Effizienz ist nicht die einzige wirtschaftliche Tugend

Als der wirtschaftliche Flächenbrand im März 2020 begann, schrieb William Galston in einem Leitartikel im „Wall Street Journal“: „Effizienz ist nicht die einzige wirtschaftliche Tugend.“ Er meinte, es könne etwas nicht stimmen mit einem Wirtschaftssystem, das außerstande ist, während einer Gesundheitskrise, wie sie in einem Jahrhundert nur einmal vorkommt, die Grundbedürfnisse der Bevölkerung zu decken. Jeremy Rifkin erläutert: „Galston legte dar, dass der Erfolg der Globalisierung darauf beruht, die Produktion von alltäglichen Gütern und Dienstleistungen in diejenigen Weltregionen zu verlagern, in denen sich durch niedrige Lohnkosten und nicht vorhandene Umweltschutzgesetze effiziente Skaleneffekte erzielen lassen.“ Diese Produkte werden dann mit Containerschiffen und Flugzeugen aus fernen Ländern in die reichen Länder transportiert. Jeremy Rifkin ist einer der bekanntesten gesellschaftlichen Vordenker. Er ist Gründer und Vorsitzender der Foundation on Economic Trends in Washington.

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Werte beeinflussen die Wirtschaft

Der Drohung mit einem Handelskrieg liegen einige grobe Missverständnisse im Welthandelssystem zugrunde. Diese betreffen nicht nur diejenigen, die aufgrund der Art und Weise wie man es managte, Wohlstandseinbußen erlitten. Joseph Stiglitz stellt fest: „Viele Verfechter der Globalisierung nahmen an, einem Freihandelssystem könnten Länder mit völlig unterschiedlichen Wertesystemen angehören. Werte beeinflussen unsere Wirtschaft – und unseren komparativen Vorteil – in tiefgreifender Weise.“ Es kann sein, dass eine weniger freie Gesellschaft auf einem bedeutenden Gebiet, etwa Künstliche Intelligenz, überlegen ist. Big Data ist hier sehr wichtig, und China hat weniger Hemmungen, Daten zu sammeln und zu nutzen. Als die USA und Europa vor rund 25 Jahren ihren Handel mit China ständig ausweiteten, hoffte man, dass dadurch der Prozess der Demokratisierung beschleunigt würde. Joseph Stiglitz war Professor für Volkswirtschaft in Yale, Princeton, Oxford und Stanford. Er wurde 2001 mit dem Nobelpreis für Wirtschaft ausgezeichnet.

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Veränderungen erzeugen zunächst Unbehagen

Jede Form der Veränderung geht zunächst mit einem Unbehagen einher. Emanuele Coccia kritisiert: „Wir haben Bewegung und Wandel zu Fetischen gemacht. Dabei ist alles so angelegt, Bewegung unmöglich zu machen.“ Viele Menschen streben danach, sich fortzubewegen und ihre Stellung in der Gesellschaft zu verändern. Manche möchten auch an einen anderen Wohnort ziehen, von einem Zustand in einen anderen wechseln. Doch all diese Veränderungen sind eine Illusion. Man verschiebe das Leben nur in ein neues Dekor. Die Globalisierung verspricht eine sagenhafte Mobilität in der Geschichte der Menschheit. Fieberhaft wechseln viele Menschen die Orte, sind und bleiben aber alle, wer sie waren. Die Reichen bleiben reich, die Armen haben nicht mehr Chancen am Ziel als am Start. Emanuele Coccia ist Professor für Philosophiegeschichte an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris.

