nach neuen, den eigenen Horizont erweiternden Selbst- und Welterfahrungen, die nicht ohne Gefahr zu haben sind, tritt zurück. Oberhand gewinnt ein heftigen Verlangens nach Überschaubarkeit, Struktur, Orientierung, Abschottung und Sicherheit. Das Verlangen nach Ordnung und Schutz veranlasst manche Menschen, radikale oder fanatische Haltungen zu entwickeln. Von diesen versprechen sie sich neue Welt- und Selbstgewissheiten und zugleich ein neues, gefestigtes positives Selbstwertgefühl. Ernst-Dieter Lantermann war von 1979 bis 2013 Professor für Persönlichkeits- und Sozialpsychologie an der Universität Kassel.

Weiterlesen

Kurzfristiges Glück ist kein gutes Lebensziel

Immanuel Kant (1724 – 1804) stellte die scharfe Waffe seines Verstandes auch in den Dient der Moralphilosophie. Auch persönlich brachte er einen wesentliche Grundvoraussetzung mit, an der Möchtegern-Pflichtbewusste scheitern: Selbstdisziplin. Ludger Pfeil erklärt: „Er hatte sich aufgrund seiner kränklichen Konstitution an strengste Regeln im Tagesablauf gewöhnen müssen. Die Königsberger sollen ihre Uhren nach seinem Spaziergang gestellt haben.“ Erstaunlicherweise war Immanuel Kant alles andere als eine Spaßbremse. Seine täglichen Mittagsgesellschaften, bei denen Neuigkeiten aller Art durchgekaut wurden, galten als unterhaltsame und beliebte Veranstaltungen. Immanuel Kants Ethik vollzieht jedoch als Lebensziel nicht die kurzfristige gesellige Glückseligkeit, sondern die Glückswürdigkeit, die nur durch Pflichterfüllung zu erreichen sei. Der Philosoph Dr. Ludger Pfeil machte nach seinem Studium Karriere in der Wirtschaft als Projektleiter und Führungskraft und ist als Managementberater tätig.

Weiterlesen

Vorhersehbarkeit ist eine fundamentale Dimension sozialer Interaktionen

Für den Soziologen und Gesellschaftstheoretiker Niklas Luhmann ist die Reduktion von Komplexität und Ungewissheit ein grundlegender Bestandteil sozialer Prozesse. Eva Illouz erläutert: „Liebe ist – wie Wahrheit, Geld oder Macht – ein Kommunikationsmedium, das dabei hilft, Erwartungen zu erzeugen, eine Entscheidung unter vielen möglichen anderen auszuwählen, Motivationen mit Handlungen zu verbinden sowie Gleichheit und Vorhersehbarkeit in Beziehungen zu schaffen.“ Ein solches Medium der Kommunikation bringt Rollen hervor, die wiederum erwartete Ergebnisse produzieren. Vorhersehbarkeit ist eine fundamentale Dimension sozialer Interaktionen, die beispielsweise in Riten besonders deutlich zum Ausdruck kommt. Wenn Interaktionen ritualisiert werden, erzeugen sie Gewissheit über die Beziehungsdefinition der Akteure, über ihre Position in einer solchen Beziehung und über die dazugehörigen Verhaltensregeln. Eva Illouz ist Professorin für Soziologie an der Hebräischen Universität von Jerusalem sowie Studiendirektorin am Centre européen de sociologie et de science politique de la Sorbonne.

Weiterlesen

Der Kapitalismus führte zu einer Heiligsprechung des Konsums

Das Erstaunliche an der derzeitigen Lage ist: Selbst in einer ungewöhnlich langen wirtschaftlichen Wachstumsphase, wie sie Deutschland gerade erlebt und von der viele profitieren, ist der Unmut so groß, dass ihn etwas die neue Große Koalition mit milliardenschweren Wohltaten zuschütten muss. Und noch so viele Subventionen sorgen nicht dafür, dass die Kritik am Kapitalismus abebbt. Der Ausgleich zwischen Reich und Arm scheint nicht mehr zu funktionieren, jedenfalls nicht gut genug, um Aufruhr im System zu vermeiden. Dabei steht der Kapitalismus nicht bloß technisch-ökonomisch infrage, sondern vor allem philosophisch. Denn der Kapitalismus ist eben auch eine Frage der Werte. Intrinsische Motive und solidarische Effekte verpuffen allzu oft, sobald Geld ins Spiel kommt. Dieses Wirtschaftssystem ist voll von widersprüchlichen Effekten. Einer der stärksten ist die Grundüberzeugung, dass das Streben des Einzelnen nach dem eigenen Vorteil am Ende zu einem besseren Leben für alle führt.

