Die ungleiche Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums bietet kaum überwindbare Sichtmauern und Rechtfertigungen für die Produktion von Risiken. Ulrich Beck unterscheidet dabei genau zwischen der kulturellen und politischen Aufmerksamkeit und der tatsächlichen Verbreitung von Gefahren. Er definiert Klassengesellschaften als Gesellschaften, in denen es über die Klassengräben hinweg um die sichtbare Befriedigung materieller Bedürfnisse geht. Hier stehen sich Hunger und Überfluss sowie Macht und Ohnmacht gegenüber. Ulrich Beck schreibt: „Das Elend bedarf keiner Selbstvergewisserung. Es existiert. Seine Unmittelbarkeit und Offensichtlichkeit entspricht die materielle Evidenz des Reichtums und der Macht.“ Die Gewissheiten der Klassengesellschaften sind in diesem Sinne die Tatsachen der Sichtbarkeitskultur. Ulrich Beck war bis 2009 Professor für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Seither ist er Gastprofessor für Soziologie an der London School of Economics and Political Science.
Geleugnete Risiken gedeihen besonders gut und schnell
Diese Evidenzen des Greifbaren gelten für Ulrich Beck gerade in Risikogesellschaften nicht mehr. Das Sichtbare gerät seiner Meinung nach in den Schatten unsichtbarer Gefährdungen. Was sich der Wahrnehmbarkeit entzieht, kann sogar einen erhöhten Grad von Gefährdungswirklichkeit besitzen. Ulrich Beck schreibt: „Die Welt des sichtbaren Mangels oder Überflusses verdunkelt sich unter der Übermacht der Risiken.“ Den Wettlauf zwischen wahrnehmbarem Reichtum und nichterkennbaren Risiken können diese nicht gewinnen.
Das Ignorieren der sowieso nicht wahrnehmbaren Gefahren, das in der Beseitigung greifbarer Not immer seine Rechtfertigung findet und in den Entwicklungsländern auch tatsächlich hat, ist für Ulrich Beck der kulturelle und politische Boden auf dem die Risiken und Gefährdungen blühen, wachsen und gedeihen. Ulrich Beck fügt hinzu: „Die Evidenz der Not verdrängt die Wahrnehmung der Risiken; aber auch nur ihre Wahrnehmung, nicht ihre Wirklichkeit und Wirkung: geleugnete Risiken gedeihen besonders gut und schnell.
Kritik an der Wissenschaft wird als Irrationalismus gebrandmarkt
In den reichen Industrieländern hat die Sicherung des wirtschaftlichen Aufschwungs und Wachstums nach wie vor uneingeschränkt erste Priorität. Der drohende Verlust von Arbeitsplätzen wird an die Wand gemalt, um zum Beispiel die Grenzwertbestimmungen für Schadstoffemissionen lax zu handhaben oder nach bestimmten Rückständen von Gift in Lebensmitteln erst gar nicht zu fahnden. Wenn bestimmte Gruppen von Giftstoffen rechtlich gar nicht vorhanden sind, können sie umso leichter in Umlauf gebracht werden.
Diejenigen, die auf Gefahren und Risiken hinweisen, werden als Miesmacher und Störer diffamiert. Die Gegner der Warner argumentieren, dass nur ein rasch wachsendes Sozialprodukt die Voraussetzungen für einen verbesserten Umweltschutz schaffen könne, wobei zusätzlich das Vertrauen in Wissenschaft und Forschung beschworen wird. Kritik an der Wissenschaft und Angst vor der Zukunft werden von den Wachstumsgläubigen als Irrationalismus gebrandmarkt. Die Kritiker und Angsthasen seinen die eigentlichen Ursachen des Übels.
Von Hans Klumbies