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Die Globalisierung hat die Arbeitnehmer geschwächt

Joseph Stiglitz weiß: „Befürworter der Globalisierung geben dem technischen Fortschritt die Schuld daran, dass Löhne sinken und Arbeitsplätze verloren gehen. Neue Technologien verringern möglicherweise die Nachfrage nach Arbeitskräften, insbesondere nach Geringqulifizierten.“ Viele Ökonomen haben versucht, genau herauszufinden, ein wie großer Prozentsatz der gestiegenen Arbeitslosigkeit beziehungsweise der gesunkenen Löhne auf die Globalisierung zurückzuführen ist. Da beide sehr eng miteinander verflochten sind, hält Joseph Stiglitz das für praktisch unmöglich. Aber eines ist klar: Auch ohne technischen Fortschritt hätte sich die Globalisierung als solche verheerend auf die Arbeiter in den USA ausgewirkt. Denn der Staat ließ ihnen keinerlei Hilfen zukommen. Und da der technologische Wandel an sich Arbeitnehmer schon einem hohen Anpassungsdruck aussetzt, hat die Globalisierung deren missliche Lage noch verstärkt. Joseph Stiglitz war Professor für Volkswirtschaft in Yale, Princeton, Oxford und Stanford. Er wurde 2001 mit dem Nobelpreis für Wirtschaft ausgezeichnet.

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Protektionismus wirkt sich immer negativ aus

Protektionistische Maßnahmen helfen weder den USA noch den von der Deindustrialisierung betroffenen Arbeitnehmern. Sie können sich aber durchaus negativ auf die Handelspartner der Vereinigten Staaten und die Weltwirtschaft auswirken. Joseph Stiglitz betont: „Während der letzten 70 Jahre hat die internationale Gemeinschaft eine regelbasierte Ordnung geschaffen, die Handel und Zusammenarbeit fördert. Die USA spielten beim Aufbau dieses Systems eine zentrale Rolle.“ Die Vereinigten Staaten haben dies nicht aus Uneigennützigkeit getan, sondern weil sie überzeugt waren, eine solche Ordnung sei besser für die ganze Welt, die USA eingeschlossen. Man glaubte, Handel und Austausch würden das gegenseitige Verständnis über Grenzen hinweg fördern. Und dies werde den Frieden festigen und Kriege, die eine Geißel des 20. Jahrhunderts waren, unwahrscheinlicher machen. Joseph Stiglitz war Professor für Volkswirtschaft in Yale, Princeton, Oxford und Stanford. Er wurde 2001 mit dem Nobelpreis für Wirtschaft ausgezeichnet.

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Die Globalisierung hat auch negative Folgen

Die Globalisierung wirkt sich sowohl auf die Arbeitsplätze als auch auf die Löhne aus. Ein hoch entwickeltes Land wie die USA importiert arbeitsintensive Güter, die gering qualifizierte Arbeitskräfte herstellen. Dadurch sinkt die Nachfrage nach Geringqualifizierten in den USA, einfach deshalb, weil man weniger von diesen Gütern im Inland produziert. Joseph Stiglitz weiß: „Wenn wir Vollbeschäftigung anstreben, müssen die Löhne für Geringqualifizierte – inflationsbereinigt sinken. Und wenn die die Löhne nicht in ausreichendem Maße zurückgehen, steigt die Arbeitslosigkeit.“ Jeder, der an das Gesetz von Angebot und Nachfrage glaubt, sollte verstehen, warum sich die Globalisierung negativ auf gering qualifizierte Beschäftigte auswirkt. Joseph Stiglitz war Professor für Volkswirtschaft in Yale, Princeton, Oxford und Stanford. Er wurde 2001 mit dem Nobelpreis für Wirtschaft ausgezeichnet.

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Subventionen gibt es in allen Volkswirtschaften

Chinas wirtschaftlicher Erfolg ruht heute auf einer breiten Basis. Er ist nicht mehr bloß abhängig von Gemeinschaftsunternehmen mit westlichen Formen oder von Diebstahl geistigen Eigentums. Joseph Stiglitz stellt fest: „In einigen Bereichen wie soziale Medien und Künstliche Intelligenz befindet sich das Land bereits an der Spitze. Die Anzahl der Patente, die chinesischen Antragsstellern erteilt werden, steigt dramatisch an.“ Auf vielen anderen Gebieten hat China die Wissenslücke, die es von den fortgeschrittenen Ländern trennt, bereits weitgehende geschlossen. Man sollte jedoch die abstruse Idee hinter sich lassen, dass sich China durch den Handel kurzfristig in eine Demokratie verwandeln werde. Die Vereinigten Staaten behaupte, versteckte Subventionen würden die gesamte chinesische Wirtschaft durchringen. Joseph Stiglitz war Professor für Volkswirtschaft in Yale, Princeton, Oxford und Stanford. Er wurde 2001 mit dem Nobelpreis für Wirtschaft ausgezeichnet.