Weiterlesen

Bei guten Entscheidungen geht es um die bestmögliche Lösung

Wer gute Entscheidungen treffen will, muss sich von der Idee verabschieden, dass dies eine einsame Angelegenheit ist. Dennoch ist diese Idee immer noch insbesondere in Unternehmerkreisen weit verbreitet. Der Hirnforscher Ernst Pöppel ist davon überzeugt, dass Entscheidungen nur dann als gut empfunden werden, wenn die emotionalen Aspekte und Facetten beim Abwägen der zur Verfügung stehenden Möglichkeiten mit einbezogen werden. Ina Schmidt erklärt: „Bei jeder guten Entscheidung geht es darum, den Rahmen des Möglichen einzubeziehen: Welche Gründe führen zu meiner Entscheidung, wer ist an meiner Entscheidung beteiligt, in welcher Situation befinde ich mich, und welche Konsequenzen erwarte ich von meiner Entscheidung?“ Ina Schmidt gründete 2005 die „denkraeume“, eine Initiative, in der sie in Vorträgen, Workshops und Seminaren philosophische Themen und Begriffe für die heutige Lebenswelt verständlich macht.

Weiterlesen

Die geistige Unabhängigkeit ist die Voraussetzung für politische Freiheit

Derjenige Mensch, der in Unverständnis verharrt, lebt in tiefster Sklaverei. In seinem Werk „Versuch über den menschlichen Verstand“ leistete John Locke einige seiner folgenreichsten Beiträge zur Befreiung des Menschen. Der kanadische Politikwissenschaftler und Philosoph Charles Taylor weist darauf hin, dass der ganze Essay gegen diejenigen gerichtet ist, die anderen Vorschriften machen wollen, indem sie trügerische und vermeintlich über jeden Zweifel erhabene Grundsätze anwenden, wie beispielsweise die angeblich angeborenen Prinzipien. Matthew B. Crawford erklärt: „Gemeint sind die Priester und Scholastiker, die Bewahrer einer verkalkten aristotelischen Tradition. Ungeachtet der Reformation waren politische und kirchliche Autorität in John Lockes Zeit eng verwoben und hingen voneinander ab.“ Folglich war die geistige Unabhängigkeit Voraussetzung für die politische Freiheit. Matthew B. Crawford ist promovierter Philosoph und gelernter Motorradmechaniker.

Weiterlesen

Eltern müssen nicht immer und überall für ihre Kinder da sein

Eltern haben Macht und sorgen als Bezugspersonen für Sicherheit. In der Psychologie geht es häufig um die mehr oder weniger sichere Bindung von Kindern. Diese ist laut Paul Verhaeghe in der Tat von höchster Bedeutung: „Es handelt sich dabei im Wesentlichen um das Verhältnis zwischen Bezugsperson und Baby bis ins Vorschulalter. Wie sicher die Bindung eines Kindes ist, lässt sich paradoxerweise buchstäblich daran messen, wie gut es die Bezugsperson loslassen kann.“ Der Psychoanalytiker fügt hinzu: „Den Erfolg unserer Erziehung können wir daran messen, wie unsere Kinder sich von uns lösen können.“ Die vom Kleinkind gefühlte Sicherheit hängt ganz eng mit der Sicherheit und Vorhersehbarkeit zusammen, die es immer wieder erfahren hat. Paul Verhaeghe lehrt als klinischer Psychologe und Psychoanalytiker an der Universität Gent.

Weiterlesen

Selbstvermesser wollen ihren Körper total kontrollieren

Der anspruchsvolle Vermesser des eigenen Selbst wird in aller Regel von seinem hohen Kontrollbedürfnis angetrieben. Den allgegenwärtigen Ungewissheiten setzt der Selbstvermesser sein Verlangen nach Körperkontrolle entgegen. Ernst-Dieter Lantermann fügt hinzu: „Was er kontrollieren kann, wird für ihn zu einem Ort verlässlicher Gewissheit, was sich seiner Kontrolle entzieht, zu einem Ort gefährlicher Ungewissheiten.“ Der Selbstvermesser schwört auf eine Strategie der Reduktion seiner Unsicherheit, die in der Forschung als „Kontrollmaximierung“ bekannt ist. Hintergrund dieser Strategie ist die Überzeugung, dass die irritierenden Unsicherheiten, die ein Leben in diesen Zeiten prägen, nur durch eine maximale Kontrolle ihrer Ursachen, Verläufe und Konsequenzen beherrscht und schließlich in Orte neuer Gewissheiten verwandelt werden können. Ernst-Dieter Lantermann war von 1979 bis 2013 Professor für Persönlichkeits- und Sozialpsychologie an der Universität Kassel.

