Der Sozialstaat sorgt für die Bedürftigen

Heinz Bude begreift den Sozialstaat als Form institutionalisierter Solidarität. Niemand wird hier seinem Schicksal überlassen. Man kümmert sich um jene Mitmenschen, die in eine der drei Kategorien von Versorgungsbedürftigkeit fallen: Alter, Arbeitsunfähigkeit und Arbeitslosigkeit. Heinz Bude nennt sie die drei Standardrisiken der industriellen Arbeitsgesellschaft. Das Arbeitsleben ist ein „gefährdetes Leben“, um Judith Butler zu zitieren. Deshalb bedarf es der Zuverlässigkeit von Solidarität, die den verletzlichen Einzelnen die genügende Erwartungssicherheit verleiht, um mit dieser Situation vielfältiger Gefährdungen zurechtzukommen. Arbeitslosigkeit, Arbeitsunfähigkeit und Alter passieren und verletzen die Einzelnen. Deshalb trägt eine „anständige Gesellschaft“ dafür Sorge, dass die Herabwürdigung und Aussortierung für die Einzelnen nicht zu schlimm ausfallen. Heinz Bude studierte Soziologie, Philosophie und Psychologie. Seit dem Jahr 2000 ist er Inhaber des Lehrstuhls für Makrosoziologie an der Universität Kassel.

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Die Demokratie ist nur durch eine prozessuale Definition zu begreifen

Die Globalisierung als chronische Mobilisierung, als Einladung zum Dasein in ständiger Bewegung, erfasst nur einen kleinen Teil der Menschheit, obwohl man den Tourismus als eine Schule des Weltbürgertums im weitesten Sinne auffassen darf. Peter Sloterdijk fügt hinzu: „Darin sind die Deutschen weit fortgeschritten. Für viele Menschen bedeutet das Reisen die Einlösung eines Guthabens an Globalisierungskapital.“ Für die vielen, deren Radius nur wenige Meilen um ihren Wohnort reicht, wie bei zahlreichen Menschen, die Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten gewählt haben, ist die kosmopolitische Tendenz furchteinflößend. Sie nehmen an der Res publica, am öffentlichen Raum, und am Weltverkehr fast gar nicht teil. Deshalb hilft es nicht weiter, Wähler populistischer Parteien oder beharrliche Nichtwähler als Idioten – im Gegenteil von Kosmopoliten – zu bezeichnen. Peter Sloterdijk gilt als einer der wirkungsmächtigsten und zugleich heftig umstrittenen Denker Deutschlands.

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Sicherheit ist ein fundamentales menschliches Bedürfnis

Wenn man in den allgemeinen Unsicherheiten eine vielversprechende Möglichkeit erkennt, seinen Bedürfnissen und Überzeugungen nachzugehen, dann sieht man sich im besten Sinne herausgefordert, fühlt sich wohl, ganz mit sich einverstanden und manchmal auch euphorisch. Erst-Dieter Lantermann ergänzt: „Unsere Selbstachtung und unser Selbstwertgefühl wachsen an diesen Herausforderungen, da wir uns selbst und anderen beweisen, dass wir aus eigener Kraft auch in dieser unsicheren Welt unser Schicksal selbst in die Hand nehmen.“ Erlebt man die Unsicherheiten der eigenen Lebensverhältnisse hingegen als eine Gefährdung der eigenen Bedürfnisse, Werte und Überzeugungen, nimmt man diese Unsicherheit als einen bedrohlichen Angriff auf seine Selbstwertschätzung und Selbstwertgefühl wahr und wird alles unternehmen, um sich gegen diesen Angriff zu wehren. Ernst-Dieter Lantermann war von 1979 bis 2013 Professor für Persönlichkeits- und Sozialpsychologie an der Universität Kassel.