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Über die Globalisierung wird gestritten

Die Globalisierung steht im Mittelpunkt der Wirtschaftskrise Amerikas. Joseph Stiglitz stellt fest: „Einerseits machen Globalisierungskritiker sie für die missliche Lage der amerikanischen Mittelschicht verantwortlich.“ Diese Kritik an der Globalisierung stieß auf enorme Resonanz, insbesondere in den Regionen, die von der Deindustrialisierung betroffen sind. Dagegen behaupten die Befürworter der Globalisierung, all dies sei reiner Unsinn. Amerika habe von ihr profitiert. Eine protektionistische Politik gefährde die Wohlstandsgewinne durch den freien Handel. Letztlich, so sagen sie, werde Protektionismus nicht einmal denjenigen helfen, die ihre Arbeitsplätze im Zuge der Globalisierung verloren haben oder massive Lohneinbußen hinnehmen mussten. Sie selbst, die Vereinigten Staaten insgesamt und die ganze Welt würden schlechter dastehen. Joseph Stiglitz war Professor für Volkswirtschaft in Yale, Princeton, Oxford und Stanford. Er wurde 2001 mit dem Nobelpreis für Wirtschaft ausgezeichnet.

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Die Nationalstaaten beuten die Natur aus

Die Werbung vieler Unternehmen feiert eine globalisierte Welt. Aber die Idee von der größeren Reichweite ihrer Geschäftsbeziehungen umfasst nur einen Aspekt der Globalisierung. Judith Butler weiß: „Nationalstaatliche Souveränität mag im Schwinden begriffen sein, aber neue Nationalismen halten an diesem Rahmen fest.“ Die Regierungen der Vereinigten Staaten sind nur schwer von der realen Bedrohung der lebensfähigen Welt durch den Klimawandel zu überzeugen. Das liegt daran, dass ihre Rechte zur Erweiterung von Produktion und Märkten weiterhin im Rahmen des Nationalstaates konzentriert bleiben. Dies trägt zur Ausbeutung der Natur und der Vormachtstellung des Profits bei. Sie rechnen vielleicht gar nicht mit der Möglichkeit, dass ihr Handeln Auswirkungen auf alle Regionen der Welt hat. Judith Butler ist Maxine Elliot Professor für Komparatistik und kritische Theorie an der University of California, Berkeley.

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Es gibt drei große gesellschaftliche Umbrüche

Der französische Denker Jean Baudrillard gilt als einer der Hauptverfechter der Postmoderne. Dennoch war es ausgerechnet er, der die Mythologie des Sozialkonstruktivismus angegriffen hat. Jean Baudrillard behauptet in einem Buch „Simulacres et simulation“, dass es drei große gesellschaftliche Umbrüche gebe, die in der gegenwärtigen Zeit kulminierten. Markus Gabriel kennt sie: „In der Vormoderne seien menschliche Gesellschaften durch Symbole gesteuert worden, die sich ziemlich eindeutig von der Wirklichkeit unterschieden. Eine Götterstatue aus Lehm ist ein Symbol für einen Gott, aber selbst kein Gott, wie das alttestamentarische Bilderverbot einschärft. Die monotheistische Revolution bringt die Vormoderne sozusagen auf den Punkt.“ Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Der Liberalismus muss sich reflexiv regenerieren