Weiterlesen

Der Zweifel ist der Weisheit Anfang

Die Fähigkeit zu lernen geht nicht an einem bestimmten Punkt im Leben verloren. Selbst eingeschliffene Denkmuster kann jeder Mensch jederzeit ändern, sogar noch im hohen Alter. Anja Förster und Peter Kreuz erklären: „Neuroplastizität heißt die Fähigkeit unseres Gehirns, zwischen seinen Nervenzellen ständig neue Verknüpfungen herzustellen. Damit ist es in der Lage, sich lebenslang auf neue Anforderungen einzustellen und seinen Kurs zu verändern.“ Damit steht auch fest: Entschiedenheit kann man lernen. Dazu benötigt man allerdings Selbstreflexion, Disziplin, Mut und auch … Zweifel. Obwohl in der heutigen Zeit keine Zweifler gefragt sind, sondern eher Macher. Es herrscht die Erwartung, dass man seine Zweifel beiseiteschiebt und Gewissheit verbreitet, auch dann, wenn es nur Hoffnungen oder Erwartungen sind. Anja Förster und Peter Kreuz nehmen als Managementvordenker in Deutschland eine Schlüsselrolle ein.

Weiterlesen

Unsicherheit und Gefahr sind für Fremdenfeinde allgegenwärtig

So hoch auch der zeitweilige persönliche Sicherheitsgewinn sein mag – ein Garantie von Sicherheit kann selbst eine entschlossene Fremdenfeindlichkeit auf Dauer nicht bieten. So mögen die Verbitterten zwar zu ihrer inneren Sicherheit zurückfinden, wenn sie auf alle Muslime und ihre Kultur verächtlich herabblicken, aber die eigentlichen Gründe für ihre Verbitterung werden dadurch nicht gänzlich außer Kraft gesetzt. Ernst-Dieter Lantermann erklärt: „Gleiches gilt für die Beleidigten, Verhärteten oder die grollende Elite. Was diese fremdenfeindlichen Menschen eint, ist ihr tiefes Misstrauen gegenüber der Politik und der politischen Elite, von denen sie sich im Stich gelassen, nicht angemessen wertgeschätzt und nicht ausreichend vor den Gefahren dieser Welt geschützt fühlen.“ Ernst-Dieter Lantermann war von 1979 bis 2013 Professor für Persönlichkeits- und Sozialpsychologie an der Universität Kassel.

Weiterlesen

Das Zeitalter der politischen Unsicherheit hat begonnen

Für den Ökonomen Nicholas Bloom werden Politik und Wirtschaft mit der Amtseinführung von Donald Trump als amerikanischen Präsidenten unberechenbar: „Die Werte, mit denen wir politische Unsicherheit messen, waren noch nie so hoch wie heute.“ Das liegt seiner Meinung allerdings nicht allein an der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten. Auch die Entscheidung der Briten, die Europäische Union (EU) zu verlassen, spielt dabei eine Rolle. Diese beiden Phänomene sind Ausdruck eines grundlegenden Problems: Der Aufstieg populistischer Parteien wie der Fünf-Sterne-Bewegung in Italien und des Front National in Frankreich erschüttert die politischen Gewissheiten der vergangenen Jahrzehnte. Das bleibt laut Nicholas Bloom nicht ohne Folgen für die Wirtschaft. Auf die Frage, wann die Unsicherheit steigt, antwortet Nicholas Bloom: „Vereinfacht gesagt gilt folgende Gleichung: Sinkendes Wirtschaftswachstum und steigende Ungleichheit führen zu mehr Unsicherheit.“ Nicholas Bloom lehrt Ökonomie an der Stanford University.