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Viele Deutsche sehnen sich nach einem optimierten Körper

Über 30 Prozent der 15- bis 25- Jährigen lassen sich heutzutage tätowieren und piercen. Die Zahl der Menschen, die ihren Körper mit Schmucknarben oder Brandings „verschönern“, wächst ständig. Eingriffe von Schönheitschirurgen nehmen seit Jahren zu. Ernst-Dieter Lantermann nennt Zahlen: „Im Jahr 2013 wurden von der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgie 138.000 ästhetische Operationen und fast gleich viele Unterspritzungen zur Straffung der Haut gezählt.“ Body- und Facelifting, Kinn-, Ohr- und Nasenkorrekturen, Augenlidstrafung und Fettabsaugung werden zunehmend auch von Männern nachgefragt. Immer mehr Frauen lassen sich ihre Schamlippen in eine schönere Form bringen und folgen damit dem Trend zur Designer-Vagina; waren es 2010 in Deutschland noch 1.700 Operationen, sind es im Jahr 2015 bereits 9.000. Ernst-Dieter Lantermann war von 1979 bis 2013 Professor für Persönlichkeits- und Sozialpsychologie an der Universität Kassel.

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Gated Communities bescheunigen Radikalisierungstendenzen

Die Analysen über die Gründe, Ursachen und Folgen von Gated Communities in Deutschland lassen vermuten, dass mit der weiteren Verbreitung solcher geschlossener Wohnformen zwei Radikalisierungsmomente in der Gesellschaft beschleunigt werden, eine objektive und eine subjektive Radikalisierung. Ernst-Dieter Lantermann erklärt: „Die objektive Seite dieser zu befürchtenden Radikalisierung liegt in einer sich immer noch weiter zuspitzenden territorialen und sozialen Segregation und einer damit verbundenen Polarisierung der Bevölkerung – hier die geschützten Wohlhabenden und Reichen, dort die ungeschützten weniger Begüterten.“ Die subjektive Seite besteht in einer zunehmend radikalen und konsequenten Gleichgültigkeit, Abschottung und Abkehr vieler von dieser neuen Wohnform direkt oder indirekt betroffenen Menschen gegenüber dem, was man als „Gemeinwohl“ oder „gesellschaftlichen Zusammenhalt“ bezeichnet. Ernst-Dieter Lantermann war von 1979 bis 2013 Professor für Persönlichkeits- und Sozialpsychologie an der Universität Kassel.

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Die Literatur der Spätromantik war düster und sarkastisch

Die frühromantische Aufbruchsstimmung wich in der Spätphase der Romantik einer eher düsteren, sarkastischen und gebrochenen Sicht auf die Verhältnisse. Beispielhaft für diese neue Phase der romantischen Bewegung ist das Werk von E. T. H. Hoffmann(1776 – 1822), das schon bald über Deutschland hinaus beachtet wurde und auf Autoren wie Nikolai Wassiljewitsch Gogol, Charles Baudelaire und Edgar Allan Poe entscheidende Wirkung hatte. E. T. H. Hoffmann führte ein Doppelleben wie so viele seiner Figuren, die sich in verschiedene Ichs aufspalten. Tagsüber arbeitete er in dem ungeliebten Beruf eines Kammergerichtsrats, nachts führte ein sein „eigentliches“ Leben. Seine Begabungen waren weit gespannt und machten es ihm schwer, sich zu entscheiden. Er zeichnete, musizierte und komponierte und schrieb immer wieder über jenen Zwiespalt zwischen „Künstler“ und „Philister“, dem nicht nur er, sondern dem sich auch andere romantische Autoren ausgesetzt fühlten.

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Die Freiheit ist für den Menschen das höchste Gut

Der deutsche Philosoph Otfried Höffe verteidigt in seinem Buch „Kritik der Freiheit“ weder die Freiheit und die Moderne noch steht er ihnen ablehnend gegenüber. Vielmehr setzt er sie einer Kritik im Sinne von Immanuel Kant aus. Er sucht Argumente des Für und Wider auf und wägt sie ab. Otfried Höffe beantwortet dabei die Frage: „Welches Potential der Legitimation, welches an Limitation enthalten das Prinzip Freiheit und das Projekt der Moderne?“ Er versteht sein Buch als einen Beitrag sowohl zu einer philosophischen Anthropologie als auch zu einer kritischen Theorie der Moderne, darüber hinaus als eine kritische Rechts- und Demokratietheorie und als eine Theorie personaler Freiheit. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

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Ulrich Beck stellt die Gefahren einer Risikogesellschaft vor

