Bei Auguste Rodin bricht die Leidenschaft aus dem Marmor hervor

Der Mann, der für die berühmteste Plastik von Auguste Rodin „Denker“ Modell stand, war kein Intellektueller, sondern der französische Preisboxer Jean Baud, ein Mann aus dem Pariser Rotlichtmilieu, der im Hauptberuf Holzbauer war. Als Thema für seinen Denker hatte Auguste Rodin Dantes göttliche Komödie ausgewählt; sein Denker sollte den Autor Dante Alighieri darstellen. Doch der geniale Bildhauer bricht mit der Tradition des melancholischen, erschlafften Grübler, die sonst die Darstellungen des Denkens in der Kunstgeschichte prägen, und hat auch nichts mit den gelassen auf antiken Treppen lagernden Denkern der Schule von Athen zu tun: Auguste Rodins martialisch, muskulöse, kauernde Gestalt erinnert viele Kunstexperten eher an einen Athleten, der jeden Augenblick lossprinten könnte. Die ganze Figur ist reine Anspannung und Verzerrung und Energie vor dem Aus- und Aufbruch. Mit einer gewaltigen Schau im Grand Palais begehrt Paris den hundertsten Todestag des Bildhauers Auguste Rodin.

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Ernst-Dieter Lanterman analysiert den Typ des Fremdenhassers

Mit seinem Hass auf Fremde kompensiert der Fanatiker Defizite, die ihn in der Vergangenheit bedrückten und an seinem Selbstwertgefühl nagten. Ernst-Dieter Lantermann erläutert: „Sein Fanatismus stillt sein lange unerfülltes Bedürfnis nach Klarheit, Einfachheit und festen Wahrheiten. Er gewährt ihm ein Sicherheits- und Verankerungssystem, das ihn gegen alle Zweifel und Unsicherheiten abschottet.“ Sein Fanatismus verschafft ihm eine unerschütterliche Identität, da er sich in seinen Gleichgesinnten wiedererkennt, sich mit ihnen zutiefst verbunden, von ihnen anerkannt und wertgeschätzt erlebt und gleichzeitig in den Ausländern das abstoßende Zerrbild eines anständigen Menschen sieht. Sein Hass gibt seinem Leben endlich wieder eine Bedeutung, einen tiefen Sinn und eine klare, selbstgewisse Orientierung des eigenen Weges. Ernst-Dieter Lantermann war von 1979 bis 2013 Professor für Persönlichkeits- und Sozialpsychologie an der Universität Kassel.

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Die Liebe macht viele Menschen demütig

Wenn man heute von „Gemeinsinn“ spricht, stellt man sich darunter jemanden vor, der Petitionen, Demonstrationen und Proteste organisiert und der seine Stimme zum Wohl der Allgemeinheit erhebt. David Brooks ergänzt: „Aber in früheren Epochen war damit eine Person gemeint, die ihre Leidenschaften gezügelt und ihre Meinungen gemäßigt hat, um einen umfassenden Konsens zu erreichen und unterschiedlichste Menschen zusammenzubringen.“ Viele Menschen stellen sich Gemeinsinn als Durchsetzungskraft vor, aber früher verstand man darunter die Fähigkeit zu Selbstbeherrschung. Dabei lernt man eine innere Struktur zu entwickeln, um die chaotischen Impulse im Innern zu kontrollieren. Sündhaftigkeit wird dabei indirekt durch uneigennütziges Verhalten bekämpft. Damit führt man das Leben von den schlimmsten Tendenzen weg. David Brooks arbeitet als Kommentator und Kolumnist bei der New York Times. Sein Buch „Das soziale Tier“ (2012) wurde ein internationaler Bestseller.

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Henri Lefebvre singt das hohe Lied auf die Feste des Frühlings

Seit den Anfängen der Kunst und der Literatur preisen und loben die Dichter den Frühling in den höchsten Tönen. Sie nennen ihn die Zeit der Liebe, die gewaltige Brunst der Natur, die Tage der Fruchtbarkeit und den Zeitraum der Herrschaft Aphrodites und der Venus. Das expressive Thema des Monats Mai zählt Henri Lefebvre zu jenen, die unerschöpflich scheinen. Die Lobgesänge der griechischen und lateinischen Texte hallen noch in seinem Gedächtnis nach. Von Anbeginn an bemächtigt sich auf die französische Literatur des Themas des Frühlings. Henri Lefebvre fügt hinzu: „Der antiken Vorstellung zufolge, die sich bis in die Naturphilosophie unserer Tage hinein verlängert, ist die Natur eine grundlegende Macht – Physis.“ In Raum und Zeit mit sich selbst identisch bleibend, impliziert sie seiner Meinung nach die Endlichkeit des Kosmos.

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Karlheinz A. Geißler singt ein schönes Loblied auf den Sonntag

Karlheinz A. Geißler behauptet: „Eile macht unsozial, unbarmherzig und hart.“ Mit dem Zeitdruck sinkt die Bereitschaft zu fürsorglichem, prosozialem Verhalten. Eilende, gestresste und gehetzte Menschen zeigen weniger Hilfsbereitschaft als diejenigen, die sich nicht unter Zeitdruck fühlen. Dass Barmherzigkeit eine Sache des menschlichen Charakters ist, war bekannt, dass sie daneben aber auch eine Sache des Zeitdrucks ist, macht Karlheinz A. Geißler nachdenklich. Mit Recht sind die Europäer stolz darauf, was sie im Hinblick auf die Zivilisierung und Kultivierung bisher erreicht haben. Karlheinz A. Geißler stellt sich allerdings die Frage, was aus der Humanität, dem Sinn für Mitmenschlichkeit, Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe werden soll, wenn die Menschen immer mehr unter Zeitdruck geraten, kontinuierlich schneller werden und dazu noch alles tun, um mit noch mehr Geschwindigkeit durchs Leben zu rasen. Professor Dr. Karlheinz A. Geißler lehrt, lebt und schreibt in München. Eine der amüsantesten Erfindungen der Menschheit, die Zeit, hat er zu seinem Lebensthema gemacht.

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