Paul Nolte beschreibt die scheinbaren Vorzüge der Diktatur

Selbst in Großbritannien und Amerika kamen in der Zwischenkriegszeit neue Zweifel an der Demokratie auf, doch diese Zweifel griffen im kontinentalen Europa viel weiter und grundsätzlicher um sich und mündeten häufiger, über Skepsis hinaus, in Gegnerschaft gegen die Demokratie oder jedenfalls Gleichgültigkeit gegenüber ihrer möglichen Zerstörung. Die Aussicht auf eine Diktatur erschien in den 1920er Jahren des vergangenen Jahrhunderts nicht so schrecklich wie in der Gegenwart. Erst aus der konkreten Erfahrung des Nationalsozialismus, der für Verfolgung und Massenmord verantwortlich war, teils auch aus den parallelen Gegebenheiten im Stalinismus der Sowjetunion, entstand laut Paul Nolte jenes Bild der Diktatur als alles umgreifender und kontrollierender, totaler Herrschaft, die sich auf Willkür und die Entfesslung von Gewalt stützt. Paul Nolte ist Professor für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte an der Freien Universität Berlin.

Der Unterschied zwischen kommisarischer und souveräner Diktatur

Paul Nolte erwähnt Hannah Arendts Werk „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“, das neben anderen zur Aufklärung über die Regime des Bösen beigetragen hat. In der Staatsrechtslehre und in der politischen Diskussion nach dem Ersten Weltkrieg, bezeichnete die Diktatur jedoch eine begrenzte Phase der Außerkraftsetzung republikanisch-demokratischer Regeln in einer Krise und zu deren Überwindung. Paul Nolte zitiert Carl Schmitt, der sich bereits im Jahr 1921 mit dem Thema der Diktatur auseinandersetzte. Carl Schmitt sprach von einer kommissarischen Diktatur, einem Regime des zeitweisen Ausnahmezustands zur Krisenbewältigung.

Er entwickelte aber zugleich, gemäß Paul Nolte mit unverkennbarer Faszination, die Vorstellung von einer souveränen Diktatur: einer Alleinherrschaft, die auf dauerhafter Grundlage einer neuen, nicht mehr demokratisch verfassten Gesellschaft ruhte. Nur eine Rolle im Hintergrund spielte bei den Überlegungen von Carl Schmitt die von Lenin besonders hervorgehobene Diktatur des Proletariats, dass in der marxistischen Theorie des revolutionären Übergangs zum Sozialismus und Kommunismus eine führende Rolle spielen sollte.

Der blutige Glanz der Diktatur wird zur Hoffnung der Massen

Paul Nolte schreibt: „Aber für Carl Schmitt und andere Sympathisanten des Faschismus hatte der Diktaturbegriff andere Konturen; er war klarer, direkter, weniger metaphorisch.“ So kann man laut Paul Nolte die Attraktivität der Diktatur ein Stück weit erklären: in einer Phase der Politik und Kultur, in der eine klare Definition von Demokratie nicht mehr vorhanden war und eine auf dem Willen des Volkes gegründete Diktatur den oligarchisch erstarrten parlamentarischen Demokratie überlegen galt.

Aber es gab auch in dieser Zeit Staatslehrer, wie den Österreicher Hans Kelsen, der die Demokratie entschieden verteidigte und sich nicht über die vermeintliche Harmlosigkeit der diktatorischen Alternative täuschen ließ. Im Jahr 1932 schrieb Hans Kelsen folgende Zeilen: „Das Ideal der Demokratie verblasst und an dem dunklen Horizont unserer Zeit steigt ein neues Gestirn auf, dem sich die Hoffnung der Massen umso gläubiger zuwendet, je blutiger sein Glanz über ihr leuchtet: die Diktatur.“

Von Hans Klumbies