Im Zeitalter der Philosophen, der Aufklärung, geboren, hält der neuzeitliche Liberalismus ein weiteres Element für unverzichtbar. Zum Erfahrungsbezug, zu dem legitimatorischen Individualismus und dem freien Spiel der Kräfte innerhalb von Verfassung und Recht tritt eine handlungsrelevante Selbstkritik, sichtbar im Willen, sich angesichts neuer Herausforderungen zu verändern. Otfried Höffe stellt klar: „Ohne dieses Element, eine reflexive Regeneration ist der Liberalismus nicht zukunftsfähig; vor allem verdient er ohne es nicht, als aufgeklärt zu gelten.“ So hat sich der in Europa dominante Liberalismus längst um politische Mitwirkungsrechte und um freiheits- und demokratiefunktionale Sozialrechte erweitert. Otfried Höffe fordert die Grundelemente des Liberalismus in einer interkulturell verständlichen Sprache zu legitimieren. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

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Die Globalisierung muss verbessert werden

Clemens Fuest vertritt die These, dass die Globalisierung nicht abgeschafft, sondern verbessert wird. Er erläutert: „Globalisierung ist ein Prozess, in dem die Länder der Welt durch politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Austausch zunehmend verbunden sind. Damit beeinflussen sie sich immer mehr gegenseitig.“ Die Corona-Pandemie selbst ist das beste Beispiel dafür, wie sehr die Welt durch Globalisierung verbunden ist. Leider im negativen Sinne. Der Flügelschlag einer Fledermaus in China hat die Weltwirtschaft in die Knie gezwungen. Zunächst muss man jedoch unterscheiden zwischen den Problemen während der Krise und den Perspektiven für die Globalisierung danach. Dass während der Coronakrise der Welthandel unterbrochen wurde, heißt nicht, dass er auch künftig gestört sein wird. Oder dass es sinnvoll ist, ihn einzuschränken. Clemens Fuest ist seit April 2017 Präsident des ifo Instituts.

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Es tobt kein weltweiter Kampf der Kulturen

Es sieht für Markus Gabriel so aus, als gebe es mehr oder weniger deutlich voneinander abgegrenzte Kulturen. Die Grenzziehung zwischen Kulturen scheint außerdem häufig mit den Grenzen von Nationalstaaten verbunden zu sein. Man spricht landläufig etwa von einer deutschen, chinesischen, amerikanischen oder russischen Kultur. Manche glauben auch, es tobe seit Jahrtausenden ein welthistorischer Kampf der Kulturen. Dieser entfaltet sich im 21. Jahrhundert als Konflikt, den Kulturräume durch die Globalisierung in verschärften Wettbewerb miteinander austragen. Markus Gabriel erklärt: „Diese Idee wurde Ende des 20. Jahrhunderts prominent vom in Harvard lehrenden Politikwissenschaftler Samuel P. Huntington vertreten.“ Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Die Welt rückt enger zusammen

In den freiheitlichen Demokratien konnten die Menschen in der Corona-Krise den Eindruck gewinnen, zu viele widerstreitende Instanzen mit zu unterschiedlichen Interessen behindern einander gegenseitig. Hans-Jürgen Papier stellt fest: „Lange Zeit schien das Vorgehen der europäischen Staaten unkoordiniert und schlecht abgestimmt. Auch das bundesrepublikanische föderale System erweckte häufig den Eindruck, als sei es hauptsächlich damit beschäftigt, einen Flickenteppich aus unübersichtlichen Regelungen und jede Menge Streit und Unsicherheiten zu produzieren.“ Wie die Pandemie haben auch Klimawandel, Digitalisierung oder internationaler Terrorismus mit Prozessen zu tun, die man häufig unter dem Stichwort der Globalisierung zusammenfasst. Die Welt rückt in vieler Hinsicht enger zusammen. Die Dinge werden komplizierter, und Einflusssphären überlagern sich. Prof. em. Dr. Dres. h.c. Hans-Jürgen Papier war von 2002 bis 2014 Präsident des Bundesverfassungsgerichts.