Für Ulrich Beck handelt es sich auch in der Risikogesellschaft um eine Form der Verelendung, die vergleichbar ist und doch auch wieder überhaupt nicht mit der Verelendung der Arbeitermassen in den Zentren der Frühindustrialisierung. Ulrich Beck schreibt: „Hier wie dort sind von der Mehrheit der Menschen als verheerend erlebte Konsequenzen mit dem gesellschaftlichen Industrialisierungs- und Modernisierungsprozess verbunden.“ Beide Male handelt es sich seiner Meinung nach um drastische und bedrohliche Eingriffe in die Lebensbedingungen der Menschen. Die Konsequenzen mögen möglicherweise jeweils anders gewesen sein: damals handelte es sich um materielle Verelendung, Not, Hunger und Enge. Heute sind die Menschen von der Zerstörung der natürlichen Grundlagen des Lebens bedroht. Ulrich Beck war bis 2009 Professor für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Seither ist er Gastprofessor für Soziologie an der London School of Economics and Political Science.

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Ohne Selbstachtung ist der Mensch ein würdeloses Nichts

Menschen können die Selbstachtung anderer Personen zerstören. Es ist für Peter Bieri etwas vom Grausamsten, zu dem ein menschliches Wesen fähig ist. Für die meisten Menschen gibt es allerdings Grenzen für das, was sie zu tun bereit sind. Innerhalb dieses abgesteckten Territoriums sind sie nicht käuflich. Menschen können allerdings auch leicht dazu verführt werden, ihre Selbstachtung und damit ihre Würde zu verspielen. Wer sich als käuflich erweist, hat damit jede Selbstachtung verloren. Menschen, die keine Selbstachtung mehr haben, würden für Geld einfach alles tun. Sie sind nichts weiter als ein käufliches, würdeloses Nichts. Peter Bieri, geboren 1944 in Bern, studierte Philosophie und Klassische Philologie und lehrte als Professor für Philosophie in Bielefeld, Marburg und an der Freien Universität Berlin.

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Die Linken haben eine Affinität zu bürgerlichen Werten entwickelt

In den Großstädten geht ein neuer Trend um. Viele Menschen wollen total normal sein. Laut Cornelia Koppetsch gibt es heutzutage eine Sehnsucht nach konservativen Werten, die auch die urbane Boheme ergriffen hat: „Dieselben Milieus, die einmal mit alternativen Lebensentwürfen experimentiert haben, konzentrieren sich heute auf Absicherung, Statuserhalt und Angleichung an die vorgegebenen Strukturen.“ Heute zeigt man wieder, was man hat. Inzwischen ist es nicht mehr anstößig, Vermögen und Besitz auszustellen. Die Eliten treten ganz im Gegenteil wieder sichtbar auf, man bekennt sich zu ihnen. Umso schärfer wird die Abgrenzung nach unter gezogen. Neu ist auch, dass Gruppen, die sich bisher als „links“ verstanden, eine Affinität zu bürgerlichen Werten entwickelt haben. Cornelia Koppetsch ist Professorin für Soziologie an der TU Darmstadt.

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Friedrich Nietzsche war der Terrorist unter den Philosophen

Friedrich Nietzsche (1844 – 1900) ist kein normaler Philosoph. Denn es gibt keinen anderen Denker, der sich weniger um Konsistenz in seinen Aussagen gekümmert, ja, mehr in Widersprüchen verstrickt hat. Mit seinem Werk kann man nahezu alles belegen. Aber nicht nur war Logik nicht seine Stärke, auch das Studium der Tradition, das Vittorio Hösle jedem Philosophen dringend empfiehlt, war bei Friedrich Nietzsche hauptsächlich durch die Sekundärliteratur seiner Zeit vermittelt. Vittorio Hösle erklärt: „Nietzsche ist als Philosoph und als Philosophiehistoriker gleichermaßen ein Dilettant, auch wen sein erst 1878 gefundener einzigartiger Stil von verführerischer Schönheit den Mangel an Argumenten und Evidenzen meist verdeckt.“ Seine Philosophie nicht besser durch den Größenwahn, mit dem er seinen Selbsthass zunehmend kompensierte. Vittorio Hösle ist Paul Kimball Professor of Arts and Letters an der University of Notre Dame (USA).