Weiterlesen

Moderne Gesellschaften zeichnen sich durch Individualisierung aus

Der Prozess der Modernisierung hat zu einer grundlegenden Öffnung der Gesellschaft für neue, Lebens- und Ordnungsentwürfe geführt. Ernst-Dieter Lantermann erklärt: „Überkommene Traditionen und Gewissheiten werden infrage gestellt und büßen ihre Verbindlichkeit ein, die Offenheit für alternative, selbstbestimmte Lebensentwürfe jenseits traditioneller Bahnen durchzieht sämtliche Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens.“ Jeder Einzelne kann und muss sich für seinen Lebensweg selbst entscheiden. Der berühmte deutsche Soziologe Ulrich Beck hat für diese Entwicklung den Begriff „Individualisierung“ geprägt. Nach welchen Vorstellungen ein Mensch sein Leben gestalten, welche Lebensweise er für angemessen oder falsch hält, welche Ziele er verfolgt, welchen Vorlieben er nachgeht oder welche Abneigungen er pflegt, liegt immer mehr auch in seinen eigenen Händen, in seiner eigenen Verantwortung. Ernst-Dieter Lantermann war von 1979 bis 2013 Professor für Persönlichkeits- und Sozialpsychologie an der Universität Kassel.

Weiterlesen

Immer mehr Bürger radikalisieren sich in ihrer Lebensführung

Der Sozialpsychologe Ernst-Dieter Lantermann benennt in seinem neuen Buch „Die radikalisierte Gesellschaft“ Ursachen und Handlungsmotive der Selbstverschließung vieler Menschen gegenüber allem Neuen und weist auf jene inneren Ressourcen hin, die einem Menschen hilft, nicht den Versuchungen radikaler und fanatischer Haltungen zu erliegen. Das Verschwinden von Gewissheiten ist ein Kennzeichen der Gegenwart. Viele Menschen fühlen sich von dem rasanten Tempo der gesellschaftlichen und kulturellen Veränderungen überfordert. Ihr Selbstwertgefühl leidet unter der Prekarisierung ihrer Lebensverhältnisse, für die sie ja selbst, so suggeriert der Zeitgeist, verantwortlich sind. Die Antwort vieler Bürger auf die wachsende Unsicherheit ist eine Radikalisierung ihrer Lebensführung. Ernst-Dieter Lantermann nennt Beispiele: Den Fremdenfeind, der alle Probleme dieser Welt aus der massenhaften Ankunft von Flüchtlingen herleitet. Den Fitnesstreibenden, der sich distanzlos allen digitalen Neuerungen der Selbstkontrolle unterwirft. Den Sicherheitsfanatiker oder den fanatischen Nostalgiker. Sie eint aus psychologischer Sicht mehr, als ihnen bewusst ist.

Weiterlesen

Technik und Genetik sollen den Menschen verbessern

Aktuell arbeitet die Menschheit an einem Entwurf des perfekten Menschen. Es geht um die Verbesserung und Veränderbarkeit des Menschen in einem neuen Sinn. Konrad Paul Liessmann erklärt: „Nicht durch Erziehung und Bildung, nicht durch Moral, Aufklärung und eine humanistische Kultur soll die Verbesserung des Menschengeschlechts erreicht werden, wohl aber durch Technik und Genetik.“ Für den Soziologen Dierk Spreen befindet sich die moderne Gesellschaft schon jetzt in einer „Enhancement-Gesellschaft“, in der vor allem die Optimierung des Körpers durch Manipulationen, Zusammenschlüsse mit Mikromaschinen und Prothesen zu einem alltäglichen Phänomen geworden ist. Unübersehbar ist auch ein sich allmählich wandelndes Selbstverständnis des Menschen, ein Wandel des Menschenbildes. Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech.

Weiterlesen

René Descartes suchte nach der absoluten Gewissheit

Der Philosoph René Descartes, der von 1596 bis 1650 lebte, erforschte in zwei seiner Werke die Grenzen dessen, was Menschen wissen können. Die Schriften heißen „Meditationen über die Grundlagen der Philosophie“ und „Methode des richtigen Vernunftgebrauchs“. Wie die meisten Philosophen wollte René Descartes nicht etwas glauben, ohne es vorher genau untersucht zu haben. Nigel Warburton erklärt: „Er liebte es, abwegige Fragen zu stellen, auf die andere gar nicht kamen. Natürlich war René Descartes klar, dass man nicht durchs Leben gehen konnte, indem man ständig alles hinterfragte.“ Das Leben würde sich als extrem schwierig erweisen, wenn man nicht auch einige Dinge einfach glaubte. Der Philosoph Nigel Warburton ist Dozent an der Open University. Er gibt außerdem Kurse über Kunst und Philosophie am Tate Modern Museum.