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Es gibt nur eine Vernunft

Das hat bestimmt schon jeder einmal erlebt, dass trotz intensiven Austauschs der Argumente keine Einigung zu erzielen war. Reinhard K. Sprenger will auf einen Aspekt aufmerksam machen, den man in seiner Bedeutung für Konflikte noch gar nicht richtig begriffen hat. Die Menschen, die heute leben, sind aufgewachsen in einem gesellschaftlichen Klima, das Vernunft sehr groß schrieb. Die zudem überzeugt sind, dass es im Grunde nur eine Vernunft gäbe. Reinhard K. Sprenger weiß: „Das Hintergrundprogramm, gleichsam die Software dafür, hat der imperiale deutsche Philosoph Jürgen Habermas in den 1960er Jahren geschrieben.“ Dieses Programm geht davon aus, dass alle Menschen eine gemeinsame Sachlichkeit beanspruchen, innerhalb deren Argument und Gründe gelten. Reinhard K. Sprenger zählt zu den profiliertesten Managementberatern und wichtigsten Vordenkern der Wirtschaft in Deutschland.

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Der Erste Weltkrieg stoppte eine frühe Globalisierung

Es gibt keine florierende Wirtschaft ohne starke Institutionen. Und es gibt keine wachsende Globalisierung ohne eine maßvolle internationale Politik, die sie zu schützen bereit ist. Diese bittere Lektion hat die Welt am eigenen Leib gelernt. Der Glaube, dass Wissen, Technologie und Profite unaufhaltsamen Fortschritt garantierten, beflügelte die politischen Eliten im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Er platzte mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Nadav Eyal ergänzt: „Diese frühe Globalisierung zwischen dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 und dem Ersten Weltkrieg wird als „Belle Époque“, „schöne Epoche“ bezeichnet.“ Es war eine beeindruckende Blütezeit. Die Welt erlebte eine der größten Migrationswellen zu Friedenszeiten, vor allem Richtung Nordamerika. Italiener, Iren, Juden, Holländer, Deutsche, Tschechen, Engländer, Schotten, Polen verließen den alten Kontinent auf der Suche nach einer neuen Zukunft. Nadav Eyal ist einer der bekanntesten Journalisten Israels.

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Jeder Mensch sollte einige Grundregeln beherrschen

Eine Flut von Wissen ist für Ille C. Gebeshuber genauso schlecht wie fanatischer, blinder Glaube, der nichts hinterfragt. Deshalb ist es notwendig, das in der generellen Ausbildung das additive Wissen der Wissenschaft durch mutatives, also angepasstes Wissen zu ersetzen. Dieses reduziert man auf ein klares, aber anwendbares Minimum. Dabei ist es im Prinzip nur notwendig, ein gesichertes Maß an Grundregeln zu besitzen. Daneben sollte man die Regeln kennen, mit denen die verfügbaren Informationen zu neuem Wissen zusammengefügt werden können. Ille C. Gebeshuber erklärt: „Mit der Erfahrung einiger Lebensjahre können wichtige Zusammenhänge so selbst erkannt und verstanden werden.“ Den riesigen Haufen an Wissen, der überall verfügbar ist, kann man zur Überprüfung der eigenen Schlüsse heranziehen. Ille C. Gebeshuber ist Professorin für Physik an der Technischen Universität Wien.

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Der Kapitalismus schien 1989 triumphiert zu haben

Dass es in den USA und vielen anderen Industriestaaten nicht besonders gut läuft ist noch gelinde ausgedrückt. Im ganzen Land herrscht weitverbreiteter Unmut. Joseph Stiglitz erläutert: „Den in den letzten 25 Jahren vorherrschenden wirtschafts- und politikwissenschaftlichen Theorien zufolge war das nicht zu erwarten.“ Nach dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 verkündete Francis Fukuyama „Das Ende der Geschichte“. Denn seiner Meinung nach hätten die Demokratie und der Kapitalismus endgültig triumphiert. Eine neue Ära globalen Wohlstands mit höherem Wirtschaftswachstum den je zuvor stünde jetzt bevor. Und Amerika würde dabei die Führung übernehmen. Heute scheint von diesen hochfliegenden Ideen nichts mehr übrig zu sein. Joseph Stiglitz war Professor für Volkswirtschaft in Yale, Princeton, Oxford und Stanford. Er wurde 2001 mit dem Nobelpreis für Wirtschaft ausgezeichnet.