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Günter Grass hat seinen Roman „Hundejahre“ neu illustriert

Vor fünfzig Jahren ist der Roman „Hundejahre“ des Literaturnobelpreisträgers Günter Grass erschienen. Jetzt hat der weltberühmte Autor davon eine Jubiläumsausgabe mit neuen bildnerischen Arbeiten dazu herausgebracht. Von seinen drei ersten Prosabüchern „Die Blechtrommel“, „Katz und Maus“ und „Hundejahre“ sind die „Hundejahre“ für Günter Grass das Buch, das ihm in seinem fragmentarischen Charakter am längsten beschäftigt und zeichnerisch immer wieder interessiert hat. Das hat vor allem damit zu tun, dass es ein sehr bildhafter Roman ist. Günter Grass fügt hinzu: „Als ich „Grimms Wörter“ fertig hatte – ich wechsle ja immer wieder das Handwerkszeug, wenn ich nach ein paar Jahren ein Prosabuch beendet habe –, war für mich der Zeitpunkt gekommen: Jetzt will ich die „Hundejahre“ illustrieren.“ Danach stellte sich für ihn nur noch die Frage der Technik.

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Wilhelm Schmid philosophiert über den Sinn der modernen Ehe

Der Sinn der Ehe ist für Wilhelm Schmid nicht mehr aus früheren Vorgaben zu beziehen, vielmehr wird es zur Aufgabe der Beteiligten selbst, ihr Sinn zu verleihen und mit ihr wiederum dem eigenen Leben. Der Sinn der modernen Ehe könnte beispielsweise darin liegen, im Anderssein, das einer für den anderen ist, eine größere Spannweite des Lebens zu erfahren, wobei man sich wechselseitig eine immer neue Quelle der Kraft sein kann. Eine Ehe kann auch eine Schutzfunktion erfüllen, indem eine Ehepartner mit seinen Stärken die Schwächen des Anderen abschirmt oder ein Ansporn, um sich weiterzuentwickeln und Dinge gemeinsam zu verwirklichen.  Wilhelm Schmid lebt als freier Autor in Berlin und lehrt Philosophie als außerplanmäßiger Professor an der Universität Erfurt.

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Die Demokratie verkommt zur elitären Zuschauerdemokratie

Der Begriff der Krise ist für Wolfgang Merkel nicht nur umstritten, sondern auch diffus. Er wird überall inflationär verwendet, aber in den seltensten Fällen definiert. Zudem stellt kaum jemand die Frage, wo eine Krise ihren Anfang hat und wo sie endet. Wolfgang Merkel unterscheidet vereinfacht in den Krisentheorien zwei Verwendungen des Begriffs. Da gibt es zum einen die akute Krise, die die Existenz bedroht und entschiedenes Handeln erfordert. In einer Demokratie wird eine solche Krise als Vorbote eines Kollapses angesehen. Es geht um Demokratie oder Diktatur. Zum anderen gibt es die latente Krise, die für die entwickelten Demokratien der alten OECD-Welt meist ins Feld geführt wird. Professor Dr. Wolfgang Merkel ist Direktor der Abteilung „Demokratie“ am Wissenschaftszentrum Berlin und lehrt Politikwissenschaft an der Humboldt-Universität in Berlin.

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Henri Lefebvre singt das hohe Lied auf die Feste des Frühlings

Seit den Anfängen der Kunst und der Literatur preisen und loben die Dichter den Frühling in den höchsten Tönen. Sie nennen ihn die Zeit der Liebe, die gewaltige Brunst der Natur, die Tage der Fruchtbarkeit und den Zeitraum der Herrschaft Aphrodites und der Venus. Das expressive Thema des Monats Mai zählt Henri Lefebvre zu jenen, die unerschöpflich scheinen. Die Lobgesänge der griechischen und lateinischen Texte hallen noch in seinem Gedächtnis nach. Von Anbeginn an bemächtigt sich auf die französische Literatur des Themas des Frühlings. Henri Lefebvre fügt hinzu: „Der antiken Vorstellung zufolge, die sich bis in die Naturphilosophie unserer Tage hinein verlängert, ist die Natur eine grundlegende Macht – Physis.“ In Raum und Zeit mit sich selbst identisch bleibend, impliziert sie seiner Meinung nach die Endlichkeit des Kosmos.

