Das Deutsch Reich betrieb eine Politik der Täuschung

Die seit 1934 forcierte Aufrüstungspolitik des Dritten Reichs trug das Risiko in sich, dass die Westmächte, vor allem Frankreich, auf diesen Bruch des Versailler Vertrags mit Druck, womöglich mit dem Einmarsch in Deutschland reagierten. Das hätte vermutlich auch das Ende des nationalsozialistischen Regimes bedeutet. Ulrich Herbert ergänzt: „Deshalb begann Adolf Hitler mit einer nach Osten wie nach Westen gerichteten Beschwichtigungspolitik und der unablässigen Bekundung seines Friedenswillens und war sogar bereit, eine Ausgleich mit Polen zu finden.“ Zugleich verließ Deutschland jedoch die Genfer Abrüstungsverhandlungen und den Völkerbund, um gegen den Versuch der Rüstungskontrolle zu protestieren. Um diesen Schritt zu legitimieren, wurden erneut „Neuwahlen“ ausgeschrieben und mit einem Volksentscheid über die Politik der Reichsregierung verbunden. Ulrich Herbert zählt zu den renommiertesten Zeithistorikern der Gegenwart. Er lehrt als Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.

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Der Kapp-Putsch war ein Staatsstreich der alten Rechten

Am 1. Januar 1920 trat der Friedensvertrag von Versailles in Kraft – und mit ihm auch jene Bestimmungen, welche die Verurteilung der deutschen Kriegsverbrecher und die Reduzierung der deutschen Heeresstärke auf 100.000 Mann regelte. Vor allem die Verringerung der Truppen richtete sich direkt gegen die noch unter Waffen stehenden Freikorps, aber auch gegen Tausende von Offizieren der Reichswehr, die vergebens gehofft hatten, die Regierung werde diese Bestimmungen unterlaufen. Die dadurch entstandene Verbitterung gab den Anlass, den nun schon seit einiger Zeit verfolgten Gedanken in die Tat umzusetzen, nämlich die sogenannte November-Republik zu stürzen. Der seit Längerem vorbereitete Putsch wurde von einigen Politikern der Rechten, darunter Wolfgang Kapp, einem der Führer der Vaterlandspartei, und Oberst Bauer, dem engsten Mitarbeiter Erich Ludendorffs in der Obersten Heeresleitung, in Gang gesetzt.

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In allen Fragen der Moral gehen die Ansichten weit auseinander

Die große Vielfältigkeit des Geschmacks wie auch der Meinungen, die in der Welt herrscht, ist allzu offensichtlich, um nicht jedermann aufzufallen. Selbst Menschen mit sehr geringer Bildung können feststellen, dass es im engen Umkreis ihrer Bekannten Unterschiede des Geschmacks gibt, auch wenn sie alle dieselbe Erziehung genossen und von früh an denselben Vorurteilen ausgesetzt waren. Jene aber, die ihren Horizont vergrößern und fremde Völker und ferne Zeiten mit in den Blick nehmen, sind dann doch überrascht, wie groß die Unstimmigkeit und Gegensätzlichkeit ist. David Hume erklärt: „Wir neigen dazu, „barbarisch“ zu heißen, was nur weit genug von unserem Geschmack und von unserer Auffassung abweicht – um freilich bald festzustellen, dass das herabsetzende Epitheton uns selbst zurückgegeben wird.“ David Hume, der von 1711 bis 1776 lebte, gehört zu den Klassikern der europäischen Philosophie.

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John Searles sieht sich die Konstruktion der Gesellschaft ganz genau an

Nur der Mensch verfügt über die Fähigkeit Personen oder Dingen Funktionen zuzuweisen. Die Natur dagegen weiß nichts von Funktionen. Einige Gegenstände stellen Unternehmen direkt für spezifische Funktionen her. John Searle, Professor für Philosophie an der University of California, Berkeley, nennt dafür als Beispiele die Badewanne, den Schraubenzieher oder den Computer. Andere natürliche Dinge kann der Mensch sozusagen zweckentfremden – beispielsweise einen Baumstamm als Bank, einen Stein als Briefbeschwerer oder einen Ast als Hebelwerkzeug. John Searle erklärt: „Um eine Funktion auszuführen, muss einem Objekt und namentlich einer Person ein Status zugeschrieben werden.“ Er nennt als Beispiele den Präsidenten, den Ehepartner oder den Bürger. Alle institutionellen Tatsachen verdanken ihre Existenz performativen Sprechakten, nämlich Deklarationen: „Wir ernennen X zum Vorsitzenden“; „Hiermit ist der Krieg erklärt“, „Wir verurteilen sie zu …“.

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Hermann Hesse liebt als einzige Tugend den Eigensinn

Für Hermann Hesse gibt es nur eine einzige Tugend, die er sehr liebt. Sie heißt Eigensinn. Von den anderen Tugenden hält der weltberühmte Schriftsteller nicht viel. Hermann Hesse nennt den Grund dafür: „Und doch könnte man alle die vielen Tugenden, die der Mensch sich erfunden hat, mit einem einzigen Namen umfassen. Tugend ist: Gehorsam.“ Es stellt sich nur die Frage, wem der Mensch gehorchen soll. Denn selbst der Eigensinn ist für Hermann Hesse, der 1946 den Nobelpreis für Literatur erhielt, nichts anderes als Gehorsamkeit. Der Eigensinn gehorcht allerdings einem anderen Gesetz, einem einzigen, unbedingt heiligen, dem Gesetz in sich selbst, dem Gesetz des Eigenen, während alle anderen mensachlichen Tugenden Gehorsam gegenüber Gesetzen sind, die von anderen Menschen erlassen wurden.

