Die Kultur des Rokoko bevorzugt die Sphäre des Weiblichen

Im 18. Jahrhundert nehmen die leidenschaftlichen Versuche kein Ende, die überkommenen Ordnungen und Einrichtungen auf allen Gebieten des öffentlichen und privaten Lebens zu reformieren, die verkrusteten Traditionen in der Politik, den Wissenschaften und Künsten aufzulösen und das Festgefahrene wieder in Fluss zu bringen. Diese Innovationen vollziehen sich in mehreren Phasen an den höfischen Zentren und großen europäischen Residenzen, unter denen die bedeutendsten Paris, München, Berlin, Dresden und Wien sind. Innerhalb einer feudalen Gesellschaft von geistigen und weltlichen Würdenträgern, innerhalb des Hofadels selbst, werden die Umwälzungen, die neuen Denkformen und Lebensstile entwickelt und entfaltet. Dies ist die erste Etappe einer sanften und unblutigen Revolution: die Zeit des Rokoko. Sie bevorzugt im Gegensatz und Widerspruch zum männlich-heroischen Zeitalter des Barock alles, was aus der Sphäre des Weiblichen und aus den Bereichen eines kunstvollen Gefühls für die Natur stammt.

Die Salons der adligen Damen waren das geistige Zentrum im Rokoko

Die Entscheidungen fallen jetzt nicht mehr in Männerkollegien und Staatssälen, sondern in der behaglichen und intimen Atmosphäre der Salons, auf den bequemen Wegen, in den Grotten und Lusthäusern sentimentalisch angelegter Gärten. Und nur zu oft ist es ein illegitimes Weiberregiment, das den Lauf der Politik mitbestimmt. Die Salons der adligen Damen, der Favoritinnen und der Maitressen sind die geistigen Zentren, von denen die milden und behutsamen Versuche der Neugestaltung der Zeit des Rokoko ausgehen.

Ihre Atmosphäre von raffinierter Sensibilität und exaltierter Sentimentalität, von Zärtlichkeit, Frivolität und erotischer Intimität fasziniert Herrscher und Staatsmänner, zwingt die Kavaliere und Abbés, die Literaten, Wissenschaftler und Künstler in ihren Bann. Dieses Publikum erfüllt die Salons mit dem Spiel überraschender und ergötzlicher Einfälle des Verstandes, mit den Spitzfindigkeiten des Witzes, mit dem attischen Salz der Vernunft, der Skepsis der Philosophen und der Selbstsicherheit der Aufklärer, die leidenschaftlich das Naturrecht, Humanität und Toleranz verkünden.

Maria Theresia tritt die Nachfolge von Kaiser Karl VI. an

Während an den mit Frankreich verbündeten Höfen der Lebensstil des Rokoko schon frühzeitig Eingang fand, war unter der Regierung Karl VI. das französische Wesen vom Hofe in Wien verbannt. Bis zu seinem Tod im Jahr 1740 bestimmte die barocke, absolutistische Grundhaltung alle macht- und staatspolitischen Entscheidungen, waren allein die Lebensformen eines in spanischer Würde und Strenge ausgerichteten Zeremoniells gültig. Selbst Prinz Eugen, der von 16663 bis 1736 lebte, unterstützte aus machtpolitischen Erwägungen heraus diese Abneigung.

Aber auch am habsburgischen Hofe in Wien sollte der Anstoß zu einer Neubesinnung nicht von außen kommen, sondern aus dem Schoße der kaiserlichen Familie selbst, aus Schicksalsbedingungen, die sich als eine stärkere Realität erwiesen als die traditionellen und dynastischen Vorurteile. Am 12. Februar 1736 wurde die älteste Tochter Kaiser Karls VI., die im Falle fehlender männlicher Nachkommenschaft durch die habsburgische Erbfolgeordnung vom Jahre1714 zur Nachfolge auf den Thron berechtigt war, mit Franz Stephan von Lothringen vermählt. Maria Theresia, die von 1717 bis 1780 lebte, durfte bei der Wahl ihres Ehemanns allein ihrem Herzen folgen.

Von Hans Klumbies