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Die Demokratie ist immer erheblichen Gefährdungen ausgesetzt

Wolfgang Merkel macht auf ein kleines Büchlein aufmerksam, dass im Jahr 2004 unter dem Titel „Postdemokratie“ erschienen ist. Der Autor, Colin Crouch, behauptet darin, dass der demokratische Moment, der sich in den USA noch vor und in Westeuropa unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt hat, verschwunden ist. Die entwickelten Länder nähern sich laut Colin Crouch der „Postdemokratie“ an, die viele vordemokratische Züge trägt. Die Wortschöpfung von Colin Crouch hat vor allem in der Bundesrepublik Deutschland eine beachtliche Karriere gemacht. Wolfgang Merkel erläutert: „Sie gehört wie die Krisenrhetorik längst zum Alltag und hat sich zu einem anschwellenden Rauschen verdichtet. Nicht selten mutieren dabei präzise Begriffe zu leeren Worthülsen, normative Vorurteile lösten die werturteilsfreie Analytik ab.“ Professor Dr. Wolfgang Merkel ist Direktor der Abteilung „Demokratie“ am Wissenschaftszentrum Berlin und lehrt Politikwissenschaft an der Humboldt-Universität in Berlin.

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Ulrich Beck untersucht das Verhältnis von Natur und Gesellschaft

Mit der industriell beschleunigten Zerstörung der ökologischen und natürlichen Grundlagen des Lebens wird laut Ulrich Beck eine historisch beispiellose, bislang völlig unbegriffene gesellschaftliche und politische Entwicklungsdynamik freigesetzt. Diese zwingt in ihrer Konsequenz auch zum Umdenken des Verhältnisses von Natur und Gesellschaft. Ulrich Beck postuliert nicht mehr und nicht weniger als das Ende der Gegenüberstellung von Natur und Gesellschaft. Das heißt: „Natur kann nicht mehr ohne Gesellschaft, Gesellschaft kann nicht mehr ohne Natur begriffen werden.“ Am Ende des 20. Jahrhunderts ist für Ulrich Beck Natur weder vorgegeben noch zugewiesen, sondern ein geschichtliches Produkt geworden. Die Natur ist in den natürlichen Bedingungen ihrer Reproduktion zerstörte oder gefährdete Innenausstattung der zivilisatorischen Welt. Ulrich Beck war bis 2009 Professor für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Seither ist er Gastprofessor für Soziologie an der London School of Economics and Political Science.

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Die Risikogesellschaft geht in eine Sündenbock-Gesellschaft über

Wenn jemand durch Gefährdungen betroffen ist, muss das laut Ulrich Beck nicht in eine Bewusstwerdung der Gefahr einmünden, sondern kann sogar das Gegenteil bewirken, nämlich die Risiken aus Angst zu leugnen. Für Gefahren ist charakteristisch, dass gerade Betroffenheit Nichtbewusstsein bedingen kann. Ulrich Beck schreibt: „Mit dem Ausmaß der Gefahr wächst die Wahrscheinlichkeit ihrer Leugnung, Verharmlosung. Dafür gibt es immer Gründe. Risiken entstehen ja im Wissen und können damit im Wissen verkleinert, vergrößert oder einfach von der Bildfläche des Bewusstseins verdrängt werden.“ Der Prozess der Bewusstwerdung von Gefahren ist also immer auch umkehrbar. Ulrich Beck war bis 2009 Professor für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Seither ist er Gastprofessor für Soziologie an der London School of Economics and Political Science.

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Ulrich Beck prüft die Wahrnehmung und Produktion von Risiken

Die ungleiche Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums bietet kaum überwindbare Sichtmauern und Rechtfertigungen für die Produktion von Risiken. Ulrich Beck unterscheidet dabei genau zwischen der kulturellen und politischen Aufmerksamkeit und der tatsächlichen Verbreitung von Gefahren. Er definiert Klassengesellschaften als Gesellschaften, in denen es über die Klassengräben hinweg um die sichtbare Befriedigung materieller Bedürfnisse geht. Hier stehen sich Hunger und Überfluss sowie Macht und Ohnmacht gegenüber. Ulrich Beck schreibt: „Das Elend bedarf keiner Selbstvergewisserung. Es existiert. Seine Unmittelbarkeit und Offensichtlichkeit entspricht die materielle Evidenz des Reichtums und der Macht.“ Die Gewissheiten der Klassengesellschaften sind in diesem Sinne die Tatsachen der Sichtbarkeitskultur. Ulrich Beck war bis 2009 Professor für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Seither ist er Gastprofessor für Soziologie an der London School of Economics and Political Science.