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Tomáš Sedláček erklärt den blinden Konsum zur Droge

Die Gier ist für den Ökonomen Tomáš Sedláček auf der einen Seite der Motor des Fortschritts, auf der anderen Seite aber die Ursache des Absturzes der Wirtschaft. Schon in den ältesten Geschichten der Menschheit wird davon erzählt, dass die Gier stets diesen Januskopf besitzt. Tomáš Sedláček erklärt: „Ständig unzufrieden zu sein, mehr zu begehren, scheint ein angeborenes Naturphänomen zu sein und das Herz unserer Zivilisation zu bilden. Die Ursünde des ersten Menschenpaares im Garten Eden war die Folge von Gier.“ In seinem Bestseller „Die Ökonomie von Gut und Böse“ legt der tschechische Wirtschaftswissenschaftler Tomáš Sedláček die Verwurzelung der Wirtschaft in der Kulturgeschichte der Menschheit frei.

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Joyce Appleby kritisiert den zügellosen Kapitalismus

Für die amerikanische Historikerin Joyce Appleby ist die Gier nicht der einzige Kritikpunkt, den sich der zeitgenössische Kapitalismus vorhalten lassen muss. Sie hat eine kurze Liste weiterer Anklagen zusammengestellt: „Kurzsichtiges Handeln und Vernachlässigung langfristiger Folgen, Zuteilung von Kompetenzen ohne gleichzeitige Zuweisung von Verantwortung, Bevorzugung materieller gegenüber geistigen Werten, Kommerzialisierung zwischenmenschlicher Beziehungen, Monetarisierung sozialer Werte, Schädigung der Demokratie, Verunsicherung von Gemeinschaften und Institutionen, Gefährdung bestehender Abmachungen, Förderung von Aggressivität und – ja, dieses Thema hatten wir schon – Belohnung von Gier.“ Darüber hinaus werfen ihrer Meinung nach zwei weitere kapitalistische Erblasten ihre Schatten voraus, nämlich das schier unlösbare Problem der Armut und die fortschreitende Zerstörung der Umwelt.

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Das lustvolle Risiko des selbstbestimmten Lebens

Laut Frank Böckelmann muss der moderne Mensch ständig Entscheidungen treffen, die eigentlich seinen Horizont übersteigen. Herrschte früher über bestimmte Werte und Normen gesellschaftlicher Konsens vor, ist heute nichts mehr allgemeinverbindlich und die Menschen sind ständig gezwungen, weitreichende Urteile zu fällen, ohne die Risiken und Nebenwirkungen auch nur im entferntesten zu kennen. Frank Böckelmann glaubt nicht, dass die Heerscharen von Beratern den Betroffenen wirklich helfen können, sondern im Extremfall die Lage sogar verschlimmern. Der Autor ist davon überzeugt, dass sich viele Schwierigkeiten von selbst in Luft auflösen, wenn man bereit ist, das eigene Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen und voller Lust Neues auszuprobieren.

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Michel Houellebecq liebt die deutsche Frühromantik

Michel Houellebecq behauptet von sich, alles sagen und schreiben zu können, weil er in Mode ist. Er gibt aber zu, dass es durchaus Dinge gibt, die er niemals schreiben würde, wodurch er sich immer einen Rest Intimität erhalten möchte. Dennoch muss man seiner Meinung nach keine Angst davor haben, über intime Dinge zu reden, da immer noch etwas übrig bleiben wird, das man gestehen könnte. Michel Houellebecq hat auch keine Angst sich einem Zuhörer oder Leser auszuliefern, wenn er nach seinem Sexualleben gefragt wird. Die meisten Fragen, die ihm in Interviews gestellt werden, umkreisen dieses Thema. Auf die Frage, ob er und seine Frau in einen Swingerclub gehen würden, antwortet er immer mit: „Ja, und?“.

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Rebekka Reinhards moralischer Relativismus

Für Rebekka Reinhard scheint grundsätzlich jedes Opfer, das einen freien Willen besitzt, die Wahl zu haben, wie es mit seinem Los umgehen möchte. In der modernen Gesellschaft sind die häufigsten Methoden die Selbstanklage, die Selbstbemitleidung und die Bemitleidung durch Dritte. Rebekka Reinhard gibt folgende Definition eines Opfers: „Opfer zu sein heißt, für etwas Böses verurteilt worden zu sein, das man gar nicht begangen hat und aufgrund dessen unschuldig – und damit auch irgendwie gut zu sein.“ Wer in die Opferrolle gedrängt wird, muss in der Regel schwer dafür büßen. Beispielsweise mit dem Aufenthalt in einer Klinik, dem Verlust des Vermögens, der Schädigung des Rufs oder dem Verlust des Jobs.

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