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Ideen verbesserten die Umstände des Menschseins

Die Umstände des Menschseins verbesserten sich nicht dank eines kosmischen Ereignisses oder eines Geschenks der Götter. Es waren Ideen, die alles veränderten. Ideen, die der wissenschaftlichen Revolution und der Aufklärung zugrunde lagen. Die Rettung der Menschheit aus dem erschütternden Elend ihrer Vorväter kam mit der Anerkennung von Gedankenfreiheit. Ebenso wichtig war die Befreiung von Knechtschaft und Aberglaube. Dazu kam noch die Zerschlagung des kirchlichen Monopols durch das Wissen und die Achtung der Autonomie des Individuums. Nadav Eyal ergänzt: „Die Werte der Aufklärung, darunter Freiheit und Gerechtigkeit, bildeten die Grundstein für den Aufbau sozialer Einrichtungen und den Schutz privaten Eigentums.“ Sie brachten einen erheblichen Fortschritt in die Lebensumstände der Menschen. Nadav Eyal ist einer der bekanntesten Journalisten Israels.

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Ökonomie und Politik sind eng verzahnt

Politik und Ökonomie sind eng miteinander verflochten. Joseph Stiglitz erklärt: „Aus unseren wirtschaftlichen Ungleichheiten werden politischen Ungleichheiten, die ihrerseits zu Regeln führen, die Erstere noch weiter verschlimmern.“ In ähnlicher Weise wirken auch wirtschaftliche Fehlentscheidungen auf das politische System zurück. Die wirklich Raffgierigen und Kurzsichtigen unter den Superreichen haben folgendes erkannt. Nämlich dass Globalisierung und die Förderung der Finanzmarktinteressen von der großen Mehrheit der Menschen keine Unterstützung erfährt. Basierend darauf ziehen sie eine zutiefst beunruhigende Schlussfolgerung: „Wenn wir der Demokratie ihren Lauf lassen und an ein Mindestmaß an Vernunft bei den Wählern glauben, dann werden sie sich für einen anderen Kurs entscheiden.“ Joseph Stiglitz war Professor für Volkswirtschaft in Yale, Princeton, Oxford und Stanford. Er wurde 2001 mit dem Nobelpreis für Wirtschaft ausgezeichnet.

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Wachstum ist kein Allheilmittel mehr

In der Gegenwart ist ungebremstes Wachstum kein Allheilmittel mehr. Das Jahr 2020 sollte entscheidend in der Klimapolitik werden. Die 26. UN-Klimakonferenz (COP26) sollte nur wenige Tage nach der US-Wahl im November 2020 in Glasgow tagen. Adam Tooze stellt fest: „Sie sollte den fünften Jahrestag des Pariser Klimaabkommens markieren. Sollte Trump gewinnen, was zu Beginn des Jahres durchaus möglich schien, würde die Zukunft des Planeten auf dem Spiel stehen.“ Das allgegenwärtige Gefühl von Risiko und Angst, das die Weltwirtschaft umgab, bedeutete eine bemerkenswerte Umkehrung. Noch vor nicht allzu langer Zeit erschien die Stellung der kapitalistischen Wirtschaft als erobernden Triebkraft der modernen Geschichte unangreifbar. Denn der Westen hatte im Kalten Krieg triumphiert und der Aufstieg der Finanzmärkte schien unaufhaltsam. Adam Tooze lehrt an der Columbia University und zählt zu den führenden Wirtschaftshistorikern der Gegenwart.