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Byung-Chul Han geißtelt die totalitären Züge der Transparenz

Die Medien, Politiker, die Kirchen und viele andere gesellschaftliche Gruppen fordern neuerdings immer und überall Transparenz. Byung-Chul Han, Professor für Philosophie und Kulturwissenschaften an der Universität der Künste in Berlin, ist wegen dieser allgegenwärtigen Forderung sehr beunruhigt, da sie inzwischen seiner Meinung nach totalitäre Züge annimmt. Für ihn klingt „transparent machen“ so, als würde man gnadenlos aus- und durchgeleuchtet wie mit einem Nacktscanner. Ihn interessiert vor allem die Dimension der Gewalt, die in dem Phänomen der Transparenz innewohnt. Byung-Chul Han bestreitet nicht, dass Transparenz Machtmissbrauch, Vetternwirtschaft und Korruption verhindern kann, beklagt aber, dass sich die Forderung nach Transparenz inzwischen gegen jede Form der Macht wendet. Seiner Meinung nach darf man Macht nicht auf die Möglichkeit des Missbrauchs reduzieren.

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Joyce Appleby kritisiert den zügellosen Kapitalismus

Für die amerikanische Historikerin Joyce Appleby ist die Gier nicht der einzige Kritikpunkt, den sich der zeitgenössische Kapitalismus vorhalten lassen muss. Sie hat eine kurze Liste weiterer Anklagen zusammengestellt: „Kurzsichtiges Handeln und Vernachlässigung langfristiger Folgen, Zuteilung von Kompetenzen ohne gleichzeitige Zuweisung von Verantwortung, Bevorzugung materieller gegenüber geistigen Werten, Kommerzialisierung zwischenmenschlicher Beziehungen, Monetarisierung sozialer Werte, Schädigung der Demokratie, Verunsicherung von Gemeinschaften und Institutionen, Gefährdung bestehender Abmachungen, Förderung von Aggressivität und – ja, dieses Thema hatten wir schon – Belohnung von Gier.“ Darüber hinaus werfen ihrer Meinung nach zwei weitere kapitalistische Erblasten ihre Schatten voraus, nämlich das schier unlösbare Problem der Armut und die fortschreitende Zerstörung der Umwelt.

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Die Philosophie muss wieder Alltagsfragen beantworten

Für Julian Nida-Rümelin geht es in der Philosophie um Fragen wie: Was ist gerecht?, Wirkt in der Welt eine Vorsehung oder ist alles durch den Zufall bestimmt? Dies sind uralte Fragen, die sich Philosophen zu jeder Zeit neu stellen müssen. Die Philosophie soll sich seiner Meinung nach nicht nur als akademische Disziplin verstehen, sondern einen Beitrag zu rationaler Handlungs- und Weltorientierung leisten. Vorbildlich haben sich Platon und Aristoteles verhalten, die sich zu allen Lebensfragen äußerten. Julian Nida-Rümelin sagt: „Erst in den vergangen 300 Jahren ist das in den Hintergrund gerückt. Und das Vakuum wird heute durch mehr oder weniger seriöse Angebote gefüllt.“

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Seneca: "Der Mensch soll über sich selbst bestimmen"

Laut Seneca sollte es das oberste Ziel eines Menschen sein, durch innere Gelassenheit glücklich zu sein. Um diesen Zustand zu erreichen, muss man die eigene Unabhängigkeit von äußeren Einflüssen bewahren und gegenüber Versuchungen wie Besitz und Macht immun sein. Starken Einfluss auf Seneca übte die Lehre der griechische Stoiker aus, deren prominentester Vertreter er im Laufe seines Lebens wurde. Die Grundtugenden der Stoiker waren Weisheit, Gerechtigkeit, Mäßigung und Mut. Alle literarischen Schriften Senecas haben eines gemeinsam, ihren lehrhaften Zweck: sie wollen mahnen, warnen und erziehen.

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