Byung-Chul Han geißtelt die totalitären Züge der Transparenz

Die Medien, Politiker, die Kirchen und viele andere gesellschaftliche Gruppen fordern neuerdings immer und überall Transparenz. Byung-Chul Han, Professor für Philosophie und Kulturwissenschaften an der Universität der Künste in Berlin, ist wegen dieser allgegenwärtigen Forderung sehr beunruhigt, da sie inzwischen seiner Meinung nach totalitäre Züge annimmt. Für ihn klingt „transparent machen“ so, als würde man gnadenlos aus- und durchgeleuchtet wie mit einem Nacktscanner. Ihn interessiert vor allem die Dimension der Gewalt, die in dem Phänomen der Transparenz innewohnt. Byung-Chul Han bestreitet nicht, dass Transparenz Machtmissbrauch, Vetternwirtschaft und Korruption verhindern kann, beklagt aber, dass sich die Forderung nach Transparenz inzwischen gegen jede Form der Macht wendet. Seiner Meinung nach darf man Macht nicht auf die Möglichkeit des Missbrauchs reduzieren.

Der Terror der Intimität und Enthüllung greift immer mehr um sich

Für Byung-Chul Han ist Macht an sich nichts Schlechtes. Er erklärt: „Für politisches Handeln ist sie sogar elementar. Vergessen Sie niemals: Ohne Macht ist Politik nicht möglich. Und dieser Transparenzterror verdeutlicht, dass nicht irgendeine Koalition, sondern die Politik selbst in einer tiefen Krise steckt.“ Denn Politiker werden nicht mehr aufgrund ihrer politischen Handlungen wahrgenommen. Heute gilt laut Byung-Chul Han ein Politiker nur noch als authentisch, wenn er sein Privatgefühl zeigt. Dies ist eine Epoche, in der der Terror der Intimität und der Enthüllung herrscht.

Byung-Chul Han behauptet, dass der Transparenzwahn die Demokratie nicht fördert, sondern gefährdet, und dass Werte wie Vertrauen und Respekt verloren gegangen sind. Die Macht dagegen ist für ihn ein wichtiges Medium in der Politik. Byung-Chul Han erläutert: „Für politisches Handeln ist eine gewisse Informationsmacht notwendig, eine Souveränität über die Produktion und Verteilung von Informationen.“ Es gehört für ihn auch zu Politik, dass gewisse Informationen nicht in die Öffentlichkeit gelangen dürfen.

Der Verlust des Vertrauens schreit nach Transparenz

Politik ohne Geheimnis ist für Byung-Chul Han ein Ding der Unmöglichkeit. Er sagt: „Politik ist strategisches Handeln, ein Spiel mit der Macht. Ein transparentes Spiel gibt es aber nicht.“ Das Verlangen nach Transparenz wird seiner Meinung nach nur dort laut, wo Vertrauen verloren geht. Die Gesellschaft des Vertrauens hat sich aufgelöst. Byung-Chul Han stimmt Peer Steinbrück zu, der folgende Aussage machte: „Transparenz gibt es nur in Diktaturen.“ Totale Transparenz ist nur durch totale Kontrolle möglich.

Es gehört laut Byung-Chul Han zur Demokratie, dass die Menschen nicht alles wissen können. In der Demokratie gibt es Räume, die man nicht ausforschen darf. In der Transparenzgesellschaft dagegen ist alles nach außen gekehrt, enthüllt, entkleidet, exponiert. Viele Menschen stellen sich selbst aus, nur um Aufmerksamkeit zu erregen. So unterstützen sie den Turbokapitalismus und die neoliberale Leistungsgesellschaft, indem sie selbst zur Ware mutieren. Es existiert nur noch der Ausstellungswert. Das ist allerdings eine dramatische Reduktion des Lebens und des Daseins.

Von Hans Klumbies