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Nadav Eyal kennt die Vorboten der Revolte

Die aktuelle Globalisierung schritt schnell voran und der Einfluss globaler Beziehungen auf das Leben der Menschen nahm zu. Gleichzeitig wuchs auch die Opposition dagegen. Nadav Eyal erklärt: „Diese hat viele Gesichter: Anarchisten, Umweltschützer, Marxisten, Populisten und zahlreiche andere. Der härteste und älteste Kern der Revolte ist der Fundamentalismus.“ Manchmal kämpft er gegen die wissenschaftliche Revolution, und stets wettert er gegen die Ideen der Aufklärung und bedauert die Folgen der industriellen Revolution.“ Er schöpft seine Kraft nicht nur aus Ignoranz und Armut. Sondern er bezieht sie auch aus einem stark empfundenen Bedeutungs- und Identitätsverlust, aus der Entfremdung in der globalen Welt. Im Herbst 2008 begann die Weltwirtschaft zusammenzubrechen. Es war ein Kollaps mit lautem Getöse. Nadav Eyal ist einer der bekanntesten Journalisten Israels.

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Drei Segmente prägen die traditionelle Kultur

Es hat immer wieder Versuche gegeben, den Kern der traditionellen Kultursphäre in jeweils einen der drei Segmente der Kultur auszumachen. In der Religion etwa bei Max Weber, in der höfischen Gesellschaft bei Norbert Elias oder in der Volkskultur bei Michail Bachtin. Tatsächlich scheint aber gerade die Koexistenz aller drei Segmente für die traditionelle Kultursphäre charakteristisch zu sein. Andreas Reckwitz erläutert: „Sie ist durch eine Kombination aus Singularisierung und Wiederholung gekennzeichnet.“ In dieser Gesellschaftsform wird deutlich, dass Singularität und Innovation beziehungsweise Kreativität nicht zusammenfallen müssen. Die traditionelle Kultursphäre ist vielmehr an solchen kulturellen Elementen orientiert, die nicht einem Regime des Neuen unterworfen, sondern als wertvoll anerkannter Gegenstand der Wiederholung sind. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

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Die Neue Rechte fordert die Altparteien heraus

Die Neue Rechte zieht Profit aus den Kalamitäten und Disparitäten, die jetzt die Gesellschaft kopfscheu machen. Roger de Weck erläutert: „Die Angstgesellschaft ist ihr Revier, von der Verunsicherung lebt sie. Sie nutzt und beschleunigt die Erosion der Glaubwürdigkeit traditioneller Parteien, die der Ultrakapitalismus zusehends überfordert.“ Ein Teil der Konzernwelt hat den Staat zur Flickbude degradiert, und die Regression der Politik zur Flickschusterei lädiert die Politiker. Umso leichter schleusen reaktionäre Parteien den Groll ihrer Klientele nur in die eine Richtung. Versagt haben einzig die Politik, die Demokratie, die Europäische Union – nie und nimmer das Wirtschaftssystem. Das Problem des Prekariats, das die Neue Rechte besonders umwirbt, sind nie Amazon und andere ausbeuterische Arbeitgeber, sondern die „Altparteien“. Roger de Weck ist ein Schweizer Publizist und Ökonom.

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Der Fortschritt wird immer unberechenbarer

Eine Ära der Unsicherheit hat weltweit begonnen. Die Menschen müssen umdenken und lernen, in und mit dauerhaft unsicheren Zeiten zu leben. Horst Opaschowski nennt ein Beispiel: „Die Finanzmärkte kennen diese Volatilität schon lange: Kein Vermögenswert ist mehr wirklich sicher.“ Nach dem amerikanischen Risikoforscher Nicholas Taleb brauchen die Menschen ein neues Denken für eine Welt, die bei allem Fortschritt immer unberechenbarer wird. Seine Antwort und Empfehlung für die Herausforderungen in unsicheren Zeiten lautet: „Antifragilität“. Damit ist eine Lebenshaltung gemeint, die mehr als stark, solide, robust und unzerbrechlich ist. Horst Opaschowski gründete 2014 mit der Bildungsforscherin Irina Pilawa das Opaschowski Institut für Zukunftsforschung. Bis 2006 lehrte er als Professor für Erziehungswissenschaften an der Universität Hamburg. Ab 2007 leitete er die Stiftung für Zukunftsfragen.

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