Ulrich Beck untersucht das Verhältnis von Natur und Gesellschaft

Mit der industriell beschleunigten Zerstörung der ökologischen und natürlichen Grundlagen des Lebens wird laut Ulrich Beck eine historisch beispiellose, bislang völlig unbegriffene gesellschaftliche und politische Entwicklungsdynamik freigesetzt. Diese zwingt in ihrer Konsequenz auch zum Umdenken des Verhältnisses von Natur und Gesellschaft. Ulrich Beck postuliert nicht mehr und nicht weniger als das Ende der Gegenüberstellung von Natur und Gesellschaft. Das heißt: „Natur kann nicht mehr ohne Gesellschaft, Gesellschaft kann nicht mehr ohne Natur begriffen werden.“ Am Ende des 20. Jahrhunderts ist für Ulrich Beck Natur weder vorgegeben noch zugewiesen, sondern ein geschichtliches Produkt geworden. Die Natur ist in den natürlichen Bedingungen ihrer Reproduktion zerstörte oder gefährdete Innenausstattung der zivilisatorischen Welt. Ulrich Beck war bis 2009 Professor für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Seither ist er Gastprofessor für Soziologie an der London School of Economics and Political Science.

Umweltprobleme haben sich in Gesellschaftsprobleme verwandelt

Naturzerstörungen werden zum integralen Bestandteil der gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Dynamik. Ulrich Beck erklärt: „Verletzungen der natürlichen Bedingungen des Lebens schlagen in globale medizinische, soziale und ökonomische Gefährdungen für Menschen um – mit völlig neuartigen Herausforderungen an die sozialen und politischen Institutionen der hochindustrialisierten Weltgesellschaft.“ Die zivilisatorische Naturgefährdung verwandelt sich in soziale, ökonomische und politische Systemgefährdungen.

Dies sind die realen Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft, die den Begriff der Risikogesellschaft rechtfertigen. Die Gesellschaft mit all ihren Teilsystemen wie Wirtschaft, Politik, Kultur oder Familie lässt sich in der fortgeschrittenen Moderne nicht mehr naturautonom begreifen. Umweltprobleme sind inzwischen durch und durch gesellschaftliche Probleme, Probleme des Menschen, seiner Geschichte, seiner Lebensbedingungen, seines Weltbezuges und seiner kulturellen und politischen Verfassung.

Die Naturwissenschaften sind zu einer Zweigniederlassung von Politik und Wirtschaft geworden

Überall haben die Menschen es heute mit einem hochgradigen Kunstprodukt Natur zu tun, mit einer artifiziellen Natur. Die Natur ist, um mit den Worten Ulrich Becks zu sprechen, weil und sofern sie systemintern zirkulierende und verwertete Natur ist, auch unter den sachlichen Händen der Naturwissenschaftler politisch geworden. Ulrich Beck schreibt: „Da ihr Gegenstand derart gesellschaftlich aufgeladen ist, arbeiten Naturwissenschaftler in einem starken politisch-ökonomisch-kulturellen Magnetfeld.“

Unter den Bedingungen der vergesellschafteten Natur sind die Natur- und Technikwissenschaften, trotz äußerlich beibehaltener Sachlichkeit, zu einer Zweigniederlassung von Politik, Wirtschaft und Rechtssprechung im Gewande von Zahlen geworden. Ulrich Beck erklärt: „Zentral wird in Zukunft für die Rolle aller Wissenschaften die Einsicht, dass man ein institutionell gestärktes und abgesichertes moralisch-politisches Rückrat braucht, um überhaupt noch anständige Forschung betreiben zu können.“ Es wird sich dabei um eine Forschung handeln, die allerdings die Last der politischen Implikationen dann auch bewusst annehmen und austragen muss.

Von Hans Klumbies