Weiterlesen

Das subjektive Erleben verändert das Selbst

Viele Menschen manchen sich schnell Sorgen über Ereignisse, die unmittelbar bevorstehen und sie ängstigen, aber sie stellen sich die Zukunft nur selten in anschaulicher, emotionaler Weise vor. Walter Mischel fügt hinzu: „Die rosarote Brille und das psychische Immunsystem, die unser Wohlgefühl aufrechterhalten, schützen die meisten davor, länger bei solchen Ängsten zu verweilen.“ Sie erlauben es, bedrohlichen Risiken in der Zukunft wie Krankheiten, Verarmung und Einsamkeit im Alter weitgehend auszublenden. Wenn diese Ängste übermächtig werden, lenken sich die meisten Menschen schnell von ihnen ab. So vermeidet man Angst. Folglich gehen Menschen weiterhin alle möglichen Risiken ein, wobei sie die langfristigen Folgen ignorieren, die weit in der Zukunft liegen, die obendrein ungewiss sind und damit leicht abgetan werden können. Walter Mischel gehört zu den wichtigsten und einflussreichsten Psychologen der Gegenwart.

Weiterlesen

Die neuen Menschen sollen perfekte Wesen sein

Das 19. Philosophicum in Lech am Arlberg wagte unter dem Titel „Neue Menschen! Bilden, optimieren, perfektionieren einen kritischen Blick in die Zukunft. Thematisiert und debattiert wurden die neuesten Fortschritte in der Biomedizin und damit verbunden Visionen, aber auch Bedenken und ethische Fragesellungen. Immer mehr Menschen trainieren und modellieren ihren Körper, sorgen für die richtige Ernährung, nehmen leistungssteigernde Nahrungsergänzungsmittel zu sich und legen sich eine langfristige Anti-Aging-Strategie zurecht. Kleine Defizite und Verfallserscheinungen werden durch die Schönheitschirurgie, größere durch künstliche Implantate und intelligente Prothesen korrigiert. Im Klappentext des Buches „Neue Menschen!“ heißt es weiter: „Das Hirn wird umfassend gefördert, die Seele wird durch Psychopharmaka von allen Irritationen und durch permanente Kontrolle im Gleichgewicht gehalten. Am Ende solcher Optimierungsprozesse steht die Vision eines perfekten, transhumanen Wesens, das reibungslos funktioniert und dem alles Menschliche fremd geworden ist.“

Weiterlesen

Die positiven Folgen des Optimismus sind überwältigend

Optimismus ist die Neigung, mit dem bestmöglichen Ergebnis zu rechnen. Psychologen definieren ihn als das Ausmaß, in dem Menschen positive Erwartungen bezüglich ihrer persönlichen Zukunft hegen. Walter Mischel ergänzt: „Diese Erwartungen beziehen sich auf das, was ihrer Auffassung nach tatsächlich geschehen wird – sie gehen über bloße Hoffnungen hinaus und gleichen eher festen Glaubensgewissheiten –, und sie sind eng mit der Überzeugung verknüpft, es schaffen und Herausforderungen meistern zu können.“ Die positiven Folgen einer optimistischen Grundeinstellung sind überwältigend, und man würde sie kaum für möglich halten, wenn sie nicht durch die Forschung so gut belegt wären. So haben zum Beispiel Shelley Taylor und ihre Kollegen gezeigt, dass Optimisten erfolgreicher Stress bewältigen können und besser vor dessen negativen Folgen geschützt sind. Walter Mischel gehört zu den wichtigsten und einflussreichsten Psychologen der Gegenwart.

Weiterlesen

Ein Mensch braucht Vertrauen zum Glück

In der Regel zerstört man ein Vertrauensverhältnis, wenn man es durch ein Gespräch zu fassen versucht. Denn die Frage „Kann ich dir eigentlich vertrauen?“ eröffnet nicht eine Diskussion über das Vertrauen, sondern beendet sie. Damit entzieht man dem Vertrauen die Grundlage. Manfred Lütz erklärt: „Vertrauen ist wichtig. Ohne ein Mindestmaß an Vertrauen kann ein Mensch nicht glücklich sein. Was das Leben aber so spannend macht, dass wir gerade das Wichtigste nicht wissen können.“ Ausgerechnet das Wichtigste kann man nicht definieren, kann es nicht in den Griff bekommen und kann sich seiner nicht sicher sein. Wenn das nicht so wäre, dann wäre das Leben nur ein langweiliges, festgelegtes Programm, für das man Gebrauchsanweisungen schreiben könnte, die es jedem ermöglichen würden, sein Leben so zu führen, wie es sich angeblich gehört. Manfred Lütz leitet eine Klinik für psychisch Kranke in Köln.

Weiterlesen